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Die Reise im Raumschiff hätte für Ransom eine Zeit voller Furcht und Schrecken sein können. Eine astronomische Entfernung trennte ihn von allen menschlichen Geschöpfen bis auf zwei, denen er mit gutem Grund misstraute. Er fuhr einem unbekannten Ziel entgegen und seine Entführer weigerten sich beharrlich, ihm zu verraten, zu welchem Zweck er dorthin gebracht wurde.

Devine und Weston lösten einander regelmäßig bei der Wache in einem Raum ab, den Ransom nicht betreten durfte und wo er die Steueranlagen des Schiffs vermutete. Weston blieb während seiner Freiwachen meist schweigsam. Devine war gesprächger, plauderte und lachte häufig mit dem Gefangenen, bis Weston an die Wand des Kontrollraumes klopfte und davor warnte, die Luft zu vergeuden. Doch in bestimmten Punkten zeigte sich auch Devine verschlossen. Er war stets bereit, sich über Westons feierlichen wissenschaftlichen Idealismus lustig zu machen. Er gebe keinen Pfifferling, sagte er, für die Zukunft des Menschengeschlechts oder die Begegnung zweier Welten.

»Malakandra ist mehr als das«, meinte er oft augenzwinkernd. Doch wenn Ransom ihn fragte, worin dieses »Mehr« bestehe, verfiel er in einen satirischen Ton und machte ironische Bemerkungen über die Bürde des weißen Mannes und die Segnungen der Zivilisation.

»Dann ist der Planet also bewohnt?«, bohrte Ransom.

»Ach – bei solchen Dingen gibt es immer das Problem der Eingeborenen«, antwortete Devine dann. Meistens aber sprach er über das, was er nach seiner Rückkehr zur Erde tun wollte. Hochseejachten, kostspielige Frauen und ein großes Landhaus an der Riviera spielten in diesen Plänen eine große Rolle. »Ich nehme alle diese Risiken nicht zum Spaß auf mich.«

Direkte Fragen nach Ransoms eigener Rolle stießen gewöhnlich auf Schweigen. Nur einmal, als er nach Ransoms Einschätzung alles andere als nüchtern war, gab Devine auf eine solche Frage zu, dass sie ihm »noch allerhand aufhalsen« würden.

»Aber ich bin sicher«, ergänzte er, »dass du dich des alten Schulschlipses würdig erweisen wirst.«

Wie ich bereits gesagt habe, war all dies ziemlich besorgniserregend. Seltsamerweise jedoch beunruhigte es ihn nicht sehr. Es ist schwierig, trüben Gedanken über die Zukunft nachzuhängen, wenn man sich so ausgezeichnet fühlt wie Ransom jetzt. Auf der einen Seite des Schiffs herrschte endlose Nacht, auf der anderen endloser Tag; beides war großartig, und er genoss es, nach Lust und Laune von der einen Seite zur anderen zu gehen. In den Nächten, die er sich verschaffen konnte, indem er einen Türgriff drehte, lag er oft stundenlang da und starrte durch die Deckenluke. Die Erdscheibe war nun nicht mehr zu sehen; die Sterne, dicht gesät wie Gänseblümchen auf einem ungemähten Rasen, beherrschten das Blickfeld und keine Wolken, kein Mond oder Sonnenaufgang beeinträchtigten ihren Zauber. Da gab es geradezu majestätische Planeten, nie gesehene Sternbilder, es gab himmlische Saphire, Rubine, Smaragde und Schmucknadeln aus brennendem Gold; in weiter Ferne zur Linken hing ein winziger, entrückter Komet; und zwischen und hinter allem, bei Weitem eindringlicher und spürbarer als auf der Erde, die unauslotbare, rätselhafte Schwärze. Die Lichter zitterten: Sie schienen an Helligkeit zuzunehmen, je länger er sie betrachtete. Wie eine zweite Danae nackt auf seinem Bett ausgestreckt, fiel es ihm von Nacht zu Nacht schwerer, an der alten Astrologie zu zweifeln. Er stellte sich vor, spürte beinahe, wie ›süße Einflüsse‹ von den Sternen in seinen dargebotenen Körper strömten oder ihn gar durchbohrten. Alles war still bis auf die unregelmäßigen, klirrenden Geräusche, von denen er nun wusste, dass sie von Meteoriten herrührten, kleinen Materieteilchen, die ständig gegen die hohle Stahltrommel schlugen. Oft beschäftigte ihn die Überlegung, dass sie jeden Augenblick mit etwas zusammenstoßen könnten, das groß genug wäre, Schiff und Insassen in Meteoriten zu verwandeln. Aber er konnte sich nicht fürchten. Das Abenteuer war zu erhaben, die Umstände, unter denen es sich vollzog, waren zu feierlich, als dass andere Gefühle als eine ernste Freude möglich gewesen wären. Aber die Tage – oder besser die Stunden –, die er auf der sonnigen Seite ihrer kleinen Welt verbrachte, waren die schönsten von allen. Oft stand er nach nur wenigen Stunden Schlaf wieder auf, denn unwiderstehlich zog es ihn in die Regionen des Lichts; er konnte nicht aufhören, über den helllichten Tag zu staunen, der ihn dort erwartete, ganz gleich, zu welcher Zeit er kam. Dann lag er lang ausgestreckt und mit halb geschlossenen Augen in ein Bad reiner, ätherischer Farben und unerbittlicher, doch nicht schmerzhafter Helligkeit getaucht, während das seltsame Gefährt ihn mit leisem Vibrieren durch die Tiefen nachtentrückter Stille trug. In solchen Momenten spürte er, wie Leib und Seele jeden Tag aufs Neue gereinigt und mit frischer Lebenskraft erfüllt wurden. In einer seiner wortkargen, widerwilligen Antworten räumte Weston ein, dass es für diese Empfindungen eine wissenschaftliche Erklärung gab: Sie empfingen, sagte er, viele Strahlungen, die nie durch die Erdatmosphäre drangen.

Doch mit der Zeit entdeckte Ransom einen weiteren und eher geistigen Grund für sein zunehmendes Glücksgefühl. Ein Albtraum, ein Mythos, dem der moderne, von der Wissenschaft geprägte Mensch anhing, wich allmählich von ihm. Er hatte über den Weltraum gelesen und seit vielen Jahren rief der Begriff in seiner Vorstellung das düstere Bild einer schwarzen, kalten Leere hervor, einer absoluten Leblosigkeit zwischen den Welten. Es war ihm bis jetzt nicht bewusst gewesen, wie sehr er dieser Vorstellung verhaftet war – jetzt, da ihm das bloße Wort »Weltraum« schon als Blasphemie erschien, als Verleumdung dieses himmlischen Strahlenozeans, in dem sie schwammen. Er war nicht leblos; Ransom fühlte, wie in jedem Augenblick Leben aus diesem Ozean in ihn strömte. Wie konnte es auch anders sein, da alle Welten und ihr Leben diesem Ozean entsprungen waren? Er hatte ihn für unfruchtbar gehalten; jetzt aber erkannte er, dass er der Mutterschoß der Welten war, dessen unzählige Sprösslinge allnächtlich mit feurigen Augen auf die Erde hinabschauten – und wie viele mehr waren es hier! Nein, Weltraum war der falsche Ausdruck. Die Denker vergangener Zeiten hatten mehr Weisheit bezeugt, als sie vom Himmel sprachen – dem Himmel, der des Ewigen Ehre rühmt –, der

»holden Glückseligkeit lächelndes Bild,

wo Nacht des Tages Auge nie verhüllt,

hoch droben im weiten Himmelsgefild«.

Er sprach Miltons Verse liebevoll und nicht nur einmal vor sich hin.

Natürlich lag er nicht die ganze Zeit herum und träumte. Er erforschte das Schiff (soweit es ihm erlaubt war) und ging von Raum zu Raum mit jenen langsamen Bewegungen, die Weston ihnen auferlegte, da größere körperliche Anstrengungen den Sauerstoffvorrat zu sehr belasteten. Das Raumschiff hatte mehr Kabinen, als derzeit benötigt wurden; vielleicht, weil es eine bestimmte Form haben musste, vielleicht aber auch, weil, wie Ransom vermutete, die Eigner – zumindest aber Devine – auf der Rückreise irgendeine Ladung mitnehmen wollten. Außerdem wurde er, ohne recht zu wissen wie, zum Steward und Koch der kleinen Gemeinschaft; zum einen war es für ihn selbstverständlich, sich an den einzigen Arbeiten zu beteiligen, die er tun konnte – denn den Kontrollraum durfte er nie betreten; zum anderen wollte er Westons Tendenz, ihn zum Diener zu machen, zuvorkommen. Er arbeitete lieber freiwillig statt in eingestandener Sklaverei; außerdem schmeckten ihm seine eigenen Gerichte viel besser als die seiner Gefährten.

Ebendiese Aufgaben machten ihn zum zunächst unfreiwilligen und dann höchst beunruhigten Mithörer eines Gesprächs, das seiner Einschätzung nach ungefähr zwei Wochen nach Antritt ihrer Reise stattfand. Er hatte nach dem Abendessen das Geschirr abgewaschen, ein Sonnenbad genommen, mit Devine geplaudert – der ein angenehmerer Gesellschafter war als Weston, aber in Ransoms Augen der bei Weitem unsympathischere der beiden – und war zur gewohnten Zeit zu Bett gegangen. Er konnte nicht einschlafen und nach etwa einer Stunde fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, in der Kombüse ein paar kleine Vorbereitungen zu treffen, die seine Arbeit am nächsten Morgen erleichtern würden. Man betrat die Kombüse durch den Salon oder Tagesraum und ihre Tür lag neben der zum Kontrollraum. Er stand auf und ging sofort hinüber, barfuß und nackt wie er war.

Obwohl die Kombüse auf der Nachtseite des Schiffs lag, schaltete Ransom das Licht nicht ein. Er brauchte nur die Tür einen Spalt offen zu lassen, sodass ein Streifen strahlendes Sonnenlicht in den Raum fiel. Jeder, der selbst einen Haushalt geführt hat, wird verstehen, dass seine Vorbereitungen für den Morgen noch unzureichender waren, als er gedacht hatte. Er war geübt und erledigte die Arbeit schnell und leise. Als er gerade fertig war und sich die Hände an dem Rollhandtuch hinter der Kombüsentür abtrocknete, hörte er, wie die Tür des Kontrollraums aufging. Durch den Spalt sah er die Silhouette eines Mannes vor der Kombüse stehen; es war Devine. Dieser ging nicht in den Salon, sondern blieb stehen und redete weiter – offensichtlich in den Kontrollraum hinein, denn Ransom konnte zwar deutlich hören, was Devine sagte, doch Westons Antworten verstand er nicht oder nur bruchstückhaft.

»Ich glaube, das wäre verdammt unklug«, sagte Devine. »Wenn wir sicher sein könnten, dass wir gleich nach der Landung auf die Scheusale stoßen, dann hätte der Gedanke etwas für sich. Aber angenommen, wir müssen ein Stück laufen? Dann müssten wir nach deinem Plan einen bewusstlosen Mann mitsamt seinem Gepäck schleppen, anstatt ihn selbst gehen und seinen Teil der Arbeit tun zu lassen.«

Offenbar entgegnete Weston etwas.

»Aber er kann es unmöglich rauskriegen«, versetzte Devine. »Es sei denn, einer von uns ist so dumm und erzählt es ihm. Und selbst wenn er Verdacht schöpft: Glaubst du, jemand wie er hat den Mut, auf einem fremden Planeten wegzulaufen? Ohne Nahrung? Ohne Waffen? Du wirst sehen, sobald er den ersten Sorn zu Gesicht bekommt, frisst er uns aus der Hand.«

Wieder hörte Ransom undeutlich Westons Stimme.

»Woher soll ich das wissen?«, sagte Devine. »Vielleicht eine Art Häuptling. Aber wahrscheinlich eher irgendein Hokuspokus.«

Diesmal kam eine sehr kurze Äußerung aus dem Kontrollraum, anscheinend eine Frage. Devine antwortete sofort.

»Das würde erklären, warum sie ihn haben wollen.«

Weston stellte eine weitere Frage.

»Menschenopfer, würde ich sagen. Von ihrem Standpunkt aus natürlich nicht; du weißt schon, was ich meine.«

Diesmal hatte Weston eine ganze Menge zu sagen und Devine lachte in seiner typischen Art leise vor sich hin.

»Klar«, sagte er. »Versteht sich, dass du alles aus den erhabensten Motiven tust. Solange sie zu den gleichen Ergebnissen führen wie meine Motive, seien sie dir von Herzen gegönnt.«

Weston sprach weiter und diesmal schien Devine ihn zu unterbrechen.

»Du wirst dich doch nicht etwa aufregen?«, sagte er. Dann schwieg er eine ganze Weile und schien zuzuhören.

»Wenn du die Scheusale so gern hast«, erwiderte er schließlich, »kannst du ja bleiben und dich mit ihnen paaren – falls es bei ihnen Geschlechtsunterschiede gibt, was wir noch nicht wissen. Aber keine Bange, wenn es Zeit ist, dort aufzuräumen, werden wir einen oder zwei für dich übrig lassen, und die kannst du dann als Schoßtiere halten oder Versuche mit ihnen anstellen oder mit ihnen schlafen oder alles zusammen – was immer du willst … Ja, ich weiß. Einfach abscheulich. War auch nur ein Scherz. Gute Nacht.«

Einen Augenblick später schloss Devine die Tür zum Kontrollraum und ging durch den Salon in seine eigene Kabine. Ransom hörte, wie er die Tür verriegelte, was er aus unerfindlichen Gründen immer tat. Die Spannung, mit der er dem Gespräch zugehört hatte, ließ nach. Er hatte die Luft angehalten und atmete nun mehrere Male tief durch. Dann betrat er vorsichtig den Tagesraum.

Obwohl er wusste, dass er gut daran täte, so schnell wie möglich wieder ins Bett zu gehen, blieb er in dem inzwischen so vertrauten strahlenden Licht stehen und betrachtete es mit einem neuen, beinahe schmerzlichen Gefühl. Aus diesem Himmel, diesen Gefilden des Glücks sollten sie nun bald hinabsteigen – und wohin? Zu Sornen, Menschenopfern, abscheulichen, geschlechtslosen Ungeheuern. Was war wohl ein Sorn? Seine eigene Rolle bei der ganzen Sache war jetzt hinlänglich klar. Jemand oder etwas hatte ihn angefordert. Die Anforderung konnte kaum ihm persönlich gelten. Der Jemand wollte offenbar ein Opfer von der Erde, irgendein Opfer. Die Wahl war auf ihn gefallen, weil Devine sie getroffen hatte; er musste feststellen – eine späte und in jeder Beziehung erschreckende Entdeckung –, dass Devine ihn all diese Jahre genauso von Herzen gehasst hatte, wie er selbst Devine hasste. Aber was war ein Sorn? Sobald er einen sähe, würde er Weston aus der Hand fressen. In seinem Kopf – wie in den Köpfen so vieler seiner Zeitgenossen – spukten eine ganze Reihe von Schreckgespenstern herum. Er hatte H. G. Wells und andere Autoren gelesen. Sein Universum war von Ungeheuern bevölkert, mit denen die antike oder mittelalterliche Mythologie kaum Schritt halten konnte. Insektenähnliche, wurmförmige oder krustentierartige Scheusale mit zuckenden Fühlern, kratzenden Flügeln, schleimigen Windungen, tastenden Fangarmen – solche und andere monströse Verbindungen von übermenschlicher Intelligenz und unersättlicher Grausamkeit schienen ihm in einer fremden Welt etwas nur allzu Wahrscheinliches zu sein. Die Sorne waren vermutlich … waren sicherlich … Er wagte nicht, sich auszumalen, wie die Sorne waren. Und er sollte ihnen ausgeliefert werden. Irgendwie erschien ihm dies schrecklicher als die Vorstellung, von ihnen gefangen zu werden. Überreicht, ausgehändigt, dargeboten. Seine Fantasie spiegelte ihm verschiedene Scheußlichkeiten ohne jeden Zusammenhang vor – hervorquellende Augen, gähnende Mäuler, Hörner, Stacheln, Kieferzangen. Der Abscheu vor Insekten, vor Schlangen, vor allem, was schleimig und gallertartig war, spielte eine grausige Symphonie auf seinen Nerven. Und die Wirklichkeit würde noch schlimmer sein: etwas Außerirdisches, Andersartiges – etwas, woran man nie gedacht hatte, nie auch nur hätte denken können. In diesem Augenblick fasste Ransom einen Entschluss. Er konnte dem Tod ins Auge sehen, nicht aber den Sornen. Wenn es irgendeine Möglichkeit gab, musste er fliehen, sobald sie auf Malakandra gelandet waren. Der Hungertod oder sogar die Aussicht, von Sornen gejagt zu werden, waren immer noch besser als eine Auslieferung. War eine Flucht unmöglich, musste er Selbstmord begehen. Ransom war ein frommer Mensch. Er hoffte auf göttliche Vergebung. Er sah keine andere Möglichkeit mehr. Ohne zu zögern, stahl er sich zurück in die Kombüse und sicherte sich das schärfste Messer. Um keinen Preis würde er es mehr hergeben.

Auf den Schrecken folgte eine große Erschöpfung, und sobald er in seinem Bett lag, fiel er in einen tiefen und traumlosen Schlaf.

Jenseits des schweigenden Sterns

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