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Einführung

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Die im Folgenden dokumentierte Leichenrede ist in einem der Dialoge Platons enthalten, dessen Echtheitscharakter nicht bestritten wird. Menexenos, nach dem dieser Dialog benannt ist und der hier als fiktiver Dialogpartner des Sokrates auftritt, ist wie Platon selbst ein Schüler des Sokrates. Im Lauf des Dialogs lässt Platon Sokrates – als zentrales Stück dieses Dialogs – die Leichenrede der Aspasia zitieren, einer äußerst bemerkenswerten Frau. Aspasia (ca. 470 bis 420 v. Chr.) stammte aus Milet und war die zweite Frau des Perikles, der die kulturelle Blütezeit Athens nach den Perserkriegen wesentlich prägte. Gelegentlich wird Aspasia als die Mätresse oder Hetäre des Perikles bezeichnet (so bereits bei Antisthenes von Athen). Dies ist einerseits Teil der üblen Nachrede, der Aspasia ausgesetzt war, andererseits dem attischen Recht geschuldet, das die Ehe zwischen einem Athener und einer Milesierin als Konkubinat betrachtete. Aspasia war von hoher philosophischer Bildung und hatte vermutlich enge Beziehungen zu Sokrates, Sophokles und Euripides. Platon nennt unter den Lehrern des Sokrates zwei Frauen: neben Diotima ist es eben jene Aspasia, von der Sokrates seine rhetorische Bildung erhalten haben soll. Die Athener unterstellten ihr einen starken Einfluss auf Perikles, und dies war wohl letztlich der Grund dafür, dass man sie der Gottlosigkeit und Kuppelei anklagte. Sie entkam nur knapp einer Verurteilung.

Die von Sokrates zitierte Rede der Aspasia ähnelt in Vielem der berühmten Gefallenenrede des Perikles, wie sie uns der griechische Geschichtsschreiber Thukydides überliefert hat. Im Menexenos wird dies damit erklärt, dass Aspasia die Rede des Perikles verfasst und in ihrer eigenen Rede „Übriggebliebenes“ daraus „zusammengekittet“ habe. Nach Meinung vieler ist die Leichenrede der Aspasia als Parodie aufzufassen. Der Text der Rede selbst bietet hierfür keinen Anhaltspunkt, sehr wohl jedoch der Kontext dieses platonische Dialogs, in dem Sokrates den Brauch von Leichenreden mit beißendem Spott bedenkt: „Es ist doch von gar vielen Seiten eine herrliche Sache, Menexenos, im Kriege zu bleiben. Denn ein schönes und prachtvolles Leichenbegängnis bekommt, wer auch als ein armer Mann gestorben ist, und gelobt wird ebenfalls, wer auch nichts taugt, und das von kunstreichen Männern, die nicht aufs Geratewohl loben, sondern schon lange vorher ihre Reden angeordnet haben, und die so vortrefflich loben, dass sie, was jeder an sich gehabt hat, und was auch nicht, ihm nachrühmend, mit dem herrlichen Schmuck der Worte verziert, unsere Seelen bezaubern […] ja, auch uns selbst preisen, die wir noch leben: so dass mir wenigstens, o Menexenos, ganz erhaben zumute ist, wenn ich von ihnen gerühmt werde, und ich stehe jedes Mal ganz versunken im Zuhören, bezaubert, meinend, ich sei zusehends größer und edler und trefflicher geworden […] Und dieses Selbstgefühl bleibt mir wohl länger als die drei Tage; so einsiedeln kann sich der Ton des Redners in den Ohren, dass ich mich kaum am vierten oder fünften Tage besinne und merke, wo in der Welt ich bin, so lange aber fast glaube, in der Seligen Inseln zu wohnen, so geschickt sind unsere Redner.“ (Platon, Menexenos, 226 – 227)

Die Leichenrede der Aspasia wurde zu keinem bestimmten Anlass gehalten, Sokrates bezeichnet sie im Dialog selbst als „Standrede“ vor dem Hintergrund, dass die Wahl eines Totenredners bevorstand. In den letzten Lebensjahren des Perikles befand sich Athen im Krieg mit Sparta (Pelopponesischer Krieg, 431 – 404).

Für die literarische Gattung der antiken Leichenrede insgesamt bedeutsam ist, wie Aspasia gleich zu Beginn den dreifachen Zweck der Rede benennt: Sie dient erstens dem ehrenden Gedächtnis der Toten, sie stellt diese als Vorbild hin und hat damit gleichzeitig den Charakter der Ermahnung, und schließlich soll sie den Hinterbliebenen zum Trost gereichen. Der folgende Aufbau der Rede entspricht dieser Disposition zu Beginn.

In der Aufzählung der konkreten Kriegshandlungen spannt die Rede einen weiten Bogen angefangen von den Kriegen aus mythischer Vorzeit über die Kriege mit den „Barbaren“, u.a. die Perserkriege, bis hin zu den innerhellenischen Konflikten. Einen auffallend breiten Raum nimmt innerhalb der Rede das Lob auf die athenische Verfassung ein. Perikles selbst, der seit 461 immer wieder zum Strategen gewählt wurde und die Politik bestimmte, hatte ja eine einschneidende Verfassungsreform unternommen. Der Areopag wurde dabei entmachtet, die Gerichtsbarkeit – außer im Falle von Mord und Gewalttat – dem Volk übertragen, die gesetzgebende Gewalt lag bei der Volksversammlung, die bis zu viermal im Jahr tagte. Der schon erwähnte antike Historiker Thukydides lässt Perikles selbst über diesen Geist der Demokratie sprechen: „Wir haben eine Verfassung, die, da sie auf die Mehrheit zugeschnitten ist, nicht auf wenige, Demokratie heißt. Allen kommt nach dem Gesetze in ihren privaten Angelegenheiten das Gleiche zu; das Ansehen jedes Einzelnen in der Öffentlichkeit bestimmt sich nicht so sehr von seiner Vermögensklasse her als vielmehr nach seiner Leistung, und keiner wird durch seine Armut gehindert, etwas für den Staat zu leisten. Freiheitlich leben wir im Staat, großzügig verkehren wir untereinander, und vor allem aus Scheu übertreten wir die Gesetze nicht, in Gehorsam gegenüber denen, die die Ämter bekleiden, und gegenüber den Gesetzen, geschriebenen wie ungeschriebenen …“ (zit. nach Krefeld, 26) Die „Isonomie“, die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz, wird auch in Aspasias Rede rühmend hervorgehoben. Ausgeblendet bleibt freilich dabei, dass diese Gleichheit vor dem Gesetz selbstverständlich nicht für die Sklaven galt und dass sich die in der Leichenrede gepriesene Tapferkeit der Gefallenen aus dem Blickwinkel der von Athen Beherrschten wohl weniger ruhmeswert ausnahm.

Die bedeutendsten Grabreden

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