Читать книгу Malverde - Brigitte Brandl - Страница 7
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ОглавлениеSchon früh am Morgen hatten sie angefangen, die Stände aufzubauen. Von überall her waren sie gekommen mit ihren zweirädrigen, blauen Karren, meist von eigener Hand, aber auch von Eseln, Maultieren oder mit dem Fahrrad gezogen. Einige Bauern hatten Mopeds, die aussahen, als wäre die heutige Fahrt zum Markt nach Casillas del Bosque ihre letzte.
Jetzt trugen stämmige Frauen in bunten Röcken und bestickten Blusen und mit schwarzen Hüten auf dem Kopf trugen zusammengeschnürte Pakete über der Schulter und die Kleinkinder im Tragetuch vor der Brust. Sie riefen sich mit schriller Stimme Neuigkeiten und Aufforderungen zu, lachten und entblößten dabei lückenhafte Reihen gelber Zähne. Die Männer bauten mit geübten Handgriffen den Marktstand: ein paar Bretter auf dem Boden und ein metallenes Stufengerüst, um die Kisten voll Kartoffeln, Limonen, Bananen, Knoblauch, Yuca und Zwiebeln, die kleinen Säckchen mit Gewürzen und die Schachteln voll Kautabak und Kaffeebohnen den ersehnten Käufern zu präsentieren. Bündel aus Kräutern und Gemüsepflanzen lagen auf dem Boden neben Säcken mit Reis und roten und schwarzen Bohnen. Zum Schutz vor der Sonne, die schon am Vormittag heftig brennen würde, nicht heiß zwar, aber gefährlich, spannten sie bunte Tücher auf, hinten mit Gewichten auf dem Boden gehalten und vorne von langen Holzstangen abgestützt.
Die Leute bewegten sich mit großer Sicherheit. In Windeseile stapelten sie die Kisten auf dem Metallgestell, das anfangs gefährlich zu ächzen begonnen hatte. Dabei platzierten sie die schweren Waren an den Rändern und die leichteren in der Mitte, um dem Gestell die Chance zu geben, auch den nächsten Markt noch mitzuerleben, denn ein neues Gestell würde den Gegenwert von mindestens drei Markttagen fordern. Der Nachbar hatte seine Ponchos und den Perlenschmuck ausgepackt und begann, die bunten Wollgewebe an den Rändern seines Standgerüsts zu befestigen, damit sie für die Käufer gut sichtbar waren, aber auch ihn selbst und seinen Stand vor Schmutz und Staub schützen konnten. Da hingen Ponchos in kräftigen Blautönen mit Bordüren in gelb, orange und weiß, andere mit dem typischen braunroten Zackenmuster oder mit Tier- oder Blumenbildern. Außerdem bot er Hosen aus grober Baumwolle an, am Bund mit einem Gummizug gehalten. Er klammerte sie an ein zwischen den Standstützen gespanntes Hanfseil in so geschmackvoller Folge, dass der Stand eine wahre Augenweide war. Die ersten Frauen blieben stehen, fühlten die Stoffe und bescheinigten dem Händler, dass sie von seiner Ware begeistert waren. Am nächsten Stand gab es Schachbretter und die dazugehörigen Figuren, geschnitzt aus Holz oder Stein. Die kleinen Gestalten mit ihren fröhlichen Gesichtern saßen auf den Brettern wie Zuschauer einer unterhaltsamen Vorstellung. Wie sollte man sich für den Kauf eines Brettes entscheiden, wenn daneben gleich ein noch viel Schöneres lockte, und vor Allem: wie mochte man sich beim Spiel auf den nächsten Zug konzentrieren, ohne abgelenkt zu werden von dem unermüdlichen Feixen und Grinsen der Figuren auf dem Brett? Neben den Schachbrettern stapelten sich bemalte Teller und anderes Steingutgeschirr, und über einen Korb hatte man kleine Teppiche gehängt, mit Fransen oder Bordüren geschmückt, passend zu den Farben des Steingutgeschirrs.
Im Schatten der Kirche bauten sie die Fleisch-Stände auf. Ferkel mit aufgeschlitzten Bäuchen und gerupfte und ungerupfte Hühner wurden aufgehängt, eine Frau wand eine Kette kleiner Würste um einen dicken Haken, und in Käfigen warteten zusammengepfercht Meerschweinchen und Küken auf ihr Schicksal.
Es wurde sehr laut, denn langsam kamen die Käufer aus den umliegenden Dörfern. Hupende Autos und Mopeds bahnten sich ihren Weg durch das Markttreiben, und die Frauen hatten Mühe, ihre Kinder daran zu hindern, vor lauter Staunen in das nächstbeste Vehikel zu rennen. Jemand hatte einen Lautsprecher ins Fenster gestellt, wohl in der Annahme, dass dem Ganzen noch etwas Musik fehlte. So schallten die Cumbias und Vallenatos mit ihren Akkordeon- und Klarinetten-Einlagen über den Marktplatz. Die Kirchenglocken schlugen erst vier-, dann achtmal; der Markt in Casillas del Bosque war eröffnet.
Als Piet und Acacio am frühen Abend zurückkamen, war das Treiben kaum weniger geworden. Zwar waren die meisten Waren verkauft, doch dachte niemand daran, gleich nach Hause zu gehen. Die Männer und Frauen standen zusammen, unterhielten sich und verspotteten feixend die anderen Händler, die zufrieden die Scheine zählten. Flor de Maria hatte Bier aus der Cantina gebracht, und nun hockten die Bauern neben ihrem Stand auf dem Boden und vergnügten sich beim Bier und einem Würfelspiel.
Er brauche noch braunen Zucker, sagte Acacio und ließ Piet wieder stehen. In diesem Moment raste ein Geländewagen um die Ecke direkt auf den Marktplatz zu. Aus dem Wagen heraus wurde in die Luft geschossen, und die Leute sprangen schreiend auseinander. Sie brachten sich in den Seitenstraßen in Sicherheit, und die Händler duckten sich hinter ihren Waren. Der Wagen hielt mitten auf dem Marktplatz, bewaffnete Männer in Tarnkleidung sprangen heraus und stellten sich um das Fahrzeug, in Sichtweite der Bewohner. Dann trat einer vor, offenbar der Anführer, ging zu einem der Stände und stieß mit dem Stiefel an eine der Holzstangen, so dass diese umkippte und der Stand unter dem roten Sonnenschutztuch begraben war. Durch die Wucht der aufschlagenden Stange geriet das Metallgestell aus den Fugen und brach scheppernd zusammen. Zitronen, Kartoffeln und Limonen rollten unter dem Tuch auf den Marktplatz. Die Männer in den Tarnanzügen brachen in Gelächter aus und der Anführer schoss in die Luft.
Acacio hatte die ganze Zeit regungslos auf dem Platz gestanden. Jetzt ging er auf den Anführer zu und wies auf den eingestürzten Marktstand.
„Was soll das, Gabriel?“ zischte er ihn an. „Warum hast du den Stand zusammengetreten?“
„Damit sie ihn wieder aufbauen können, flaco!“ höhnte der Guerillero, „da sterben sie schon nicht dran.“ Seine Männer fingen auch wieder an zu lachen.
Acacio fixierte den Mann, der um einiges älter war als er selbst, mit weit aufgerissenen Augen. Dann schrie er: „Du baust den Stand wieder auf, hijo de puta!“
Es schien, als hielte alles den Atem an. Gabriel hatte seine Waffe sinken lassen und starrte auf den jungen Mann vor ihm.
Acacio trat näher. „Hast du mich verstanden? Bau den Stand wieder auf!“
Gabriel kniff die Augen zusammen. Man konnte deutlich sehen, wie sich sein Brustkorb unter seinem Atmen hob und senkte, und er nahm nicht eine Sekunde den Blick von dem schmalen Kerl mit den langen schwarzen Haaren, der ihn hier vor aller Welt lächerlich machte. Er setze an, die Waffe zu heben, aber weiter kam er nicht. Acacios Arm schnellte vor, und der Schlag traf Gabriel mitten ins Gesicht. Er ließ die Waffe fallen und taumelte, aber Acacio packte ihn am Gürtel, zog ihn zu sich und wollte ihm noch einen Schlag verpassen. Doch Gabriel rappelte sich wieder auf, packte Acacio bei den Schultern und warf ihn auf den Boden.
„Varela, das hättest Du nicht tun dürfen,“ brüllte er. Aber Acacio zog ihn im Fallen mit sich, und nun wälzten sich beide ineinander verkeilt auf dem Boden des Marktplatzes. Ihre Schläge und Stöße trafen unter lautem Stöhnen und wüsten, heraus gepressten Beschimpfungen, die Gesichter rot von Hass und Wut. Gabriels Männer standen mit gezogenen Waffen da, aber sie trauten sich nicht zu schießen aus Angst, in dem Gerangel ihren Anführer zu treffen. Der hatte gerade die Oberhand über seinen Gegner gewonnen, saß auf dessen Brust und holte zum finalen Schlag aus. Aber da zog Acacio blitzschnell seine Beine an und rammte Gabriel die Kniescheiben in den Rücken. Der Guerillero bog das Kreuz durch, schloss für Sekunden die Augen. Aber das genügte Acacio, um ihn von sich runter zu werfen und ihm im Drehen seine Faust in den Magen zu rammen. Gabriel rollte zur Seite und krümmte sich vor Schmerz. Acacio trat die Waffe zwischen die Markstände. Gabriel hatte sich inzwischen aufgerichtet. Er sah Acacio nicht an sondern schleppte sich röchelnd und mit wackligem Schritt auf den Jeep zu.
Acacio ballte die Faust und schrie ihm hinterher: „Du kannst uns schlagen, treten, und tyrannisieren, Gabriel Bermudez, du kannst uns sogar töten! Aber wenn wir weg sind, gibt es noch tausende Andere und ihr werdet dieses Land niemals bekommen, niemals, niemals!“
Piet hatte mit angehaltener Luft zugesehen. Alles war so schnell gegangen, er hatte kaum ausmachen können, wer jetzt gerade wen schlug. Jetzt stand Acacio da und drohte einem von Schwerbewaffneten Begleiteten, als hätten die bestenfalls Wasserpistolen dabei! Lober traute seinen Augen nicht, und spürte, wie die Angst ihm den Schweiß über den Rücken trieb.
Acacio drehte sich um und stapfte mit rotem Kopf, blutender Nase und zerzausten Haaren schwer atmend an Piet vorbei auf das Haus von Ana Herrera zu.
Es dauerte lange, bis Piet die Szene verarbeitet hatte. Er lag auf seinem Bett und in seinem Kopf drehte sich alles. Wo war er hier hingeraten? Himmelherrgott, da stehen Typen mit Maschinenpistolen! Und der geht einfach hin und schreit sie zusammen! Dann prügelt er sich mit dem Anführer, und.... Piet griff nach dem Telefonhörer. Zuhause war es jetzt kurz nach Mitternacht...„Henning?“ Er schnappte noch immer nach Luft.
„Ja?“
Piet setzte sich gerade auf und konzentrierte sich auf die Stimme. „Hi, Dicker, schön, dass Du noch wach bist!“
„Ach du Schande, unser Kolumbianer,“ Henning kicherte, “du hörst dich an, als hättest du den Pico Cristóbal Colón bestiegen!“
„Der ist ganz woanders. Und - bitte jetzt keine Witze, mir ist nicht danach.“
„Also gut,“ Henning gluckste immer noch. „Was hat er jetzt wieder angestellt?“
Lober kniff die Augen zusammen und plapperte los. „Du machst Dir kein Bild, Dicker, du machst Dir echt kein Bild! Eigentlich wollte er nur Zucker kaufen gehen, auf dem Markt. Dann kamen da aber zufällig ein paar von diesen vagabundierenden Guerilleros und wollten Stress machen. Auf dem Marktplatz! Acacio hat gemeint, er müsse sich mit dem Anführer anlegen. Also hat er sich zuerst mit Gabriel vor allen Leuten auf dem Marktplatz geprügelt, und jetzt geht er es seiner Ana besorgen. Henning, ich bin echt in der Steinzeit gelandet!“