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3.

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Als die Buben erwachten, stand die Sonne schon hoch am Himmel. Jan war der erste, der den Kopf durch die Zeltöffnung steckte. Die Schmerzen in seinem Hinterkopf waren verschwunden. Mit lauten Zurufen und freundschaftlichen Püffen weckte er seine Kameraden. Die grössten Schwierigkeiten hatte er, wie immer, bei Erling. Der dicke Kerl bat eindringlich und mit flehender Stimme, man solle ihn doch noch ein paar Stunden schlafen lassen. Aber Jan war unerbittlich: «Als wir beschlossen, diese Fahrt zu machen, war es sicher nicht unsere Absicht, die ganze Zeit zu verschlafen. Ermanne dich, Dicker, und mach kein so wehleidiges Gesicht! Auf mit dir!»

Carl holte zwei Eimer Wasser vom Hof, und Jesper besorgte frische Brötchen vom Bäcker. Als sie am Lagerfeuer versammelt waren und sich das Frühstück schmekken liessen, erörterten sie eifrig die Geschehnisse der Nacht. Jesper konnte es nicht lassen, Carl etwas zu nekken: «Du warst ja gestern so begeistert, weil der Mann mit der Narbe den Grenzwächtern entwischte. Bist du noch immer so froh, dass er sich auf freiem Fuss befindet?»

«Meinst du, wegen des Rades?» gab Carl bedrückt zurück. «Ich konnte doch nicht wissen, dass er stehlen würde ...»

«Wir wollen Carl damit nicht necken, Krümel!», mischte Jan sich ein. «Ich verstehe sehr gut, was gestern in ihm vorging, als er sich darüber freute, dass die Flucht geglückt war. Denken wir jetzt lieber daran, einen Plan für den heutigen Tag zu entwerfen. Zuerst und vor allem müssen wir die Polizei in Sonderburg benachrichtigen. Der Diebstahl des Fahrrads wird sie kaum sonderlich interessieren. Ich glaube aber sicher, wenn sie hören, wer das Rad gestohlen hat, werden sie die Ohren spitzen. Der Flüchtling von der Grenze wird vermutlich schon überall gesucht ...»

«Wo mag er stecken?» fragte Jesper.

«Das weiss ich natürlich ebensowenig wie du, Krümel», erwiderte Jan. «Ich halte es aber für sehr wahrscheinlich, dass er sich irgendwo auf Alsen befindet. Er hatte sicher einen ziemlich weiten Weg vor sich. Weshalb hätte er sonst das Wagnis eingehen und das Rad stehlen sollen? Es ist nicht undenkbar, dass er auf Alsen Freunde hat, die ihm auf der Flucht weiterhelfen können ...»

«Vielleicht treffen wir wieder mit ihm zusammen», unterbrach ihn Carl hoffnungsvoll.

Jan schüttelte den Kopf. «Damit rechne lieber nicht, Carl. Nach dem, was heute nacht geschehen ist, wird er sicher sehr vorsichtig sein.»

Ausnahmsweise wurde Erling erstaunlich schnell mit dem Frühstück fertig. Er erhob sich und blinzelte Jan heimlich zu. «Kannst du mit Krümel allein das Zelt abbrechen, Jan?» fragte er. «Inzwischen könnten Carl und ich uns etwas in der Umgegend umsehen.»

«Natürlich», erwiderte Jan, der sofort begriff, was Erling im Sinne hatte.

Die beiden Jungen machten sich auf den Weg, während die Zurückbleibenden aufräumten und das Zelt abbrachen. Eine halbe Stunde später waren sie fertig. Bald darauf kamen Erling und Carl zurück.

Carl stiess ein vor Neuheit funkelndes Rad. Jan rief lachend: «Jetzt besitzt du das beste Rad von uns allen, Carl! Schade, dass der Kerl nicht mein Rad gestohlen hat!»

«Es ist mir eigentlich gar nicht recht», murmelte Carl verlegen. «Erling hat 265 Kronen für das Rad bezahlt, und ich hätte genau so gut das alte Rad nehmen können, das der Mann für 85 Kronen verkaufen wollte ...»

«Ja, das sieht Erling wieder einmal ähnlich», sagte Jan, vergnügt grinsend. «Er findet das Beste gerade einigermassen gut genug. Aber nun wollen wir machen, dass wir nach Sonderburg kommen. Es ist höchste Zeit, dass die Polizei benachrichtigt wird.»

Es dauerte nicht lange, und die Buben waren wieder unterwegs. Da es nach Alsen leicht bergab ging, konnten sie ein gutes Tempo einhalten. Schliesslich beschrieb der Weg eine scharfe Kurve nach rechts, und Sonderburg lag auf der anderen Seite der Meerenge vor ihren Augen. Die Stadt machte im strahlenden Sonnenschein einen festlichen Eindruck. Am äussersten Ende rechter Hand lag das grosse Schloss, in dem Christian der Zweite sieben Jahre lang gefangen gesessen hatte. Wie Erling erzählte, war der Turm, der ihn beherbergt hatte, schon seit langer Zeit niedergerissen. Andere Teile des Schlosses aber waren gut erhalten, obwohl sie aus dem Mittelalter stammten.

Die Buben fuhren sofort nach der nächsten Polizeistation, und Jan erzählte, was sich in der Nacht begeben hatte. Der Wachtmeister machte grosse Augen, als er hörte, der Fahrraddieb wäre mit dem verschwundenen Flüchtling von der Grenze identisch. Er sagte: «Bist du deiner Sache auch sicher?»

«Durchaus!» erklärte Jan ohne Bedenken. «Ich habe ihn an der Grenze ganz deutlich gesehen, und heute nacht hatten wir hellen Mondschein. Ein Irrtum ist ganz ausgeschlossen.»

Der Wachtmeister kritzelte etwas auf einen Bogen Papier. Dann erhob er den Kopf und fragte: «Wie heisst du?»

«Jan Helmer.»

«Helmer?» wiederholte der Polizeibeamte überrascht. «Bist du mit Kriminalkommissar Helmer in Kopenhagen verwandt?»

«Er ist mein Vater.»

Der Wachtmeister schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. «Ist es möglich? Dein Vater war mein Lehrer auf der Polizeischule. Er ist ein hervorragender Beamter. Und wenn ich nicht irre, habe ich auch ab und zu von deinen Taten etwas gehört ...»

«Ach, das ist nicht der Rede wert», unterbrach Jan ihn schnell; denn er konnte es nicht leiden, dass man von seinen «Taten» sprach.

«Oho, und ob es der Rede wert ist. Es ist noch gar nicht lange her, da waren die Zeitungen voll von einer gewissen Geschichte, die sich am Vejers-Strand zugetragen hat, und bei der du eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hast. Bist du diesmal ohne deine Kameraden unterwegs?»

«Nein, drei von ihnen warten unten auf der Strasse.»

«Es ist doch nicht zu glauben! Ich muss die Helden von Vejers unbedingt kennenlernen. Hol sie sofort herauf. Ich glaube nicht, dass sie nein sagen werden, wenn du ihnen mitteilst, sie würden Apfelmost und frischgebackene Brezeln bekommen.»

«Bei einem von ihnen bin ich jedenfalls sicher, dass er nicht nein sagt», antwortete Jan lächelnd.

Es dauerte nicht lange, so sassen die vier Buben im Amtszimmer des freundlichen Wachtmeisters und liessen sich die Brezeln und den Apfelmost schmecken. Das Gerücht von ihrer Anwesenheit hatte sich bereits auf der ganzen Polizeistation verbreitet, und so fehlte es denn nicht an interessierten Zuhörern, als Jan auf den Wunsch des Wachtmeisters seinen Bericht von den Vorfällen an der Grenze und während der Nacht wiederholte.

«Was habt ihr jetzt vor?» fragte der Wachtmeister, als Jan geendet hatte.

«Wir wollen nach Kegnäs und dort unser Zelt aufschlagen», antwortete Jan.

«Da habt ihr euch die richtige Stelle ausgesucht», sagte der Wachtmeister. «Ich wünsche euch schönes Wetter und viel Spass!»

Eine Viertelstunde später verabschiedeten sich die Knaben von den freundlichen Polizeileuten und stiegen wieder auf die Räder. Sie machten eine Rundfahrt durch die Stadt und fuhren dann nach Mommark weiter. In der kleinen Stadt Vollerup bogen sie nach Kegnäs ab.

Jan, der mit Erling an der Spitze fuhr, sagte mit gespielter Gleichgültigkeit: «Ich hätte wohl Lust, morgen nach Nordburg zu radeln».

«Wie weit ist das?» fragte Erling mit bangen Ahnungen.

«Nicht der Rede wert», lächelte Jan. «Von Kegnäs nach Nordburg und zurück dürften es kaum mehr als achtzig Kilometer sein.»

«Achtzig Kilometer?» rief Erling entsetzt. «Willst du denn durchaus, dass ich einer Vogelscheuche gleiche, wenn ich in Kopenhagen wieder meinen Einzug halte?»

«Bewegung ist gesund, Dicker. Du wirst nicht gleich sterben, wenn du in den Ferien ein paar Kilo abnimmst.»

Am Rande der kleinen Stadt Hörup stand ein grosses Zirkuszelt. Die Buben stiegen von den Rädern, um sich alles etwas näher anzusehen. Grosse farbenprächtige Plakate verkündeten die Überraschungen, die in der Abendvorstellung geboten werden sollten: Dressierte Seelöwen, tanzende Hunde, einen waschechten Neger, der sich als Feuerfresser produzierte, und zwei Clowns. Den Abschluss der Vorstellung bildete eine grosse Amateurkonkurrenz. Die stärksten Männer der Gegend wurden eingeladen, im Ringkampf ihre Kräfte zu messen. Dem Sieger winkte ein Preis von 300 Kronen. Jan meinte lächelnd, das würde ziehen. Das Zirkuszelt würde sicherlich bis auf den letzten Platz gefüllt sein.

Als die vier Freunde ihre Neugier befriedigt hatten, radelten sie auf der Landstrasse weiter, die sich in der Nähe des Meeres hinzog. Die Sonne hatte die Mittagshöhe schon überschritten. Kurz vor Sönderby beschlossen sie, haltzumachen. In der Nähe des Wassers fanden sie einen ausgezeichneten Lagerplatz. Auch gab es in dem kleinen Ort eine Handlung, einen Bäcker und ein Milchgeschäft, wo sie alles bekamen, was sie brauchten. Jesper wurde losgeschickt, um einzukaufen, während die drei anderen das Zelt aufschlugen. Die Räder wurden mit einer starken Eisenkette aneinander geschlossen.

Die Jungen verbrachten einen herrlichen Nachmittag. Nach dem Essen ruhten sie etwas und gingen dann ins Wasser. Es herrschte nur eine schwache Strömung, und der Grund war steinfrei. Den Höhepunkt bildete ein Wettschwimmen, das Jan in grossem Stile gewann. Carl wurde Zweiter. Den letzten Platz belegte Erling, da er, wie er sagte, nicht einsah, weshalb er sich hätte überanstrengen sollen. Er war nach Kegnäs gekommen, um sich «auszuruhen», nicht um ein Wettschwimmen zu gewinnen! Die anderen mochten ihn noch so sehr necken; er liess sich nicht aus der Ruhe bringen. Seine Fähigkeiten lägen auf anderem Gebiet, erklärte er mit Würde.

An Fähigkeiten fehlte es ihm tatsächlich nicht. Er war seit jeher in seiner Klasse der Beste gewesen. Nach Jans Meinung würde er sicher einmal ein höchst gelehrter Professor werden. Die beiden Jungen waren so verschieden voneinander, wie es überhaupt nur möglich war. Aber gerade dieser Gegensatz bewirkte, dass sie unzertrennliche Freunde waren und stets zusammenhielten, wo es galt.

Später am Nachmittag machte Jan allein einen Spaziergang am Strande. Er genoss die Sonne und die frische Brise, die vom Meer herüberwehte. Von Zeit zu Zeit hob er einen flachen Stein auf und liess ihn über das Wasser schnellen. Als er sich wieder einmal bückte, fiel sein Blick unwillkürlich auf eine kleine Erhöhung, die weiter landeinwärts lag. Im selben Augenblick sah er dort etwas aufblitzen, und er entdeckte einen kleinen dunklen Fleck, der gleich darauf hinter dem Hügelkamm verschwand. Einen Augenblick blieb Jan überrascht stehen. Es bestand kein Zweifel: Jemand hatte ihn durch ein Fernglas beobachtet. Die Sonne hatte sich eine Sekunde in den Gläsern gespiegelt, und als er in jene Richtung geblickt hatte, war der Kopf des Beobachters hinter dem Hügelkamm verschwunden!

Er ging schnell auf die Erhöhung zu. Als er sie erstiegen hatte, war jedoch nirgends ein menschliches Wesen zu entdecken. Wenn jemand ihn wirklich beobachtet hatte, musste der Betreffende im Erdboden versunken sein.

Jan kehrte langsam nach dem Lager zurück. Wer konnte ein Interesse daran haben, ihn durch ein Fernglas zu beobachten? Ob es ein reiner Zufall war? Das war wenig wahrscheinlich, denn im Augenblick, wo er sich in jene Richtung gewandt hatte, war der Kopf mit dem Fernglas sofort verschwunden.

Er erzählte seinen Freunden, was geschehen war, aber auch sie vermochten dafür keine Erklärung zu geben. Schliesslich meinte Erling: «Wahrscheinlich war es irgendein Tourist, der nach Schiffen Ausschau hielt.»

«Weshalb hätte er sich dann so schnell aus dem Staube gemacht, als er sich von mir entdeckt sah?»

«Vielleicht hatte er das Interesse für die See verloren, weil sich kein Schiff zeigte.»

«Das glaubst du doch selbst nicht, Dicker!»

Da die Buben einsahen, dass es keinen Zweck hatte, sich mit dieser Frage den Kopf zu zerbrechen, liessen sie den Gegenstand fallen und unterhielten sich über andere Dinge.

Nach dem Abendessen sagte Carl plötzlich, er wolle etwas spazieren fahren. «Wo willst du denn hin, Carl?» fragte Jan verwundert.

«Ach, ich habe nur etwas zu erledigen», wich Carl aus. «Fragt mich bitte nicht weiter aus.»

«Wenn du es nicht willst ... Aber wir pflegen doch sonst keine Geheimnisse voreinander zu haben.»

Es war jedoch nichts zu machen. Carl wollte nicht mit der Sprache heraus, und bald darauf bestieg er sein Rad. Die Zurückbleibenden erörterten sein merkwürdiges Verhalten. Erling seufzte: «Was es doch alles gibt! Ein Geheimnis löst das andere ab. Und das Ganze nennt man dann Ferien. Was in aller Welt mag Carl nur vorhaben?»

«Vielleicht will er herausbringen, wer Jan durchs Fernglas beobachtet hat?» meinte Jesper.

«Vielleicht», stimmte Jan zu. «Aber ich verstehe nicht, weshalb er durchaus allein fahren wollte. Wenn er sich nur nicht in irgendeine dumme Geschichte einlässt.»

Die Stunden vergingen, ohne dass Carl zurückkam. Seine Freunde wurden immer unruhiger. Die Sonne war schon im Begriff, im Meer zu versinken, aber Carl liess sich noch immer nicht sehen. Schliesslich hielt Jan es nicht länger aus.

«Wir können doch nicht mit den Händen im Schoss hier herumsitzen», erklärte er entschlossen. «Wir wollen die Räder nehmen und ihn suchen. Ich bin sehr unruhig ...»

«Da kommt er!» rief Jesper in diesem Augenblick.

Tatsächlich! Carl kam langsam angeradelt. Er sah sehr müde und erschöpft aus. Als er kaum abgestiegen war, umringten ihn seine Freunde und überschütteten ihn mit Fragen.

Carl lächelte matt, und dann tat er etwas so Unerwartetes, dass die drei andern ungläubig die Augen aufrissen. Er zog ein Bündel Geldscheine aus der Tasche und reichte Erling zwei Hundertkronenscheine, sechs Zehnkronenscheine und einen Fünfkronenschein.

«Mit Dank zurück, Erling», sagte er ruhig. «Es war nett von dir, das Geld für das neue Rad auszulegen.»

«Aber woher hast du denn das Geld?» rief Erling verblüfft.

«Ich habe es ehrlich verdient», lächelte Carl. «Aber ich spüre auch alle meine Knochen im Leib. Noch nie in meinem Leben war ich so zermürbt!»

«Du warst im Zirkus, nicht wahr?» warf Jan schnell ein.

«Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen», gestand Carl. «Es klang aber auch gar verlockend, dass man sich bei einer Ringkampfkonkurrenz dreihundert Kronen verdienen könnte. Ich dachte an das Geld, das ich dir schulde, Erling, und da ... na ja ... da mass ich meine Kräfte mit denen von mindestens zwanzig anderen ... Und jetzt bin ich so müde, dass ich mich kaum noch aufrecht halten kann. Meine Gegner sind nicht gerade sanft mit mir umgegangen.»

Jan und Erling wechselten einen schnellen Blick. Sie dachten beide dasselbe. Carl stammte aus einem armen Hause. Aber er war einer der prächtigsten Menschen, die sie jemals kennengelernt hatten.

Jan ganz groß!

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