Жанры
Авторы
Контакты
О сайте
Книжные новинки
Популярные книги
Найти
Главная
Авторы
Brigitte Geldermann
Der Ruhestand: Perspektiven eines Arbeitslebens
Читать
Читать книгу Der Ruhestand: Perspektiven eines Arbeitslebens - Brigitte Geldermann - Страница 4
Оглавление
Einleitung
Предыдущая
Следующая
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
Оглавление
Купить и скачать книгу
Вернуться на страницу книги Der Ruhestand: Perspektiven eines Arbeitslebens
Оглавление
Страница 1
Страница 2
Impressum Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten. Für den Inhalt und die Korrektur zeichnet der Autor verantwortlich.
Страница 4
1. Der Ruhestand als Phase im modernen normierten Lebenslauf „Man lebt so vor sich hin und auf einmal wird man als den Alten zugehörig erklärt“ (Faulstich 2009, 8). Das „Rentenalter“: Verfallsdatum der Arbeitskraft Im alten China traten die Männer mit dem 70. Lebensjahr von öffentlichen Ämtern zurück, um sich auf den Tod vorzubereiten. Sie behielten allerdings noch ihre volle Autorität in der Familie, auch nachdem sie die Leitung des Hauses dem ältesten Sohn übergeben hatten. Von ihren Kindern und Enkeln wurden sie verehrt als die künftigen Ahnen, denen kultische Dienste zu erweisen sein würden (vgl. Beauvoir 1972, 115). Dagegen gab es generell bis in das 20. Jahrhundert hinein keine festen Altersgrenzen für die Berufstätigkeit. Sie wurden in den modernen Industriestaaten erst ab den späten 20er Jahren des 20. Jahrhunderts eingeführt. Davor beendeten die älteren Menschen ihre Arbeitstätigkeit in der Regel nicht wegen des Alters als solchem, sondern weil Krankheit oder Invalidität sie dazu zwangen, oder weil sie mit nachlassender Leistungsfähigkeit keine Beschäftigung mehr fanden. Für die Masse bedeutete das: Abhängigkeit von der Familie mit allen unerfreulichen Begleiterscheinungen, Armenhaus oder Bettelei. Gehörte man den besseren Ständen an, konnte man sich „zur Ruhe setzen“ und den Lebensabend genießen. Mit Bezug auf Autoren der Antike verbreitete sich in der englischen Oberschicht seit dem 17. Jahrhundert der Begriff des „retirement“. Der Ruhestand war Ausweis eines erfolgreichen Lebens und hohen Lebensstandards. Zur Finanzierung dieser arbeitsfreien Lebensphase entstanden unter anderem Lebensversicherungen. Das Beamtenrecht lieferte das Vorbild für eine Altersgrenze, mit der die Entlassung eines abhängig Beschäftigten möglich wird: Das preußische Zivilpensionsgesetz von 1882 bestimmte erstmals, dass Beamte nicht wie zuvor nur bei nachgewiesener Dienstunfähigkeit, sondern mit Erreichen des 65. Lebensjahres von Seiten des Staates oder auf eigenen Antrag pensioniert werden können (nicht müssen). Damit umging man die diskriminierende Dienstunfähigkeitsfeststellung. Beamte hatten im Unterschied zum besitzenden Bürgertum, das sich im Ruhestand auch politisch oder kulturell betätigen konnte, ein Interesse daran, möglichst lange im Amt zu bleiben, um die eigene Reputation zu erhalten oder sich qua Amt für Familieninteressen einzusetzen. Mögliche Aktivitäten im Ruhestand waren für sie durch die fortbestehende Loyalitätspflicht gegenüber ihrem Dienstherrn begrenzt (vgl. Göckenjan 2000, 343). Historische Biografien sind voll von Beispielen lebenslanger Tätigkeit. Monarchen blieben ein Leben lang auf dem Thron, auch wenn sie das Regieren an Minister oder Verwandte delegieren konnten. Wissenschaftler und Künstler schufen Werke auch in reifen Jahren. So schrieb beispielsweise Alexander von Humboldt bis zu seinem Tod im Alter von 90 Jahren noch wissenschaftliche Darstellungen. Der Komponist Georg Philipp Telemann starb 1767 mit 86 Jahren im Amt des Hamburger Musikdirektors. Max Planck unternahm mit weit über 80 Jahren noch Vortragsreisen. Albert Einstein, der einmal gesagt haben soll: „Ein Physiker ist mit 30 Jahren praktisch tot.“- forschte bis zu seinem Tod mit 76 Jahren. Galilei verfasste seine wichtigsten Werke im Alter von über 70 Jahren. Auch heute ist es in manchen Bereichen durchaus üblich, nicht mit dem 65. Lebensjahr abzutreten. Konrad Adenauer war mit 87 Jahren noch deutscher Bundeskanzler. Sein späterer Amtsnachfolger Helmut Schmidt fand mit über 90 Jahren noch Gehör in der deutschen Politik und ihren Talkshows. Janet Yellen wurde 2014 mit 67 Jahren zur Chefin der US-Notenbank berufen. Der Schauspieler Yves Montand starb mit 70 Jahren am Filmset. Mit 82 Jahren nahm die Pianistin Elly Ney im Herbst 1964 als Solistin an einer 19-tägigen Tournee des Berliner Symphonischen Orchesters teil. Der Dirigent Lorin Maazel wurde mit Beschluss des Münchner Stadtrats vom 24. März 2010 für die Konzertsaison 2012, in der er sein 82. Lebensjahr erreichte, zum Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker berufen.
Unter den Professoren, die in Deutschland in Pension geschickt werden, lehren etliche noch mehrere Jahre in den USA. Zahlreiche weitere Beispiele ließen sich anführen. Es handelt sich dabei offensichtlich um privilegierte Personen, die sich auch nach mehr als vier Jahrzehnten im Beruf nicht aufgerieben haben und die Arbeit nicht als notwendiges Übel verstehen, dem man sich sobald wie möglich zu entziehen sucht. Auf den unteren Hierarchieebenen wird dagegen der Rentenbeginn zumeist herbeigesehnt, und sogar ein vorzeitiger Ausstieg trotz finanzieller Einbußen angestrebt. Allerdings finden sich nach wie vor - bzw. heute wieder vermehrt – „aktive Senioren“, die nachdem sie ihre angestammten Plätze in Fabriken und Büros geräumt haben, Minijobs als Putzfrau oder Aushilfe im Supermarkt übernehmen, um ihre magere Rente aufzubessern. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren 2017 12 Prozent der 65- bis 74-Jährigen erwerbstätig gegenüber 6 Prozent im Jahr 2007 (https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/BevoelkerungSoziales/Arbeitsmarkt/Erwerb_Rentenalter.html). Insgesamt waren 1 182.000 Personen, 737.000 Männer und 445.000 Frauen im Alter von über 65 erwerbstätig https://www.destatis.de/DE/Publikationen/StatistischesJahrbuch/Arbeitsmarkt.pdf?__blob=publicationFile). Zur Historie Der Ruhestand als Phase in einem staatlich normierten Lebenslauf entsteht mit der Festlegung von Altersgrenzen, die zum Bezug einer Rente berechtigen. Pensionssysteme gab es zunächst für Beamte und Militärs. Die preußische Beamtenversorgung orientierte sich am 65. Lebensjahr, die staatliche Invaliden- und Altersversicherung der Arbeiter, die unter Reichskanzler Bismarck und Kaiser Wilhelm II. eingeführt wurde, sah das 70. Lebensjahr vor. Diese Altersgrenzen waren zunächst reine Verwaltungsdaten. In Verbindung mit anderen objektivierbaren Kriterien wie Beschäftigungsdauer und Verdienst waren sie Kalkulationsbasis für die Höhe der auszubezahlenden Rente und die Finanzierung des gesamten Systems (vgl. Borscheid 1992, 58). Ein automatisches Ausscheiden aus dem Arbeitsleben markierten sie nicht. Die Rente war nicht als Lohnersatz, sondern als Kompensation für nachlassende Arbeitskraft gedacht. Nach wie vor gab es Regelungen vor allem in Kommunalverwaltungen, nach denen Älteren zum Beispiel Tätigkeiten als Nachtwächter, Pförtner oder Rathausdiener übertragen wurden. Im bäuerlichen Umfeld wurde erwartet, dass sie mit leichten handwerklichen oder hauswirtschaftlichen Arbeiten wie Stricken, Spinnen, Besenbinden, Flechten oder Schnitzen zu ihrem Unterhalt beitrugen (vgl. Göckenjan 2000, 325). Nicht mehr Arbeitsfähige waren auf die Familie oder die Armenfürsorge verwiesen. Eine alimentierte Freistellung von Arbeit aufgrund des Lebensalters war nicht einmal Gegenstand von Sozialutopien (ebd. 309). Im Gegensatz dazu wurde Arbeiten auch im Alter noch bis ins 20. Jahrhundert hinein als moralische Pflicht angesehen und automatische Pensionierung als entwürdigend für die Menschen, die dann nur noch als nutzlose Population zählten (ebd. 326 f.). Erst mit den Nationalsozialisten wurde die Ausmusterung der Alten in einen wohlverdienten „Lebensfeierabend“ umgedeutet (ebd. 332). Die pauschale Entlassung ganzer Jahrgänge aus dem Arbeitsleben kam auf mit der Einführung neuer, „wissenschaftlicher“ Produktionsmethoden (Stichwort „Taylorismus“) zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die entsprechenden Rationalisierungsmaßnahmen stellten die Leistungsfähigkeit des einzelnen Arbeiters konsequent auf den Prüfstand. Sowohl im Zusammenhang der Zeit- und Bewegungsstudien des Taylorismus sowie der Untersuchungen des Vereins für Socialpolitik über „Auslese und Anpassung der Arbeiterschaft“, die ein Nachlassen der Leistungsfähigkeit ab dem 40. Lebensjahr konstatierten, wurde eine zwangsweise Pensionierung mit einem bestimmten Lebensalter gefordert. 1929 wurde in Kalifornien das 70. Lebensjahr als automatische Pensionsgrenze erstmals eingeführt (vgl. Borscheid 1992, 59). Dass der durchschnittliche Lohnarbeiter nach 40 Arbeitsjahren verbraucht, den Anforderungen an einem rentablen Arbeitsplatz nicht mehr gewachsen ist, wurde eine offiziell anerkannte Tatsache. In Deutschland wurde keine Zwangspensionierung eingeführt, jedoch wurden die Älteren zunehmend aus der Wirtschaft verdrängt. Die gesetzliche Altersgrenze für den Rentenbezug erspart es den Arbeitgebern, ihren älteren Mitarbeitern wegen nachlassender Leistungsfähigkeit kündigen zu müssen. Noch nach Einführung der dynamischen Rente im Jahr 1957 war der Renteneintritt nicht zwangsläufig mit einer Aufgabe der Erwerbstätigkeit verbunden. Speziell während der Boomphase der frühen 1960er Jahre stieg die Zahl der Männer und Frauen, die im Alter von 65 beziehungsweise 60 und mehr Jahren einer unselbstständigen Beschäftigung nachgingen, deutlich an. Erst infolge des Anstiegs der Arbeitslosigkeit in den Jahren 1967/68 und endgültig nach der ersten Ölkrise von 1973 nahm der Druck auf die Älteren zu, zugunsten der Jüngeren aus dem Berufsleben auszuscheiden (vgl. 6. Altenbericht 2010, 84). Der systematische Austausch der älteren gegen leistungsfähigere, jüngere Erwerbspersonen sichert einen kontinuierlichen Zu- und Abfluss von Arbeitskräften und Qualifikationen. Dieser wird gewährleistet durch die staatliche Garantie eines „Lohnersatzes“, der von der Arbeitsbevölkerung als Lohn für eine Lebensleistung akzeptiert wird.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts bis etwa 1970 hat sich in allen Industriestaaten eine generelle Ruhestandsphase für männliche Arbeitnehmer ab etwa dem 65. Lebensjahr durchgesetzt. Die „Erwerbsbeteiligung3“ über 65-jähriger Männer sank in USA, Frankreich, Schweden, Großbritannien und Deutschland von 60 – 69 Prozent um 1900 auf zwischen 17 und 29 Prozent im Jahr 1970 (Kohli 1992, 239).
3
Dieser Terminus der Arbeitsmarktstatistiken ist ein Euphemismus: Die für viele bittere Notwendigkeit, sich von einem Unternehmen nach dessen Kriterien benützen zu lassen, um überhaupt eine Chance auf einen Lebensunterhalt zu haben, wird ausgedrückt als autonome Entscheidung für Erwerbstätigkeit.
War zu Bismarcks Zeiten noch von einer „Arbeiterklasse“ die Rede, die durch ihre ökonomische Stellung charakterisiert war, so gelten heute die Kriterien und Unterscheidungen, die der moderne Sozialstaat setzt: Die Klasse wird damit auseinanderdividiert und mit durchaus konfligierenden Interessen versehen: in Beschäftigte und Arbeitslose sowie Alte (die Kostgänger) und Junge (die Beitragszahler). Durch das Rentensystem wird daraus ein „Generationenvertrag“, der auch als „Generationenkonflikt“ problematisiert wird. Dazu mehr in Kapitel 2. Verlängerung und Verkürzung der Ruhestandsphase als Mittel der Arbeitsmarkt- und Finanzpolitik Welche Altersgrenze genau festgelegt wird, also welche Lebensarbeitszeit man den Menschen zumuten will, hängt noch von anderen Faktoren ab als von der Einschätzung, mit welchem Alter die Leistungsfähigkeit im Schnitt ausgereizt ist. „Flexible Altersgrenzen“ definieren dabei Spielräume angesichts individueller Notlagen oder unternehmerischer Kalkulationen. Für die Arbeitsmarktpolitik ist das gesetzliche Rentenalter ein wesentliches Steuerungsinstrument. Der Soziologe Robert C. Atchley, Autor einer „Sociology of Retirement“, konstatiert: „At the societal level, retirement is primarily a mechanism for adjusting the supply of labor to the demand (Atchley 1976, 123).“ Bis Mitte der 80er Jahre wurden die Altersgrenzen unter dem Aspekt der Verkürzung der Lebensarbeitszeit festgelegt, um das Überangebot an Arbeit zu begrenzen und die weniger Leistungsfähigen „sozialverträglich“ als Arbeitnehmer und Lohnempfänger auszusortieren4.
4
Vgl. auch Kohli 1992: „Offensichtlich ist die Verkürzung der Lebensarbeitszeit ein Schlüsselmechanismus zur Anpassung an die abnehmende Nachfrage nach beziehungsweise das wachsende Angebot an Arbeitskräften“ (242). Zusätzlich wurde in den 1970er Jahren durch verschiedene Regelungen den Unternehmen der Personalabbau via Frühverrentung schmackhaft gemacht. Frauen und ältere Arbeitslose konnten im Alter von 63 in Rente gehen, Schwerbehinderte – also noch weniger Leistungsfähige - schon mit 60 Jahren. Die so genannte „58er-Regelung“ bzw. der Paragraf 428 des Sozialgesetzbuch III zum „Arbeitslosengeld unter erleichterten Voraussetzungen“ förderte die Übergangsphase bis zum Rentenbeginn. Noch im Jahr 2003 lag der Anteil der Erwerbstätigen an allen 55- bis 64-Jährigen bei nur 39 Prozent (DZA 2005, 1). Mit der Rentenreform von 1992 fand hier eine grundsätzliche Umorientierung statt. Die Lebensarbeitszeit wurde seitdem sukzessive verlängert. Dabei wurden die bisherigen arbeitsmarkt- und gesundheitspolitischen Kriterien von finanz- und wachstumspolitischen Überlegungen abgelöst und Besitzstände hinsichtlich Möglichkeiten und Ausstattung des Vorruhestands ohne größere öffentliche Diskussion beseitigt. Der Diskurs zur „demografischen Entwicklung“, auf den noch einzugehen sein wird, flankierte diese Politik. Im Rahmen der sogenannten Lissabon-Strategie haben sich die EU-Staaten im Jahr 2000 darauf geeinigt, die Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer zu erhöhen. Bis 2010 sollte demnach in allen Mitgliedstaaten mindestens die Hälfte der 55- bis 64-Jährigen erwerbstätig sein. Nach Ergebnissen der Europäischen Arbeitskräfteerhebung erreichte Deutschland dieses Ziel mit einer Erwerbstätigenquote von 52 Prozent erstmals 2007. Die Quote ist seitdem weiter gestiegen und erlangte 2017 mit 58 Prozent ihren bisherigen Höchststand (Destatis 2018, 67). Was die 60- bis 64-Jährigen betrifft, so setzte nach Daten des Deutschen Alterssurveys hingegen erst zwischen 2002 und 2008 eine markante Entwicklung in der arbeitsmarkt- und rentenpolitisch gewünschten Richtung ein. Die Anteile der Erwerbstätigen im Alter von 54 bis 59 Jahren sowie von 60 bis 65 Jahren haben sich von 1996 zu 2014 um je 20 Prozentpunkte erhöht (1996: 56,6 Prozent, 2014: 76,1 Prozent für 54- bis 59-Jährige; 1996: 18,2 Prozent, 2014: 38,8 Prozent für 60- bis 65-Jährige). Der Anteil der erwerbstätigen Personen im Alter von 60 bis 65 Jahren lag jedoch auch 2014 deutlich unter dem Durchschnitt der erwerbstätigen Personen im Alter von 40 bis 65 Jahren (74,1 Prozent).5. (Das DZA erfasst hier die tatsächlich Erwerbstätigen, nicht die Erwerbspersonen, zu denen auch die Arbeitslosen zählen, allerdings nicht nur abhängig Beschäftigte, sondern auch Selbstständige, mithelfende Familienangehörige und Beamte.) Der Anteil der Erwerbstätigen im Ruhestand nimmt von 5,1 Prozent im Jahr 1996 auf 11,6 Prozent im Jahr 2014 zu (vgl. Franke/Wetzel 2015, 43).
5
So kann man sich täuschen: Kohli (1992): „Nirgendwo ist es bisher gelungen, den Trend zum frühen Ruhestand umzukehren … Es ist anzunehmen, dass dies auch in Zukunft der Fall sein wird, solange der allgemeine Angebotsüberschuss am Arbeitsmarkt und damit das geringe Interesse der Unternehmen an der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer fortbesteht“ (243). Während bei den Männern 14,7 Prozent im Ruhestand erwerbstätig sind, sind es bei den Frauen lediglich 8,6 Prozent. Ebenso sind mehr Personen mit hoher Bildung im Ruhestand erwerbstätig als Personen mit einem mittleren und niedrigen Bildungsniveau. Wie bereits vor dem Ruhestand, ist auch nach dem Ruhestandsübergang der Anteil der Erwerbstätigen in Westdeutschland mit 12,2 Prozent höher als der der Ostdeutschen (9,0 Prozent) (ebd. 56). Für die seit 1996 deutlich gestiegene Beschäftigung der 60- bis 64-Jährigen wird nicht nur der Reformkurs der Rentenpolitik verantwortlich gemacht, sondern auch das Nachrücken von geburtenstarken, besser gebildeten Jahrgängen in die Gruppe der älteren Erwerbstätigen, die mit höheren Qualifikationen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hatten und gleichzeitig vom damaligen konjunkturellen Aufschwung am Arbeitsmarkt profitierten (DZA 2010, 2). Der Übergang in den Ruhestand Die verbrauchte Arbeitnehmergeneration wird mittels institutioneller Arrangements aus dem Arbeitsmarkt ausgesteuert: Anspruchsvoraussetzungen für die Alimentierung durch Arbeitsverwaltung oder Rentenversicherungen weisen dem älteren Menschen einen Status als Rentner, als Arbeitsloser oder als Sozialfall zu. Seit dem Jahr 1996 bestand in Deutschland die Möglichkeit, den Übergang in die Rentenphase über Altersteilzeit zu gestalten. Nach dem novellierten Altersteilzeitgesetz wurde eine bis zum Jahresende 2009 angetretene Altersteilzeit über die Arbeitsverwaltung gefördert, wodurch ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ihre Arbeitszeit nach Vollendung des 55. Lebensjahres auf die Hälfte vermindern konnten. Bedingung ist lediglich, dass über einen Gesamtzeitraum von bis zu drei Jahren bzw. bei Regelung in einem Tarifvertrag bis zu sechs Jahren die Arbeitszeit im Durchschnitt halbiert wird. Bis zum Dezember 2009 wurden insgesamt 526.339 Altersteilzeitfälle von der Bundesagentur für Arbeit bewilligt und gefördert. Mit einem Anteil von 93,5 Prozent wurde bei den 2009 bewilligten Fällen primär die Blockzeitlösung gewählt. Das Instrument Altersteilzeit dient damit ganz überwiegend dem vorzeitigen Wechsel in den Ruhestand und nicht, wie im Gesetz formuliert, dem gleitenden Übergang. Gleichzeitig haben sich die beschäftigungspolitischen Erwartungen nicht erfüllt, denn der Anteil der Arbeitslosen, die auf Altersteilzeitstellen nachrücken, ist seit 1997 kontinuierlich gesunken (6. Altenbericht 2010, 175). Das Interesse der Arbeitnehmer wie der Arbeitgeber an einer möglichst zeitigen Verrentung ist ungebrochen. 17,9 Prozent der Rentenzugänge im Jahr 2017 mündeten in die Erwerbsminderungsrente. Von diesen 165.638 Personen waren nur 47 Prozent im Jahr zuvor sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Bei den Altersrentenzugängen im Jahr 2017 weist die Deutsche Rentenversicherung als letzten Versicherungstatus bei den Männern aus (DRV 2018, 75f.)
Bei den Rentenzugängen der Frauen 2017 war der letzte Versicherungsstatus:
Weniger als die Hälfte aller Neurentner hat also bis zum Rentenbeginn abhängig gearbeitet, wobei geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, sofern keine Versicherungsfreiheit in Anspruch genommen wurde, schon mit eingeschlossen sind. Die Quote hat sich allerdings in den letzten 10 Jahren mehr als verdoppelt. Bei den Frauen ist das Ausscheiden aus dem Beruf noch weniger von einer festen Altersgrenze bestimmt. Teilzeit- und „Zuverdienst“- Beschäftigung war und ist vielfach auch heute noch bei ihnen Standard lange vor der Rente. Ihre Familienarbeit unterliegt keinem staatlichen Lebenslaufregime und wird nicht von der Arbeitsverwaltung erfasst. (Kindererziehungszeiten können allerdings der Rentenversicherung gemeldet werden und gehen in die Rentenberechnung ein.) Erwerbsbiografien von Frauen verlaufen weniger geradlinig, ihre „Erwerbsbeteiligung“ wird nicht nur durch ihre Situation am Arbeitsmarkt, sondern auch durch die Anforderungen der Familie bestimmt. Insgesamt sind die Frauenbeschäftigung und damit auch die Zahl der Ruheständlerinnen ständig gestiegen. Dass sie immer häufiger eine eigene Rente beziehen, sagt natürlich noch nichts über ihre materielle Lage im Ruhestand aus. Arbeitnehmer mit höheren Rentenanwartschaften gehen früher in Rente als solche mit geringen. Das Sozialversicherungssystem bestraft kurze oder unterbrochene Erwerbsbiografien. Die rigiden Wartezeitregelungen verlängern tendenziell die Übergangszeit zwischen Berufsaustritt und Renteneintritt (vgl. Radl 2007, 519). Die Anhebung der abschlagsfreien Altersgrenzen zwingt viele, den Rentenbeginn aufzuschieben (vgl. Brussig 2012, 2/19). Dennoch beziehen 36 Prozent aller Neurentner (2017) nicht den vollen Rentenbetrag, sondern kassieren einen Abschlag von im Schnitt 88 € im Monat (bei einem durchschnittlichen Rentenzahlbetrag von 816,08 € also mehr als 10 Prozent) bis an ihr Lebensende, weil sie ca. 30 Monate „zu früh“ in Rente gehen (vgl. DRV 2018, 80). Der Verdacht liegt nahe, dass ihnen Krankheit oder Arbeitslosigkeit keine andere Wahl lassen. Die Anhebung der abschlagsfreien Altersgrenzen und die Schließung von vorzeitig beziehbaren Altersrenten wurden in mehreren Schritten in den 1990er Jahren eingeführt und – abhängig von Geburtskohorte und Rentenart – zu unterschiedlichen Zeitpunkten wirksam. Dafür nehmen die Rentenübergänge aus instabiler Beschäftigung zu. Immer mehr Menschen sind gezwungen, sich bis zum Rentenbeginn mit den Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten, die sie auch danach noch benötigen. Der Deutsche Alterssurvey 2013 stellt fest: „Während das Renteneintrittsalter gestiegen ist, trifft dies auf das Alter, in dem Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden, nicht in vergleichbarer Weise zu. So liegt das Erwerbsaustrittsalter bei Personen, die zwischen 1996 und 2002 in Rente gegangen sind, bei durchschnittlich 57 Jahren. Bei Personen, die zwischen 2003 und 2008 in Rente gegangen sind, bei 56 Jahren und bei Personen mit einem Renteneintritt zwischen 2009 und 2011 bei 56,5 Jahren. Hier ist also bisher kein Trend in eine bestimmte Richtung zu beobachten (BMFSFJ 2013, 11).“ Die festgelegten Altersgrenzen bilden nur teilweise den Übergang aus einem Lebensberuf in die Rente ab. Wurde dieser Übergang noch bis vor einigen Jahren als Phase der Arbeitslosigkeit oder des Vorruhestands organisiert und finanziell ausgestattet, so fällt er zunehmend in die alleinige Verantwortung der Individuen. Nach Angaben des Deutschen Alterssurveys 2013 lag die Zeitspanne zwischen Erwerbsaustritt und Renteneintritt für Personen, die 2009 – 2011 in Rente gegangen sind bei durchschnittlich 6,6 Jahren, im Vergleich zu 4,9 Jahren für Neurentner 1996 – 2002 (vgl. BMFSFJ 2013, 12). Überbrückt wurde diese Zeitspanne mit Altersteilzeit oder Vorruhestand, aber auch Phasen der Arbeitslosigkeit, Krankheit oder sonstiger Nichterwerbstätigkeit waren eingeschlossen. Letztere werden als „indirekter Rentenübergang“ bezeichnet, und die betroffenen Personen wiesen durchschnittlich 15 Jahre Abstand zwischen Erwerbstätigkeit und Rentenbezug auf, mit gravierenden Folgen für die Rentenhöhe. Die 66- bis 71-Jährigen des Jahres 2014 (Geburtsjahrgänge 1943/48) gingen mit durchschnittlich 62,3 Jahren in Rente, nachdem sie ihre Berufstätigkeit im Mittel mit 57,8 Jahren beendet hatten (vgl. Engstler/Romeu Gordo 2016, 69). Ärzte, Apotheker, Hochschullehrer ziehen sich vergleichsweise später aus dem Berufsleben zurück. Auch Manager arbeiten länger, andererseits aber auch Personen in einfachen Dienstleistungs- und in Agrarberufen. Am ehesten geben Bergleute, Gleisbauer oder Hilfsarbeiter den Beruf auf. Um die 65 Jahre herum geht die „Erwerbsbeteiligung“ in allen Berufen sehr stark zurück. Noch am geringsten ist dieser Rückgang bei Personen in einfachen Diensten, also z. B. bei Wachschutzpersonal oder bei Raum- und Gebäudereinigern. Das liegt unter anderem daran, dass ein großer Teil der in diesen Bereichen beschäftigten Personen eine frühere Beschäftigung bereits aufgeben musste und eine einfache Tätigkeit – ggf. mit reduzierter Arbeitszeit - neu übernommen hat (vgl. Brussig 2010, 9f.). Die Wissenschaft unterscheidet bei den Determinanten des Renteneintritts „Pull“- und „Push-Ansätze“: Pull-Ansätze betonen den Stellenwert finanzieller Anreize – im wesentlichen die voraussichtliche Rentenhöhe, die den Arbeitnehmer zu einem früheren oder späteren Ausscheiden veranlassen. „Hingegen heben Push-Ansätze auf die strukturellen Zwangsmomente in der Ausgliederung älterer Arbeitnehmer aus den Betrieben ab (Radl 2007, 44).“ Dazu kommen „lebenslauforientierte Ansätze“, die auch moralische Kriterien einbeziehen, unter anderem, ob der Renteneintritt als legitimer Abschluss des Erwerbslebens interpretiert werden kann (vgl. ebd. 46). Diskussion über Altersgrenzen: Der Streit um den fiktiven Dachdeckergreis Das Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Alters-grenzenanpassungsgesetz) von 2007 sieht eine stufenweise Anhebung der Regelaltersgrenze vom 65. auf das 67. Lebensjahr vom Jahr 2012 an bis zum Jahr 2029 und entsprechende Anhebungen bei anderen Renten vor. Einwände gegen die Anhebung der Altersgrenzen für den Rentenbezug kamen und kommen überwiegend von den Gewerkschaften. Ein Argument ist dabei die besondere Belastung in bestimmten Berufen. Umfragen unter Arbeitnehmern sollen die Unzumutbarkeit eines längeren Verbleibs verdeutlichen. Die IG Metall gab dazu vor einigen Jahren diese Ergebnisse heraus:
Quelle: http://www.igmetall.de/hintergrund-rente-mit-67-4419.htm/eigene Darstellung Die Gewerkschaft wehrt sich nicht gegen die massive Rentenkürzung für alle, sondern appelliert an das Mitgefühl für alte Gerüstbauer und Dachdecker. Die 19 Prozent der Ingenieure, die angeben, ihren Beruf nicht bis zum Rentenbezugsalter durchhalten zu können, erscheinen daneben vergleichsweise unbedeutend. Was immer von solchen Umfragen zu halten ist: Manche Berufe werden als stärker belastend und gesundheitsgefährdend wahrgenommen als andere. Es leuchtet ein, dass die eintretenden Schäden mit der Dauer der Berufsausübung zunehmen. Die Klausel „bei gleichbleibenden Arbeitsbedingungen“ ist als Mahnung an die Arbeitgeberseite gedacht, die ihren Beitrag dazu leisten soll, dass man auch am Bau bis 67 arbeiten kann. Die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) dementiert mit dem Verweis auf „arbeitsgestalterische Möglichkeiten“ (deren Realisierung allerdings bislang wenigen „Good-Practice-Beispielen“ vorbehalten ist6) den grundsätzlich gesundheitsschädlichen Charakter der von ihr kommandierten Arbeit:
6
„So setzen nur 6,2 Prozent aller untersuchten Betriebe bestimmte Leistungsanforderungen für Ältere herab, und nur 5,1 Prozent statten die Arbeitsplätze altersgerecht aus. Meistens sind es eher größere Betriebe, die diese Maßnahmen anbieten (BMAS 2012, 15).“
Beide Seiten führen die besonderen Belastungen in bestimmten Berufen an, um dann über einige Jahre mehr oder weniger Tortur zu rechten. Dabei ist diese Diskussion für die Mehrzahl der Betroffenen irrelevant. So gingen 2011 ca. 60 Prozent der Versicherten in Bauberufen bereits vor dem 60. Lebensjahr in Rente (vgl. DRV 2012a, 177). Die Übergänge in Rente aus der Arbeitslosigkeit sind hier besonders hoch. Eine Studie zur Realisierbarkeit beruflich differenzierter Altersgrenzen, die besondere Belastungen berücksichtigen, kommt zu dem Schluss: „Die fehlenden Chancen älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, gesund und erwerbstätig das Rentenalter zu erreichen, stellen ein erhebliches sozialpolitisches Problem dar. An diesem Problem werden auch beruflich differenzierte Altersgrenzen effektiv nur wenig ändern können. Lösungen müssen primär in der Arbeitsgestaltung und in der Erhaltung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit gesucht werden und erst nachrangig durch eine Variation rentenrechtlicher Regelungen“ (Brussig et al. 2011, 7). Die für die Rentenkürzung politisch Verantwortlichen kennen dagegen nur gesunde und leistungsfähige Ältere: „Für Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen ist der Fall klar: Die Älteren, sagt die CDU-Politikerin, seien so fit wie nie zuvor und bekämen im Durchschnitt inzwischen 18 Jahre Rente. Wenn die Menschen aber immer länger das gesetzliche Altersgeld bezögen, könnten sie ‚auch ein bisschen länger arbeiten‘ (Süddeutsche.de vom 24.06.2013 http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/erhoehung-des-rentenalters-furcht-vor-der-rente-mit-1.1703934).“ Ob die Betroffenen das auch so sehen, spielt jedenfalls keine Rolle. Der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière äußerte in einer Diskussion zum Instrument des Volksentscheids: „Es ist Aufgabe politischer Führung, auch unpopuläre Entscheidungen durchzusetzen, die man für richtig hält. Die Rente mit 67 hätte es mit einer Volksabstimmung nie gegeben“ (Die Welt 25.11.13 http://www.welt.de/politik/deutschland/article122233616/Volksabstimmungen-beguenstigen-die-Nein-Sager.html). Während die Gewerkschaften durch die Rente mit 67 eine Verschiebung potenzieller Rentnerkohorten in die Arbeitslosigkeit und damit einen Anstieg der Arbeitslosigkeit prognostizieren, begrüßen die Arbeitgeberverbände eine absehbare Linderung des Fachkräftemangels. Dies steht im Kontrast dazu, dass die Unternehmen früher Möglichkeiten, Entlassungen über Vorruhestandsregelungen abzuwickeln, gern wahrgenommen und 60-Jährige nicht als Fachkräftepotenzial angesehen haben. Heute hat allerdings die „Beitragssatzstabilität“ Priorität: „Notwendig ist die Anhebung der Regelaltersgrenze vor allem mit Blick auf die gesetzliche Rentenversicherung. Die gesetzlichen Beitragssatz- und Rentenniveauziele (max. 22 % bzw. mind. 43 % bis 2030) können ohne Rente mit 67 nicht eingehalten werden“ (BDA 2013, 1). Für Personalanpassungsmaßnahmen gibt es auch andere Instrumente als Frühverrentung. Veränderte Mechanismen des Personalaustauschs Mit der „Deregulierung“ des Arbeitsmarkts ist der Einsatz von Arbeitskräften so flexibilisiert worden, dass Altersgrenzen als Instrument des Austauschs an Bedeutung verloren haben. Die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland haben sich seit den siebziger Jahren drastisch verändert. Während sich die Wachstumsraten erheblich verringert haben, ist die Produktivität stark gestiegen. Das gesamtwirtschaftliche Arbeitsvolumen ging zurück, und die Zahl der Erwerbspersonen nahm zu (vgl. Röger 2006, 25 ff.). Das „Normalarbeitsverhältnis“ – unbefristete, sozialversicherte Vollzeitbeschäftigung – ist heute für viele keine kalkulierbare Lebensgrundlage mehr wie in den Zeiten des Wirtschaftswunders. Der Lohn eines Mannes reicht nicht mehr aus, um eine Familie zu ernähren; Frauen müssen wenigstens etwas dazuverdienen und als Ersatzernährerinnen angesichts unsicherer Arbeitsplätze bereitstehen. Viele sind daher gezwungen, Beschäftigungsverhältnisse einzugehen, die dem Maßstab der Sicherung des Lebensunterhalts nicht mehr entsprechen. Die zeitlichen Spielräume, die Frauen für die Familienarbeit benötigen, werden von der Wirtschaft gegen drastische Lohnabschläge gewährt. Der Staat schafft dafür die rechtlichen Rahmenbedingungen wie 450 €-Jobs. Weitere Ergebnisse dieser Deregulierungspolitik waren u. a. die erweiterten Möglichkeiten für den Abschluss befristeter Arbeitsverträge, Einschränkung des Kündigungsschutzes, Minderung von Transferzahlungen und verstärkte Anforderungen an Arbeitslose, sowie arbeitsrechtliche Verbesserungen für Teilzeitbeschäftigte (vgl. ebd. 27). Wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung berichtet, ist die selbstständige Beschäftigung in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Dies geht zum großen Teil auf Solo-Selbstständigkeit, überwiegend von Frauen, zurück. Bis Ende des Jahres 2011 startete ein erheblicher Teil der neuen Selbstständigen aus der Arbeitslosigkeit und wurde dabei mit Mitteln der Bundesagentur für Arbeit (BA) unterstützt (vgl. Gerner/Wießner 2012, 2). Bei einem geringen Selbstständigen-Einkommen ist allerdings eine wenigstens rudimentäre Absicherung gegen Krankheit, Arbeitslosigkeit und Altersrisiken kaum möglich (ebd., 5). Arbeitgeber haben neben Altersteilzeitregelungen für Ältere ein Repertoire der Vertragsgestaltung für die Integration Jüngerer, die zu nahezu jeder Bedingung den Einstieg ins Berufsleben suchen. Menschen, die mit 40, 50 Jahren ihren Arbeitsplatz verlieren, haben nur geringe Chancen, zu vergleichbaren Konditionen wieder eingestellt zu werden und ihre Karriere bruchlos fortzusetzen. Mit 60 ist der Abstieg in Arbeitslosigkeit und/oder Hilfsjobs programmiert. Als Peter Hartz im Jahr 2002 sein Konzept für ein Brückengeld zum vorzeitigen Ausstieg aus dem Berufsleben vorstellte, war er selbst 61 Jahre alt und verkündete: „Einen wie mich würde ich doch auch nicht mehr einstellen (vgl. Niejahr 2005, 19).“ Ruhestand und Alter Im staatlich geregelten dreigliedrigen Lebenslauf markiert der Eintritt in den Ruhestand den Beginn des Alters. Der zentralen Phase der Berufstätigkeit geht eine Erziehungs- und Bildungsphase voraus und folgt eine Ruhephase. Das Bildungs- und das Sozialversicherungssystem regulieren diese Phasen, die mit Jugend, Erwachsensein und Alter gleichgesetzt werden. Ein solcher Rückgriff auf Natürliches verleiht einer gesellschaftlichen Ordnung den Anschein von Selbstverständlichkeit und Notwendigkeit (vgl. Kohli 1992, 234). Faktisch ist die Altersphase weit weniger reglementiert als die der Jugend, die unter dem Regime des Bildungssystems und die Erwachsenenphase die unter dem Diktat der Wirtschaft/des Arbeitslebens steht. Die Regularien des Renten- und Krankenversicherungswesens bestimmen zwar die oft erbärmlichen Lebensbedingungen der Alten, nicht jedoch deren Tagesablauf. Sie erlegen ihnen auch keine Pflichten auf. Ältere haben eine „roleless role“ in der Gesellschaft (Atchley 1976, 60) und werden zuweilen auch getadelt als Menschen, die „völlig unverpflichtet vor sich hinleben“ (Tews 1994, 58). Der Ruhestand als Phase zeichnet sich wesentlich aus durch den Gegensatz zum Erwerbsleben und legitimiert sich durch Alter als Hinfälligkeit. „Ehe es nicht über uns hereinbricht, ist das Alter etwas, das nur die anderen betrifft“, so Simone de Beauvoir (2008, 10), die umfassend über die Situation alter Menschen und das Altersbild in verschiedenen Epochen berichtet. Das eigene Älterwerden wird zumeist verdrängt. Ganze Industriezweige leben davon, dass die Menschen ihr Altern nicht wahrhaben wollen. Sprüche wie: „Man ist so jung, wie man sich fühlt.“ oder Komplimente nach dem Muster: „Aber Sie sehen viel jünger aus.“ – belegen, dass das Alter tabuisiert wird. Wenn man mit Jüngeren über ihre Zukunft spricht, hört man oft: „So alt will ich gar nicht werden.“ Altern wird weitgehend mit negativen Veränderungen, mit Verfall, Verschlechterung und Degeneration der Fähigkeiten verbunden. Das Untauglichkeitsurteil, das eine kapitalistische Wirtschaft über die von ihr ruinierten alten Menschen fällt, wird auf das Alter an sich übertragen. Juristisch spielt das (höhere) Alter abgesehen vom öffentlichen Rentenwesen keine Rolle. Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt keinen Unterschied zwischen einem 40- und einem 100-Jährigen. Ähnliches gilt für den kulturellen Bereich: Es gibt eine Jugendliteratur und Kindertheater, aber keine Seniorenliteratur – abgesehen von der seit einiger Zeit anschwellenden Ratgeberschwemme. Mediale Angebote, die sich explizit an „Alte“ wenden, haben es schwer, da ja keiner dazugehören will. In Volkshochschulkursen und klassischen Konzerten sieht man zwar überwiegend Grauköpfe, die nach ihrem Selbstverständnis jedoch keine Besucher einer Seniorenveranstaltung sind. Im Marketing werden beschönigende Prägungen wie „Best Ager“ oder „Silver Generation“ gebraucht. Alt sein, bedeutet nicht mehr brauchbar und letztlich hilfsbedürftig zu sein. Und damit gilt der Mensch in der Konkurrenzgesellschaft nichts mehr, ist nur noch Verwahrungs- und Versorgungsobjekt. Das Alter als Lebensphase konstituiert sich unter Aspekten von Leistungsfähigkeit und Gesundheit. Dabei wird seit einigen Jahren der Beginn des Alters mit einem bestimmten Lebensjahr in Frage gestellt und das pauschale Aussortieren aus dem Berufsleben kritisch gesehen, da die Aussortierten keinen gesellschaftlichen Beitrag mehr leisten und nur noch Kostgänger sind. Die Last für die Gesellschaft, die sie darstellen, gilt es möglichst zu verringern, die Alten differenziert zu betrachten, statt sie pauschal abzuqualifizieren und ihre nützlichen Seiten zu entdecken.
Страница 13
{buyButton}
Подняться наверх