Читать книгу Der fünfte Beatle erzählt - Die Autobiografie - Brian Epstein - Страница 8

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Als ich zehn war, flog ich vom Liverpool College. Meine Eltern fanden das zwar ganz und gar nicht witzig, aber ich selbst machte mir in diesem Alter überhaupt keine Sorgen, denn das Liverpool College war ja nicht die einzige Schule auf der Welt, und ganz bestimmt war es auch nicht die beste.

Der Grund für meinen Rauswurf lautete „Unaufmerksamkeit und fortgesetztes Nichterreichen des Klassenziels“. Meine Eltern wurden in die Schule bestellt, und dann zählte ihnen der Schulleiter, wie solche Leute es ja gern tun, meine Verfehlungen auf, als seien es Schwerverbrechen.

Der Rektor erklärte, es habe keinen Sinn, dass ich länger an einer Schule blieb, auf die ich offenbar kein bisschen stolz war, und dann zog er als endgültigen Beweis meiner Unwürdigkeit den Entwurf eines Theaterprogramms hervor, das ich im Mathematikunterricht gezeichnet hatte. Es zeigte eine Reihe von Tänzerinnen und war für einen Zehnjährigen eine recht annehmbare künstlerische Leistung, auch wenn sie nichts mit Mathematik zu tun hatte.

Als ich erwischt worden war, hatte der Mathematiklehrer meine Kreativität und Phantasie meiner Meinung nach ziemlich wenig zu würdigen gewusst. „Was ist denn das für ein armseliger Quatsch, Epstein?“, donnerte er, und ich antwortete: „Ein Programmentwurf, Sir.“

„Quatsch, grobe Schmiererei und Mädchen“, schnaubte er und warf mich aus dem Klassenraum. Es war der erste von vielen Ausflügen auf den Korridor, und sie ergaben eine Reise, an deren Ende ich auf dem heimischen Sofa ankam, wo ich meinem Vater gegenübersaß, der mit Fassungslosigkeit und schwindender Geduld erklärte: „Ich weiß einfach nicht, was wir mit dir anfangen sollen.“

Das wusste ich auch nicht, und es dauerte weitere fünfzehn Jahre, bis ich Anlass zu der Hoffnung gab, dass aus mir doch noch etwas werden könnte. Wahrscheinlich war ich einer der größten Spätentwickler aller Zeiten, denn erst mit Mitte zwanzig zeichnete sich so etwas wie eine Struktur oder ein Ziel in meinem Leben ab. Hätte Keats so lange gewartet wie ich, hätte er vor seinem Tod nicht mehr als eine Handvoll Gedichte zustande gebracht.

Meine Eltern waren während meiner Schulzeit oft sehr verzweifelt, und das kann ich ihnen nicht verdenken, denn ich war stets einer dieser Jungen, die nirgendwo so richtig hineinpassen. Die herumgeschubst, schlecht gemacht und gequält werden und die weder bei ihren Mitschülern noch bei den Lehrern beliebt sind.

Mit zehn Jahren war ich schon auf drei Schulen gewesen und hatte mich auf keiner davon wohl gefühlt.

Ich bin der älteste Sohn, eine Position, der in einer jüdischen Familie eine heilige Bedeutung zukommt, und dementsprechend hoch waren die Erwartungen, die auf mir lasteten. Mein Vater Harry, der Sohn eines polnischen Einwanderers, hätte sich natürlich gewünscht, dass ich mich als würdiger Erbe des Familienunternehmens erweisen würde, aber leider konnte er dafür kaum Anzeichen entdecken, abgesehen von meiner Loyalität gegenüber der Familie, die dank der Unerschütterlichkeit meiner Eltern heute noch Bestand hat.

Ich kam am 19. September 1934 in einem Entbindungsheim in der Rodney Street in Liverpool zur Welt – einer breiten und recht großartigen Straße, flankiert von hohen, alten Häusern, an deren Eingängen Messingschilder gelehrte Namen verkünden. Einen besseren Start ins Leben kann man in einer Stadt wie Liverpool, die in konventioneller Hinsicht nicht wirklich schön zu nennen ist, kaum bekommen.

Meine Mutter Queenie, immer noch die wunderbarste Frau, die ich kenne, war enorm stolz darauf, dass ihr erstes Kind ein Junge war, und als einundzwanzig Monate später mein Bruder Clive zur Welt kam, waren die Epsteins eine sehr glückliche und viel versprechende kleine Familie.

Heute, dreißig Jahre später, ist das auch wieder so, aber dazwischen lange Tage voller Missverständnisse und Spannungen, bis wir als Familie wieder zusammenfanden. Ich war nicht der beste Sohn, dafür aber sicher der schlechteste Schüler.

Meine erste Bildung erhielt ich in einem Kindergarten in Liverpool, wo ich mit einem Hämmerchen Holzfiguren durch ein Stück Sperrholz trieb und mich dabei ziemlich ungeschickt anstellte. Ich baute Modelle aus Pappe, die nicht hielten. Schließlich lernte ich ohne große Begeisterung lesen und schreiben.

Als ich sechs war, unternahm Hitler, der sich damals allgemein schon ziemlich unbeliebt gemacht hatte, einen konzentrierten Versuch, Liverpool in Schutt und Asche zu legen, und obwohl wir ein paar Kilometer von den Häfen entfernt wohnten, auf die sich die Angriffe konzentrierten, galt unser Vorort Childwall nicht mehr als sicher. Tausende von Kindern wurden aufs Land verschickt und von ihren Eltern getrennt, während andere Familien beschlossen, ihre Häuser in der Stadt einstweilen aufzugeben und sich auf die sichere Wirral-Halbinsel zu begeben oder an der Küste hinauf nach Southport zu ziehen, wo es ebenfalls eine größere jüdische Gemeinde gab.

Mein Vater entschied sich für Southport, und wir blieben dort, bis die Bombenangriffe vorüber waren. Ich kam aufs Southport College und machte dort meine ersten noch ungelenken Erfahrungen mit Kunst und Design, die mir sehr viel Spaß machten. Herausgerissen aus der schützenden Umgebung eines Kindergartens, kam ich hier aber auch zum ersten Mal mit der mir völlig fremden Disziplinvorstellung der Lehrer in Kontakt, denen es vor allem darum ging, zukünftige Stipendiaten ausfindig zu machen, und ich merkte schnell, dass ich, der wenig Genialität erkennen ließ und auch keine bestechende Persönlichkeit besaß, nicht besonders beliebt war.

Ein kleines Kind in einer intakten Familie weiß nicht viel von Beliebtheit oder überhaupt von Beziehungsgeflechten. Es hat seine Eltern, die es lieben, und das ist alles. Aber als Heranwachsender merkte ich, dass es mir nicht leicht fiel, Freundschaften zu knüpfen. Heute bin ich auch noch nicht richtig gut darin, aber inzwischen ist es doch etwas einfacher geworden, weil ich vermutlich ein netterer Mensch bin als früher. Und dann gibt es natürlich noch einen anderen bestimmenden Faktor im Kontakt zu anderen Menschen – ich verfüge über ein gewisses Maß dessen, was man in Ermangelung eines anderen Wortes als Macht bezeichnen könnte. Das wiederum bringt andere Probleme mit sich, weil es inzwischen nicht mehr so einfach zu erkennen ist, ob man sich mir um meiner Selbst willen nähert, oder weil man sich materielle Güter oder Einfluss von mir erhofft. Mit anderen Worten – wollen die Leute mich, oder wollen sie über mich an die Beatles herankommen?

Meine Familie kehrte 1943 nach Childwall zurück, nachdem die Bombenangriffe einstweilen vorüber waren. Daher musste ich auch die Schule in Southport verlassen, und nach einer Beurteilung durch den Direktor wurde ich am Liverpool College als ein Schüler aufgenommen, von dem man sich keine großartigen Leistungen versprach.

In dieser Hinsicht sollte ich die strengen und aufrechten Männer, die diese unbedeutende Privatschule beherrschten, nicht enttäuschen, denn ich wurde, wie gesagt, der Schule verwiesen. Schulverweis ist ein hässliches Wort, und ich hatte bis dahin geglaubt, dass so etwas nur Jungen passierte, die andere quälten oder die logen, so wie Flashman in Tom Browns Schuljahre, einem finsteren Buch von Thomas Hughes, das ich ohne große Begeisterung gelesen hatte.

Aber ich war keiner dieser Quälgeister, dazu war ich viel zu schmächtig und feige. Ich war auch kein Dieb, denn meine Eltern gaben mir fast alles, was ich wollte – vielleicht sogar ein bisschen mehr, als nötig gewesen wäre. Und zum Lügen hatte ich wenig Gelegenheit, weil ich sowieso nur selten etwas sagte.

Ich verließ das Liverpool College ohne Bedauern.

Eine Erfahrung, die ich dort machte und die sich an anderen Schulen wiederholte, teilweise auch später noch, war Antisemitismus. Auch heute begegnet er mir hin und wieder in den verschiedensten Formen. Inzwischen macht es mir nichts mehr aus, aber in meinen jungen Jahren litt ich sehr darunter.

Zwar nahm ich selbst meinen Rauswurf auf die leichte Schulter, aber dennoch musste es mit meiner Schulbildung ja irgendwie weitergehen. Meine Eltern wussten bald allerdings nicht mehr, wie. Mein Vater, eine eher unkomplizierte Persönlichkeit, hatte selbst eine sehr solide, erfolgreiche Laufbahn an einer höheren Schule absolviert, und es fiel ihm schwer zu begreifen, wieso ich mich so schwer tat.

Eines war klar: Ein Junge, der vom Liverpool College geflogen war, konnte nicht erwarten, am Liverpool Collegiate, der alten Alma Mater meines Vaters, mit offenen Armen aufgenommen zu werden, ebenso wenig wie an der anderen etablierten Schule der Stadt, dem Liverpool Institute (an dem es viele Jahre später zwei der Beatles mit der höheren Bildung versuchten). Gute Schulen reißen sich nicht um gescheiterte Privatschulzöglinge.

Also kam ich auf eine Privatschule, an der die Mentoren keine Fragen stellten und von der mich meine Eltern schon nach kurzer Zeit wieder abmeldeten, weil der Unterricht absolut nicht zufriedenstellend war. Die Schule war so schlecht, dass sie sich schließlich dazu durchrangen, mich auf ein Internat zu schicken, auch wenn ihnen die Trennung von mir sehr schwer fiel – in Liverpool wussten sie und jene, bei denen sie um Rat fragten, keine Schulen mehr, die infrage gekommen wären.

Nun … wenn man vor Problemen steht, besinnt man sich gern auf die vertraute Religion. Und so wurde ich mit meinem Ranzen und jeder Menge guter Ratschläge auf eine jüdische Schule bei Tunbridge Wells verfrachtet, die „Beaconsfield“ hieß. Dort gefiel es mir ein wenig besser, und ich widmete mich dem Reiten und der Kunst, worin ich bald recht gut wurde. Allmählich söhnte ich mich ein wenig aus mit der Welt, und ich freundete mich mit einem kleinen Pferdchen namens Amber an, das sich gut mit jüdischen Jungen vertrug.

Doch dann, als ich dreizehn wurde, musste ich mich für die weiterführenden Privatschulen bewerben, und hier versagte ich völlig.

Inzwischen hatte ich eine klare Abneigung für jegliche Form von herkömmlicher Erziehung entwickelt. Ich war schlecht in Mathematik und allen Naturwissenschaften. Zu den Männern, die mich unterrichteten, hatte ich keine Beziehung, und ich hatte auch nicht das Gefühl, dass sie Verständnis für meine Schwierigkeiten aufbrachten. Ich absolvierte reihenweise Prüfungen und Vorstellungsgespräche, aber eine renommierte Privatschule nach der anderen lehnte mich ab, von Rugby, Repton, Clifton bis zu vielen anderen.

Also standen meine Eltern wieder vor dem Problem, mich zumindest solange an irgendeiner Schule unterzubringen, bis ich über das schulpflichtige Alter hinaus war. Sie lösten es wie viele geduldige Altvordere vor ihnen, indem sie mich an eines jener großzügigen Institute schickten, an denen gescheiterte Existenzen zwar auch nicht akzeptiert, aber zumindest aufgenommen werden, um dort bis zum Erreichen des Mannesalters einen gewissen geschützten Raum zu finden.

Die besagte Institution befand sich in Dorset. Dort hatte man sich besonders auf Sport verlegt, und ich spielte gezwungenermaßen und nicht besonders gut Rugby, aber ich ertrug das mit stoischer Ruhe, um an den Abenden meinem Interesse für Design und Farben nachzugehen. Kunst wurde damals nicht als angemessene Beschäftigung für einen anständigen Sohn einer ordentlichen englischen Familie betrachtet, aber es war das einzige in meiner kleinen Welt, wofür ich mich begeisterte. Und es war auch das einzige, worin ich wirklich gut war.

Währenddessen war in Liverpool Epstein senior, damals wie heute ein stolzer Bürger und Vater, brieflich wie mündlich damit beschäftigt, auf irgendeine Weise doch noch eine gute Schule für seinen Filius zu finden, bevor es zu spät war.

Es gelang ihm schließlich, und im Herbst 1948, kurz nach meinem vierzehnten Geburtstag, riefen mich meine Eltern und mein Bruder in Dorset an und sagten mir, dass ich auf das Wrekin College in Shropshire kommen sollte, eine bekannte Privatschule, die in dem Ruf stand, leitende Geschäftsleute und erfolgreiche Führungspersönlichkeiten in verschiedensten Gebieten hervorgebracht zu haben, wenngleich sie nicht unbedingt auf einer Stufe mit Eton oder Harrow stand.

Aber die Vorstellung spartanischer Strenge verlockte mich recht wenig, und so erwiderte ich nichts weiter als „oh“, als man mir die frohe Kunde überbrachte. Ende des Jahres schrieb ich voll düsterem Pessimismus: „Und jetzt geht es ans verhasste Wrekin. Ich gehe nur, weil meine Eltern das so wollen … es ist sehr schade, weil das letzte Jahr für mich sehr gut gelaufen ist. Viele neue Ideen. Etwas mehr Beliebtheit.“

Wenig später schrieb ich, worüber ich rückblickend beinahe ein wenig lächeln muss: „Vor meinem ersten Tag am Wrekin verbrachten wir einen Tag in Sheffield, der Heimatstadt meiner Mutter. Ich hatte erwartet, dass wir ins Grand gehen würden, aber leider war das nicht der Fall.“

Das Grand ist ein großes, teures Hotel – das größte in Sheffield. Es ist schon seltsam, dass ich sogar schon damals meine Enttäuschung darüber äußerte, dass wir nicht in einer noblen Unterkunft abstiegen. Heute geht es mir immer noch ähnlich, wenn auch in einem größeren und wesentlich teurerem Rahmen – ich gebe mich nicht gern mit etwas anderem als dem Besten zufrieden, und vielleicht ist es diese Neigung zu Superlativen, die mich als Geschäftsmann antreibt und mich immer wieder dazu drängt, etwas Neues in Angriff zu nehmen.

Also ging ich nun eine Weile aufs Wrekin. Ich mochte die Schule genauso wenig wie sie mich, und in meinen Zeugnissen stand: „Könnte bessere Leistungen zeigen“ oder „hat sich in diesem Semester nicht genügend angestrengt“, und ich vermute, das stimmte auch. Außer in zwei Bereichen: Ich war ein guter Maler und ein ganz ordentlicher Amateurschauspieler. Ich trat in den typischen Schul-Einaktern auf und stellte fest, dass es mir Spaß machte, auf der Bühne zu stehen.

In Kunst war ich Klassenbester, und das machte mich froh, denn obwohl ich mir hatte eingestehen müssen, dass ich in einer ganzen Reihe von Fächern versagt hatte, wollte ich doch zumindest irgendwo ganz oben stehen. Und aufgrund meines Talents mit Zeichenstift und Papier schrieb ich mit sechzehn, kurz bevor die nächsten Prüfungen anstanden, nach Hause und bat darum, die Schule verlassen zu dürfen, um Modedesigner zu werden.

Das führte zu heftigen Verstimmungen. Die Lehrer am Wrekin waren natürlich der Meinung, dass es selbstmörderisch sei, die Schullaufbahn ohne irgendeine Art von Abschluss zu beenden, und ihrer Meinung nach war so etwas wie Modedesign auch nichts für Männer.

Mein Vater sah das genauso, und außerdem fürchtete er, dass ein solcher Job nicht genug Geld abwerfen würde. Vor allem aber hatte er Angst, ich könne arbeitslos werden. Und so wurde ich kein Designer.

Nun wusste ich gute Modelle von schlechten zu unterscheiden, konnte Kleider entwerfen und zeichnen und wollte überhaupt nichts lieber, als Modeschöpfer zu werden, aber wie so viele Unternehmersöhne entschied auch ich mich für den unlogischen, aber geraden Weg und stieg ins Familiengeschäft ein, das mich überhaupt nicht interessierte. Ich erwartete auch nicht, dort besonders erfolgreich zu sein.

Aber … wenn man sieben Schulen hinter sich hat und es auf allen schrecklich war, wenn man von einer verwiesen wurde und für das einzige, wofür man wirklich brennt, nur Ablehnung erfahren hat, dann ist man leicht bereit, auf alles Mögliche einzugehen. Und so erschien ich am 10. September 1950 im Alter von knapp sechzehn, dünn, mit lockigem Haar, rosigen Wangen und allenfalls halbgebildet im familieneigenen Möbelgeschäft im Liverpooler Stadtteil Walton.

Der fünfte Beatle erzählt - Die Autobiografie

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