Читать книгу Natti - Camilla Gripe - Страница 5

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Natti klappte ihr rosa Tagebuch zu und steckte es zusammen mit dem Stift in ihre Umhängetasche. Dann sammelte sie die vielen kleinen Quittungen und Zettel ein, die sie auf dem Tisch verstreut hatte, und stopfte sie in den Geldbeutel, bis er prall und wohlhabend aussah. Doch ach, wie der Schein trog!

Sie trank noch das letzte Schlückchen Kaffee, das inzwischen kalt geworden war, und genehmigte sich einen letzten Zuckerwürfel gegen den bitteren Geschmack.

Natti war der einzige Gast in dem kleinen Lokal, das mit sieben runden Tischen mit rot-weiß karierten Tischdecken und einer Bartheke ausgestattet war. Ein dunkelhäutiger Mann ging pfeifend umher und wischte die Tische ab. Irgendwo im Hintergrund hämmerte Discomusik aus einer unsichtbaren Stereoanlage.

Der Mann blieb vor Nattis Tisch stehen.

»Mehr Kaffee?«

Natti schüttelte den Kopf.

»Du nur büffeln! Viel büffeln – viel Kaffee! Kaffee gut für Kopf. Besonders sehr guter Espresso!«

Plötzlich hatte Natti eine Idee.

»Wie wär’s, könnte ich über Ostern vielleicht hier bei Ihnen jobben? Spülen, Tische abwischen, bedienen und so?«

Da begann der Mann zu lachen. Das war ihr peinlich. Sie wußte, daß ihr Aussehen sie nicht gerade für einen Job empfahl. Aber deswegen gleich ausgelacht zu werden – das war doch wohl der Gipfel!

Eigentlich müßte sie jetzt aufstehen und einfach gehen, aber sie fühlte sich wie gelähmt und brachte nicht einmal eine spöttische Bemerkung über die Lippen.

Als der Mann fertiggelacht hatte, verschwand er hinter der Theke, und Natti stand endlich auf. Doch kaum hatte sie einen Schritt getan, war der Mann schon wieder da, mit einer Tasse dampfendem Espresso, die er auf ihren Platz stellte. Er räumte die alte Tasse weg und deutete mit einer Geste auf ihren Stuhl. Zögernd setzte sie sich wieder hin.

»Ich wollte doch nichts ...«

»Ed lädt ein! Nicht gehen, ohne richtigen Espresso zu probieren!«

Komisch! Zuerst lachte er sie aus, und dann spendierte er einen Espresso! Da blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als es dankend anzunehmen. Sie nahm reichlich Zucker in die kleine Tasse und ließ ein paar Würfel in der Jackentasche verschwinden. Schließlich hatte sie magere Zeiten vor sich.

Der Mann namens Ed mußte sich um zwei neue Gäste kümmern. Natti nahm eine Zeitung vom Nachbarstuhl und las von einem zwölfjährigen Jungen, der eine Million im Lotto gewonnen hatte. So verschieden verteilt das Schicksal seine Gunst ... Bald war es an der Zeit, zu Annette zu gehen.

Beim Gespräch mit ihrer Mutter würde sie ihre Zunge hüten müssen. Sonst kämen bohrende Fragen und Extrakontrollen auf sie zu. Wenn Annette zum Beispiel Papa fragen würde, warum er Natti kein Geld gegeben hatte – das würde eine schöne Bescherung geben! Aber andererseits hatte Natti auch keine Lust, das Problem Teppichreinigung mit Annette zu diskutieren, das würde nämlich garantiert nur dazu führen, daß nach ihr »geschaut« würde.

Vielleicht sollte sie einfach zugeben, daß sie das Geld verpulvert hatte. Bestimmt würde Annette Verständnis dafür haben, daß man manchmal neue Kleider brauchte. Allerdings würde sie natürlich sauer sein, weil Natti die Kleider nicht bei ihr gekauft hatte, wo es doch Rabatt und obendrein gute Ratschläge gab. Die neuen Gäste ließen sich knusprige Hörnchen mit Käse und Schinken schmecken. Natti schaute rasch weg. In den nächsten Tagen würde sie es sich abgewöhnen müssen, an Essen zu denken. Zu Hause war kaum noch etwas Eßbares übrig. Ihre Gäste waren wie ein Heuschreckenschwarm über alles hergefallen. Knäckebrot und ein paar Gläser Marmelade, mehr war bestimmt nicht da. An die Kühltruhe brauchte sie gar nicht zu denken. Die darin eingefrorenen Gerichte hätte man ja kochen müssen, um sie essen zu können! Und jetzt so kurz vor den Osterferien fiel auch das Essen in der Schule aus.

Ach ja! Die Schule. Heute hätte sie eigentlich dort erscheinen müssen, morgen war auch noch Unterricht, aber momentan hatte sie dafür einfach keine Zeit. Wenn ihre Mutter Fragen stellte, würde sie sich eben eine Ausrede einfallen lassen müssen. Studientag war immer gut, besser als Sporttag, der Sporttag verlangte nämlich meistens doch irgendeine Art von Anwesenheit.

Jetzt kam Ed wieder an ihrem Tisch vorbei. Er drehte sich zu ihr um.

»Nein, nein, hier jobben geht nicht. Jetzt sind wir zwei, mehr geht nicht. Mehr hier arbeiten, als wir Gäste haben! Nein, nein, geht nicht.«

Bekümmert schüttelte er den Kopf und breitete bedauernd die Arme aus.

Also hatte er Natti doch ernstgenommen. Jetzt sah sie selbst, daß tatsächlich nicht genügend Arbeit vorhanden war. Vor allem, wenn er noch einen Mitarbeiter hatte. Nur ein paar Tische, und dennoch war es nicht voll. Trotzdem schade. Das wäre sonst eine angenehme Möglichkeit gewesen, ihre Probleme zu lösen. Ein paar Tische abwischen, ab und zu etwas Kaffee in eine Tasse schwappen, Brote streichen. Das hätte sie geschafft. Natti trat an die Theke und legte die Münzen für die erste Tasse Kaffee darauf. Aber Ed schob das Geld wieder zu ihr hin und schüttelte den Kopf.

»Aber wenigstens eine Tasse muß ich doch bezahlen!«

Da nahm er ihren Geldbeutel und machte ihn auf. Mit großen Augen sah sie, wie er die Münzen nahm und wieder in den Geldbeutel zurücksteckte. Dann reichte er ihr den Geldbeutel und zeigte deutlich, daß die Sache für ihn erledigt war.

Natti verzog sich sachte zur Tür. Das Paar mit den Hörnchen starrte ziemlich entgeistert hinter ihr drein. Aber Ed winkte ihr fröhlich zu.

»Du und ich, wir gehen schickes Restaurant, wenn du willst, Süße!« rief er. »Komm irgendwann am Abend, dann gehen wir!« Natti eilte hinaus und schloß die Tür hinter sich. Draußen fiel immer noch Schneeregen vom Himmel. Im Fenster des Cafés sah sie die blassen, höhnisch gleichgültigen Gesichter des Hörnchenpaares und gleichzeitig ihr eigenes verschwommenes Spiegelbild. Das weiße Gesicht, die Stachelhaare, die ausgebeulte Jacke – eine klägliche Erscheinung, ein trauriger Clown. Der Mann im Café hatte wohl die Hörnchenspießer provozieren wollen, denn »Süße« war wirklich nicht das richtige Wort. Aber so schlimm wie jetzt war es sonst eigentlich nie um sie bestellt. Normalerweise sah Natti ziemlich dufte aus, manche ihrer Freunde nannten ihre Erscheinung sogar »dramatisch«. Eine Persönlichkeitsverschlechterung hatte sie heimgesucht! Daran konnte kein Zweifel sein. Ihre Persönlichkeit hatte in letzter Zeit eine ordentliche Macke gekriegt.

Außerdem schrien ihre Eingeweide vor Hunger. Es war schwer zu sagen, was schlimmer war: der körperlich spürbare Hunger oder die körperlich sichtbare Entstellung. Im übrigen hatte sie gerade jetzt ganz andere Sorgen.

Natti

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