Читать книгу Im tiefsten Dunkel - Kriminalroman - Burkhard Ziebolz - Страница 8

4. Kapitel

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Abschrift des Tonbandprotokolls der Einvernahme Commissario Trussardi, Novo Ligure, 14. Mai 1992, in Erwiderung auf das gegen ihn angestrengte Verfahren wegen Verletzung der Dienstpflichten.

T: Der Verdächtige legte den Hörer auf. Ich stand sehr dicht neben ihm und hätte es gehört, wenn der Anrufer gesprochen hätte. Tatsache ist, dass dies nicht der Fall war. Allerdings könnte schon der Anruf als solcher eine Warnung gewesen sein. Wir vermuten, die Taten wurden von mindestens zwei Personen ausgeführt, so hätte gut der Komplize am Telefon sein können.

A: Das wissen Sie aber nicht. Was machte der Mann denn allgemein für einen Eindruck auf Sie?

T: Der Verdächtige wirkte die ganze Zeit über keineswegs so schlaftrunken, wie es die späte Stunde nahegelegt hätte. Er schien hellwach und hatte seine Sinne beisammen. Auf meine Frage nach der Identität des Anrufers antwortete er: »Ich weiß es nicht.« Dabei wirkte er aber so, als hätte er zumindest eine Ahnung. Comina fand dann den Ohrring. Er sah eindeutig so aus wie der andere, den wir im Falle Elsa Trevi bei der Leiche gefunden hatten. Comina zeigte ihn mir, indem er das Schmuckstück mit seinem Körper gegen die Blicke des Verdächtigen abschirmte.

A: Guter Mann, der Comina. Der Verdächtige konnte den Schmuck also nicht sehen?

T: So dachte ich zunächst. Wenn ich mich allerdings jetzt darauf besinne, dann hätte er es vielleicht doch gekonnt. Wie schon gesagt, stand ich dicht bei der großen Fensterscheibe. Ich denke, dort hätte sich der Schmuck spiegeln können. Wie auch immer – ich wies Comina und Benelli an, weiterzusuchen. Den Verdächtigen forderte ich auf, sich anzukleiden. Er kam der Aufforderung nach, erhob sich und suchte einige Kleidungsstücke im Zimmer zusammen. Dann bat er mich, sich im Badezimmer umkleiden zu dürfen. Ich gestattete dies unter der Voraussetzung, dass die Tür dabei offen bliebe. (handschriftliche Anmerkung am Rande der Akte: Widerspruch zu Aussage Benelli vom 13. Mai 1992).

A: Sie hatten den Mann also die ganze Zeit über im Blickfeld? T: Anfangs schon. Dann aber nahm die weitere Suche meiner Mitarbeiter einen Teil meiner Aufmerksamkeit in Anspruch. Er war zu diesem Zeitpunkt schon vollständig angezogen und packte gerade einige Toilettensachen ein. Ich war, wie gesagt, einen Moment lang abgelenkt – genau da fiel die Tür zu. Ich reagierte sofort, sprang hinzu und versuchte sie wieder zu öffnen. Benelli und Comino unterstützten mich dabei. Der Riegel hielt allerdings, und wir konnten nichts ausrichten.

A: (unverständlich).

T: Wie? Natürlich. Ich erkundigte mich sofort beim Portier, ob das Bad ein Fenster hatte und wohin es ging. Er gab an, dass es zum Garten hinausging. Ich schickte Benelli sofort nach unten, damit er unter dem Fenster Posten beziehen konnte. (handschriftliche Anmerkung am Rande der Akte: ebenfalls Widerspruch zu Aussage Bennelli) Allerdings war ich wegen der Lage des Zimmers im zweiten Stock und der Tatsache, dass die Etagen Altbauhöhe hatten, beinahe sicher, dass hier eine Flucht nicht möglich war.

A: Was offenbar ein Trugschluss war.

T: Das muss ich leider einräumen. Als Benelli unten ankam, war der Verdächtige schon fort. Er hatte einen neben dem Haus stehenden Baum als Fluchtweg nach unten genutzt. An diese Möglichkeit hatte ich nicht gedacht.

A: (unverständlich)

T: Ja, leider. Die weitere Durchsuchung des Zimmers am folgenden Morgen ergab, dass es ihm gelungen war, sein ganzes Geld und die Personalpapiere mitzunehmen. Unsere umgehend eingeleitete Fahndung hatte keinen Erfolg, er war offenbar innerhalb sehr kurzer Zeit sehr weit gekommen.

Anm. des Protokollanten: Weitere Ausführungen s. Einvernahme Trussardi zum Verlust seines Dienstfahrzeuges, Novo Ligure, 22.Mai 1992

Nach seinem Stadtspaziergang war Liam Coubert in den Turm zurückgekehrt. Nach dem ganzen Durcheinander und den Ungereimtheiten hatte er das Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit entwickelt, und wenn es einen Platz gab, wo er beides bekam, dann war das seine kleine Wohnung im Wasserturm, mitten in der Innenstadt und doch ganz weit von ihr entfernt.

All das Seltsame der letzten Stunden – das Foto und wie es seinen Weg zu ihm gefunden hatte, der Anruf von Kringel, dem Auktionator, er selber, Coubert, mit der Frau des Mannes mit den grauen Haaren – war rätselhaft und aus seiner Sicht nicht zu erklären. Er war nicht geneigt, es für Zufall oder eine Aneinanderreihung seltsamer Ereignisse zu halten. Im Gegenteil, er wollte der Sache auf den Grund gehen. Irgendwer hatte gewollt, dass er das Foto bekam, und diesen jemand musste er finden. Vielleicht fand sich in dem Buch noch irgendwo ein Hinweis.

Er öffnete die Metalltür. Er besaß einen von insgesamt drei Schlüsseln zum Turm, die anderen beiden lagen sicher verwahrt bei der zuständigen Dienststelle der Stadtverwaltung. Langsam kletterte er die vielen Stufen der Treppe hinauf, betrat die Wohnung und sah sich um.

Er besaß nur wenige Möbel, und sie waren ein Sammelsurium origineller, neuer und alter, teilweise antiker Stücke. Nichts passte richtig zum anderen. Dennoch ergänzten sich alle Komponenten, keine wollte der anderen die Schau stehlen.

Das Buch lag noch da, wo er es hatte liegen lassen, auf einem Nähtischchen des späten neunzehnten Jahrhunderts, das er für wenig Geld einem Antiquitätenhändler aus Ludwigshafen abgerungen hatte. Coubert schlug das Buch auf. Seite für Seite blätterte er sich vorwärts. Die Handschrift war klein und akribisch und einigermaßen gut zu lesen. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass der Text von einer Frau geschrieben worden war, ohne dass er dieses Gefühl hätte begründen können. Er las quer, die Jahre in der Legion hatten ihn eine schnelle Auffassung des Französischen gelehrt. Je mehr er las, umso mehr nahm ihn der Text gefangen. Er begann, genauer zu lesen, nicht mehr nur oberflächlich. Dann las er Wort für Wort, Silbe für Silbe, und eine neue Art Aufregung nahm ihn gefangen und lenkte ihn etwas ab von der anderen, persönlichen, die das Foto initiiert hatte.

Die Namen aus dem Grafen von Monte Christo tauchten in anderen Zusammenhängen auf als im Original von Alexandre Dumas. Auch die Schauplätze waren andere, teilweise tauchten italienische Ortsnamen auf, und mit Fortschreiten der Geschichte auch immer mehr deutsche und elsässische. Es las sich wie etwas, das vielleicht die Quelle für den Grafen hätte sein können, oder wie eine Variation des Stoffes, die später entstanden war.

Thema con variazioni.

Nach einer Weile stieß er auf eine Bleistiftanmerkung im Text. Die Stelle war eine Ortsbeschreibung, ein kleines Dorf in der Pfalz, irgendwo zwischen Mannheim und Straßburg. Der Ortsname war nicht genannt. Das war seltsam, denn eigentlich hätte das doch die Kerninformation sein sollen, die Basis. Coubert hatte den Eindruck, der Autor würde den Namen der Ortschaft ganz bewusst umgehen, so wie ein später Wanderer den Ort eines grauenhaften Verbrechens meiden würde. Die Beschreibung war mit einem Stern markiert, fünfzackig in der Art eines Pentagramms. Er erinnerte sich, blätterte schnell ans Ende des Buches. Dort, wo das Bild eingeklebt gewesen war, war ein Zwilling des Sterns aufgemalt. Coubert hatte es wegen der Aufregung mit dem Foto fast vergessen.

Wenn wirklich hinter all dem ein Sinn lag, war das ein Hinweis. Er sagte ihm zumindest, dass das Bild und die Textstelle miteinander zu tun hatten. Vielleicht gäbe es an dem bezeichneten Ort etwas, das ihn weiterbrachte.

Im besten Fall bezeichnete die Textstelle den Ort, an dem das Bild gemacht worden war.

Der Geruch. Wenn nur der Geruch nicht wäre. Mit den Bildern kam sie zurecht, in all den Jahren hatte sie sich an Blut, Mageninhalt und Hirn gewöhnt. Aber der Geruch störte Susanne Findeisen immer noch. Es waren Lösungsmittel, Desinfektionsflüssigkeiten, und darunter, gut verdeckt aber immer vorhanden, meinte sie noch etwas anderes, etwas Süßliches wahrnehmen zu können. Es drang ihr in die Nase und erinnerte sie daran, dass sie vom Tod umgeben war.

Jochen Saalfelder war klein und dick und hatte eine Glatze, in der sich das Deckenlicht spiegelte, und die von einem Kranz aus starken, schwarzen Haaren gesäumt war. Der Kontrast war wegen seiner hellen Haut sehr stark. Die Haare standen senkrecht auf der Kopfhaut wie die Borsten eines Igels. Mit seiner runden Metallbrille und den leichten Hängebacken erinnerte er entfernt an Heinrich Himmler.

Dazu passten sein forsches Auftreten und seine laute, bellende Stimme. Susanne Findeisen war nie richtig klar geworden, mit wem sie es da wirklich zu tun hatte. Weder sie noch irgendjemand aus dem Kollegenkreis war jemals zu dem privaten Saalfelder durchgedrungen. Man wusste lediglich, dass er verheiratet und kinderlos war, dann endete die allgemeine Saalfelder-Kenntnis.

»Freut mich, Sie wieder einmal hier zu haben, Frau Hauptkommissarin.« Sein Auftreten entsprach der alten Schule und war über jede Kritik erhaben.

»Freut mich ebenfalls, lieber Doktor. Obwohl der Anlass ja wie immer ein sehr trauriger ist.«

Er schüttelte bekümmert den Kopf. »Ja, ja. Wie immer, wenn ich einen so jungen Menschen sehe, bin ich besonders erschüttert. Daran werde ich mich niemals gewöhnen.« Mit sachlichem Gestus wies er auf eine der blankmetallenen Pritschen im Rückraum des großen, weiß gekachelten Saals. »Wollen wir?« Auf ihre nickende Zustimmung zog er mit einem Ruck das weiße Laken ab.

Findeisen betrachtete die Tote. Was immer sie im Leben gewesen war, wie attraktiv, wie stark sie gefunkelt haben mochte in ihrem Umfeld – der Tod hatte sie zu einem Gegenstand degradiert. Sie wirkte-klein und mager, und ihre Haut war fast so weiß wie das Laken, unter dem sie gelegen hatte. Die Polizistin sah die Schnitte, wo Saalfelder aktiv gewesen war. Sie sah die Stummel der Handgelenke, nun blutleer. Jemand hatte die abgetrennten Hände direkt daneben gelegt, mit etwas Abstand, aber in etwa an die Stelle, an der man sie erwartet hätte.

»Kein leichter Tod.«

Saalfelder zuckte kühl mit den Achseln. »Nicht viel schlimmer als das, was wir sonst hier so haben. Die Hände wurden mit einer scharfen Klinge abgetrennt, Schwert, Säbel, Machete – was genau, ist uns noch unklar. Sie ist dann eine ganze Strecke gelaufen, das wissen Sie ja schon. Schließlich wurde sie zu schwach und brach dort zusammen, wo sie gefunden wurde. Es liegen keine Anzeichen für ein Sexualdelikt vor, Vagina, Mund, After, alles tiptop, ohne entsprechende Spuren.«

»Gibt es Fesselspuren?«

»An Händen und Füßen.«

Findeisen tippte sich mit dem Fingernagel an die Schneidezähne. Sie tat das oft, wenn sie nachdachte. »Sie wurde also in den Waldpark gebracht, dort hackte man ihr die Hände ab, dann ließ man sie in den Tod laufen.«

Saalfelder blinzelte sie durch seine dicken Brillengläser an. »In den Tod laufen. Sehr poetisch ausgedrückt. So muss es gewesen sein.«

Eine Weile standen sie da und sahen die Tote an. Ein junges Mädchen, hübsches Gesicht, gute Figur. Sicher gab es Freunde und viele Männer, die sie bewundert hatten und gerne kennen gelernt hätten. Freundinnen, die nicht so gut aussahen und sie beneideten. Eltern, die stolz auf sie waren. Man hatte sie wahrgenommen, sie hatte einen Platz im Leben vieler Menschen gehabt.

Jetzt war sie fort.

Saalfelder nahm die Brille ab und begann, sie akribisch mit einem Taschentuch zu putzen. Sie war nicht schmutzig oder verschmiert gewesen. »Da ist noch etwas. Vor ihrem Tod hat sie noch eine komplette Mahlzeit zu sich genommen. Irgendwas mit Krabben, Chateaubriand, Mousse au Chocolat als Dessert. Das Ganze mit Rotwein und Cognac am Ende. Offenbar in einem der besseren Lokale der Region, wenn ich die Qualität anhand des Magen- und Darminhalts richtig beurteilt habe.«

»Wie lange vor ihrem Tod war das?«

»Etwa zwölf Stunden.«

»Das hilft uns nicht. In zwölf Stunden kommt man sehr weit.«

Saalfelder schob die Brille wieder an ihren Platz. »Der Körper wies eine Reihe von Abschürfungen auf, die mit rotem Lehm verunreinigt waren. Die Wunden waren alle sehr oberflächlich, zumeist an Armen, Beinen und Hüften.«

»Kampfspuren?«

»Nein, dazu sind sie nicht tief genug. Es ist, als sei sie wiederholt an etwas gestoßen oder gestoßen worden, das mit rotem Lehm bedeckt war. Der Kraftaufwand dabei war eher gering. Ich kann mir das im Moment noch nicht erklären.«

Findeisen überlegte. Nirgendwo im Waldpark – soweit sie es wusste – gab es roten Lehm.

Saalfelder räusperte sich. »Ach ja, wir konnten auch ein Schlafmittel im Magen nachweisen. Offenbar wollte der Täter sich nicht allein auf die Wirkung des Weines verlassen. Wie stark es bei ihr wirklich gewirkt hat, werden die weiteren Untersuchungen ergeben.«

Findeisen hatte sich die Frage »Wer macht so was?« schon lange abgewöhnt. Es gab immer jemanden, der es machte, und die Gründe waren selten nachvollziehbar. Menschen, die Mord als Lösung für ein Problem sehen konnten, hatten sich zwar von der allgemein gültigen Moral sehr weit entfernt, handelten aber nach einer bestimmten Logik: Ich töte jemanden, und dann passiert dieses und jenes (oder es passiert eben nicht), das mir zum Vorteil gereicht. Das war noch leicht. Sie seufzte. Der neue Fall sprach aber eine andere Sprache. Das war keine bloße Beseitigung gewesen, dazu waren die Umstände zu bizarr. Sie konnte sich vage vorstellen, was in dem jungen Mädchen vorgegangen sein musste, während sie schon ohne Hände vor ihrem Peiniger davonlief. Angst und Panik, das Bewusstsein, irreparabel verletzt zu sein, der furchtbare Schmerz, das langsame Versagen der Kräfte, der Sturz – das Bewusstsein, dass ihr Blut und damit ihre Lebenszeit im Waldboden versickerten.

Das Bewusstsein, zu sterben.

»Wie lange kann es gedauert haben?«

»Nur ein paar Minuten. Sie wurde ohnmächtig und stürzte, und dann war es auch schon vorbei.«

»Kann es ein Täter gewesen sein, oder müssen wir von mehreren ausgehen?«

Saalfelder rollte kurz die Augen nach oben, als müsse er einige komplizierte Berechnungen anstellen. »Das Schlafmittel war nicht sehr konzentriert. Geht man davon aus, dass sie sich stark gewehrt hat, dann sind es meiner Ansicht nach mindesten zwei gewesen. Einer, der sie festgehalten hat, und einer, der ihr die Hände abtrennte«, antwortete er dann, dabei sah er sie an, als wolle er sagen, jetzt habe ich es dir aber noch mal so richtig schwierig gemacht.

In der Tat, so war es auch. Verbrechen wie dieses waren meist die Handlung von geisteskranken Einzeltätern. Es war äußerst selten, dass sich zwei mit der gleichen Passion zusammenfanden und sozusagen im Team arbeiteten.

»Es ... muss etwas wie einen Klotz, ein Hackbrett gegeben haben, auf dem die Gelenke aufgelegt wurden. Ein Widerstand, sonst hätten sich die Knochen nicht durchtrennen lassen. Entsprechende Druckspuren gibt es an den Gelenken.« Jetzt klang die Stimme des Pathologen eher mutlos, als hätte er vor den Abgründen der Welt kapituliert.

In die Stille, die sich zwischen Saalfelder und Susanne Findeisen einstellte, tröpfelten nach einer kleinen Weile Schritte. Leise zunächst, dann immer lauter erfüllten sie den Gang vor der Pathologie. Konnten Schritte traurig sein? Sie klangen jedenfalls so – langsam, verhalten, zögernd, so würde man auf einer Beerdigung voranschreiten.

Wertheim betrat den Raum, wie immer picobello in Schale. Neben ihm ging eine zierliche, etwa vierzig Jahre alte Frau mit geröteten Augen. Sie war nachlässig gekleidet und sah aus, als hätte man sie sehr unvermutet aus häuslicher Tätigkeit gerissen und hierher geführt.

Saalfelder deckte ganz ruhig wieder das Laken über die Leiche.

Wertheim wies mit der Hand auf die Frau. »Das ist Frau Ströbel aus Neckarau. Ihre Tochter wird seit vier Tagen vermisst. Hauptkommissarin Findeisen, sie leitet die Ermittlungen in dem neuen Fall. Doktor Saalfelder, unser Pathologe.«

Auch diese Vorstellungen wurden durch knappe Handzeichen auf die genannte Person begleitet.

Saalfelder verbeugte sich kurz und trat dann zurück, als wolle er mit der Besucherin und ihrem Anliegen so wenig wie möglich zu tun haben.

Findeisen nahm die ausgestreckte Hand der Frau; sie war eiskalt, der Händedruck matt und kraftlos. »Danke, dass Sie gekommen sind. Wir wissen nicht ... Es ist nur ... diese Ähnlichkeit mit der Beschreibung Ihrer Tochter.« In so etwas war sie noch nie gut gewesen. Wenn es darum ging, in sensiblen Situationen Worte zu finden, schnitt sie meist ganz gut ab, aber angesichts von Trauer und Leid büßte sie diese Fähigkeit komplett ein. »Hatte Ihre Tochter ...«

»Nicole«, ergänzte Frau Ströbel mit tonloser Stimme.

»Ja. Hatte Nicole irgendwelche Merkmale, an denen man sie erkennen kann? Leberflecken, Tätowierungen, etwas in der Art?«

»Sie hatte eine kleine Rose am rechten Fußknöchel. Sie hat sie sich im letzten Jahr machen lassen. Das haben jetzt alle.«

Findeisen wechselte eine schnellen Blick mit Saalfelder, der ihr bestätigend zunickte.

»Dann darf ich Sie jetzt bitten«, forderte sie die Frau mutlos auf.

Sie traten an den Stahltisch, und bedächtig zog der kleine, dicke Pathologe das Laken vom Gesicht der Ermordeten. Zögernd trat die Frau an den Tisch, ganz nahe. Fast eine Minute stand sie dort und sah auf das Opfer herunter. Dann drehte sie sich zu Findeisen um, und lautlose Tränen liefen über ihre Wangen.

Im tiefsten Dunkel - Kriminalroman

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