Читать книгу Sommer, Sonne, Strand und Er - Britta Bley - Страница 7

Dröhnender Kopfschmerz und eingeschweißte Schokocroissants

Оглавление

Anne richtete sich bewusst langsam auf, in der Erwartung an den dröhnenden Kopfschmerz, der sie jeden Moment heimsuchen würde, sobald sie erst eine senkrechte Position eingenommen haben würde. Eine Erfahrung, die ihr seit dem Tod ihres geliebten Mannes, an kaum einem Morgen erspart blieb. Am liebsten wäre sie gar nicht mehr aufgestanden, doch sie spürte den Druck auf der Blase, der bereits in einen leichten Schmerz überging. Tatsächlich zog sie in Erwägung, dem Harndrang an Ort und Stelle einfach nachzugeben. Der Gedanke schien ihr einerseits verlockend, doch auf der anderen Seite war ihr klar, dass sie damit den letzten Rest ihrer Würde aufgeben würde.

Lediglich mit einem Slip bekleidet, wankte sie ins Badezimmer. Angewidert stellte sie fest, dass von ihren blonden langen Haaren ein leichter Geruch nach Erbrochenem ausging. Was Reinlichkeit und Körperpflege anging, hatte sie ihre Ansprüche auf ein Minimum reduziert. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie die Bettwäsche das letzte Mal gewechselt hatte, und es war ihr völlig egal. Doch der stechend saure Geruch, den ihre Haare nun ausströmten, ließ sich nicht ignorieren. Immer wieder aufs Neue erzeugte er einen Würgereiz. Ungelenk entledigte sie sich ihres Slips. Die Toilette steuerte sie erst gar nicht an, sondern der Notwendigkeit geschuldet, den Übelkeit verursachenden Gestank schnellstmöglich loszuwerden, stellte sie sich direkt in die Duschkabine. Wohlweißlich schob sie die Handbrause erst an die Seite, bevor sie den angelaufenen Drehknopf der Armatur betätigte. Druckvoll bahnte sich das Wasser den Weg durch den Schlauch. Während sie die kalten Spritzer am Oberkörper trafen, rann ihr bereits der Urin warm die Beine hinunter, bevor er mit Wasser gemischt im Abfluss verschwand. Anne prüfte mit dem Fuß, ob die Wassertemperatur die richtige war, bevor sie sich schließlich ganz unter die Brause stellte. Sie genoss die prasselnd auf ihrem Haar aufschlagenden Tropfen, die es schafften, den Schmerz im Kopf ein wenig zu übertünchen. Erst nach einer ganzen Zeit drückte sie sich eine unverhältnismäßig große Menge Shampoo in die Handinnenfläche und schäumte ihre Haare ein. Der dominante Himbeergeruch des Kindershampoos, dem einzigen Shampoo und Duschzeug, das sich neben dem ihres verstorbenen Mannes in der Dusche befand, vertrieb mühelos die letzte Erinnerung an den Geruch nach Erbrochenem. Mit dem herabtropfenden Schaum wusch sie sich deutlich weniger gründlich den Körper ab. Als sie sich bückte, um Beine und Füße zu waschen, forderte der schmerzende Kopf unmissverständlich mehr Rücksichtnahme. Sie sehnte die betäubende Wirkung des Alkohols herbei. Nun auf dem Boden sitzend, beendete sie die Katzenwäsche der unteren Gliedmaßen. Noch eine ganze Weile hatte sie zusammengekauert, an die Fliesen gelehnt dagesessen und sich das Wasser über den Kopf fließen lassen, bevor sie sich dazu durchringen konnte die Dusche zu verlassen.

Glücklicherweise sorgte die Feuchtigkeit, die sich auf der Spiegelfläche niedergeschlagene hatte, dafür, dass Anne ihr Abbild erspart blieb. Seit geraumer Zeit vermied sie den Blick in den Spiegel. Sie wusste auch so, dass ihre Haare jeglichen Glanz verloren hatten, unter ihren Augen dunkle Ringe lagen und ihr Körper nun weniger schlank, als eher hager und abgemergelt wirkte. Um ihre einstmalige Schönheit zu erkennen, musste man schon ganz genau hinsehen. Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, zog sie denselben Slip, den sie vorm Duschen achtlos auf den Boden geworfen hatte, erneut an. Die dicken Wassertropfen, die sich ungehindert aus ihren Haaren lösten, liefen den vom heißen Badewasser geröteten Oberkörper hinab, wie Tränen die Wangen. Nach ihrem herben Verlust hatte sie zunächst viel geweint, mittlerweile spürte sie nur noch Wut und Resignation.

Mit einem Jogginganzug bekleidet, betrat sie den Wohn- und Essbereich. Trotz der Übelkeit, verspürte sie ein leichtes Hungergefühl. Glücklicherweise hatte sie es mittlerweile geschafft sich so zu organisieren, als dass sie einen Vorrat an Lebensmitteln angelegt hatte, die keiner oder nur einer sehr geringen Zubereitung bedurften und darüber hinaus nicht schnell verdarben. Dabei hortete sie möglichst große Mengen, um ständiges Einkaufen zu vermeiden. Generell vermied sie es das Haus zu verlassen, um einfach in ihrem Sumpf dahinvegetieren zu können und um sich nicht den neugieren Blicken der spießigen Nachbarschaft aussetzen zu müssen. Die gewohnten Strukturen und den geregelten Tagesablauf, die sie vormals als Familie gelebt hatten, gab es nicht mehr. Maggie pünktlich, bis spätestens 8.30 Uhr, zum Kindergarten zu bringen, hatte sie längst aufgegeben. Auch wenn die Erzieherinnen ein ums andere Mal bereits eine Ausnahme gemacht hatten und sie auch später noch aufgenommen hatten, spürte sie deutlich, wie sich die anfänglich mitleidigen Blicke, schnell in vorwurfsvolle, fast schon verächtliche gewandelt hatten. Was wussten diese Leute schon von ihrem Leben?

Nur am Wochenende, wenn in den meisten Häusern der Nachbarschaft das Licht bereits erloschen war, zog es sie noch regelmäßig unter Leute. Dann begab sie sich in zwielichtige Eckkneipen, in denen keiner Fragen stellte.

Mit einem schwarzen Kaffee in der Hand, zwei abgepackten Knäckebrotscheiben mit Frischkäsefüllung und einem eingeschweißten Schokocroissant, begab Anne sich zum Sofa. Von dort aus konnte sie beobachten, wie Maggie auf der Schaukel saß. Sie trug eine kurze Jeans, keine Schuhe, dafür aber einen Sonnenhut. Der glitzernde Bambi-Aufdruck ihres rosafarbenen T-Shirts, befand sich fälschlicherweise auf dem Rücken. Eines der wenigen Kleidungsstücke, das sie selbst für ihre Tochter angeschafft hatte.

Nachdem das Kennenlernen, spätere Zusammenziehen und schließlich die Heirat mit ihrem Mann dazu geführt hatten, dass Annes Leben in geordneten Bahnen verlaufen war, hatte die Geburt von Maggie erstmals wieder bewirkt, dass ihre heile Welt ins Wanken geraten war.

Anne war aus den einfachsten Verhältnissen gekommen. Sowohl ihre Mutter, als auch ihr Vater, waren nie einer regelmäßigen Beschäftigung nachgegangen, hatten immer einfach nur in den Tag hineingelebt. Übermäßiger Alkoholkonsum war an der Tagesordnung gewesen. Anne hatte sich daran gewöhnen müssen, dass ihre Mutter regelmäßig von ihrem Vater vor ihren Augen körperlich misshandelt worden war und wenige Male hatte es auch sie aus heiterem Himmel getroffen. Erst ihr späterer Mann hatte sie aus der Hölle befreit und sie schließlich zu dem gemacht, was man wohl allgemeinhin unter einer ehrbaren Frau versteht. Er hatte neben ihrer Schönheit schon immer etwas in ihr gesehen, was ihr selbst bis heute verborgen geblieben war. Das war wohl auch der Grund gewesen, warum sie stets Schwierigkeiten gehabt hatte darauf zu vertrauen, dass er sie wirklich liebte und warum sie immer mit der Angst gelebt hatte, er könne eines Tages seinen Irrtum feststellen und sie wieder verlassen. Nun hatte er sie tatsächlich unwiderruflich allein gelassen, hatte sie mit gerade einmal siebenundzwanzig Jahren zur Witwe gemacht.

Das einzige, was ihr von ihm geblieben war, war Maggie. Er hatte Kinder schon immer über alles geliebt, hatte sich schnell ein Kind von ihr gewünscht. Doch Anne hatte tief in ihrem Inneren die böse Ahnung gehabt, sie könne niemals eine gute Mutter sein. Außerdem hatte sie Angst davor gehabt, die Liebe ihres Mannes mit einem anderen Menschen teilen zu müssen. Nur hatte sie auch gewusst, dass er ohne ein eigenes Kind nie ganz glücklich geworden wäre. Und das war etwas, was sie unbedingt gewollt hatte, sie hatte ihn glücklich machen wollen, so wie er es an jedem neuen Tag geschafft hatte sie glücklich zu machen. Schließlich war er es, der ihr Leben überhaupt erst lebenswert gemacht hatte. Also hatte sie ihm diesen Herzenswunsch unmöglich langfristig abschlagen können.

Nachdem sie die ersten Jahre alleine miteinander verbracht hatten, wurde Maggie geboren. Leider hatte Anne schnell gemerkt, dass ihre Ängste nicht unbegründet gewesen waren. Während ihr Mann vom ersten Moment an, an dem er die kleine, verschrumpelte, über und über mit Käseschmiere versehene Maggie gesehen hatte, abgöttisch geliebt hatte, hatte sich zwischen ihr und ihrer Tochter einfach keine Bindung einstellen wollen. In den allerersten Tagen hatte sie sich noch getraut, ihre Empfindungen ansatzweise ihrem Mann gegenüber zu offenbaren, doch der war der festen Überzeugung gewesen, dass sich das schon von ganz alleine ergeben würde, denn schließlich sei es unmöglich gewesen, dieses herzige Wesen nicht zu lieben. Für sie hatte sich der Sachverhalt ganz genau andersherum dargestellt. Wie war es überhaupt möglich, dieses schreiende, einem den Schlaf raubende, rund um die Uhr fordernde Wesen zu lieben. Von da an hatte es einen kleinen Bruch gegeben. Obwohl er jedes noch so dunkle Detail aus ihrer Vergangenheit gekannt hatte, war es ihr ein Rätsel gewesen, wie sie ihm hätte eingestehen sollen, dass sie Maggie dafür gehasst hatte, dass sie sie um ihre tadellose Figur gebracht hatte, dass sie tiefen Ekel empfunden hatte, wenn sie Maggies volle Windel gewechselt hatte oder dass sie in Maggie einen hässlichen glatzköpfigen Wurm gesehen hatte und nicht wie andere Mütter in ihren Kindern, das schönste Baby auf der Welt. Doch mit der Zeit war es Anne immer besser gelungen, einen angemessenen, mütterlichen Umgang mit ihrer Tochter zu pflegen. Ihr Mann hatte nicht nur seine geliebte Maggie auf Händen getragen, sondern auch sie, mehr denn je. Er hatte ihr jeden Tag mit Worten und Taten für dieses kostbare Geschenk gedankt, das sie ihm gemacht hatte. Er war wirklich glücklich gewesen und so hatte sie es trotz ihres kleinen Geheimnisses auch sein können. Nur sehr geringfügig hatte dieser Umstand ihr Glück zu trüben vermocht.

Doch nun war alles anders. Während Maggies Existenz in der Vergangenheit zwar dazu geführt hatte, dass ihr Mann sie noch mehr geliebt hatte, hatte sie auch dazu geführt, dass Anne immer das Gefühl gehabt hatte, irgendetwas sei nicht in Ordnung mit ihr. Und am Ende hatte Maggie die Schuld an seinem Tod getragen. Wäre sie nicht gewesen, wäre er heute noch am Leben!

Anne schaute durch die Fensterfläche auf ihre Tochter, die mittlerweile im Sandkasten spielte. Maggie war ihr Ebenbild, doch sonst hatte sie nichts mit ihr gemeinsam. Gerade dadurch führte Maggie Anne schmerzlich ihre eigene Unfähigkeit vor Augen. Denn mit ihren vier Jahren hatte sie es bereits viel besser gelernt als sie selbst, sich den veränderten Bedingungen anzupassen. Maggie sorgte in jeglicher Hinsicht dafür, dass sie zu ihren Rechten kam. Sie zog sich alleine an und versorgte sich selbst mit Essen und Trinken. Fast schon unheimlich fand sie es, als Maggie sie um neue Zahnpasta gebeten hatte, was dafürsprach, dass sie sich weiterhin regelmäßig die Zähne putzte, allein, denn Anne schaffte es häufig nicht mal mehr ihre eigenen Zähne zu putzen, weil sie entweder zu betrunken war oder es ihr einfach egal war. Und als wäre das nicht schon ungewöhnlich genug, stellte sie fest, dass Maggie nach dem Aufstehen ihr Bett machte, so gut sie das eben konnte. Sie fühlte sich fast schon ein bisschen provoziert und vorgeführt von ihrer Tochter, denn sie verzichtete längst auf das leidige Prozedere.

Sommer, Sonne, Strand und Er

Подняться наверх