Читать книгу Jenseits des schweigenden Sterns - C. S. Lewis - Страница 6
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ОглавлениеDas Zimmer, in das man ihn geführt hatte, wies eine seltsame Mischung aus Luxus und Verwahrlosung auf. Die Fenster hatten keine Vorhänge und waren von außen mit Läden verschlossen; der nackte Boden war mit Kisten, Holzwolle, Zeitungen und Büchern übersät; auf der Tapete hatten die Bilder und Möbel der früheren Bewohner helle Stellen hinterlassen. Die einzigen beiden Sessel dagegen waren höchst wertvoll und in dem Durcheinander auf dem Tisch fanden sich Zigarren, Austernschalen und leere Champagnerflaschen neben Kondensmilchdosen, geöffneten Ölsardinenbüchsen, billigem Geschirr, Brotresten, halb leeren Teetassen und Zigarettenstummeln.
Seine Gastgeber schienen lange auszubleiben und Ransom überließ sich seinen Gedanken an Devine. Er empfand für ihn jene Abneigung, die man jemandem entgegenbringt, den man in seiner Jugend sehr kurze Zeit bewundert und dann als hohl durchschaut hat. Devine hatte einfach etwas früher als andere jene Art von Humor beherrscht, die aus einer ständigen Parodie überlieferter sentimentaler oder idealistischer Klischees besteht. Ein paar Wochen lang hatten seine Anspielungen auf die »gute alte Schule«, »Fairness«, die »Bürde des weißen Mannes« und »Geradlinigkeit« alle, auch Ransom, begeistert. Doch schon bevor Ransom Wedenshaw verließ, hatte er Devine langweilig gefunden; in Cambridge war er ihm aus dem Weg gegangen und hatte sich von ferne gewundert, wie ein so oberflächlicher und letzten Endes alltäglicher Mensch so viel Erfolg haben konnte. Dann war es zu der rätselhaften Berufung Devines an die Universität Leicester gekommen; und sein zunehmender Reichtum war ein nicht minder rätselhaftes Phänomen. Devine war seit Langem nach London übergesiedelt und stellte in der Geschäftswelt vermutlich etwas dar. Hin und wieder fiel sein Name und gewöhnlich schloss der Gesprächspartner mit der Bemerkung, Devine sei »auf seine Art ein verdammt gerissener Bursche«, oder seufzte, »es sei ihm ein Rätsel, wie dieser Mann es so weit habe bringen können«.
Soweit Ransom dem kurzen Gespräch im Hof entnehmen konnte, hatte sein alter Schulkamerad sich kaum geändert.
Die Tür öffnete sich und er wurde in seinem Gedankengang unterbrochen. Devine war allein und brachte ein Tablett mit einer Flasche Whisky, Gläsern und einem Siphon.
»Weston sucht etwas zu essen«, sagte er, setzte das Tablett neben Ransoms Sessel auf dem Boden ab und machte sich daran, die Flasche zu öffnen. Ransom, der inzwischen wirklich brennenden Durst hatte, sah, dass sein Gastgeber zu den irritierenden Leuten gehörte, die beim Sprechen vergessen, ihre Hände zu gebrauchen. Devine hatte angefangen, das Stanniol, das Flaschenhals und Korken umhüllte, mit der Spitze des Korkenziehers aufzuschlitzen. Doch dann ließ er seine Hand sinken und fragte: »Wie kommst du eigentlich in diese gottverlassene Gegend?«
»Ich bin auf einer Wanderung«, sagte Ransom. »Gestern habe ich in Stoke Underwood übernachtet und heute wollte ich in Nadderby einkehren. Dort habe ich aber kein Quartier bekommen und mich also auf den Weg nach Sterk gemacht.«
»Mein Gott!«, rief Devine, den Korkenzieher in der untätigen Hand. »Machst du das für Geld oder ist es purer Masochismus?«
»Vergnügen, natürlich«, sagte Ransom, den Blick unverwandt auf die noch immer ungeöffnete Flasche gerichtet.
»Kann man den Reiz daran einem Uneingeweihten erklären?«, fragte Devine. Er erinnerte sich seines Vorhabens insoweit, dass er ein kleines Stück Stanniol abriss.
»Ich weiß nicht. Zunächst einmal laufe ich einfach gern …«
»Mein Gott! Nun, dann muss es dir beim Militär ja gefallen haben. Links zwo drei vier, eh?«
»Nein, nein. Es ist gerade das Gegenteil vom Militär. Dort läuft alles darauf hinaus, dass man keinen Augenblick allein ist und nie bestimmen kann, wohin man geht. Man kann sich nicht einmal aussuchen, auf welcher Straßenseite man gehen will. Bei einer Wanderung bist du völlig unabhängig. Du rastest, wo du willst, und gehst weiter, wann du willst. Solange du unterwegs bist, brauchst du auf niemanden Rücksicht zu nehmen und niemanden um Rat zu fragen als dich selbst.«
»Bis du eines Abends im Hotel ein Telegramm vorfindest, in dem steht: ›Komm sofort zurück‹, nicht wahr?«, sagte Devine, der endlich das Stanniol ablöste.
»Das kann dir nur passieren, wenn du dumm genug bist, eine Adressenliste zu hinterlassen und dich auch danach zu richten. Das Schlimmste, was mir zustoßen könnte, wäre, dass der Rundfunksprecher sagt: ›Doktor Elwin Ransom, zurzeit auf einer Wanderung durch die Midlands, wird gebeten …‹«
»Verstehe«, sagte Devine und hielt mitten im Korkenziehen inne. »Das könntest du nicht tun, wenn du wie ich im Geschäftsleben stündest. Bist du ein Glückspilz! Aber kannst du wirklich einfach so verschwinden? Hast du keine Frau, keine Kinder, keine alten, ehrwürdigen Eltern oder so?«
»Nur eine verheiratete Schwester in Indien. Und dann bin ich Dozent, verstehst du? In den Sommerferien ist ein Dozent sozusagen inexistent, wie du dich vielleicht erinnerst. Die Universität weiß nicht, wo er steckt, und kümmert sich auch nicht darum, und das gilt erst recht für alle anderen.«
Endlich kam der Korken mit einem herzerquickenden Geräusch aus dem Flaschenhals.
»Sag halt, wenn du genug hast«, sagte Devine, als Ransom ihm sein Glas hinhielt. »Aber irgendwo hat die Sache doch bestimmt einen Haken. Du meinst, niemand weiß, wo du bist, wann du zurückkommst oder wie man dich erreichen kann?«
Ransom nickte und Devine, der jetzt den Siphon in der Hand hatte, fluchte plötzlich. »Das Ding ist leer«, sagte er. »Macht es dir was aus, wenn wir gewöhnliches Wasser nehmen? Ich muss welches aus der Küche holen. Wie viel möchtest du?«
»Mach das Glas bitte voll«, sagte Ransom.
Bald darauf kehrte Devine zurück und endlich konnte Ransom seinen Durst löschen. In einem Zug trank er das
Glas halb aus, stellte es mit einem zufriedenen Seufzer ab und meinte dann, Devines Wohnort sei doch mindestens ebenso sonderbar wie seine eigene Art und Weise, die Ferien zu verbringen.
»Durchaus«, sagte Devine. »Aber du kennst Weston nicht, sonst würdest du begreifen, dass es weit weniger lästig ist, dahin zu gehen, wo er will, als darüber zu streiten. Ein ziemlich energischer Kollege.«
»Kollege?«, fragte Ransom.
»In gewissem Sinne schon.« Devine blickte zur Tür, zog seinen Sessel näher und fuhr in vertraulicherem Ton fort: »Trotz allem ist er in Ordnung. Unter uns gesagt, ich habe etwas Geld in einige Experimente gesteckt, die er gerade durchführt. Alles ganz reell – dem Fortschritt und dem Wohl der Menschheit verpflichtet und so weiter, aber es hat auch eine geschäftliche Seite.«
Während Devine redete, wurde Ransom seltsam zu Mute. Zuerst kam es ihm so vor, als ergäben Devines Worte keinen Sinn mehr. Er schien zu sagen, dass er durch und durch Geschäftsmann sei, in London aber keine Möglichkeit finde, die nötigen Experimente durchzuführen. Dann erkannte Ransom, dass Devine nicht unverständlich, sondern unhörbar redete, was nicht weiter überraschend war, da er sich weit entfernt hatte – ungefähr eine Meile. Dabei war er jedoch ganz deutlich zu sehen, wie durch ein umgedrehtes Fernrohr. Aus dieser hellen Ferne, wo er in seinem winzigen Sessel saß, sah er Ransom mit verändertem Gesichtsausdruck an. Es war ein unangenehmer Blick. Ransom versuchte, sich in seinem Sessel zu bewegen, entdeckte aber, dass er alle Gewalt über seinen Körper verloren hatte. Er fühlte sich recht wohl, aber es war, als ob seine Arme und Beine mit Bandagen an den Sessel gebunden wären und sein Kopf in einer Schraubzwinge steckte: einer gut gepolsterten, doch absolut unnachgiebigen Schraubzwinge. Er hatte keine Angst, obwohl er ahnte, dass er allen Grund hatte, sich zu fürchten. Dann schwand der Raum ganz allmählich aus seinem Gesichtsfeld.
Ransom wusste nie genau, ob das, was dann geschah, irgendeine Beziehung zu den in diesem Buch aufgezeichneten Ereignissen hatte oder ob es nur ein unbedeutender Traum war. Es schien ihm, dass er und Weston und Devine in einem kleinen, von Mauern umgebenen Garten standen. Der Garten war hell und sonnig, doch hinter der Mauer war nichts als Finsternis zu sehen. Sie versuchten, über die Mauer zu klettern, und Weston bat sie, ihm hinaufzuhelfen. Ransom redete auf ihn ein, nicht über die Mauer zu steigen, weil es auf der anderen Seite so dunkel sei, aber Weston ließ sich von seinem Vorhaben nicht abbringen, und schließlich kletterten sie hinauf. Ransom war der Letzte. Er kam rittlings auf der Mauer zu sitzen und hatte sich wegen der Flaschenscherben, die dort waren, seinen Mantel untergelegt. Die anderen beiden waren auf der Außenseite bereits in die Finsternis gesprungen, aber ehe er ihnen folgte, wurde in der Mauer eine Tür, die keiner von ihnen bisher bemerkt hatte, von außen geöffnet und die seltsamsten Geschöpfe, die er je gesehen hatte, kamen in den Garten und brachten Weston und Devine wieder mit. Sie ließen die beiden im Garten, zogen sich selbst wieder in die Dunkelheit zurück und schlossen die Tür hinter sich ab. Ransom kam nicht mehr von der Mauer herunter. Er blieb oben sitzen, ohne Angst, aber mit einem ziemlich unbehaglichen Gefühl, denn sein rechtes Bein hing nach außen und war so dunkel, und sein linkes so hell. »Mein Bein wird abfallen, wenn es noch dunkler wird«, sagte er. Dann blickte er in die Dunkelheit hinunter und fragte: »Wer seid ihr?«, und die seltsamen Geschöpfe mussten noch da sein, denn sie antworteten alle: »Hu-hu-hu!«, genau wie Eulen.
Er begriff langsam, dass sein Bein weniger dunkel als vielmehr kalt und steif war, weil das andere so lange darauf gelegen hatte; und auch, dass er in einem Sessel in einem erleuchteten Zimmer saß. In seiner Nähe wurde gesprochen und ihm wurde bewusst, dass dieses Gespräch wohl schon einige Zeit dauerte. Sein Kopf war einigermaßen klar. Er merkte, dass man ihn betäubt oder hypnotisiert hatte, oder beides; nach und nach gewann er die Herrschaft über seinen Körper zurück, doch er war immer noch sehr schwach. Er hörte aufmerksam zu, ohne sich zu bewegen.
»Ich habe dieses Hin und Her allmählich satt, Weston«, sagte Devine gerade, »umso mehr, als schließlich mein Geld auf dem Spiel steht. Ich sage dir, er ist genauso gut geeignet wie der Junge, in mancher Hinsicht sogar besser. Aber er wird
jetzt bald wieder zu sich kommen und wir müssen ihn sofort an Bord bringen. Das hätten wir schon vor einer Stunde tun sollen.«
»Der Junge war ideal für uns«, sagte Weston verdrießlich. »Er ist unfähig, der Menschheit zu dienen, und wahrscheinlich wird er nichts Besseres zu tun haben, als seinen Schwachsinn auch noch zu vererben. In einer zivilisierten Gesellschaft würden Burschen wie er automatisch einem staatlichen Labor zu Versuchszwecken überlassen.«
»Schon möglich. Aber hier in England würde sich für einen Burschen wie ihn vielleicht Scotland Yard interessieren. Nach diesem Wichtigtuer dagegen wird monatelang kein Hahn krähen, und selbst dann wird niemand wissen, wo er war, als er verschwand. Er ist allein gekommen. Er hat keine Adresse hinterlassen. Er hat keine Familie. Und schließlich hat er seine Nase von sich aus in diese Angelegenheit gesteckt.«
»Trotzdem, mir gefällt das nicht. Schließlich ist er ein Mensch. Der Junge war im Grunde eher ein – ein Präparat. Allerdings ist auch der hier nur ein Individuum, und wahrscheinlich ein völlig nutzloses. Außerdem riskieren auch wir unser Leben. Für etwas Großes …«
»Um Himmels willen, fang nicht wieder damit an. Dazu haben wir keine Zeit.«
»Ich glaube«, erwiderte Weston, »er wäre einverstanden, wenn man es ihm klar machen könnte.«
»Nimm du seine Beine; ich nehme ihn unter den Armen«, sagte Devine.
»Wenn du wirklich glaubst, dass er zu sich kommt«, sagte Weston, »solltest du ihm lieber noch eine Dosis verpassen. Wir können erst nach Sonnenaufgang starten. Es wäre ziemlich lästig, wenn er drei Stunden lang da drin herumzappeln würde. Mir wäre es lieber, er wachte erst auf, wenn wir unterwegs sind.«
»Richtig. Behalt du ihn im Auge, ich gehe nach oben und hole das Zeug.«
Devine verließ das Zimmer. Durch halb geschlossene Lider sah Ransom, dass Weston über ihm stand. Er wusste nicht, wie sein Körper – wenn überhaupt – auf den Versuch einer plötzlichen Bewegung reagieren würde, aber er begriff, dass er die Gelegenheit nutzen musste. Kaum hatte Devine die Tür geschlossen, als Ransom sich mit aller Macht gegen Westons Beine warf. Der Wissenschaftler fiel auf den Sessel, Ransom stieß ihn mit letzter Kraft von sich und stürzte in die Halle.
Er war sehr schwach und stolperte. Aber das Entsetzen saß ihm im Nacken und innerhalb weniger Sekunden hatte er die Haustür gefunden. Er bemühte sich verzweifelt, die Verriegelung zu öffnen, doch die Dunkelheit und das Zittern seiner Hände waren gegen ihn. Noch bevor er den oberen Riegel aufgestoßen hatte, kamen hinter ihm gestiefelte Füße über den nackten Boden gepoltert. Er wurde bei Schultern und Knien gepackt. Er trat um sich, wand sich, brüllte in der schwachen Hoffnung auf Hilfe aus Leibeskräften und verlängerte schweißbedeckt den Kampf mit einer Heftigkeit, die er sich nie zugetraut hätte. Einen herrlichen Augenblick lang war die Tür offen, die frische Nachtluft streifte sein Gesicht und er sah die tröstlichen Sterne und sogar seinen Rucksack, der auf der überdachten Veranda liegen geblieben war. Dann traf ihn ein schwerer Schlag auf den Kopf. Sein Bewusstsein schwand. Als Letztes spürte er noch, wie kräftige Hände ihn packten und zurück in den dunklen Flur zerrten, und hörte, wie eine Tür ins Schloss fiel.