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2.

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Sie nahmen die Fähre über das klare blaue Wasser zur Isla Mujeres, wo Sally ihnen einen Golfwagen mietete, das Haupttransportmittel auf der Insel. Sie checkten in einer Hotelanlage am Nordende der Insel ein, nicht die teuerste, sagte sie ihm, aber die beste Unterkunft. Grandiose Aussicht auf die felsige Küste zur einen und weiße Sandstrände zur anderen Seite. Man war ganz für sich. Jedes ihrer Zimmer hatte einen geschützten Balkon, von dem aus man aufs Meer sah.

Am Abend fuhren sie zum Essen in die Stadt, und Jack fand sich dicht neben Sally an der Bar eines Open-Air-Restaurants auf der Avenida Hidalgo wieder.

„Jetzt werden wir uns diesen Margarita genehmigen“, sagte sie. „Und danach gibt’s Ceviche.“

Sie legte ihm die Hand auf die Schulter.

Er sah ihre Hand an.

Er sah sie an.

Und das, so überlegte er später, war der Moment, in dem es passierte.

Der Moment, wo er alles hätte abbrechen können, wenn er es wirklich gewollt hätte.

Nachdem Jack seinen Margarita getrunken hatte, überredete Sally ihn noch zu einem Mezcal aus Merida, von dem der smarte junge Barkeeper sagte, er sei so glatt wie Glas. Der erste ging aufs Haus.

„Es ist das reinste Produkt der Agave“, erzählte sie ihm. „Es tut einem gut. In Mexiko haben wir ein Sprichwort: Para todo mal, mezcal, y para todo bien, también.“ Sie lachte über seine hochgezogenen Augenbrauen. „Für alles Schlechte Mezcal und für alles Gute ebenso.“

„Es wäre wohl unhöflich, das abzulehnen“, sagte er. Er fühlte sich schon ein wenig angeheitert nur von dem Margarita, nur von ihrem Lächeln, und er nahm das kleine Glas von ihr entgegen, trank und fühlte, wie er rot wurde. Ja, das war gut.

Er gestattete sich noch einen zweiten Schluck. Und dann einen dritten.

Bevor der Abend um war, fanden sie sich mitten in einer italienischen Hochzeitsgesellschaft wieder, der sie eifrig zuprosteten. Der größte Teil des Abends war in seiner Erinnerung verschwommen – oder fehlte schlicht ganz –, aber er wusste noch, dass sie alle Krabben mit Tequila-Geschmack gegessen und ordentlich mit Mezcal nachgespült hatten, unter begeisterten Zurufen einer Menge von Passanten in der Straße. „Gringos“, hatte der Barkeeper glücklich vor sich hin gemurmelt, als er sein Trinkgeld überschlug.

Irgendjemand hatte sie mit dem Golfwagen in ihr Hotel zurückgefahren, und Sally hatte ihn gestützt und im Wagen gehalten, wenn der Wagen durch Schlaglöcher oder über Bodenschwellen auf der gepflasterten Straße ruckelte.

Irgendjemand hatte ihm in den zweiten Stock hinauf und in sein Zimmer geholfen.

Und spät am nächsten Morgen war er aufgewacht – in hellem Sonnenschein und zum Geräusch der Brandung. Mit dröhnendem Kopf hatte er sich aufgesetzt – in einem Bett, das ein wenig zu verwühlt war, als dass es nur von einer Person benutzt sein konnte.

Er zog seinen Pyjama an, tastete sich langsam ans Fenster, um es zu schließen – der Lärm der Wellen setzte seinen Kopf in Flammen. Dann klopfte es an der Tür. Sally öffnete, die Schlüsselkarte in der Hand. „Alles okay, Chef?“

Er rieb sich die Stirn und blinzelte sie an. „Was … was ist eigentlich passiert?“

„Ah, querido“, sagte sie und berührte seine Stirn sanft mit ihrem Zeigefinger – die Geste einer Geliebten, nicht die einer Angestellten. „Du hattest etwas mehr als einen Margarita.“ Sie seufzte, ließ ihre Hand fallen und wandte sich ein wenig ab. „Und ich ebenfalls.“

Einen Moment lang glaubte er, er würde sich übergeben. Das hatte er nicht gewollt. Oder doch? „Bitte, Gott“, stöhnte er, obwohl er sich nicht sicher war, worum er eigentlich bitten wollte.

Er begann Sally die Fragen zu stellen, die gestellt werden mussten. Was hatten sie getan? Und was sollten sie jetzt tun? Wie konnten sie die Dinge wieder in Ordnung bringen?

Aber plötzlich sagte Sally: „Die Fluggesellschaft hat gerade angerufen. Ich habe meine Verbindungen spielen lassen und uns im nächsten Flieger, der abgeht, zwei Plätze in der ersten Klasse besorgt. Die Fähre geht in einer Stunde, bis dahin müssen wir gepackt haben.“

„Okay“, sagte er. Er sah sie an. Sie blickte zurück. „Ich treffe dich unten in der Halle.“

Sie nickte, durchquerte den Raum, schloss die Tür. Sein Kopf dröhnte noch immer und ihm war übel, aber er ging zurück ans Fenster und öffnete es. Der Salzgeruch und der Lärm der Brandung schlugen über ihm zusammen. Und nicht zum letzten Mal fragte er sich, wie es wäre, einfach ins Wasser da unten hineinzugehen und nicht mehr zurückzukommen, einfach an einen Ort hinabzusinken, wo es weder Gedanken noch Erinnerung gab.

Während der Überfahrt nach Cancún sprachen sie nicht über das, was geschehen war; auch im Taxi nicht und auch nicht auf dem Rückflug nach Seattle.

Und so hatten sie an diesem Sonntag, als er seiner Gemeinde von seiner Reise berichtete, nichts gesagt, und daher war auch nichts geschehen. Und wenn nichts geschehen war, gab es keinen Grund, warum jemand davon erfahren musste.

Jedenfalls hatte er das geglaubt. Bis am nächsten Tag Martin Fox in Jacks Büro hineinmarschierte und die Tür hinter sich schloss. Martin war Investmentbanker in Seattle und gehörte zum Ältestenkreis von Grace Cathedral, dem Laiengremium, das die Gemeinde leitete.

Jack selbst hatte Martin die Hände aufgelegt, als er ihn für den Dienst als Gemeindeleiter gesegnet hatte. Er hatte gedacht, sie stünden einander so nahe, wie es zwischen ihnen überhaupt nur möglich war. Aber jetzt stand Martin vor ihm und warf ihm grimmige Blicke zu, als hätten sie nicht gerade die beste Jahresbilanz in der Geschichte von Grace Cathedral vorgelegt, als wüchsen die Mitgliederzahlen und Initiativen in der Gemeinde nicht stetig, als wären sie nicht eine der bekanntesten Gemeinden im ganzen gottvergessenen Nordwesten.

Plötzlich schoss Jack die Erinnerung an den Druck von Sallys Hand auf seiner Schulter durch die Erinnerung, an den Anblick des zerwühlten Bettes, und er fühlte, wie sich ihm der Magen zusammenzog vor etwas, das sich sehr stark wie Angst anfühlte.

Martin setzte sich, ohne zu fragen, und redete, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. „Warum bist du nicht zu mir gekommen, als noch Zeit gewesen wäre, den Schaden etwas zu begrenzen?“

Jack spürte wieder, wie sich sein Magen zusammenkrampfte, aber es gelang ihm, ein ahnungsloses Gesicht zu machen. Fragend zog er die Augenbrauen hoch. „Wovon redest du überhaupt?“

„Ich hätte es wissen müssen“, sagte Martin. „Niemand kann die Maßstäbe, die du predigst, erfüllen. Du hast uns lächerlich gemacht, Jack. An den Stammtischen zerreißen sie sich den Mund über uns.“

„Martin“, sagte Jack gleichmütig. „Wovon redest du?“

„Wovon ich rede?“ Martin griff in die Tasche seines Tausend-Dollar-Anzugs, zog sein Smartphone heraus und hielt es Jack vor die Nase. „Das wurde heute getwittert. Irgendjemand hat auch Filmmaterial auf YouTube eingestellt. Jemand aus der Gemeinde hat es gesehen und mir zugeschickt.“

„Martin …“, begann Jack und nahm das Smartphone.

Dann sah er das Bild.

Es war aus der Bar auf der Isla Mujeres. Jacks Gesicht war erhitzt und gerötet, er hielt eine Krabbe am Schwanz und schickte sich an, sie in den Mund zu stecken. Hinter ihm feuerte Sally ihn an. Ihre Hand lag auf seinem Rücken. Er war umgeben von etwa einem Dutzend ebenfalls angeheiterter Nachtschwärmer.

Jack sah Martin an, der den Kopf schüttelte. „Jack, bist du das?“

„Wer hat das gemacht?“, fragte Jack. Er atmete ruhig und gleichmäßig, während er Martin das Smartphone zurückgab.

„Eine amerikanische Touristin. Kam gerade vorbei und fand, du sähest irgendwie bekannt aus. Das Video, das ihre Freundin gemacht hat, ist noch schlimmer. Du küsst Sally. Und nicht als ihr Pastor, das kannst du mir glauben.“ Martin kochte vor Empörung.

„Das bin ich nicht“, sagte Jack, und er versuchte, es selbst zu glauben. „Es ist nichts dergleichen passiert.“

„Ich habe mit den Ältesten gesprochen“, sagte Martin, als hätte Jack gar nichts gesagt. „Wir haben eine Entscheidung getroffen. Jack, wir wollen verzeihen. Schaden wieder heilen. Den Menschen zeigen, dass man sündigen kann und doch Vergebung verdient, wie du immer gesagt hast. Wenn du dich am Sonntag vor die Gemeinde stellst, berichtest, was du getan hast, und um Vergebung bittest, haben wir vielleicht eine Chance, dich zu retten.“ Er zuckte die Achseln.

„Es würde eine Freistellung bedeuten. Vielleicht auch für länger. Wir würden entlastende Gründe finden – Sexsucht. Alkohol. Irgendwas.“

„Ich bin nicht sexsüchtig. Und ich habe kein Alkoholproblem“, sagte Jack. Allein der Gedanke daran, vor seiner Gemeinde zu stehen und über das hier zu reden, ließ ihn erstarren. Seine Stimme bekam einen scharfen Ton. „Ich werde nichts bekennen, was ich nicht getan habe.“

Martin sah ihn an. Die Trauer in seinem Blick sprach von mehr als nur der gegenwärtigen Situation. Er schien persönlich zutiefst von Jack enttäuscht zu sein.

Genau wie Jacks Vater.

Jack verschränkte die Arme vor der Brust und blickte Martin über den polierten Schreibtisch hinweg an. „Vergiss es. Das mache ich nicht.“

„Ich biete dir eine Chance, deinen Job zu retten, Jack“, sagte Martin. „Das einzig Richtige zu tun. Bitte, Jack, sei …“

„Ihr könnt mir diese Gemeinde nicht wegnehmen“, murmelte Jack. „Ich hab sie aufgebaut – aus dem Nichts.“

„Und genauso schnell kannst du sie auch ruinieren“, sagte Martin. „Wir haben schon ein paar Hundert E-Mails aus der Gemeinde bekommen. Die Leute fragen, was jetzt geschehen soll.“

Jack erhob sich langsam, als wolle er das Ende des Gesprächs ankündigen. „Ihr könnt mir diese Gemeinde nicht wegnehmen“, wiederholte er.

Martin stand auf und maß ihn mit seinen Blicken, bevor er seine Jacke zuknöpfte. Dann nickte er. „Tut mir leid, Jack. Es tut mir wirklich aufrichtig leid.“ Er schüttelte den Kopf, bot Jack aber keine Hand an.

Dann drehte er sich um und verließ den Raum.

Jack blieb einen Moment ruhig sitzen. Sein Herz raste. Er griff zum Telefon und begann, die Nummer seiner Familie zu wählen, überlegte es sich dann aber anders. Er tippte Sallys Durchwahl ein und lauschte, während der Anrufbeantworter aktiviert wurde.

Am Nachmittag hatte sich das Video verbreitet wie ein Virus. Seine Facebook-Seite quoll über vor Hasstiraden und „Ich-hab’s-ja-gleich-gewusst“-Botschaften. Auf Twitter war „#Lügen-Jack“ der meistaufgerufene Tweet. Die Website der Gemeinde war entweder unter dem Ansturm von Aufrufen zusammengebrochen oder sie war gehackt worden – jedenfalls war sie tot. Drei der größten Nachrichtenfeeds hatten das Video aus Isla gepostet, und Jacks Telefon und Smartphone klingelten ununterbrochen. Innerhalb von zwanzig Minuten sprach er mit der „Seattle Times“, „CNN“, „Fox News“ und einem Lokalsender.

„Wir geben derzeit keine Stellungnahme ab“, wiederholte er ein ums andere Mal, bis er schließlich seine Sekretärin anwies, keine bescheuerten Anrufe mehr durchzustellen.

„Jawohl, Sir“, sagte sie spitz, als wäre er ein völlig Fremder.

Noch nie in den fünf Jahren, die sie für ihn arbeitete, hatte Carly ihn „Sir“ genannt.

Er wählte noch einmal Sallys Nummer. Sie mussten ihre Geschichte abstimmen; noch war es nicht unmöglich, das Ganze glaubhaft abzustreiten.

Die Wahrheit würde – in diesem Fall – alles andere tun, als sie frei machen.

Sie nahm immer noch nicht ab.

Jack lief durch die Halle zu ihrem Büro. Es war dunkel, die Tür verschlossen, nichts wies darauf hin, dass sie heute überhaupt zur Arbeit gekommen war.

„Bitte, Gott“, betete er. Noch immer war er nicht sicher, worum er eigentlich bitten wollte, aber er brauchte Hilfe, brauchte irgendetwas. Die Dinge gingen definitiv den Bach runter.

Er musste nachdenken.

Er zwang sich, ruhig zu atmen, die Anspannung auszuatmen.

Drei Türen weiter hatte Danny sein Büro. Er klopfte, öffnete die Tür und trat ein.

Dannys Augen waren rot, und für einen Moment sah er einfach zu Jack auf und sagte nichts. Als er sprach, klang er erschöpft. „Jack, was hast du getan?“

Jack schnaubte verächtlich, eine Art Lachen. Er durchquerte den Raum und trat an den Schreibtisch.

Danny sah zu ihm hoch. „Was an dieser ganzen Sache ist bitte komisch, Mann?“ Er streckte sich in seinem Stuhl. „Dass sich die Leute über Grace Cathedral das Maul zerreißen, weil unser Pastor sich mal privat austoben musste, auf der ‚Insel der Frauen‘? Dass die Leute den ‚Herzenspastor‘ jetzt den ‚Schmerzenspastor‘ nennen? Vermutlich.“ Er nickte. „Das ist schon ein Hammer.“ Seine Stimme sank zu einem Flüstern herab. „Oder dass ich der größte Idiot auf Gottes Erdboden war, weil ich an dich geglaubt habe?“

Jack konnte nicht zuhören. Er musste die Ruhe bewahren. Er musste die Dinge im Griff behalten. „Das Ganze ist lächerlich“, sagte er. „Ein Irrtum. Ich habe schon Schlimmeres von der Kanzel herunter gestanden.“

„Es ist kein ‚Irrtum‘“, erwiderte Danny und machte mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft. Er schüttelte den Kopf, lehnte sich kurz in seinem Stuhl zurück, dann wieder vor und stützte die Ellenbogen auf. „Ein Irrtum ist es, wenn du, sagen wir, jemandem aus Versehen falsche Instruktionen gibst, weil du nicht genau weißt, was du willst. Dies hier ist schlimmer. Okay, ich hab schon gehört, wie du auf der Kanzel Fehler eingestanden hast: ‚Ich habe gesündigt‘, hast du uns erzählt. ‚Ich bin nicht vollkommen.‘“

Danny unterbrach sich und biss sich auf die Lippen, als bereite es ihm Schmerz, weiterzureden. „Du erzählst uns ständig, wir müssten uns Gottes Liebe verdienen, wir müssten uns mehr anstrengen. Jetzt sieht es ganz so aus, als ob du selbst nicht tust, was du verkündest.“ Seine Stimme zitterte, als er sagte: „Nur ein Idiot folgt einem Führer, der nicht führt.“

Jack spürte die Worte körperlich wie Schläge von einem Profiboxer. Er stand mit einem würgenden Gefühl auf; sein Gesicht war so gerötet wie auf dem Foto von der Isla Mujeres. „Du Blödmann“, schnaubte er. „Du rotznasiger Teenager. Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden?“

„Ich habe dir vertraut!“ Danny schrie es fast. Er stieß den Stuhl zurück und kam vor den Schreibtisch, um Jack anzustarren. „Ich habe dich geliebt wie meinen eigenen Vater, Jack. Ich habe dich verehrt. Als wärst du mein eigener Vater.“

Danny hatte die Fäuste geballt und vorgestreckt, als brauche es nur noch die kleinste Provokation und er würde zuschlagen. Jack dachte kurz daran, ihm diese Provokation zu liefern – dann überfielen ihn Erinnerungen: Danny, immer hilfsbereit, immer umsichtig, immer unterstützend.

Die beste Nummer zwei, die er sich hätte wünschen können.

„Das hättest du nicht tun sollen“, sagte Jack schließlich. Sein Zorn fiel in sich zusammen und er fühlte sich erschöpft. „Mir so zu vertrauen. Auch ein Vater enttäuscht einen früher oder später.“

Er ließ sich in einen Stuhl fallen, saß dort mit hängenden Schultern. Danny setzte sich wieder hinter den Schreibtisch.

Schweigend saßen sie da.

Jack dachte daran, wie er Danny direkt nach dem College eingestellt hatte, wie er ihn gefördert, ihm Predigen beigebracht und ihn schließlich zum Pastor von Grace Cathedral ordiniert hatte.

Es waren schöne Erinnerungen. Erinnerungen, an die er nun nie wieder ohne Trauer würde denken können.

Was hatte er getan?

Bitte, Gott.

Schließlich brach Jack das Schweigen. „Was soll jetzt passieren, Danny?“

Danny starrte auf seinen Schreibtisch. „Die Ältesten treffen sich gerade. Martin hat mir gesagt, du hättest dich geweigert, ihnen die Entscheidung zu überlassen, wie mit dir verfahren wird. Geweigert, um Vergebung zu bitten.“

Jack atmete tief ein und wieder aus. Es war zu spät. Nichts würde sich ändern. „Stimmt“, sagte er.

„Dann sehen sie vermutlich gerade die Satzung durch und überlegen, was es bedeutet, wenn die Gemeinde dich feuert.“

„Das ist meine Gemeinde“, sagte Jack und seine Stimme klang zuversichtlicher, als er sich fühlte. „Sie können mich nicht feuern.“

„Es ist Gottes Gemeinde, Jack“, sagte Danny. Er stand auf, kam um den Schreibtisch herum und legte Jack eine Hand auf die Schulter. Er drückte einmal kräftig, dieser Junge, der ihm vertraut hatte, und das war schlimmer als jeder Schlag.

Jack konnte es nicht ertragen; er würde kaputtgehen. Er würde alles tun, was sie verlangten, um zu verhindern, dass alles so endete.

Dann verließ Danny den Raum und ließ Jack allein zurück. Schließlich, als deutlich war, dass Danny nicht wiederkommen würde, ging er zurück in sein eigenes Büro. Unterwegs begegnete er niemandem. Sallys Büro war immer noch leer, das Licht aus. Seine Sekretärin sah nicht auf, als er vorbeiging.

Es war, als ob er bereits gegangen wäre.

Und dabei blieb es. Bevor der Tag um war, hatte die Gemeinde ihren Gründer gefeuert, seine Frau informiert und ihr beträchtliche finanzielle Mittel angeboten, vorausgesetzt, sie ginge nicht ins Licht der Öffentlichkeit, das ziemlich grell geworden war und noch greller werden würde.

Sie boten Sally einen großzügigen Vergleich an, der nicht öffentlich werden würde, wenn sie ebenfalls ohne Aufsehen gehen und die Dinge nicht durch Enthüllungsgeschichten oder – was Gott verhüten möge – eine Anklage wegen sexueller Belästigung noch schlimmer machen würde.

Jack boten sie definitiv gar nichts an.

Als Jack nach Hause kam, war das Haus dunkel. Seine Familie war fort. Er rief ein paar Leute an, von denen er wusste, dass sie noch mit ihm sprechen würden, aber die Anrufe brachten ihn nicht weiter. Niemand wusste, wohin Tracy und Alison verschwunden waren – zumindest sagte es ihm niemand –, und niemand hatte etwas anderes zu bieten als schlechte Nachrichten.

Sheila, seine Agentin, teilte ihm mit, sein Verleger würde ihm unter Berufung auf den Paragrafen zu moralischem Fehlverhalten, den die meisten christlichen Verlage in ihren Verträgen hatten, keine Tantiemen mehr zahlen. „Er klang beinahe schadenfroh“, sagte sie.

„Sie schulden uns noch eine Menge Geld“, sagte Jack. „Klar, dass sie froh sind.“

Tracy antwortete nicht auf seine Anrufe, auch niemand sonst aus ihrer Familie.

Sally wollte ihn allem Anschein nach nicht retten. Sie hatte immer noch nicht zurückgerufen.

Wenige Stunden zuvor hatte Jack noch Tausende, vielleicht Zehntausende Bewunderer gehabt. Aber er hatte nie viele enge Freunde besessen.

Jedes Mal, wenn er versuchte zu beten, fühlte es sich an, als führe er Selbstgespräche.

Er war ganz allein.

Und so kam es, dass er zu Weihnachten auf der Isla Mujeres saß, heimatlos, ohne Geld, allein, mit einer letzten Flasche Tequila, die er trinken würde, bevor der Hausmeister des Hotels die Zimmertür aufbrechen und ihn in eine leere Zukunft hinausstoßen würde.

Niemand würde ihn davor retten.

„Fröhliche Weihnachten“, sagte Jack noch einmal. Bei diesen Worten brach etwas in ihm entzwei. Er wusste, es war Selbstmitleid, Kummer nicht über das, was er getan hatte, sondern was man ihm antat. Aber es fühlte sich trotzdem an wie echter Kummer. Tränen strömten ihm aus den Augen, und er umklammerte die Flasche, als wäre sie sein einziger Freund. Er schluchzte – ein tiefes, quälendes Schluchzen, das seinen ganzen Körper schüttelte.

Und dann klopfte jemand an der Tür.

Jack biss sich auf die Lippen, um sich selbst zum Schweigen zu bringen.

Er lauschte.

Das Klopfen erklang noch einmal, zaghafter. In den letzten Tagen war das Klopfen hart gewesen und von ärgerlichen Rufen begleitet: „Señor Chisholm?

Dies hier war anders.

Er kam schwankend auf die Beine, durchquerte den Raum und stellte sich darauf ein, sich in die Arme von allem zu werfen, was er nach Gottes Ansicht verdient hatte.

„Na dann“, sagte er und öffnete die Tür. „Ich werde leise verschwinden …“

Dann blieb er wie angewurzelt stehen, er schwankte nur leicht.

Auf der anderen Seite der Tür stand sein Vater, Tom Chisholm, älter und dünner und, ja, trauriger als zehn Jahre zuvor, als Jack aus seinem Leben verschwunden war.

Sie standen da und sahen sich an. Jack hatte ein Gefühl, als ob er neben sich stand. Wie im Nebel bemerkte er, dass sein Vater ein Handy in der Hand hatte. Die andere war noch erhoben, wie um an die Tür zu klopfen.

Schließlich fand er die Sprache wieder und brachte das Wort heraus, das er seit Jahren nicht mehr ausgesprochen hatte. „Dad?“

Sein Vater nickte.

„Wie …“ Es gab keine Worte, die seine ungläubige Verwunderung zum Ausdruck bringen konnten. Er brachte nur das Offensichtliche heraus: „Was machst du hier?“

Sein Vater ließ den Arm fallen und steckte das Handy in die Tasche. In seinen Augen standen Tränen.

Jack hatte seinen Vater noch nie weinen sehen, nicht einmal bei der Beerdigung seiner Schwester oder seiner Mutter. Er war zu stark dafür, zu distanziert. Er war ein Felsen. Eine Insel.

Und doch lief ihm da eine Träne die Wange herunter.

Jack blinzelte. War es der Tequila? War dies nur ein weiteres Kapitel seines Traumes?

Aber er konnte das Gewicht der Flasche in seiner Hand spüren, das Gewicht der Verzweiflung in seinem Herzen.

Dies hier war real, und es geschah jetzt.

„Was machst du hier?“

Tom Chisholm sah einen Moment zur Seite. Er wischte sich die Träne von der Wange. „Ich …“

Er räusperte sich und schwieg einen Moment. Dann streckte er Jack einfach die Hand entgegen und sagte: „Ich bin gekommen, um dich nach Hause zu holen.“

Nach Hause.

Jack blickte auf die Flasche in seiner Hand. Sie war fast leer. Er ersparte sich einen Blick auf den Raum hinter ihm, der so verwahrlost war, als hätten hier Tiere gehaust. Er kniff die Augen einen Moment lang fest zusammen, um zu prüfen, ob das die Welt dazu bringen würde, sich nicht mehr so schnell zu drehen.

Schließlich öffnete er die Augen wieder.

Sein Vater stand vor ihm, die Arme ausgebreitet, immer noch wartend … Vielleicht hatte er die ganze Zeit so gewartet, all diese Jahre.

Ich bin gekommen, um dich nach Hause zu holen.

Er hatte sich entschieden.

„Also dann …“, sagte Jack.

Er setzte einen schwankenden Fuß vor den anderen.

Dann trat er über die Schwelle und sank in die Arme, die ihn damals vor der wilden Brandung gerettet hatten.

Verlorener Sohn

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