Читать книгу Frauenstimmrecht - Brigitte Studer - Страница 11
Оглавление«Es gibt nur einen einzigen Grund, gegen das Frauenstimmrecht zu sein – aus Angst, Macht zu verlieren», gab Nationalrat Alois Grendelmeier, Vertreter des Landesrings der Unabhängigen, 1951 in der nationalrätlichen Kommission zu Protokoll. Auch die Juristin Iris von Roten fand 1958, im Vorfeld der ersten Volksabstimmung, deutliche Worte: «Der Riesensäugling will seinen Schnuller.» Es gehe darum, dass man auf Kosten der Frauen mehr vom weltlichen Leben haben könne und nichts an Selbstachtung, Geld und Bequemlichkeit einbüssen wolle, denn die politische Gleichberechtigung würde die Lage der Frauen und Männer bis «in die alltäglichen Einzelheiten» bedeutend verändern. Statt über die Wahrheit zu reden, kämen jedoch einzig Vorwände zur Sprache. Wir befassen uns in diesem Buch mit den institutionellen Hürden der Schweizer Verhinderungsdemokratie, den politischen Entwicklungen, den Akteurinnen und Akteuren und den Diskursen auf dem Weg zum Frauenstimmrecht. Letztlich kommt aber der Angst vor Machtverlust, die Alois Grendelmeier bezeichnete, und der Kraft der Vorwände, die Iris von Roten erwähnte, die entscheidende Rolle zu, weshalb die Einführung des Frauenstimmrechts im System der Männerdemokratie Schweiz erst so spät erfolgte.
Im Herbst 2019 beauftragte uns das Schweizerische Institut für feministische Rechtswissenschaft und Gender Law (FRI), im Hinblick auf das Jubiläumsjahr 2021 eine Studie zur Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz zu verfassen. Die Studie sollte sich anhand konkreter Fragestellungen mit den gesellschaftlichen und rechtlichen Debatten vor der Einführung des Frauenstimmrechts auseinandersetzen: Zu welchen Zeitpunkten wurde die Einführung besonders intensiv diskutiert? Welche Akteurinnen und Akteure waren in diesem Prozess besonders wichtig? Wie verliefen die gesellschaftlichen Diskurslinien? Wie wurde das Frauenstimmrecht in der rechtswissenschaftlichen Debatte diskutiert? Inwiefern stellte der Ausschluss von den politischen Rechten aufgrund des Geschlechts vor 1971 eine staatliche Menschenrechtsverletzung dar? Welche Handlungsmöglichkeiten bestanden in Bund und Kantonen auf politischer und rechtlicher Ebene, und welche wurden genutzt? Und schliesslich: Weshalb war die Einführung zu früheren Zeitpunkten gescheitert, und warum gelang sie 1971? Der Auftrag führte zu einer interdisziplinär angelegten Studie mit einem historischen Teil, verfasst von Brigitte Studer, und einer Diskursanalyse aus rechtswissenschaftlicher und rechtshistorischer Sicht von Judith Wyttenbach und den Doktorandinnen an ihrem Lehrstuhl, Daniela Feller, Sanija Ameti und Laura Bircher. Die Studienanlage mit je eigenen Fragestellungen und Forschungsdisziplinen bringt mit sich, dass die Teile unterschiedlich aufgebaut sind und sich zum Beispiel auch die Belegung und Zitierweise unterscheiden. Aus der gemeinsamen Reflexion und Diskussion der beiden Teilstudien entstand die Synthese mit den übergreifenden Erkenntnissen, die den dritten Teil dieses Buches bildet.
Wissenschaft schreibt sich nie isoliert. Wir sind keine Ausnahme und möchten daher danken:
–dem FRI für den Auftrag, der uns dazu motivierte, mit einem interdisziplinären Blick und anhand konkreter Fragestellungen auf die spannende Geschichte des Frauenstimmrechts zu schauen;
–den Mitgliedern des Sounding Boards, die eine erste Fassung gelesen, kritisch kommentiert und uns wertvolle Hinweise gegeben haben (Caroline Arni, Michelle Cottier, Ruth Dreifuss, Irène Herrmann, Sandra Hotz, Regula Kägi-Diener, Claudia Kaufmann, Zita Küng, Andrea Maihofer, Lisa Mazzone und Yvonne Schärli);
–Regula Kägi-Diener und Werner Seitz, die sich das gesamte Manuskript zur Brust genommen, sehr detailliert kommentiert und uns auf Unstimmigkeiten hingewiesen haben;
–Lisia Bürgi, Eliane Braun und Sabrina Alvarez für ihre umfangreichen, akribischen und teilweise schwierigen Recherchen, die Erstellung von Übersichten und Tabellen und für die redaktionellen Arbeiten;
–Monika Wyss für die formale Durchsicht des rechtswissenschaftlichen Teils.
Eine Erklärung zur Begrifflichkeit: In der Schweiz wird umgangssprachlich und in den Quellen der Begriff «Frauenstimmrecht» verwendet, doch sind damit sowohl das Wahlrecht als auch das Stimmrecht gemeint. In den politischen Debatten wurde im Deutschen vielfach die Unterscheidung zwischen «aktivem» und «passivem» Stimm- und Wahlrecht gemacht (eine Unterscheidung, die teilweise auch auf Französisch übernommen wurde). Ersteres meint das Recht, sowohl abstimmen wie wählen zu dürfen, Letzteres nur die Wählbarkeit. In den historischen Debatten war auch der Begriff «integrales» Frauenstimmrecht in Gebrauch. Damit wurden diejenigen politischen Rechte bezeichnet, über die in der Regel seit 1848 auch die Schweizer Männer verfügten: Stimm- und Wahlrecht, Wählbarkeit von der Gemeinde über den Kanton bis zum Bund sowie eventuelle weitere mit der Aktivbürgerschaft verbundene Rechte. In den Debatten über das Frauenstimmrecht bezog sich jedoch das «integrale» Frauenstimmrecht manchmal auch nur auf Gemeinde und Kanton.
Neuenburg und Bern, im Februar 2021
Brigitte Studer und Judith Wyttenbach