Читать книгу Die Zimtläden - Bruno Schulz - Страница 6

3

Оглавление

In einem dieser Häuschen, mit bronzefarbenen Staketen umgeben und schwimmend im üppigen Grün ihrer Gärtchen, wohnte die Tante Agata. Wenn wir zu ihr gingen, mußten wir im Garten an rot, grün und violett auf Stangen steckenden Glaskugeln vorbei, in denen ganze glänzende und lichte Welten verzaubert waren, wie jene idealen und glücklichen Bilder, die in unerreichbarer Vollendung in Seifenblasen gesperrt sind.

In dem halbdunklen Flur mit seinen alten Öldrucken, vom Schimmel zerfressen und erblindet vor Alter, fanden wir den uns bekannten Geruch. In diesem vertrauten alten Geruch hatte sich in wunderbar einfacher Synthese das Leben dieser Leute niedergeschlagen als Destillat einer Rasse, Eigenheit eines Blutes und Absonderung eines Schicksals, das unmerklich im täglichen Vergehen ihrer eigenen, abgesonderten Zeit beschlossen lag. Die alte blaue Tür, deren dunkle Seufzer diese Menschen einließen und hinausließen, schweigsamer Zeuge des Kommens und Gehens der Mutter, der Töchter und Söhne, öffnete sich lautlos wie der Flügel eines Schranks, und wir betraten die Stube. Sie saßen wie im Schatten ihres Schicksals da und wehrten sich nicht — mit den ersten wortlosen Gesten verrieten sie uns ihr Geheimnis. Waren wir nicht durch Blut und Schicksal verwandt mit ihnen?

Das Zimmer war dunkel und samten von den granatfarbenen Tapeten mit den goldenen Mustern, doch ein Echo des flammenden Tages zuckte auch hier noch durch das Messing auf den Bilderrahmen, auf den Türklinken und in den Goldleisten, wenn auch gesiebt durch das dichte Grün des Gartens. Von ihrem Sitz an der Wand erhob sich Tante Agata, groß und üppig, voll runden und weißen Fleisches, das vom roten Rost der Sommersprossen bekleckst war. Wir setzten uns zu ihnen wie an das Ufer ihres Schicksals, ein wenig beschämt durch die Wehrlosigkeit, mit welcher sie ohne Vorbehalt sich uns auslieferten, und tranken Wasser mit Rosensaft, ein wunderbares Getränk, in dem wir sozusagen die tiefste Essenz dieses glühenden Samstags fanden.

Die Tante jammerte. Das war der grundsätzliche Ton ihrer Unterhaltung, die Stimme dieses weißen und fruchtbaren Fleisches, das gleichsam schon außerhalb ihrer Persönlichkeit schäumte, kaum lose in Spannung, in den Fesseln einer individuellen Form gehalten, und selbst schon in dieser Spannung vervielfältigt und bereit zu zerfallen, sich zu verästeln und in der Familie aufzulösen. Es war eine schier selbstgebärende Fruchtbarkeit, eine Weiblichkeit ledig aller Zügel und Hemmungen und krankhaft wuchernd.

Es schien, als ob schon das Aroma der Männlichkeit, der Duft des Tabakrauches oder ein Herrenwitz dieser entflammten Weiblichkeit den Impuls zu wollüstiger Jungfernzeugung geben könnte. Und eigentlich waren alle ihre Klagen über den Mann und über die Dienstboten und ihre Sorgen um die Kinder nur Laune und Schmollen einer unbefriedigten Fruchtbarkeit, eine Fortsetzung dieser barschen, zornigen und weinerlichen Koketterie, mit der sie vergeblich ihren Mann heimsuchte. Onkel Marek, klein, bucklig, mit einem sterilen, geschlechtslosen Gesicht, saß da in seinem grauen Bankrott, ausgesöhnt mit dem Schicksal, im Schatten grenzenloser Verachtung, in dem er auszuruhen schien. In seinen grauen Augen glomm die ferne Glut des Gartens, der sich vor den Fenstern entfaltete. Von Zeit zu Zeit versuchte er mit einer schwachen Bewegung irgendwelche Vorbehalte zu machen und Widerstand zu leisten, aber die Woge selbstherrlicher Weiblichkeit stieß solche Gesten als bedeutungslos beiseite, ging triumphierend an ihm vorbei und übergoß mit ihrer breiten Strömung die schwachen Zuckungen der Männlichkeit.

Es war etwas Tragisches an dieser unsauberen und maßlosen Fruchtbarkeit, es war die Not der kämpfenden Kreatur am Rande des Nichts und des Todes, es war eine Art Heroismus der Weiblichkeit, die vor Gebärfreudigkeit sogar über die Krüppelhaftigkeit der Natur und über die Unzulänglichkeit des Mannes triumphierte. Doch die Nachkommenschaft bewies das Recht dieser Mütterlichkeitspanik, dieser Gebärwut, die sich in mißlungenen Geschöpfen und in einer ephemeren Generation von Phantomen ohne Blut und Gesicht erschöpfte.

Herein kam Lucja, die mittlere Tochter, mit einem allzu aufgeblühten und überreifen Kopf auf dem kindlichen und lockeren Körper aus weißem und delikatem Fleisch. Sie reichte mir ihr puppenhaftes, gleichsam jetzt erst knospendes Händchen und blühte auf einmal mit dem ganzen Gesicht auf wie eine vor rosiger Fülle überlaufende Pfingstrose. Unglücklich wegen ihres Errötens, das schamlos von den Geheimnissen der Menstruation erzählte, schlug sie die Augen nieder und entflammte noch heftiger unter der Berührung gleichgültigster Fragen, als ob jede eine heimliche Anspielung auf ihre überempfindliche Jungfräulichkeit enthielte.

Emil, der älteste meiner Cousins, mit einem hellblonden Bart und einem Gesicht, von welchem das Leben gleichsam jeden Ausdruck abgewaschen hatte, spazierte im Zimmer auf und ab, die Hände in den Taschen der faltigen Hosen.

Sein eleganter und wertvoller Anzug trug das Brandmal der exotischen Länder an sich, aus denen er zurückgekehrt war. Sein Gesicht, welk und fahl, schien von einem Tag zum anderen sich selbst zu vergessen und eine weiße, leere Wand mit einem blassen Netz von Äderchen zu werden, auf denen, wie Linien auf einer verwaschenen Landkarte, erlöschende Erinnerungen an ein stürmisches und vergeudetes Leben umherirrten. Er war ein Meister der Kartenkünste, rauchte lange, edle Pfeifen und duftete wunderbar nach fremden Ländern. Mit einem Blick, der über weite Erinnerungsfelder wanderte, erzählte er wunderliche Anekdoten, die an einem bestimmten Punkt plötzlich abrissen, in ein Nichts zersprangen und sich auflösten.

Ich folgte ihm mit sehnsüchtigen Blicken und dürstete danach, seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken und mich aus dieser Pein der Langweile zu erlösen. Und tatsächlich, es kam mir vor, als ob er mir zuzwinkerte, als er ins andere Zimmer ging. Ich schlich ihm nach. Er saß tief in einem kleinen Sofa, die Knie fast in der Höhe des Kopfes gekreuzt, der kahl wie eine Billardkugel war. Es schien, als ob sein Anzug allein — faltig, verknittert, hingeworfen — über dem Fauteuil hinge. Sein Gesicht war wie der Schemen eines Gesichts, ein Streifen, den ein unbekannter Passant in der Luft zurückgelassen hatte. In den blassen, bläulich emaillierten Händen hielt er eine Brieftasche, in der er etwas betrachtete.

Aus dem Nebel des Gesichts rang sich mühsam das vorquellende Weiße des blassen Auges ans Licht und lockte mich schelmisch zwinkernd zu sich heran. Ich empfand eine unwiderstehliche Sympathie für ihn. Er nahm mich zwischen die Knie, mischte vor meinen Augen mit geübter Hand Photographien und zeigte mir Darstellungen nackter Frauen und Burschen in seltsamen Stellungen. Ich stand, seitlich auf ihn gestützt, da und betrachtete diese delikaten Menschenleiber mit fernen, nichtssehenden Augen, als das Fluidum einer unklaren Erregung, welches plötzlich die Luft trübte, zu mir gelangte und mich als unruhiges Staunen, als Woge plötzlichen Verstehens überlief. Doch mittlerweile war der Hauch des Lächelns, das sich unter seinem weichen und schönen Bart abzeichnete, der Keim der Begierde, der sich auf seinen Schläfen mit einer pulsierenden Ader emporrankte, die Spannung, die seine Züge ein Weilchen in gesammelter Andacht verharren ließ, schon wieder in das Nichts versunken und hatte sich sein Gesicht in Abwesenheit verkehrt, selbstvergessen und aufgelöst.

Die Zimtläden

Подняться наверх