Читать книгу Späte Rache - Bärbel Junker - Страница 6
DIE DROHUNG
ОглавлениеCarola Carlsen unterbrach für einen Moment ihre Arbeit. Sie war gerade bei der Herstellung einer Rezeptur für eine Kundin und das bedurfte ihrer vollen Konzentration. Doch dieses kleine schwarze Telefon lenkte sie irgendwie ab. Nachdenklich betrachtete sie es.
In dunkelblaues Papier eingepackt, hatte es in einem kleinen braunen Kästchen morgens auf ihrer Fußmatte gelegen.
Das Päckchen hatte keinen Absender, nur ein dem Inhalt beigefügtes Kärtchen, welches vor ihr auf dem Arbeitstisch lag. Noch einmal las sie die darauf stehenden Worte:
ERINNERE DICH!
Sie wusste weder an was sie sich erinnern sollte noch wer ihr das Päckchen vor die Tür gelegt haben könnte. Doch seitdem sie es gefunden hatte, begleitete sie ein Gefühl drohender Gefahr. Allerdings war dieses beunruhigende Gefühl ihrer Überzeugung nach völlig unbegründet.
Also sperrte sie es kurzentschlossen in die hinterste Schublade ihres Gedächtnisses weg, um sich wieder ihrer Arbeit zuzuwenden.
Doch zu ihrem Erstaunen drängte sich unvermittelt eine Erinnerung aus der Vergangenheit hervor, die sie fast vergessen hatte. Und wieso auch nicht, schließlich war das alles ja schon eine Ewigkeit her. Aber wieso behelligte diese Erinnerung sie ausgerechnet jetzt?
Hatte vielleicht dieses Miniaturtelefon etwas damit zu tun?
Dabei war sie von der Überzeugung ausgegangen, diese unerquicklichen Gedanken für alle Zeiten in den tiefsten Bereich ihres Gedächtnisses verbannt zu haben, denn das damalige Geschehen hatte nichts mit ihrem heutigen Leben zu tun. Sie wollte diese Sache unbedingt vergessen, war nicht bereit auch nur eine einzige Sekunde daran zu verschwenden.
Es war vorbei!
Sie bereute nichts!
Doch Erinnerungen können manchmal außerordentlich hartnäckig sein.
Das Klingeln des Telefons holte Carola abrupt aus der Vergangenheit in die Gegenwart zurück. Irritiert starrte sie auf den Stößel in ihrer Hand und dann auf den kleinen dickwandigen Mörser vor sich auf dem Arbeitstisch.
Sie hasste es, bei der Arbeit gestört zu werden.
Doch das Telefon kümmerte sich nicht darum und läutete weiter.
Genervt nahm Carola den Hörer ab.
„Falkental Apotheke. Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“, meldete sie sich ein wenig ungehalten.
„Spreche ich mit Carola Carlsen?“, fragte eine dumpfe Stimme, die der Apothekerin Schauer des Unbehagens über den Rücken jagten.
„Am Apparat. Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte Carola.
„Hast du mein Päckchen erhalten?“
„Sprechen Sie von dem kleinen Telefon?“
„So ist es.“
„Ja, ich habe es erhalten. Was soll ich damit?“
„Es soll dir helfen, dich zu erinnern.
Bis dahin werde ich dein unsichtbarer Schatten sein, so lange, bis du bereust und es an der Zeit ist, dein Leben zu beenden. Aber bevor es soweit ist, werde ich dich ruinieren und dir alles nehmen, an dem dein berechnendes Herz hängt“, erwiderte der Anrufer kalt.
„Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir“, stieß Carola hervor.
„Du hörst bald wieder von mir“, versprach der Anrufer und legte auf.
„Was war das denn?“, murmelte Carola Carlsen verwirrt. Sie starrte auf das Telefon als würde sie dort eine Antwort finden.
Was sollte dieser Anruf?
Bereuen? Was sollte sie denn bereuen?
Sie hatte doch niemandem etwas Böses angetan. Und was sollte diese Drohung bedeuten, irgendwann ihr Leben zu beenden?
Welchen Grund könnte jemand haben, sich ihren Tod zu wünschen?
Sie führte ein ruhiges Leben wie Millionen anderer Menschen auch. Sie hatte sich nichts zuschulden kommen lassen, sondern half den Menschen in ihrer Funktion als Apothekerin, soweit dieses möglich war.
Nein, sie hatte sich wahrlich nichts vorzuwerfen.
Ich bin ein wichtiges und angesehenes Mitglied der Gesellschaft und werde nicht zulassen, dass dieser Anrufer meinem Ansehen schadet.
Ich lebe nicht im Überfluss, habe keine Schulden, bin zwar gut situiert, jedoch keineswegs reich. Und die Apotheke gehört mir und sichert mein Auskommen und auch noch ein bisschen mehr, dachte sie zufrieden.
Als Mitglied mehrerer gemeinnütziger Organisationen spendete Sie für Bedürftige, war erfolgreich, beliebt und recht angesehen.
Ja, sie hatte sich in Falkental ein gutes Leben und eine einträgliche Existenz aufgebaut, die sie mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln schützen würde.
Feinde hatte sie keine, jedenfalls hatte sie das bislang angenommen. Allerdings hatte sie sich darin wohl anscheinend geirrt.
Und dann dieser Hinweis auf das kleine Telefon.
Was sollte das?
An was sollte es sie denn erinnern?
Die hochgewachsene, schlanke Apothekerin mit den meerblauen Augen strich sich nachdenklich eine blonde Haarsträhne aus dem schmalen Gesicht.
Was hatte der Anrufer damit gemeint, er würde von jetzt an ihr Schatten sein?
Sie erschrak.
Hatte sich etwa ein Stalker an ihre Fersen geheftet? Konnte das sein? Aber wer sollte so etwas tun? Schließlich war sie nur eine einfache Apothekerin und kein Pop Star.
Na und? Stalker tummeln sich quer durch alle Gesellschaftsschichten, nehmen nicht nur Reiche oder Berühmtheiten aufs Korn. Oftmals sind es sogar ehemalige Freunde, Gefährten oder Liebhaber. Jeder kann auf eine solche Idee kommen. Jeder! , flüsterte ein leises Stimmchen hinter ihrer Stirn.
„Aber ich wüsste niemanden, der so etwas tun würde“, flüsterte Carola. „Doch selbst wenn, würde ich mich auf gar keinen Fall verrückt machen lassen. Ich fürchte mich nicht vor ihm, darauf kann dieser Verrückte lange warten.“
Wer immer mich auch bedroht, ich lasse mir etwas einfallen, um mich seiner Nachstellungen zu erwehren.
„So leicht lasse ich mich nicht in die Defensive drängen. Dieser Kerl wird es noch bitter bereuen, sich mit mir angelegt zu haben. So leicht kann man mir keine Angst einjagen“, versprach sie selbstsicher und eiskalt.
Sie zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
Furcht verspürte sie nicht.
Noch nicht!