Читать книгу Sekten, Sekt und Selters - Ein Moselkrimi - Carl von Lieser - Страница 7
4. Ein bißchen schwanger?
ОглавлениеAls sie kam, dämmerte es schon draußen. Ich saß im Arbeitszimmer. Sie entschuldigte ihr langes Ausbleiben damit, daß sie mit Erika spazieren gegangen war, mit Erika Brandscheider, ihrer Kollegin und besten Freundin. Wir gingen rüber in die Küche, meine Nerven lagen blank. Sie schwieg auffallend lange.
"Du brauchst dich doch nicht dafür zu entschuldigen, Naomi. Ich kontrolliere dich nicht, wann du nach Hause kommst, Schatz", sagte ich wie zur Entwarnung. "Aber du kannst dir vorstellen, daß ich heute den ganzen Tag auf heißen Kohlen gesessen habe. Nicht zu wissen, was bei deinem Arztbesuch herausgekommen ist, machte mich ganz fickerig."
Sie zelebrierte die Spannung, es war reine Folter für mich.
"Herausgekommen ist zum Glück gar nichts, Matz", spottete sie schließlich. Ich hätte sie watschen können. "Aber drin is was, ich bin positiv. Eine dieser doofen Pillen muß wohl ein Blindgänger gewesen sein."
Die Anspannung hatte mein Herz in Wallung gebracht, jetzt schien es überzubrodeln. Ich konnte es nicht fassen.
"Also..., also sind wir schwanger?"
"Blödsinn, Matz. Ich bin schwanger, ja, aber nicht wir!"
Sie spielte die Obercoole, nutzte meine Verunsicherung, meine bange Erwartung aus. Wieder entstand eine Kunstpause, bis ich mich halbwegs gesammelt hatte.
"Hey, Naomi, das ist doch super! Ich freue mich riesig für uns. Freust du dich auch?"
Ich war aufgestanden und wollte sie umarmen, aber sie wehrte ab.
"Matz, ich glaube, du spinnst wohl! Was ist denn plötzlich in dich gefahren? Du weißt doch genau, was wir verabredet hatten. Auf keinen Fall ein Kind, bevor ich nicht beruflich auf festen Beinen stehe! Das hast du doch hoffentlich nicht vergessen, oder?"
Ich ließ mich wieder auf den Stuhl zurückfallen. Ich suchte instinktiv mit den Händen einen Halt, fand ihn schließlich auf der Tischplatte.
"Ja, ja doch, ja, Naomi. Das weiß ich doch alles. Jetzt sei doch nicht so verbiestert. Ich freue mich eben, ich habe Kinder gerne, ich..."
"Jetzt drehst du voll durch, Alterchen! Als hättest du nicht jeden Tag genug Kinder um dich in der Schule, ganze Kindergärten! Also, für mich ist das im Moment kein Thema. Das sage ich dir nur, damit du im Bilde bist."
Jetzt hatten wir den Salat. Ich happy, sie sauer. Ich im siebten Himmel, sie am Ende ihrer Träume. Verstehe einer die Menschheit! Wir waren doch eine Paar, ein Liebespaar, warum sollten wir kein Kind haben? Wäre doch die natürlichste Sache der Welt.
"Klar, Naomi, ich habe nichts vergessen. Ich bin ja auch immer ganz deiner Meinung gewesen. Aber jetzt, jetzt, da es passiert ist, jetzt sieht die Welt ganz anders aus. Ich bin wirklich der Letzte, der nicht zu dir stehen würde. Wir schaffen das, Naomi, keine Sorge, wir schaffen das gemeinsam. Ganz sicher."
"Das einzige, was sicher ist, ist die Tatsache, daß ich jetzt kein Kind gebrauchen kann, Matz. Geht das denn nicht in deine Birne rein? In sechs Monaten will ich meine Diplomarbeit abgeben. Da muß ich noch gewaltig was für tun. Und danach will ich mich bewerben. Kannst du dir vorstellen, was die Personalchefs sagen werden, wenn ich, mit einem Baby an der Brust nuckelnd, zur Vorstellung erscheine? Kannst du dir das wirklich vorstellen? Allen Ernstes?"
Sie hatte mich am Wickel.
"Ja, natürlich, Schatz. Ich weiß auch, daß unser Plan nicht mehr ganz aufgeht, aber..."
"Nicht mehr ganz aufgeht! Ich glaub, ich hör nicht recht. Ich krieg keinen Job, das ist alles. Das nennst du 'nicht ganz aufgehen'. Ich glaub, es hackt!"
Wann hätte ich Naomi einmal derart aggressiv erlebt? Lag es nur an der Bestätigung der Schwangerschaft? Oder hatte es grundsätzlich mit unserer Beziehung zu tun? Paßte ihr irgendetwas nicht? Hatte Erika sie gegen mich aufgehetzt? Gegen die Schwangerschaft? Gegen das Kind? Wie auch immer, meine freudige Stimmung angesichts des greifbar nahen Nachwuchses hatte einen herben Dämpfer erlitten.
"Naomi, sieh mal, das mit deinem Beruf läuft doch nicht weg. Du bist noch sehr jung. Ein Baby wächst ja auch heran, nach ein oder zwei Jahren könnten wir uns eine Tagesmutter nehmen, du könntest dich beruflich voll entfalten, du könntest.."
"...könntest, könntest, könntest! Ich kann das nicht mehr hören!" Sie explodierte fast vor Wut. "Ach Matz, du hast einfach keine Ahnung vom Arbeitsmarkt", fuhr sie dann leicht resigniert fort. "Ihr Lehrer seid doch alle jenseits von Gut und Böse, ihr lebt auf einem fremden Stern. Ihr Beamte seid die allerletzten weltfremden Mohikaner auf diesem Planeten. Ein Wunder, daß es euch überhaupt noch gibt. Was denkst du, wie viele hundert und tausend Geographen und Geographinnen allein im Einzugsgebiet von Trier jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt drängen? Weißt du, wie viele davon eine echte Chance bekommen? Im ersten Anlauf sind es weniger als 30%. Und dann versuch das Ganze mal mit Baby an Bord! Null Chance, sage ich dir. Null Komma null!"
Mein Schweigen durfte sie getrost als Sieg auf der ganzen Linie verbuchen. Sie hatte vielleicht recht, was ihr Leben anging, was ihre Karriere betraf. Aber durfte sie so egoistisch über unsere Beziehung hinweggehen? Über die Interessen des Kindes, des Embryos? Hatte der oder sie, wer auch immer sich da in ihrem Bauch Hoffnung auf Zukunft machte, überhaupt schon Interessen anzumelden, gar ein Mitspracherecht? Ich mußte feststellen, wie schlecht ich selbst auf diese Situation vorbereitet war. Naomi ging es sicher nicht viel anders. Sie war einfach überfordert. Ihre Aggression bewies es. 'Jetzt bloß nichts mit heißer Nadel stricken!', sagte ich mir.
"Nun hör mir mal bitte gut zu, Matz! Natürlich fühle ich, wie sehr du mich liebst. Jetzt ist mir auch klar, daß du dieses Kind unbedingt haben möchtest. Nur bitte ich dich um eines: überlaß die letzte Entscheidung mir. Ich kenne deine Wünsche und werde sie berücksichtigen, keine Sorge."
"Das klingt schrecklich kühl, Schatz."
"Laß es klingen, wie es klingt. Ich muß jetzt erst mal mit mir selbst ins Reine kommen. Ich bin erst in der dritten Woche, also keine Panik. Und bedenke bitte: wir sind nicht verheiratet."
"Was soll denn das schon wieder? Du weißt doch, daß ich dich auch ohne Trauschein liebe, mindestens so viel wie mit diesem Wisch. Vielleicht sogar noch mehr."
"War ja auch kein Vorwurf. Aber als Frau hat man eben eine andere Position. Als Alleinerziehende, wohlgemerkt. Da wird man schnell abgestempelt zur Almosenempfängerin."
"Aber du bist doch gar nicht allein..."
"Komm, lassen wir das jetzt, Matz. Schlafen wir ein Weilchen drüber. Ich werde schon zu einer Lösung finden. Ich hab nur eine Bitte: ich möchte, daß du mich unterstützt, egal, zu was ich mich letzten Endes durchringen werde. Abgemacht?"
"Abgemacht, Schatz."
Letzteres muß wohl nicht besonders überzeugend geklungen haben, denn Naomi sah mich verdammt schräg von der Seite an.
Nach dem Abendessen, für dessen Zubereitung ich mich freiwillig meldete, überraschte mich Naomi mit einem besonderen Nachtisch. Sie fischte eine Sektflasche aus dem Kühlschrank, die sie nach ihrer Rückkehr aus der Stadt ohne mein Wissen dort reingeschmuggelt hatte. Ich kannte einige Frauen, die bei besonderen Anlässen auf Sekt standen. Naturgemäß war die Überraschung meinerseits groß, nach dem verbalen Schlagaustausch vorhin. Na ja, vielleicht war es ja der Einstieg in die glückliche Wendung.
"Feste soll man feiern, wie sie fallen", war ihr einziger Kommentar zu meinem verdutzten Gesichtsausdruck. War es blanker Sarkasmus? Ich tat mich schwer damit, dieses prickelnde Erlebnis einzuordnen. Wir wechselten rüber in die gute Stube, die jetzt in Nebenfunktion Naomis Studierzimmer war.
"Ein Prosit auf unseren Stammhalter", tönte Naomi. Ich dagegen war ganz und gar nicht zum Scherzen aufgelegt, machte aber gute Miene zum Spiel (zum bösen Spiel, wie ich fand).
Alkohol soll ja nicht gerade förderlich sein für Schwangere, ging mir nebenbei durch den Kopf. Ich wußte von Abtreibungsversuchen verzweifelter Lateinamerikanerinnen, indem sie große Mengen Zuckerrohrschnaps tranken. Aber so weit waren wir ja noch nicht. Das Luy'sche Biogewächs - Riesling extra brat - hatte Charakter, ganz ohne Frage, ein rassiger Sekt des Konzer Biowinzers.
"Nun erzähl doch mal, Matz, wie läufts denn mit deinen Mordgeschichten?" stichelte sie.
"Mordgeschichten? Woher weißt du denn, daß es Morde gibt?"
"Man hört ja einiges, wenn der Tag lang ist. Bei RPR 1 habe ich das heute bestimmt schon dreimal mitbekommen, das läuft nämlich oben bei uns im Geo-Labor."
'Wie gut, daß ich heute kein Radio gehört habe', dachte ich.
"Na, dann bist du ja auf dem neuesten Stand, wenn man so will. Mehr weiß ich auch nicht. Außer, daß sie einen weißen Opel-Astra suchen, Baujahr '93. Du hast nicht zufällig einen gesehen?"
Reine Retourkutsche.
"O ja doch, laufend. Ich sehe ständig Sternchen und weiße Astras, Matz. Welchen hättest du denn gerne?"
Wir mußten beide schallend lachen. Dann versuchte ich, wieder ernst zu werden:
"Nun ja, es soll bundesweit rund 12.000 dieser Autos geben, wird sicher keine leichte Aufgabe sein, den Richtigen ausfindig zu machen."
"Die Bullen machen das schon. Keine Angst, die haben sie alle im Computer. - Aber sag mal, wie gehst du mit dem Fall um? Zwei Morde, das ist kein Pappenstiel. Das müßte doch ein Thema sein für eure Zeitung?"
"Klar isses das. Und ich werd mich auch drum kümmern. Gleich morgen werd ich mir die Pennerszene vornehmen, muß mit den Leuten ins Gespräch kommen."
"Gute Idee, Matz. Übrigens, da eine Weinkellerei im Spiel ist, ein Tip für dich: ich kenne zufällig einen Weinhändler, der heißt Schöppchen, einer mit Bart. Er soll seit Jahren in einer Höhle bei Trier hausen. Muß früher dolle Dinger gedreht haben, wurde mir als Kind erzählt."
"Meinst du etwa den mit dem langen, schwarzen Bart, der Sommer wie Winter mit der Felljacke herumläuft?"
"Ja, genau, wie ein Berber aus der Sahara. Im Winter die Wolle nach innen, im Sommer nach außen. Soll dann sogar vor der Hitze schützen."
"Klar, den habe ich schon oft gesehen, pendelt wohl viel zwischen Wald und Stadt. Ich wußte aber nicht, daß er mal Weinhändler war."
"Muß eine ziemliche Größe an der Mittelmosel gewesen sein. Mein Vater hat früher oft von ihm erzählt. Einmal war er sogar bei uns zu Hause auf einer Party, ich war gerade im Backfischalter, er wollte sich an meine knospenden Titten ranmachen. Ich hab ihm kräftig eine gewischt, eine schallende Backpfeife, dann war Ruhe."
"So ein Mistkerl!"
"Na, so schlimm wars nicht. Er war halt angetrunken. Aber bei diesem Zwischenfall habe ich mir sein Gesicht eingeprägt. Ich war völlig irritiert, als ich ihn vor ein paar Jahren in seiner neuen Montur in Trier getroffen habe. Ich glaube, er hat mich nicht erkannt."
"Gut so."
"Du gönnst dem Typen aber auch gar nichts."
"Kinderschänder sind nicht gerade meine besten Kumpels, verstehst du!"
"Mach bitte aus einer Fliege keinen Elefanten, Mätzchen. Schöppchen ist nicht wegen Kindesmißhandlung in Haft gekommen, sondern wegen irgendwas mit Wein und Panscherei oder so."
"Sieh an, im Gefängnis war der feine Herr auch schon mal!"
"Ein paar Jahre hat er gesessen. Genaueres weiß ich nicht. Dafür müßtest du meinen Vater fragen."
"Gute Idee, Naomi. Wollten wir nicht sowieso am Sonntag nach Kues fahren?"
"Nee, hab ich abgesagt. Zuviel zu tun, leider. Außerdem möchte ich nicht mit meinen Eltern über meinen Zustand sprechen, du weißt schon, was ich meine. Erika war mir eine sehr große Stütze. Sie hat mir echt vier geholfen. Zwei Stunden sind wir durch den bunten Herbstwald gegangen. Danach gings mir saugut."
Ich war nicht Psychologe genug, um die Bedeutung der 'besten Freundin' für eine Frau einzuschätzen. Aber ich hatte urplötzlich gewisse Aversionen gegen das gute Verhältnis von Naomi zu Erika. Komisch, daß mir das vorher nicht aufgefallen war.
Naomi sah mich forschend an, es war so, als lese sie meine Gedanken. War mein Kopf ein offenes Buch für sie? Manchmal war sie mir unheimlich. Aber diese Anwandlungen verdrängte ich rasch, ich war zu sehr verknallt in sie, in dieser Beziehung war ich ein hoffnungslos hoffnungsfroher Fall.