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PROLOG

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Drei Uhr nachts.

Der kleine Junge sitzt verängstigt in seinem Bett, unter der bis unters Kinn hochgezogenen Zudecke. Seinen zottigen Bär Dogo fest an sich gepresst, lauscht er voller Furcht auf Geräusche, welche die Stille der Nacht durchbrechen.

Schritte vor der Haustür.

Ein Schlüssel dreht sich im Schloss.

Laute Geräusche im Flur.

ER IST NACH HAUSE GEKOMMEN!

Er kommt immer nachts um drei Uhr von seiner Arbeit als Nachtwächter zurück. Der kleine Junge weiß das ganz genau, denn die Angst hat ihn so sensibilisiert, dass er jede Nacht um Punkt drei Uhr aufwacht.

Unten in der Küche wird der Kühlschrank geöffnet und wieder zugeschlagen. Jetzt hat er sein Bier herausgenommen, weiß das Kind. Und dann wieder seine schweren Schritte, die im Wohnzimmer verhallen.

Der kleine Junge zieht sich die Decke hastig ganz über den Kopf. Er verhält sich mucksmäuschenstill. Sein Atem ist ganz flach, fast nur noch ein Hauch.

Vielleicht hat er Glück.

Vielleicht ist er müde von der Arbeit. Vielleicht ist er schon im Sessel eingeschlafen, hofft das Kind.

Doch seine Hoffnung erfüllt sich nicht!

„Komm sofort runter, du kleine Mistkröte“, poltert die laute, gewöhnliche Stimme seines Vaters dröhnend durch das bis eben noch so stille Haus.

„Na, wird‘s bald oder muss ich dich erst holen?“

Der kleine Junge kriecht zögernd unter der Decke hervor.

Er muss gehen.

Es gibt kein Entrinnen vor den Schmerzen, vor dem, was er ihm manchmal antut. Und es gibt niemanden der ihm hilft, niemanden, der sich überhaupt für ihn interessiert.

Ob wohl alle Väter so etwas mit ihren Kindern machen? , fragt sich der Junge nicht zum ersten Mal.

Der Vater von Jens, der im Nachbarhaus wohnt, ist immer nett zu seinem Sohn und auch zu ihm, wenn er ihn mal im Garten sieht. Aber ist er das auch des Nachts, wenn es dunkel ist und die Uhr dreimal in der Frühe schlägt? Wird er dann auch zu so einem Vater wie seiner einer ist? Aber Jens hat noch seine Mutter, die ihm dann sicherlich hilft.

Er hat niemanden!

Für ihn gibt es kein Entrinnen. Erst fünf Jahre alt, vermag er sich den abartigen Forderungen seines Vaters nicht zu entziehen.

Widerstrebend schwingt er seine dünnen Beine über den Bettrand und steht auf.

„Du bleibst besser hier, Dogo, sonst tut er dir auch noch weh“, tröstet er seinen Bären, seinen einzigen Freund, der ihn aus großen, braunen Augen mitfühlend ansieht. Der Junge streichelte ihn liebevoll, dann legt er ihn in sein Bett und deckt ihn zu.

Er bückt sich nach seinen Hausschuhen, findet sie jedoch in der Aufregung nicht.

Er hat Angst, so schreckliche Angst!

„Was ist? Kommst du endlich? Wie lange soll ich denn noch auf dich warten?“, grölt sein Vater.

Vater! Welch ein Hohn!

Dann eben ohne Hausschuhe.

Barfuß tappt der Junge aus dem Zimmer zur Treppe. Vor der ersten Stufe bleibt er stehen. Alles in ihm weigert sich hinunterzugehen.

Aus dem Wohnzimmer fällt Licht. Klirrende Geräusche. Dann lautes Rülpsen.

Das Bier, denkt der Junge verzagt.

Er löst seine kleine Hand von der Holzstrebe des Geländers, an die er sich unbewusst geklammert hat.

Langsam, Schritt für Schritt, steigt er die mit einem weinroten Läufer belegten Stufen hinunter. Unten angekommen bleibt er ein letztes Mal stehen.

Glucksende Geräusche. Das Einfüllen in ein Glas. Noch mehr Bier. Das ist nicht gut, denkt der Junge furchtsam.

Er nimmt allen Mut zusammen. Langsam tappt er auf seinen nackten Füßen zu der offen stehenden Wohnzimmertür.

Im Eingang bleibt er stehen.

Dasselbe Bild wie immer. Er kennt es, fürchtet und verabscheut es.

Der Mann hockt in einem Sessel, starrt seinen in der Tür stehenden Sohn böse an und schlürft wie immer Bier aus einem gewaltigen Krug. Seit ihn seine Frau verlassen hat, ist er noch unausstehlicher und noch gewalttätiger geworden.

Aber nicht alleine das ist für das Kind eine Katastrophe, sondern noch viel schlimmer ist etwas anderes, das ganz besonders verabscheuungswürdig und mit nichts zu entschuldigen ist. Dabei trägt der Junge keinerlei Schuld an dem Scheitern der Ehe seiner Eltern, sondern ist vielmehr der Leidtragende in dieser schrecklichen Tragödie.

„Du siehst genauso aus wie deine untreue Mutter“, knurrt der Mann von einem Hass erfüllt, den er aufs Schändlichste auf den unschuldigen Knaben überträgt.

„Haut einfach ab mit einem anderen Kerl und nimmt dich noch nicht mal mit. Hat sich wohl nicht allzu viel aus ihrem einzigen Kind gemacht“, schürt er das Feuer in der Wunde, die den kleinen Jungen ohnehin ständig schmerzt.

„Komm sofort her zu mir, du kleine Mistkröte“, verlangt er heiser. Dabei mustert er seinen Sohn auf eine Weise wie kein Vater sein Kind ansehen sollte.

„Ja, du wirst ihr immer ähnlicher“, murmelt er rau.

Der Junge setzt sich widerstrebend in Bewegung. Langsam tappt er auf den Mann in dem geblümten Sessel zu, der Bier in sich hineinschüttet und sich an seinem kleinen Sohn vergreift, der sich nicht wehren kann.

Die Hand seines Vaters umklammert ein scharfes Messer, eines von vielen, denn er sammelt Waffen, besonders Stichwaffen, ist regelrecht verrückt danach.

Der kleine Junge weiß das nur allzu gut.

Denn sein Vater fügt ihm gerne winzige Schnitte im unteren Bereich des Rückens zu. Nach jedem Missbrauch einen. Und die Beweise seines schändlichen Tuns mehren sich, bilden bereits einen Bereich so groß wie die Handfläche des Knaben.

Der Junge sieht seinen Peiniger verzweifelt an.

„Bitte nicht“, fleht er.

„Von wegen!

Stell dich nicht immer so an, du Kröte“, stößt sein Vater hervor und gibt ihm einen groben Schubs. Der Junge verliert das Gleichgewicht, stolpert gegen den kleinen Beistelltisch, auf dem säuberlich aufgereiht einige Messer liegen. Der Tisch stürzt um. Die Messer fallen auf den Boden.

Eine harte Hand greift nach dem schmächtigen Jungen.

„Knie dich vor mich hin. Na, wird’s bald, Kröte.“

Der Junge kommt dem Befehl weinend nach.

„Na, geht doch“, knurrt sein Vater zufrieden. „Los, mach voran, ich warte.“

Da überfällt den Jungen eine solche Panik, dass es ihn schüttelt. Unbewusst tastet seine kleine Hand über den Boden. Eine Klinge ritzt seine Haut.

Er greift zu!

„Dann eben anders“, knurrt sein Vater verärgert. „Los, dreh dich um.“

Wütend stemmt er sich aus dem Sessel hoch. Er wird sich diesen Bengel vornehmen, diesen Bengel, der aussieht wie seine verräterische Frau, ihn ständig an die erinnert, die er wie nichts auf der Welt hasst. Die seine Liebe verschmähte, nur weil er manchmal die Beherrschung verlor und sie dann das Krankenhaus aufsuchen musste.

„Ich sagte umdrehen“, befiehlt er hart.

Der Junge starrt ihn an. Und plötzlich bricht alles in und über ihm zusammen. Ekel, Demütigung, Hass und die Furcht vor neuen Schmerzen bestimmen ab sofort sein Handeln.

Er nimmt das Messer fest in seine kleine Hand.

Und dann stößt er zu, so fest er kann!

Instinktiv springt er danach zur Seite, wobei er das Messer eher aus Versehen, als mit Absicht, aus der Wunde reißt. Ein dicker Blutstrahl schießt dicht an dem Jungen vorbei, während sein Vater zusammenbricht.

Das Messer hat die Oberschenkelarterie getroffen.

„Hilf mir“, stöhnt der Schwerverletzte, dessen Blut fontänenartig aus der Wunde spritzt. Es ist verhängnisvoll für ihn, dass das Messer nicht mehr steckt, sondern aus der Wunde herausgezogen wurde.

Der Junge starrt ihn an, starrt auf die Blutlache, die den Teppich tränkt. Er lässt das Messer fallen, dreht sich um und läuft davon.

Der Mann hört ihn noch auf der Treppe und auch noch das Schließen der Zimmertür.

Und dann wird es dunkel um ihn herum und er hört nichts mehr.

Niemals mehr!

Der Junge aber schlüpft oben in seinem Zimmer unter seine Decke und nimmt Dogo in den Arm. Eng an seinen besten Freund gekuschelt schläft er ruhig ein.

Mord um Drei

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