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Mein Vater verfiel allmählich, welkte in den Augen.

Zusammengekauert unter den großen Kissen, mit wild gesträubten grauen Haarbüscheln, redete er halblaut mit sich selber, ganz versunken in irgendwelche verworrenen inneren Affären. Man konnte meinen, daß seine Persönlichkeit in viele miteinander entzweite und auseinanderlaufende Ich zerfallen war, denn er zankte laut mit sich selber, verhandelte angestrengt und leidenschaftlich, überzeugte und bat und schien dann wieder einer Versammlung vieler Interessenten vorzusitzen, die er mit dem ganzen Vorrat seiner Inbrunst und Überredungskunst miteinander zu versöhnen trachtete. Doch jedesmal zerbarsten diese lärmenden Versammlungen, voll von heißen Temperamenten, am Ende unter Flüchen, Verwünschungen und Schimpfworten.

Dann folgte eine Zeitspanne der Beruhigung, der inneren Besänftigung und des glücklichen Seelenwetters.

Abermals wurden große Folianten auf dem Bett, auf dem Tisch und auf dem Fußboden ausgebreitet, und ein schier benediktinischer Arbeitsfriede lag im Schein der Lampe über dem weißen Bettzeug des Lagers und über dem geneigten grauen Kopf meines Vaters.

Wenn aber die Mutter am späten Abend aus dem Laden heraufkam, wurde mein Vater lebendig, rief sie zu sich heran und zeigte ihr stolz die glänzenden, bunten Abziehbilder, mit denen er emsig die Seiten des Hauptbuchs beklebt hatte.

Wir merkten damals schon alle, daß der Vater von Tag zu Tag kleiner wurde, wie eine Nuß, die in ihrer Schale eintrocknet.

Diesem Schwund gesellte sich aber nicht der geringste Verfall der Kräfte bei. Im Gegenteil, sein Gesundheitszustand, der Humor und die Regsamkeit schienen sich zu bessern.

Er lachte jetzt oft laut und zwitschernd, hüpfte geradezu vor Lachen oder klopfte auch ans Bett und antwortete sich selber »Herein!« — in verschiedenen Stimmlagen, stundenlang. Von Zeit zu Zeit kroch er aus dem Bett, kletterte auf den Schrank hinauf und kramte, unter der Zimmerdecke zusammengekauert, in allerhand altem Plunder voller Rost und Staub.

Manchmal stellte er auch zwei Sessel gegeneinander, stemmte sich mit den Händen an den Lehnen hoch, ließ die Beine vor- und zurückbaumeln und suchte mit strahlenden Augen in unseren Gesichtern nach dem Ausdruck der Bewunderung und Anfeuerung. Mit Gott hatte er sich anscheinend völlig ausgesöhnt. Manchmal zeigte sich des Nachts das Gesicht des bärtigen Demiurgen im Fenster des Schlafzimmers, vom dunklen Purpur bengalischen Feuers umflossen, und betrachtete ein Weilchen leutselig den in tiefen Schlaf versunkenen Vater, dessen harmonisches Schnarchen weit über unbekannte Gefilde der Traumwelten zu wandern schien.

Während der langen, halbdunklen Nachmittage dieses Spätwinters geriet mein Vater von Zeit zu Zeit für ganze Stunden in die dicht mit allerhand Plunder vollgestopften Winkel, wo er verbissen nach etwas suchte.

Und nicht nur einmal fehlte beim Mittagessen, wenn wir uns schon alle zu Tisch gesetzt hatten, der Vater. Dann mußte die Mutter lange »Jakub!« rufen und mit dem Löffel auf den Tisch schlagen, ehe er aus irgendeinem Schrank herauskroch, von oben bis unten mit Spinnweben und Staub verklebt, mit einem geistesabwesenden Gesicht, in verworrene und nur ihm bekannte, fesselnde Dinge vertieft.

Mitunter kletterte er auf die Vorhangstangen und nahm eine regungslose Pose ein, einem großen, ausgestopften Geier gegenüber, der auf der anderen Seite des Fensters an der Wand aufgehängt war. In dieser regungslosen, zusammengekauerten Pose verharrte er mit vernebeltem Blick und schlau lächelndem Gesicht stundenlang, um plötzlich, wenn jemand hereinkam, mit den Armen wie mit Flügeln zu schlagen und wie ein Hahn zu krähen.

Wir hörten auf, diesen Absonderlichkeiten Beachtung zu schenken, in die er sich von Tag zu Tag tiefer verstrickte. Gleichsam aller körperlichen Bedürfnisse entledigt, wochenlang keine Nahrung zu sich nehmend, versenkte er sich mit jedem Tag tiefer in verworrene und absonderliche Affären, für die wir kein Verständnis hatten. Unzugänglich für unsere Vorstellungen und Bitten, antwortete er mit Bruchstücken seines inneren Monologs, dessen Verlauf nichts von außen her zu ändern vermochte. Ewig geschäftig, krankhaft lebendig, mit hektischer Röte auf den dürren Wangen, bemerkte er uns nicht und übersah uns.

Wir gewöhnten uns an seine unschädliche Gegenwart, an sein leises Murmeln, an dieses kindische, in sich versunkene Zwitschern, dessen Triller gleichsam am Rand unserer Zeit vorbeihuschten. Schon damals verschwand er manchmal für viele Tage, versteckte sich irgendwo in den entlegenen Schlupfwinkeln der Wohnung, und man konnte ihn nicht finden.

Allmählich hörte dieses Verschwinden auf, Eindruck auf uns zu machen, wir gewöhnten uns daran, und wenn er nach vielen Tagen um einige Zoll kleiner und magerer wieder erschien, so fesselte dies unsere Aufmerksamkeit nicht lange. Wir hatten eben aufgehört, ihn in die Rechnung mit einzubeziehen, so sehr hatte er sich von allem, was menschlich und was wirklich ist, entfernt. Knoten für Knoten löste er sich von uns, Punkt für Punkt verlor er die Bindungen, die ihn mit der menschlichen Gemeinschaft verbanden.

Das, was von ihm noch übrigblieb, das bißchen sterbliche Hülle und die Handvoll sinnloser Absonderlichkeiten — das konnte eines Tages verschwinden, ebenso unbemerkt wie das graue Häuflein Kehricht, das sich in der Ecke ansammelte und von Adela täglich auf den Komposthaufen hinausgetragen wurde.

Die Zimtläden

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