Читать книгу Todesstrafe - Der zweite Fall für Schmalenbeck und Paulsen - Brigitte Krächan - Страница 6
ОглавлениеProlog
Hier wurde er freigesprochen und hier sollte er auch verurteilt werden. Wilhelm Tieck, der Mörder von Karin. Vergewaltigung und Mord. Vor fast zehn Jahren.
Langsam ging Heinz Kömen die Stufen des Landgerichtes hinab. Der Pförtner war freundlich gewesen. Er hatte gelächelt und bedauernd den Kopf geschüttelt. Nein, er könne die Unterschriftenliste nicht annehmen. So ginge das nicht. Eine Petition könne man nicht einfach beim Pförtner abgeben. Aber das wisse er doch.
Ja, Heinz wusste das. Sein Rechtsanwalt hatte es ihm erklärt. Auch, dass die Sache aussichtslos sei. Dass der Bundesgerichtshof klar entschieden habe: Es würde keine Reform der Strafprozessordnung geben. Ne bis in idem. Nicht zweimal in derselben Sache. Heinz kannte sie alle, die gelehrten, lateinischen Sprüche. Wer einmal freigesprochen wurde, konnte für die gleiche Sache nicht noch einmal vor Gericht gestellt werden. Dabei wussten alle, dass Wilhelm Tieck schuldig war. Aber der Mörder hatte geleugnet, und seine Schwester hatte ihm ein Alibi gegeben. Natürlich. Wer wollte schon einen verurteilten Mörder und Vergewaltiger in der Familie?
„Lassen Sie es gut sein. Gehen Sie nach Hause. Ihre Frau wartet bestimmt schon auf Sie.“
Der Pförtner war nett. Aber: Nichts war gut. Nicht, solange Wilhelm Tieck noch frei war.
Heinz war müde. Zu müde für die wenigen Schritte zum U-Bahnhof. Zu müde für die vorwurfsvolle Frage im Blick von Gerda. Wo bist du gewesen? Schon wieder? Warum lässt du es nicht gut sein? Zu müde, um ihr zu erklären, dass nichts gut war.
Langsam ging Heinz am Mahnmal ,Hier und jetzt‘ vorbei. Er hatte das Denkmal nie verstanden. Was haben Radieschen, Rosen und Brennnesseln in hässlichen Betontöpfen mit dem Gedenken an die Opfer der NS-Justiz zu tun? Und warum dieses Erinnern wachhalten und vor der anderen Ungerechtigkeit die Augen schließen? Heinz setzte sich auf die Bank am Ende des Parks. Sein Blick streifte das Mahnmal und die imposante Fassade des Oberlandesgerichtes dahinter. Genau hinter diesen Mauern hatten sie Wilhelm Tieck damals aus Mangel an Beweisen freigesprochen. In dubio pro reo. Im Zweifel für den Angeklagten. Noch so ein Spruch. Sogar eine Entschädigung für die Zeit in der U-Haft hatte er bekommen. Heute könnte man Tiecks Schuld beweisen. Damals hatten die Ermittler DNA auf der Kleidung und der Haut von Karin sichergestellt. Die Wissenschaft hatte Fortschritte gemacht. Was früher nicht zu verwenden war, konnten sie inzwischen auswerten. Wenn es damals Tiecks DNA gewesen war, dann könnten sie dies heute mit neunundneunzig prozentiger Sicherheit feststellen. Heinz war davon überzeugt: Das wäre der Beweis, dass Wilhelm Tieck Karins Mörder war. Deshalb forderte Heinz die Wiederaufnahme des Verfahrens. Aber: Ne bis in idem. Nicht zweimal in derselben Sache. Rechtsfrieden nennen sie das. Doch Heinz hatte keinen Frieden. Und mit Recht hatte das auch nichts zu tun. Noch nicht einmal weggezogen war Wilhelm Tieck. Täglich ging Heinz am Haus des Mörders seiner Tochter vorbei. Es war nur ein kurzer Umweg auf dem Weg zu Karins Grab. Heinz beobachtete täglich, wie Wilhelm Tieck ganz selbstverständlich seit über neun Jahren sein Leben weiterlebte. Den Rasen mähte, sein Auto wusch und zur Arbeit fuhr. Der Mann, der das Leben seiner Tochter beendet und das Leben von Heinz und Gerda unerträglich gemacht hatte. Wo war da der Rechtsfrieden? Und die Gerechtigkeit? Heinz konnte es nicht gut sein lassen. Deshalb ging er immer wieder zum Amtsgericht.
Nicht mehr lange.
Er presste seine Faust fest in die rechte Leiste. Die Schmerzen kamen in Wellen und immer häufiger. Heinz war unendlich müde. Er wusste, dass er krank war. Er würde nicht mehr zum Arzt gehen. Er hoffte, dass sein kranker Körper seine traurige Seele erlösen würde. Heinz wusste auch, dass nach seinem Tod niemand mehr da sein würde, der für Karin kämpfte.
Nichts war gut.
Als die Frau auf ihn zukam, stand Heinz auf. Er kannte sie. Sie arbeitete hier. Er hatte ihr seine Geschichte erzählt, und sie hatte aufmerksam zugehört. Eine mitfühlende Aufmerksamkeit, die Heinz gutgetan hatte. Aber heute war Heinz zu müde für ein Gespräch. Er würde einfach gehen, die U-Bahn nehmen und nach Hause fahren.