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August 1

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Im Juli fuhr mein Vater alljährlich ins Bad und gab mich samt der Mutter und den älteren Brüdern den weißglühenden und betäubenden Sommertagen preis. Wir blätterten, verrückt vom Licht, in dem großen Ferienbuch, dessen Blätter sämtlich vor Hitze brannten und auf ihrem Grund den bis zur Ohnmacht süßen Matsch goldener Birnen hatten.

Adela kehrte im leuchtenden Glanz des Morgens zurück wie Pomona aus dem Feuer des glutentbrannten Tages und schüttete aus dem Körbchen die bunte Schönheit der Sonne — funkelnde Kirschen, voller Saft unter der durchsichtigen Haut, geheimnisvolle schwarze Weichsein, deren Duft alles übertraf, was ihr Geschmack erfüllte; Morellen, in deren goldenem Matsch das Mark langer Mittage war; und außer dieser reinen Poesie des Obstes lud sie vor Kraft und Nährwert strotzende Fleischlappen mit der Klaviatur von Kälberrippen aus, Gemüsealgen wie erschlagene Kopffüßler und Medusen — das Rohmaterial des Mittagessens, noch ungeformten und schalen Geschmacks — und vegetative und tellurische Zutaten des Mittagessens mit wildem Feldgeruch.

Durch die dunkle Wohnung im ersten Stock des steinernen Hauses am Ring ging jeden Tag der ganze große Sommer hindurch: die Stille zitternder Luftschichten, die glänzenden Sonnenquadrate mit ihren fanatischen Träumen auf dem Fußboden, die Melodie eines Leierkastens, aus der tiefsten goldenen Ader des Tages geholt, zwei, drei Takte eines Refrains, irgendwo auf einem Klavier gespielt, immer wieder von neuem, ohnmächtig zusammenbrechend in der Sonne auf den weißen Trottoiren, verloren im Feuer des tiefen Tages. Nach dem Aufräumen ließ Adela Schatten in die Zimmer, indem sie die leinenen Jalousien herabließ. Dann fielen die Farben um eine Oktave, das Zimmer füllte sich mit Schatten, wie versenkt in das Licht der Meerestiefe, noch trüber zurückgeworfen von den grünen Spiegeln — und die volle Glut des Tages atmete schwer auf den Jalousien, die von den Träumen der Mittagsstunde leise wogten.

An den Samstagnachmittagen ging ich mit der Mutter spazieren. Aus dem Halbdunkel des Flurs traten wir mit einem Schritt in das Sonnenbad des Tages. Die Vorübergehenden, im Golde watend, hatten die Augen vor Hitze halb geschlossen, wie mit Honig verklebt, und die hochgezogenen Oberlippen enthüllten Zahnfleisch und Zähne. Und alle, die in diesem goldenen Tag wateten, zeigten die Grimasse der Gluthitze, als ob die Sonne allen ihren gläubigen Bekennern ein und dieselbe Maske aufgesetzt hätte — die goldene Maske der Sonnenbruderschaft; und alle, die heute auf den Straßen gingen, einander begegneten und auswichen, Alte und Junge, Kinder und Frauen, grüßten sich im Vorübergehen in dieser Maske, die ihnen mit dicker, goldener Farbe aufs Gesicht gemalt war, grinsten in dieser bacchantischen Grimasse — der barbarischen Maske eines heidnischen Kultes.

Der Ring war leer und gelb von der Glut, staubgekehrt von heißen Winden gleich der biblischen Wüste. Stachelige Akazien, emporgewachsen aus der Leere des gelben Platzes, brodelten über ihm mit ihrem hellen Laub, Bukette edelgegliederter grüner Filigrane, wie Bäume auf alten Gobelins. Es schien, als affektierten diese Bäume den Wind, indem sie theatralisch ihre Kronen schüttelten, um in pathetischen Biegungen und Beugungen die Vornehmheit der Blattfächer mit ihren silbernen Unterleibern wie das Futter edler Fuchspelze zu zeigen. Die alten Häuser, poliert vom Wind vieler Tage, vergnügten sich mit Reflexen der großen Atmosphäre, Echospielen, Erinnerungen an Farben, die verstreut in der Tiefe der bunten Aura saßen. Es schien, als wären ganze Generationen Sommertage (wie geduldige Stukkatoren, die alte Fassaden aus dem Schimmel der Tünche klopfen) dabei, die verlogene Glasur abzuschlagen, von Tag zu Tag deutlicher die wahren Gesichter der Häuser, die Physiognomie ihrer Schicksale und ihres Lebens herauszuarbeiten, welche sie von innen geformt hatten. Jetzt schliefen die Fenster, geblendet vom Glanz des leeren Platzes; die Balkone bekannten dem Himmel ihre Leere; die offenen Flure rochen nach Kühle und Wein.

Ein Häuflein zerlumpter Kerle hatte sich in einen Winkel des Rings vor dem flammenden Besen der Sonnenglut in Sicherheit gebracht, belagerte ein Stücklein Mauer und suchte es stets von neuem mit Würfen von Knöpfen und Münzen heim, als ob man aus dem Horoskop dieser metallenen Scheibchen das wahre Geheimnis der Mauer ablesen könnte, die mit Hieroglyphen von Strichen und Rissen bemalt war. Der übrige Ring war leer. Man erwartete, daß vor jenem Ladenflur mit den Fässern des Weinhändlers im Schatten der schwankenden Akazien gleich das Eselchen des Samariters, am Zügel geführt, auftauchen würde und zwei Knechte sorgsam den kranken Mann aus dem glühendheißen Sattel heben würden, um ihn über die kühle Treppe vorsichtig in das nach Sabbat duftende Stockwerk zu tragen.

So wanderten wir mit der Mutter über die zwei Sonnenseiten des Rings und führten unsere geknickten Schatten über alle Häuser wie über Klaviertasten. Die Quadrate des Pflasters zogen langsam unter unseren weichen und flachen Schritten dahin — die einen blaßrosa wie die menschliche Haut, die anderen gelb und blau, alle flach, warm, samten in der Sonne wie Sonnengesichter, von Fußtritten bis zur Unkenntlichkeit, bis zur glückseligen Nichtigkeit zerstampft.

Bis wir schließlich an der Ecke der Stryjer Straße in den Schatten der Apotheke traten. Der große Glasballon mit Himbeersaft im breiten Apothekenfenster symbolisierte die Kühle der Balsame, mit denen jedes Leiden gelindert werden konnte. Und noch ein paar Häuser weiter vermochte die Straße nicht mehr das Dekorum der Stadt zu wahren — wie ein Bauer, der in sein Heimatdorf zurückkehrt, sich unterwegs seiner städtischen Eleganz entledigt und sich langsam, im gleichen Maß, wie er sich dem Dorf nähert, wieder in einen zerlumpten Kerl verwandelt.

Die Vorstadthäuschen schwammen zugleich mit den Fenstern versunken im üppigen und verworrenen Blühen der kleinen Gärtchen. Vergessen über dem großen Tag wucherten üppig und still allerhand Grünzeug, Blüten und Unkraut, froh der Pause, die sie hinter den Rändern der Zeit, auf den Rückseiten des unvollendeten Tages verträumen konnten. Eine riesige Sonnenblume, aufgepflanzt auf einem mächtigen Stengel und gleichsam an Elephantiasis erkrankt, harrte in gelber Klage der letzten, traurigen Tage ihres Lebens und beugte sich unter der Wucht ihrer scheußlichen Korpulenz. Doch die naiven Vorstadtglöcklein und anspruchslosen Perkalblümchen standen ratlos in ihren gestärkten rosa und weißen Hemdchen da und hatten kein Verständnis für die große Tragik der Sonnenblume.

Die Zimtläden

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