Читать книгу Jan und das Gold - Carlo Andersen - Страница 3

Erstes kapitel

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Manchmal haben Ereignisse eine Vorgeschichte, die jahrelang zurückliegen kann. Die dramatische Angelegenheit, mit der Jan Helmer neuerdings zu tun bekommen sollte, nahm ihren Anfang kurz nach dem Ersten Weltkrieg.

Damals gab es viele junge Leute mit Abenteurerblut, die es in die Ferne zog, hauptsächlich nach Amerika und Australien, sobald die Grenzen wieder geöffnet waren.

Zu ihnen gehörte Andreas Holm, der achtzehn Jahre alt war, als er seiner Heimat Dänemark den Rücken kehrte und sich als Schiffsheizer die Überfahrt verdiente. Er wurde Landarbeiter in Oklahoma, Apfelsinenpflücker in Kalifornien, Holzfäller in den Rocky Mountains und Vorarbeiter in einer chilenischen Salpetermine. Das harte Leben machte ihn zu einem bärenstarken Mann, der zwar von Natur friedfertig war, aber sehr ungemütlich werden konnte, wenn er Ungerechtigkeit gegenüber Schwachen und Geringen mit ansehen mußte.

Nach mehrjährigem unstetem Wanderleben gelangte Andreas Holm nach Perth, der Hauptstadt des Staates Westaustralien, die damals erst rund 100 000 Einwohner hatte, jedoch in raschem Aufschwung begriffen war. Vom Hafen Fremantle aus wurden große Mengen von Weizen, Holz, Schaffleisch, Leder und Obst exportiert, doch die eigentliche Ursache des raschen Wachstums der Stadt ließ sich mit dem einen Wort erklären: Gold!

Vor allem rings um Kalgoorlie, nur siebenhundert Kilometer von Perth entfernt, hatte man um die Jahrhundertwende bedeutende Goldlager gefunden. Sie wurden von großen Minengesellschaften ausgebeutet, denen ein Millionenkapital zur Verfügung stand; aber es gab auch immer wieder Alleingänger, Glücksjäger, die sich auf die Goldsuche begaben, um zu einem Vermögen zu kommen. Die Bewilligung kostete nicht viel. Allerdings hörte man auch nur selten von einem Goldgräber, der tatsächlich auf eine ergiebige Ader gestoßen war.

Im Verlauf der Jahre hatte sich Andreas Holm ein hübsches Sümmchen zusammengespart, das er nun als Goldsucher zu vermehren gedachte. Da er in Perth mancherlei Geschichten von fehlgeschlagenen Hoffnungen vernahm, war er sich jedoch durchaus darüber klar, daß er sein mühsam erworbenes kleines Kapital auf diese Weise ebensogut verlieren konnte. Er ließ sich weniger von Geldgier als von Abenteuerlust treiben. Gern hätte er ein paar zuverlässige, ehrliche Mitarbeiter gewonnen; doch das schien ziemlich aussichtslos zu sein, so daß er schon nahe daran war, diesen Gedanken aufzugeben, als ihm der Zufall zu Hilfe kam.

Eines Tages begab er sich in der Hafenvorstadt Fremantle in eine Seemannskneipe, um zu essen und ein Glas Bier zu trinken. Unter den Gästen befanden sich zwei junge Männer, die Zwillinge sein mußten, denn sie glichen einander wie ein Ei dem andern. Deshalb fielen sie Andreas auf, und noch mehr staunte er, als er feststellte, daß sie sich auf dänisch unterhielten.

Natürlich hatte Andreas in der weiten Welt schon öfters Dänen getroffen, aber hier in Perth geschah es zum erstenmal, und so dauerte es nicht lange, bis er mit seinen Landsleuten ins Gespräch kam. Die Zwillingsbrüder hießen Aksel und Ejnar Hansen, stammten aus Kopenhagen und waren, wie Andreas, weit herumgekommen. An sich wollten sie auf einem skandinavischen Schiff, das demnächst in Fremantle anlegen sollte, Heuer nehmen; aber sie besannen sich anders, als Andreas schließlich mit seinem Vorschlag herausrückte. Die Brüder verfügten nur über geringe Ersparnisse, doch da eine Goldgräberausrüstung nicht viel kostete, zogen die drei jungen Leute vierzehn Tage später in die Gegend nördlich von Kalgoorlie, wo sie im Schoß der Erde ein Vermögen zu entdecken hofften.

Es wurde eine harte Zeit für sie. Das subtropische Klima der westaustralischen Hochebene mit kurzem, mildem Winter und langem, heißem Sommer machte den drei Nordländern zu schaffen, und die einförmigen, mühseligen Arbeitstage setzten ihren Nerven zu, zumal sie ergebnislos verliefen. Zum Glück vertrugen sich die drei recht gut und hielten fest zusammen. Andreas hatte die fleißigen Brüder schätzen gelernt, die oft eine schwierige Lage meisterten und stets Geistesgegenwart bewiesen. Damit er sie unterscheiden konnte, trug Aksel immer eine rote Kopfbedeckung, Ejnar eine blaue Mütze.

Fast zwei Jahre plagten sie sich ab, und das kleine Kapital war fast aufgezehrt, als das große Wunder geschah. Eines Abends kurz vor Sonnenuntergang stieß Ejnar einen lauten Ruf aus und warf die Hacke zu Boden. Die beiden andern kamen sofort herbeigelaufen, und auch sie brachen in Freudengeschrei aus, denn in seiner rauhen Hand hielt Ejnar einige Goldkörner.

Der Anblick wirkte auf die drei Goldgräber wie ein elektrischer Schlag. In den nächsten Sekunden waren sie wie gelähmt. Sie starrten nur auf die Goldkörner, während ihnen der Schweiß übers sonnverbrannte Gesicht lief.

Dann aber kehrte die Tatkraft zurück. Wie rasend schlugen sie mit der Hacke los, obwohl sie nach des Tages Mühe rechtschaffen müde waren. Erst nach Sonnenuntergang fühlten sie sich ihrer Sache sicher: Sie hatten endlich eine Goldader gefunden! Während der Gipfel des fernen Mount Jackson im letzten Schein des Abendrots leuchtete, streckten sie sich erschöpft auf dem Boden aus. Ihre Glieder waren bleischwer, aber in den Ohren klang ihnen das Freudenlied: Gold... Gold... Gold!

In den folgenden Tagen arbeiteten sie besonders tatkräftig. Die Goldader schien ergiebig zu sein, doch es ließ sich nicht sagen, wie weit sie sich erstreckte. Unermüdlich arbeiteten Andreas und die Zwillingsbrüder, und das gefundene Gold wurde in Ledersäckchen verwahrt, die sie in ihrer bescheidenen Hütte versteckten.

So ging es eine Zeitlang weiter. Abwechselnd begaben sie sich nach Perth, wo das Gold gewogen und der Erlös auf drei verschiedene Bankkonten eingezahlt wurde. Jeder erhielt ein Drittel.

Man kennt ja Geschichten vom «Fluch des Goldes», und diese alte Regel sollte sich wieder einmal bestätigen. Das bisher so kameradschaftliche Verhältnis zwischen den drei Männern wandelte sich langsam und allmählich. Andreas war daran nicht schuld. Es wäre ihm in seiner Ehrlichkeit niemals in den Sinn gekommen, daß seine Mitmenschen ihn betrügen könnten; aber die Zwillingsbrüder waren anders beschaffen, und leider gingen beider Gedanken genau dieselben Wege. Zuerst sprachen sie es nicht aus; aber da sie selbst nicht reinen Herzens waren, hegten sie den Verdacht, daß Andreas sie betrüge, und schließlich kam es zu recht deutlichen Ausbrüchen. Eines Tages wurde der Wortwechsel so arg, daß Ejnar und Andreas gleichzeitig zur Pistole griffen, doch glücklicherweise konnte Aksel eine Katastrophe verhindern.

Tags darauf verschlimmerte sich die Lage noch mehr. Die Brüder tuschelten und flüsterten miteinander, würdigten Andreas hingegen keines Wortes. Sogar einige andere Goldgräber, die ihr Camp in der Nähe hatten, erklärten später, es hätte ja nicht gut ausgehen können; aber es wäre nicht ihre Sache gewesen, sich in eine Privatangelegenheit einzumischen.

Tatsächlich kam es zu einer Katastrophe.

Andreas war gerade mit einem gefüllten Ledersäckchen in der Hand auf dem Weg zur Hütte, als Ejnar drohend rief: «He, wo willst du hin?»

Andreas drehte sich um und antwortete erstaunt: «In die Hütte natürlich. Das Gold soll bei den andern Beuteln aufbewahrt werden.»

«Schwindler!» zischte Ejnar erregt. «Du willst uns betrügen – wie gewöhnlich!»

«Bist du verrückt geworden?» entfuhr es Andreas, der kein Wort begriff. «Was soll das heißen, ich betrüge euch? Wir haben doch alles redlich geteilt, so daß keiner ein Gramm mehr als der andere erhalten hat ...»

«Ja, das behauptest du!» höhnte Ejnar. «Aber als ich das letztemal in Perth war, hörte ich etwas ganz anderes. Eines der Bankkonten ist größer als die andern – deins.»

«Verdammter Schwindler!» platzte der sonst so umgängliche Andreas heraus. «Nimm diese gemeine Lüge zurück!»

«Im Gegenteil, ich werde dich anzeigen, du elender Betrüger!»

Da hatte Andreas genug, und das Blut kochte ihm über. Er schleuderte den Lederbeutel weg und lief mit geballten Händen auf Ejnar zu. Ein Schreckensschrei von Aksel – Ejnar zog blitzschnell die Pistole. Andreas war sich darüber klar, daß es nun um Sekundenbruchteile ging, wenn er seinem Gegner zuvorkommen wollte. Er handelte in Notwehr, als seine Pistole in dem Augenblick knallte, wo Ejnar abdrückte.

Lautlos fiel Ejnar zu Boden und blieb unbeweglich liegen. Entsetzt erstarrte Andreas. Dann entfiel die Waffe seiner kraftlosen Hand, während sich Aksel mit einem Schrei auf seinen Bruder warf.

Andreas wagte kaum zu fragen: «Ist er... ist er tot?»

Aksel riß das Hemd des Gestürzten auf, und ein blutroter Fleck wurde über dem Herzen sichtbar. «Ja, er ist tot, und du hast ihn umgebracht!»

«O Gott», stammelte Andreas. «Es geschah in Notwehr... sonst hätte er mich erschossen ...»

«Du Betrüger und Mörder!» schrie Aksel und sprang auf. «Mach, daß du fortkommst, sonst knalle ich dich nieder! Gleich werden die Leute vom Nachbarcamp hier sein, sie müssen den Schuß gehört haben. Und ich werde ihnen sagen, daß du meinen Bruder kaltblütig ermordet hast!»

Andreas stand wie versteinert, während ihm die Gedanken durch den Kopf wirbelten. Wie sollte er den andern Goldgräbern beweisen, daß er in Notwehr gehandelt hatte, wenn Aksel das Gegenteil behauptete? In seiner Verzweiflung fiel ihm kein anderer Ausweg ein, als vom Schauplatz zu verschwinden. An die gefüllten Lederbeutel in der Hütte dachte er überhaupt nicht. Er mußte fort, nur fort...

Einige Tage wohnte er in Perth in einem Hotel, ohne einen Entschluß fassen zu können. Das Bewußtsein, ein Menschenleben auf dem Gewissen zu haben, drückte ihn nieder, und jeden Augenblick erwartete er die Polizei. Als er einigermaßen zur Besinnung kam, war es zu spät. Jetzt sprach alles gegen ihn. Aksel würde natürlich behaupten, daß es sich um einen vorbedachten Mord handelte und daß der Täter geflüchtet war. Was ließ sich dagegen vorbringen?

Als kurz darauf ein Frachter nach Brisbane fuhr, hob er kurz entschlossen sein Bankkonto ab und buchte die Passage, um an der australischen Ostküste ein neues Leben zu beginnen. Da er aber dort nichts anzufangen wußte, reiste er weiter nach Port Morseby auf Neuguinea.

Aus dem lebensfrohen Andreas Holm war ein stiller, in sich gekehrter Mensch geworden, der zur Schwermut neigte. Er mußte arbeiten, um den Schock zu überwinden, und sah sich nach einer Tätigkeit um. An Geld fehlte es ihm nicht, und er entschied sich für den Koprahandel. Er tat sich mit einem Holländer namens Jan van Buis zusammen, der sich auf diesem Gebiet auskannte, so daß Andreas einiges von ihm lernen konnte. Die Eingeborenen waren zwar nicht mehr so naiv wie in früherer Zeit, wo man von ihnen für ein paar Handvoll bunte Glasperlen Kopra erhielt, aber trotzdem machten die beiden Europäer recht gute Geschäfte. Mit einer Barkasse waren sie fast ständig zwischen den Inseln unterwegs und kauften getrocknete Kopra auf, die weniger wog als die halbnasse und nicht so leicht verdarb.

Nach einigen Jahren hatten es die beiden zu einer richtigen kleinen Flotte gebracht, mit der sie den Koprahandel der Gegend beherrschten. Das Geld strömte herein, und als Jan van Buis zu einem großen Vermögen gekommen war, kehrte er nach Holland zurück, um dort Tulpen zu züchten.

Mehrere Jahre arbeitete Andreas Holm allein weiter, bis er zu den vermögendsten Männern von Neuguinea gehörte. Er war erst sechsunddreißig Jahre alt, als er die Lust an dieser Art des Lebens verlor. Es fehlte ihm ein eigentlicher Daseinsinhalt, und das Heimweh plagte ihn. Er verkaufte seine blühende Firma an ein Konsortium und kehrte auf einem Luxusdampfer als Millionär nach Dänemark zurück.

Aber der Reichtum machte ihn nicht glücklich. Wenn er auf dem Sonnendeck in einem Liegestuhl ruhte, im eleganten Schwimmbecken schwamm oder im Speisesaal eine üppige Mahlzeit zu sich nahm, konnte sein Gesicht plötzlich einen traurigen Ausdruck annehmen. Dann überwältigten ihn wieder die alten Gedanken. Er vermochte nicht zu vergessen, daß er ein Menschenleben auf dem Gewissen hatte.

Jan und das Gold

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