Читать книгу Aufzeichnungen 13/246 - C. J. Roth - Страница 9
ОглавлениеSitzung 4
Da wir vorgestern diesen kleinen Zwischenfall hatten, habe ich mich dazu entschieden an einer anderen Stelle anzusetzen. Ist das für dich in Ordnung, Susanna?
Ja.
Herr Doktor Kohler?
Ja?
Ich wollte mich noch entschuldigen und bedanken.
Wofür?
Die Entschuldigung ist dafür, dass ich...mich nicht mehr klar verhalten habe und in völlig wirren Sätzen mit Ihnen gesprochen habe.
Bedanken wollte ich mich, weil Sie mir geholfen haben und mich jetzt noch weiter behandeln wollen, ohne sofort von der Lobotomie zu sprechen. Jeder andere hätte es sich leichter gemacht.
Gerne, Susanna. Ich habe dir versprochen, dass ich dir helfen werde.
Viele Leute machen Versprechungen, aber nicht alle halten sie. Das spricht sehr für Sie.
Vielen Dank für diese Anerkennung.
...
Nun dann, wollen wir beginnen?
Gern.
Schön, dich wieder etwas lächeln zu sehen. Wie fühlt sich das an?
Ein bisschen wie eine Maskerade. Es ist das erste Mal, seit dem Vorfall vorgestern, dass ich wieder lächeln kann. Aber mittlerweile habe ich eine dickere Decke erhalten und muss nicht mehr so frieren. Danke auch dafür.
Gerne. Du hast mir von deinem Zimmer erzählt, von den Bildern und der Daunendecke. Möchtest du mir noch ein bisschen mehr über dein Zuhause erzählen?
Wie Sie meiner Akte entnehmen können, sind meine Eltern mit einem hohen und frühzeitig ausgezahlten Erben gesegnet worden. Das hat meinem Vater bei seiner Geschäftsgründung geholfen. Wir wohnen in einem Haus. Bei uns brennt im Winter immer ein Feuer im Kamin in der Stube. Es ist ein warmes Feuer, das einen ab Herbst auf Weihnachten hin fiebern lässt. Trotzdem schüre ich den Kohleofen in meinem Zimmer eher selten an.
Warum das, Susanna? Du könntest dir die Daunendecke sparen.
Ich habe irgendwie Angst, dass der Ofen nachts zu brennen beginnen könnte. Ich weiß selbst, dass das Unsinn ist, aber dieses ungute Gefühl werde ich einfach nicht los.
Hattest du das schon immer?
Nein, es hängt viel mehr damit zusammen, dass ich in meinem Zimmer alleine bin. Ich muss Verantwortung für diesen Heizofen übernehmen und das fällt mir schwer. In der Stube kümmert sich mein Vater darum, da bin ich sicher, dass dort nichts passieren kann.
Du hast deinem Vater demnach viel zugetraut?
Er ist mein Vorbild. Ich traue ihm viel zu und ich eifere ihm nach - natürlich nicht beruflich.
Was schnaubst du so?
Nun, wer wird wohl nun die Firma übernehmen?
Ein naher Verwandter? Eines deiner Geschwister?
Sie meinen wohl eher, dass mein Bruder jetzt die Geschäfte übernehmen wird. Er ist ein Mann und er ist volljährig. Ach und – er sitzt in keiner Klapse.
Ich bevorzuge Sanatorium.
Nur ein anderes Wort dafür. Ich bin ein Mädchen,-
Jetzt hast du es aber selbst gesagt.
Herr Dr. Kohler, wollen Sie mich gerade ein wenig verkohlen?
Sehr gelungenes Wortspiel, Susanna.
Sie sollten Ernst bleiben, ich erzähle Ihnen etwas.
Natürlich. Bitte fahr fort. Du bist ein Mädchen...
Grinsen Sie nicht so.
Ich bin eine junge Frau, gerade volljährig und...nun, Sie wissen schon.
Sitzen in der Klapse.
Sanatorium.
Hinz wie Kunz.
...
Und schon lächelst du wieder. Das steht dir.
Danke.
Kommen wir zurück. Würdest du gerne die Firma deines Vaters leiten?
Ich habe mir dazu nie Gedanken gemacht, aber jetzt, wo ich dieser Möglichkeit beraubt wurde, fühle ich mich ausgeschlossen und übergangen. Ich hätte zumindest gerne die Chance dazu gehabt. Nicht, dass es etwas an der Tatsache ändern würde...das mein Vater...
Dass er was, Susanna?
Sie wissen schon.
Ich weiß es, aber du solltest es aussprechen.
Warum?
Es würde dir helfen, es zu verstehen. Du könntest es leichter akzeptieren, weil dein Verstand verarbeitet, dass es tatsächlich so ist. Du verdrängst es momentan, und irgendwann wird dich das einholen.
Es ändert nichts an der Tatsache...das...
Es ist in Ordnung, Susanna. Gib mir deine Hand. Sehr schön. Du kannst das. Du weißt es schon längst, du musst jetzt nur noch die Tatsache aussprechen.
Es tut so weh.
...
Ich vermisse ihn so sehr. Er war immer für mich da. Wir haben so viele schöne Ausflüge gemacht und gemeinsame Erinnerungen gesammelt. Mit wem soll ich denn jetzt darüber reden?
Du kannst mir davon erzählen.
...
...
Es ändert nichts an der Tatsache, dass er tot ist. Er ist nicht mehr hier. Er kommt nie wieder zurück.
Er ist tot.
Ja, er ist tot.
Hier, mein Taschentuch. Du kannst es behalten.
Das kann ich nicht annehmen.
Natürlich kannst du das.
Danke, Dr. Kohler.
Sollen wir für heute das Tonband ausschalten?
Ja, bitte.