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Curaçao – Holland unter tropischer Sonne

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„Sind Sie die Tochter des Präsidenten von Venezuela?“ Karl hat auf dem Schildchen der Uniformbluse der Dame von Curaçaos Grenzkontrollbehörde den Namen Maduro entdeckt. Dieser Name aus dem benachbarten Venezuela wird ihm im autonomen niederländischen Überseegebiet noch öfters begegnen, unter anderem bei einem Bankhaus in der Hauptstadt Willemstad. Die rundliche, kaffeebraune Mittvierzigerin beweist Humor. „So, das glauben Sie? Präsident Maduro ist doch selber höchstens Mitte Fünfzig!“ lächelt sie geschmeichelt. Karl ignoriert die Rückfrage und entgegnet scherzend: „Wenn Sie Ihren Vater das nächste Mal sehen, richten Sie ihm bitte aus, er möge zurücktreten. Er richtet sein Land sonst noch zu Grunde.“

Nach diesem nicht ganz ernsthaften Abstecher in die venezolanische Innenpolitik drückt Frau Maduro huldvoll den Einreisestempel in Karls Pass und lässt ihn passieren. Kosimar und er durchschreiten die gekühlten Gänge des modernen Flughafengebäudes. Als sich die automatische Tür zur großen Empfangshalle öffnet, schlägt ihnen schon etwas tropische Hitze entgegen. Suchend schauen sie sich in der Halle um. Da hören sie den Ruf „Hallo, Karl!“ Es ist Frederieke, die holländische Besitzerin einer kleinen Ferienanlage in den Hügeln bei Sint Willibrordus im Westen der Insel. Vor 16 Monaten hat Karl ab Mitte Dezember 2015 – damals allein, weil die als Lehrerin „schulpflichtige“ Kosimar erst zu Weihnachten in die Karibik folgte – schon ein paar Tage auf dem ehemaligen Terrain des berüchtigten Sklavenhalters Jan Kok verbracht. Wo einst aus Afrika herbeigeschaffte Arbeitskräfte in der Salzgewinnung schuften mussten, haben Frederieke und ihr Mann Jeroen ein Urlauberparadies geschaffen.

Vom kleinen Pool der Anlage inmitten üppiger Vegetation fällt der Blick den Hügel hinunter auf das seichte Wasser der ehemaligen Salzfelder, die durch einen schmalen Trichter zwischen den Uferhügeln mit dem Meer verbunden sind. Sklaven schöpfen hier längst kein Salz mehr. Überhaupt ist dieses Geschäft zum Erliegen gekommen. Stattdessen haben nun Scharen von Flamingos die weiten Tümpel in Beschlag genommen. Auf einem Nachbarhügel ist das alte Landhuis von Jan Kok zu erkennen. Es leuchtet weiß in der Abendsonne. Wo einst die Familie des strengen „Hannes Hahn“ – wie der Name des Gutsherrn eingedeutscht hieße – in einem Garten umgeben von Dornengebüsch lebte, hat sich jetzt die Künstlerin und ehemalige Curaçao-Schönheitskönigin Nena Sanchez eingerichtet, deren farbenprächtige Skulpturen ein wenig an die Werke von Niki Saint-Phalle erinnern.

Auf dem Weg zum Abendessen im Williwood 1 kommen Kosimar und Karl am Eingang des einstigen Kok- und heutigen Künstlerinnen-Anwesens vorbei. Sie werden diese kleine Hazienda in den nächsten Tagen noch besuchen. Doch jetzt streben sie erst einmal dem Treffpunkt der Gegend um Sint Willibrordus zu. Einheimische aus dem ganzen Umkreis, zugewanderte Holländer und natürlich Touristen geben sich hier am Sonntagabend ein Stelldichein. Karl hatte diesen Ort an einer Straßenabbiegung kurz vor dem eigentlichen Dorf des Heiligen Willibrord schon bei seinem ersten Besuch schätzen gelernt. Das Toko Williwood hat seinen Namenszug auch jenseits der Straße hinter dem Sportplatz in großen Lettern an der Flanke des Hügels neben den Salzfeldern installiert. Das Vorbild neben der Filmmetropole in Kalifornien lässt grüßen. Im Williwood geht es nicht ganz so mondän, dafür aber wesentlich gemütlicher zu.

Im Winkel der Straßengabelung hat sich das Toko etabliert. Das Wort Toko stammt aus Indonesien, einer anderen ehemaligen holländischen Kolonie. Auf wundersame Weise ist es um den halben Erdball hierher gewandert. Es bedeutet „kleiner Laden“ und ist ein Platz, wo man alles Lebensnotwendige kaufen kann. Doch das Williwood ist wesentlich mehr. Der Verkaufstresen ist drinnen, aber auf der Veranda finden sich Stehtische, Bänke und Stühle. Und am Ende der Terrasse sind ein Schlagzeug, ein E-Piano und ein Bass aufgebaut. „Siehst du? Wie in dem Williwood-Newsletter angekündigt, den ich schon vor ein paar Tagen in Deutschland erhalten habe, gibt es heute Abend sogar Live-Musik“, freut sich Karl. Entsprechend voll ist die Veranda. So lassen sie sich schließlich auf dem Vorplatz nieder, wo auf der festgestampften Erde ebenfalls Tische und Bänke aufgebaut sind. Sie bleiben dort nicht lange alleine. Der Platz füllt sich mehr und mehr. Ein würdiger Graubart in olivfarbenem T-Shirt nimmt mit zwei ebenfalls tiefdunkelbraunen Freunden hier Platz. An den Nebentisch setzen sich eine etwas schwergewichtige braune Matrone, ihr Gatte in Shorts, offenem Hemd und Baseball-Kappe über dem grauen Kräuselhaar und eine Dame mit schneeweißer Lockenpracht, vielleicht die ältere Schwester des Ehemanns.

„Ich find’s toll, dass wir an einem populären Platz mitten unter Einheimischen sitzen“, kommentiert Kosimar die Lage. Karl stimmt ihr zu und bestellt die Spezialität des Hauses: „Zwei Goatburger bitte! Was für ein Bier für mich? Natürlich ein Carib!“ Kosimar ist skeptisch. „Da bin ich ja mal gespannt, wie mir der Hamburger mit Ziegenfleisch schmecken wird.“ Im Lautsprecher ertönen die ersten Akkorde des Keyboards. Dann werden sie auch schon aufgetischt, die „Göteborger“, wie Karl sie nennt.

Beschwingt von der Jazz-Musik, gut gesättigt und gut gelaunt machen sich Kosimar und Karl auf den Heimweg. Inzwischen ist es natürlich dunkel. Diesmal gehen sie an der Hauptstraße entlang und nicht quer durch das Jan-Kok-Viertel, wo sie auf dem Hinweg quasi an jedem passierten Anwesen von den Hofhunden angebellt worden sind. Karl erinnert sich, dass an dem Abzweig zu ihrer Lodge ein Riesenschlagloch den Fahrbahnrand zierte und eine Bogenlampe den Abzweig ausleuchtete. Bis dahin bleibt ihnen, als sie die Williwood-Beleuchtung hinter sich gelassen haben, nur das Mondlicht. Auf dem Abzweig zur Jan Kok Lodge erfüllen wieder mehrere Wachhunde ihre Pflicht. „Keine Bange, die Grundstücke sind alle vergittert“, beruhigt Karl seine Frau. Aber etwas mulmig ist auch ihm zumute, was er seiner ängstlichen Begleiterin natürlich verheimlicht. „Ich habe mir gestern Abend etwas Sorgen um Euch gemacht“, sagt ihnen Frederieke, als sie ihnen am nächsten Morgen den Schlüssel für den Leihwagen aushändigt. „Ich selber bin den Weg nach Williwood noch nie gegangen, geschweige denn bei Nacht.“ Kosimar und Karl werden in den nächsten Tagen Stammgäste im Toko. Aber von nun an nehmen sie immer das Auto.


Daai Booi Baai am frühen Morgen

Der erste Weg am ersten vollen Tag auf Curaçao führt sie an den Strand. „Het leven is mooi, bij Kees op Daai Booi. Dieser Wahlspruch, den der ehemalige Marineoffizier Kees in seiner Beach Bar an die Wand genagelt hat, ist so wahr, wie er wahrer nicht sein kann“, hat Karl seiner Frau versprochen. „Das Leben ist schön, bei Kees in Daai Booi. Du wirst sehen, das stimmt.“ Es ist noch früh am Morgen. Karl ist die zwei Kilometer nach Williwood und die nochmals zwei Kilometer zur Daai Booi-Bucht gejoggt. Unterwegs hat ihn die später aufgebrochene Kosimar im Kleinwagen überholt. Noch ein paar Kurven und dann liegt es endlich auch vor ihm, das paradiesische Ambiente der Bucht. Vor Kees‘ Kiosk breitet sich ein feinsandiger Strand aus, davor türkisfarbenes Wasser. Schatten spendende, auf vier Pfählen aufgeständerte Strohdachkuppeln sind über den Sandstreifen verteilt. Die Bucht ist an beiden Seiten von einer felsigen Steilküste flankiert. Von oben überschaut man die Pracht in Türkis besonders gut. Aber um die Farbenpracht unter Wasser zu entdecken, muss man sich eine Taucherbrille aufsetzen.

Doch zunächst gönnen sich die beiden Entspannung pur. In diesem Moment können sie sich keinen besseren Ort dafür vorstellen. Sie genießen die Ruhe und das Nichtstun an diesem relativ einsamen Strand. Ein braunroter Hahn mit schwarzen Schwanzfedern stolziert um den Kiosk herum, als Karl dort etwas zu trinken holt. „Ach da bist du ja, Jan Kok, du alter Sklaventreiber. Eigentlich ein viel zu gnädiges Schicksal, dass du als Hahn wiedergeboren bist und deine Zeit in Daai Booi verbringen darfst“, scherzt Karl mit ihm.


Blick auf Daai Booi von Hochküste

Als er gut ein Jahr zuvor allein hier war, hat Karl natürlich auch die wilde Hochküste erkundet. Von dort sind in der Ferne passierende Frachter zu erkennen. Durch ein Gestrüpp aus Kakteen und Dornenbüschen führt ein schmaler Pfad zur Nachbarbucht Porto Mari Baai. Nach zwanzig Minuten war er da, an diesem ebenfalls schönen, aber etwas mondäneren und nicht ganz so naturbelassenen Platz. Nach einem kurzen Zwischenstopp für einen kühlen Drink an der dortigen Bar hat er sich wieder ins Gestrüpp geschlagen, um zu Kees‘ spartanischerer Idylle zurückzukehren.

Taucherbrillen, Schnorchel und Flossen – für den nächsten Tag stehen sie auf dem Einkaufszettel. Beim Diveshop in der Piscadera-Bucht – oben im ersten Stock eines luftigen Holzhauses direkt am Strand – ist im Prinzip alles vorhanden. Nur das Schnorchler-Shirt in der richtigen Farbe fehlt. Wer länger an der Wasseroberfläche mit der Nase und den Augen nach unten dümpelt, um die Unterwasserwelt auszuspähen, sollte seine Schultern bedecken. „Wenn Sie die bunten Fische betrachten … und betrachten, verlieren Sie das Gefühl für die Zeit. Und wenn Sie aus dem Wasser kommen, haben Sie einen Wahnsinnssonnenbrand auf den Schultern. Sie brauchen unbedingt ein Shirt“, empfiehlt John, der Verkäufer im Diveshop und erfahrene Taucher aus Florida. Das war auch Karl schon am Vortag in Daai Booi aufgefallen, dass die Langzeitschnorchler mit einem nassen Hemd aus dem Wasser stiegen, einer sogar mit einer dünnen Stoffmütze samt Nackenlatz. „Ich hab‘ ja mein hellblaues running shirt aus Barbados vom dortigen Halbmarathon 2015. Das erfüllt genau diesen Zweck. Aber du solltest dir auch etwas zulegen“, rät er Kosimar. „Aber die Farben gefallen mir nicht, schlammgrau oder blau“, mäkelt Pink-Liebhaberin Kosimar. Und auch die Flosse liege nicht gut an ihrem schmalen Fuß an. „Stimmt“, stimmt ihr John zu. „Ich kann Ihnen beides von unserem Lieferanten am anderen Ende der Stadt besorgen. Wenn Sie ‘ne Stunde Zeit haben und hier am Strand verbringen wollen?“ „Tja, wir wollten eigentlich nach Willemstad hinein. Okay, wir machen jetzt einen Stadtbummel und in gut zwei Stunden kommen wir auf unserem Rückweg nach Willibrordus wieder hier vorbei“, schlägt Karl vor. „Geht klar“, verspricht John. „Dann ist mit Sicherheit alles abholbereit.“

Von der Piscadera-Bucht, an der auch das Hilton Curaçao liegt, ist es nicht mehr weit bis nach Willemstad, der einstigen Hauptstadt der Niederländischen Antillen und mit über 120.000 Einwohnern auch heute noch die größte Stadt aller karibischen Inseln des Königreichs der Oranier. Die Kolonialisten haben den Ort wohlbedacht gewählt. Etwas östlich der Mitte der etwa 60 Kilometer langen Insel liegt er an der dem Karibischen Meer abgewandten Südseite Curaçaos und zwar dort, wo durch einen schmalen Trichter das Meer in eine von Land umschlossene Lagune fließt, das Schottegat. Dieser natürliche Hafen ist heute von Industrieanlagen umgeben, vor allem Erdölraffinerien. Ihre Stadt haben die holländischen Kolonialisten, die im 17. Jahrhundert auf der Suche nach dem in Europa stark nachgefragten Salz hierher kamen, praktischer Weise an der schmalen Durchfahrt zum Schottegat errichtet. Die Salzhändler, die das zum Einpökeln von Fischen begehrte Gut nach Europa verschifften, hatten ihre Kontore an der Handelskade, wo noch heute die bunten Giebelhäuser Seite an Seite stehen. Sie sind zum Emblem-Bild der Curaçao-Werbung geworden. Mehr als alles sonst repräsentieren sie das Weltkulturerbe, zu dem die UNESCO 1997 das historische Zentrum von Willemstad erkoren hat. Den Teil am Ostufer der Sint Annabaai nennt man heute Punda, in der Einheimischensprache Papiamentu die Übertragung des holländischen Wortes für Punkt: Punt.

Der gegenüberliegende Westteil Otrabanda ist sozusagen de schäl Sick, wie Rheinländer sagen würden. Otrabanda heißt auf Papiamentu schlicht und einfach „andere Seite“. Über einen vierspurigen Boulevard fahren Kosimar und Karl, von Westen kommend, nach Otrabanda hinein. Sie parken auf einer Freifläche rechts in praller Sonne, wo links die Arubastraat zur Hochbrücke abzweigt. Sie gehen durch eine mehr oder minder elegante Einkaufspassage und schon stehen sie vor dem Rif Fort, das einst die Hafeneinfahrt am Westufer bewachte, dessen historische Mauern inzwischen aber ebenfalls mit Boutiquen und Restaurants gefüllt sind. Sie besteigen die Befestigungswälle und sehen – oben angekommen – ein Schiffsungetüm, das die meisten Bauten von Willemstad an Höhe überragt: Der Navigator of the Seas gehört mit 311 Metern Länge zu den größten Kreuzfahrtschiffen der Welt und ankert gerade – westlich vom Fort – an Curaçaos Mega Cruise Terminal.

Zwischen der „Super-Anlegestelle“ und dem Fort lädt der Infinity Pool eines Luxushotels zum Entspannen ein. Er scheint direkt ins Meer überzugehen. Badegäste lehnen sich auf die gemauerte Überlaufkante und schauen Richtung Venezuela. Was von hinten so aussieht, als müsste man nur darüber gleiten, um hinüber zum Terminal schwimmen zu können, entpuppt sich – seitlich von der Spitze des Forts aus betrachtet – doch als echte Mauer. Unter der Poolkante fällt eine Böschung mit Felsbrocken zum Meer hin ab.

Doch Kosimar und Karl lassen sich von den Meereswogen faszinieren, die an die Grundfesten des Forts klatschen. Gerade fährt eine Barkasse vom Meer in die Sint Annabaai hinein. Auf der anderen, der Punda-Seite dieser Durchfahrt zum Schottegat sehen sie an der Landspitze das 1635 errichtete Fort Amsterdam, einst ein Verteidigungsbollwerk, heute der Sitz der Regierung des autonomen Landes Curaçao innerhalb des Königreichs der Niederlande. Der Gouverneurspalast liegt direkt gegenüber am „Regierungsplatz“, dem Gouvernementsplein. Dorthin zieht’s die beiden. Um hinüber zu gelangen, gehen sie am Otrabanda-Ufer – vorbei an Ständen für Souvenirs, bunte Tücher und vieles mehr – vom Rif Fort zur Koningin Emmabrug, zu einer, wenn nicht der Hauptattraktion von Willemstad.

Am Brückenaufgang angekommen, bleibt ihnen der Zugang verwehrt. Die Brücke ist zwar da, steht aber leicht schräg und führt am anderen Ende nicht ans Ufer, sondern ins Leere beziehungsweise ins Wasser. Die Königin-Emma-Brücke liegt auf 16 schwimmenden Pontonbooten. Dank zweier mächtiger Schiffsmotoren an ihrem Punda-Ende kann sie weggeschwenkt werden. Sie fährt mit ihrem Ostende dann einen Viertelkreis nach Norden und legt schließlich in voller Länge auf der Otrabanda-, der anderen Seite an. Die wartenden Besucher aus Deutschland studieren derweil den hohen Mast auf dem Brückenvorplatz. Oben flattert die Fahne Curaçaos, blau wie das Meer, im unteren Drittel ein gelber Streifen für Sonne und Strand sowie oben links ein großer Stern für die Hauptinsel und ein kleinerer für das südöstlich vorgelagerte Klein Curaçao.


Königin-Emma-Brücke in Adventsbeleuchtung

Da ertönt die Glocke. Die Brücke darf wieder betreten werden. Über Holzbohlen schreiten die Fußgänger hinüber. Die „Schwimmende alte Dame“, wie die bewegliche Verbindung zwischen den beiden Ufern im Volksmund heißt, scheint sich immer noch zu bewegen. „Ich habe das Gefühl, wie ein Seemann an Land zu schwanken“, bemerkt Kosimar zu Recht. Ihnen geht es nicht alleine so. Auch andere Touristen schreiten lachend wie im Seemannsgang dahin. Karl hatte dieses Vergnügen bereits in der Adventszeit 2015, als die königliche Dame weihnachtlich geschmückt war und im Glanz zahlreicher Lichterbänder besonders abends ganz prächtig und romantisch aussah. Vor dem vierstöckigen Penha-Geschäftshaus am Rande des Regierungsplatzes, das ebenso wie der benachbarte Gouverneurspalast mit gelben Mauern und weißen Stuckverzierungen im Sonnenlicht leuchtete, stand ein grüner, fast haushoher Weihnachtsbaum, der sich aus dem europäischen Holland hierher ins Palmenambiente verirrt zu haben schien.

Der Blick von der Terrasse des nahen Iguana-Cafés, wo einem – anders als der Name vermuten lässt – keine Leguane um die Füße streichen, ist aber auch zur Osterzeit überwältigend. Vor Kosimars und Karls Nasen sozusagen fährt gerade ein TUI-Cruiser durch die Sint Annabaai hinüber zum inneren Hafen in der Schottegat-Lagune. Während die Emmabrücke für den mächtigen Kreuzfahrer weggeschwenkt werden musste, wird er – wie sie bei einem Frappé beobachten – problemlos unter der Königin-Juliana-Hochbrücke am Eingang zur Lagune hindurchpassen.

Das 56,4 Meter hohe Bauwerk ist eine der höchsten Brücken der Welt und wurde 1974 nach fast zehnjähriger Bauzeit eingeweiht. Es trägt den Namen der Großmutter des heutigen Königs Willem-Alexander. Königin Juliana wiederum (im Amt von 1948 bis 1980) war die Enkelin von Königin Emma, Regentin 1890-1898, bis ihre Tochter Wilhelmina (Königin 1898-1948) volljährig wurde. Die nach Emma benannte Schwenkbrücke war noch zu Lebzeiten ihres Mannes König Willem III. im Jahr 1888 fertiggestellt worden. Von Anbeginn galt die Pontonbrücke als eines der Schmuckstücke von Willemstad. Zweimal – 1939 und 2006 – wurde sie gründlich renoviert. Noch heute erscheint sie so intakt, funktionstüchtig und beliebt wie vor 130 Jahren, als sie noch mautpflichtig war und nur barfuß gehende, arme Personen sie kostenlos überqueren durften.

Aus dem Iguana-Café sehen die Touristen, wie die Emma-Brücke wieder zur Seite geschwenkt wird. Ein riesiger grauer Jaguar kommt angeschwommen. Es ist das 41 Meter lange Patrouillenschiff „Jaguar“ der Königlich-Niederländischen Küstenwache für die Karibik. Seine Schwesternschiffe „Poema“ (zu Deutsch: Puma) und „Panter“ verrichten ihren Dienst für Aruba und Sint Maarten, den beiden anderen karibischen „Ländern“ des Königreichs. Am Mast des „Jaguar“ flattern zwei Flaggen, oben die rot-weiß-blaue der Niederlande, darunter die sternengeschmückte Curaçaos. Der „Jaguar“ zeigt somit auch den politischen Status der Karibikinsel an. Sie hat eine autonome Verwaltung. Aber die Hoheit über die internationale Außenvertretung, die Justiz und die Verteidigung obliegt weiter den Niederlanden. Der „Jaguar“ fährt vor den Augen der Touristen hinaus auf die offene See. An Bord befindet sich zwar auch ein Maschinengewehr, aber das andere mächtige Geschütz am Heck des Schiffes dient friedlichen Zwecken. Die drehbare Wasserkanone ist für die Brandbekämpfung da. Die „Kustwacht“ kann also auch als Feuerwehr eingesetzt werden.


„Jaguar“ der Coast Guard

Einen weiteren grauen Küstenwächter entdecken Kosimar und Karl an der Kaimauer der Sint Annabaai, als sie von der Handelskade zum Schwimmenden Markt entlang der Caprileskade an der Nebenbucht Waaigat abbiegen wollen. Ein junger Bursche hockt nahe der Ecke auf der Mauer und starrt ins Wasser. Sein langer Schnabel ist auf die blaue Oberfläche gerichtet, die Flügel sind ganz leicht angehoben und damit startklar. Seine wachen Augen halten Ausschau nach Beute. Es ist ein Pelikan. Durch die menschlichen Passanten lässt er sich beim konzentrierten Spähen in keiner Weise irritieren. „Fotografiert mich ruhig“, scheint seine Körperhaltung zu vermitteln. „Euch ignoriere ich nicht einmal!“


Pelikan auf Molenwacht

Den Touristen und Einwohnern Willemstads wird die Nahrungssuche leichter gemacht. Wenige Meter nach der Abzweigung des Waaigats von der Annabucht stehen Marktstände am Ufer. Vor ihnen mustern die Kunden die ausliegende Ware. Hinter ihnen liegen Boote am Kai. Obst und Gemüse haben sie vom nur etwa 65 Kilometer entfernten Venezuela hierher zum Schwimmenden Markt gebracht. Kosimar ersteht nach eingehender Prüfung eine Honigmelone, grüne Avocados und rote Zwiebeln. Doch es gibt vieles mehr zu kaufen, unter anderem Paprikas, Gurken, Tomaten sowie Yams und die verwandten Süßkartoffeln.


Schwimmender Markt

Vorbei an der vergleichsweise kleinen Königin-Wilhelmina-Brücke, die von Punda zum alten Wohngebiet Scharloo führt, und dem ramschgefüllten Ronde Markt gelangen Kosimar und Karl zum Plasa Bieu. Hier wird alles verkocht, was es am Schwimmenden Markt zu kaufen gibt. Der Alte Markt, was Plasa Bieu auf Deutsch bedeutet, ist so etwas wie eine riesige Garküche mit integriertem offenen Gastraum. Damit frische Luft reinkommt, sind zwischen den tragenden Säulen und der Dachkonstruktion der Halle Holzgitter mit zahllosen rautenförmigen Öffnungen eingelassen. Tritt man durch das Tor, hat man gleichwohl das Gefühl, dass drinnen die Luft steht. Diverse Gerüche wabern durch den langgestreckten Raum. Auf der einen Seite köcheln an vielen nebeneinander aufgebauten Herden einheimische Gerichte aus Hühnerfleisch, Fisch und Gemüse vor sich hin, auf der anderen Seite des Gangs sitzen die Gäste an langen Holztischen. K und K, wie Kosimar und Karl fortan heißen sollen, gehen bis zum Ende des Gangs … und an der anderen Seite wieder raus. Nichts ist ihren Augen und Nasen so lecker erschienen, dass sie sich länger der atemberaubenden Luft aussetzen wollen.


Plasa Bieu (Alter Markt)

Auf dem Rückweg zur Sint Annabaai schlendern sie durch die Innenstadt, die Fußgängerzone von Willemstad. Rote Klinkerbauten wie in einer niedersächsischen Kleinstadt lassen die deutschen Touristen einen Moment zweifeln, ob sie sich tatsächlich in den Tropen befinden, wären da nicht neben den Nachkommen der Kolonialherren die braunhäutigen Curaçaoer, nicht zuletzt die hübschen Verkäuferinnen in den zahlreichen Modegeschäften. „Dies ist nicht Holland. Dies ist die Niederländische Karibik“, stellt Karl fest. „Aber – halt dich fest! – es gibt auch die Karibischen Niederlande. Das lass‘ mich bitte erklären, wenn wir auf Bonaire sind“, bittet Karl um Nachsicht und Geduld, als sie wieder ihre Plätze auf zwei Korbsesseln des Iguana-Cafés erreicht haben. Von denen lässt sich so trefflich dem Schiffsverkehr in der Sint Annabaai und den Bewegungen der Königin-Emma-Brücke zuschauen.


Karibische Schönheit - Skulptur von Nena Sanchez

Am nächsten Tag wird natürlich die neue Tauchausrüstung in der Daai Booi Baai ausprobiert. Stolz entsteigt Kosimar in ihrem neuen Tauchershirt als zauberhafte pink mermaid dem türkisfarbenen Wasser, nimmt den Schnorchel aus dem Mund und berichtet begeistert von den vielen bunten Fischen, die ihr begegnet sind. Mindestens ebenso farbenprächtig wird es, als K und K nach Stunden am Meer auf dem Heimweg zur Lodge am Spätnachmittag bei Nena Sanchez im Jan Kok Landhuis einkehren. Die „Miss Curaçao“ des Jahres 1966, die danach viele Jahre in Venezuela lebte, ist in den 90er Jahren auf ihre Heimatinsel und zur Bildenden Kunst zurückgekehrt. Ihre Gemälde und Frauenskulpturen reflektieren die Farben der Tropen – in der Natur, auf den bunt gestrichenen Häusern und den fröhlichen Kleidern von Curaçaos Frauen. Und sie spielt mit den Farben. So scheint es nur natürlich, dass bei dem oft variierten Thema „Junge Frau und das Meer“ das Gesicht der Schönen blau gefärbt ist.


Landhuis Jan Kok

Die Künstlerin hat ein altes Landhuis in eine Galerie umgewandelt. Die Herrenhäuser der holländischen Plantagenbesitzer – noch heute gibt es 55 davon – lagen meist auf einem Hügel und waren von Landarbeiterhütten umgeben, wobei Landarbeiter ein beschönigendes Wort ist. Aus Westafrika herbeigebrachte Sklaven waren es. Von Hügel zu Hügel konnten sich die Sklavenhalter warnen oder Hilfe anfordern, falls es unter den Arbeitern zum Aufruhr kommen sollte. Beim Namensgeber des heute für die schöne Kunst genutzten Hauses wäre ein solcher Aufruhr nicht verwunderlich gewesen. Jan Kok galt als einer der grausamsten Sklaventreiber der Insel. Von den Schlafzimmern im ersten Stock hat man einen großartigen Blick auf üppig grüne Vegetation im Vordergrund, auf die Küstenhügelkette in der Ferne und davor die Salzfelder, wo seine Sklaven schufteten.


Blick von der Landhuis-Terrasse

Heute lassen es sich dort Scharen von Flamingos gut gehen. In dem flachen Wasser finden die Tiere reichlich Nahrung. Am Rande der Salzteiche steht kurz vor Sint Willibrordus eine weiße Steinsäule mit einer weißen Faust obendrauf. Die Hand umschließt das Ende einer zerbrochenen Kette. 1863 haben endlich auch die Niederlande als eine der letzten europäischen Kolonialmächte die Sklaverei abgeschafft.


Sklavenbefreiungsdenkmal bei Sint Willibrordus

Ein freiheitsliebender Geselle ist auch der Turpial. Während K und K am nächsten Morgen auf dem kiesbedeckten Vorplatz ihres Studios in der Jan Kok Lodge am Frühstückstisch sitzen, unterhält er sie mit seinem Zirpen und Pfeifen. Mit seinem orange-gelben Bauch, seinem schwarzen Kopf und seinen schwarzweißen Flügelfedern ist er eine elegante Erscheinung. Die Venezolaner haben ihn zu ihrem Nationalvogel erkoren. Aber er hält sich an keine Grenzen. An diesem Morgen hat er sich – mal hier, mal dort – auf den Spitzen der drei Meter hohen Kakteen neben dem Freisitz der deutschen Gäste niedergelassen. Sein Gezirpe lockt drei Kameraden an. Für jede Kaktee einen Musikanten. Sogleich geben sie ein Venezolanisches Konzert für vier Schnabelflöten. Als Karl sich dem Quartett mit der Kamera nähert, flattern die scheuen Flötisten davon. Drei Tage später wird er doch einen ihrer Kumpane einfangen – mit einem unauffälligen Smartphone.


Früchte tragende Kakteen

Kakteen sind nicht nur ein prima Landeplatz für Turpiale. Fledermäuse und Kolibris tun sich sogar an ihnen gütlich. Das hat Karl beobachten können, als er zwei Winter zuvor schon einmal in der Lodge zu Gast war und die Kakteen vor seinem Studio violette Früchte trugen. Man muss schon ein rechter Flugkünstler mit Hubschrauberfähigkeiten sein, um sich an den Früchten delektieren zu können, ohne sich an den Kakteenstacheln zu verletzen.


Die Kakteenfrüchte locken Kolibris an.

Kosimar jedoch steht an diesem Aprilmorgen der Sinn nach einer Grünpflanze, die zwar keine Stacheln trägt, aber dafür scharfkantige Zacken, die echte Curaçao-Aloe. Ihrem Saft werden wahre Wunderkräfte zugeschrieben, nicht zuletzt – und deshalb für auf Bewahrung ihrer Schönheit bedachte Menschen besonders wichtig – auf dem Gebiet des Anti-Aging. Immerhin, dass die „Echte Aloe“, die Aloe Vera, entzündungshemmend und wundheilend wirkt, ist wissenschaftlich erwiesen. Die wohltuende Wirkung hat Kosimar einst am eigenen Leib verspürt. Auf Barbados hat ihr nämlich vor Jahren ein Nachbar namens Fillmore den Saft der Aloe Vera auf die von Insekten zerstochenen Waden geträufelt und einmassiert. Binnen kurzem ließ das Jucken nach. Fillmore hatte im Vorgarten mit einem Taschenmesser ein Aloe-Blatt abgeschnitten, über den entzündeten Pusteln das Blatt ausgepresst und die Tropfen verstrichen.

Im Nordosten Curaçaos befindet sich ein großer agro-industrieller Betrieb, eine Aloe-Vera-Farm, wo die Pflanze in großem Stil angebaut und verarbeitet wird. Zu dieser Aloe Vera Plantation am Rande der Siedlung Groot Sint Joris brechen K und K an diesem Donnerstag auf. In dem klimatisierten Showroom erfährt man alles Wissenswerte über die Heilpflanze und die Herstellung der Produkte. Natürlich werden diese Produkte – von der Body Lotion über die Gesichtscreme bis zum „revitalisierenden“ Saft – hier auch zum Verkauf angeboten. Auf den umliegenden Feldern stehen Tausende der knapp kniehohen Aloe-Pflanzen. In die moderne Produktionshalle wird der Besucher und Kunde nicht eingelassen. Die Aloe-Vera-Alchemisten wollen offenbar nicht gestört werden oder ihre Geheimnisse hüten.


Aloe-Vera-Feld bei Sint Jordis

Wohlbehütet sind auch die Bewohner von Jan Sofat, „Curaçaos Most Exclusive Neighborhood“, wie die gleichnamige Website dieses mit Schrankensperre gesicherte Wohngebiet anpreist. Die tollsten Villen des compounds liegen auf zwei Landzungen, die vom Nordufer in das Spaanse Water, die große Lagune im Südosten der Insel hineinragen. Auf ihrem Rückweg von der Aloe-Vera-Plantage wollen K und K zum Spanischen Wasser fahren, um die Tickets für ihre Speedboat-Tour nach Klein Curaçao am Folgetag abzuholen. Doch zuvor möchte Karl seiner Frau etwas zeigen. Er fährt über einen Damm zur westlich von Jan Sofat liegenden Insel mit dem Curaçao Yacht Club. Vom Damm kann man sehr gut auf die nahe exklusive Uferlinie von Jan Sofat kiebitzen: Villen mit Yachtports, auf der nicht einsehbaren Straßenseite sicher auch mit Carports. Die dort ankernden „Schiffchen“ ragen „nur“ bis vor die Fenster der zweiten Stockwerke auf. „Welche Millionäre sind denn dort zu Hause?“ will Kosimar wissen. „Keine Ahnung“, muss Karl gestehen. „Ich glaube aber nicht einmal, dass hier nur die Plutokraten von Curaçao leben. Die Werbung richtet sich jedenfalls auch an eine internationale Klientel, etwa an Krösusse aus Holland und den Vereinigten Staaten. Schau her“, sagt er und zeigt auf sein Tablet. „Laut dieser Website ist dort ‘ne Villa schon für 2,6 Millionen Euro zu haben. Die zugehörige Yacht kostet ‘ne Dreiviertelmillion. Und beides zusammen gibt’s zum Schnäppchenpreis von 3,1 Millionen. Da hat man auf die Schnelle 250.000 Euro gespart. Das ist doch ein Bombengeschäft!“


Spaanse Water mit Jan-Sofat-Villen

Nach diesem Hinüberblinzeln zur Welt der Superreichen können K und K nicht einfach wieder zur spartanischen Daai Booi Baai zurückkehren. Ein wenig gediegener darf es an diesem Tag schon sein. Also wählen sie diesmal in Sint Willibrordus nicht den ersten Abzweig zum Strand, sondern fahren weiter geradeaus zur Playa Porto Mari. Dort ist es in der Tat etwas komfortabler. Alles ist eine Spur gepflegter, die Bar ist kein Kiosk mit einer Verkaufskante, sondern eine echte Bar mit Hockern. Als sie es sich auf den Liegestühlen nahe der Schatten spendenden Baumreihe am Rande des feinsandigen Strands bequem gemacht haben, pfeift jemand hinter ihnen. Karl dreht sich um. Im Geäst des übernächsten Baumes flötet ein gelbschwarzer Piepmatz fröhlich vor sich hin. Der Turpial ist auch schon da. K und K genießen die Spätnachmittagssonne, schwimmen hinaus zum Ponton, nehmen im Gegenlicht wunderbare Fotos von der untergehenden Sonne über Meer und Strand auf und möchten vor Zufriedenheit tirilieren wie ihr Freund, der Turpial.

„Wenn es einem zu gut geht, muss man neue Herausforderungen suchen“, verkündet Kosimar am nächsten Morgen. Der Wetterbericht war am Vortag etwas unbestimmt ausgefallen hinsichtlich der zu erwartenden Windstärken. Die Veranstalter der Adrenaline Tours hatten versprochen, sich zwei Stunden vor der Abfahrt zu melden, falls die See zu rau sein sollte für die Fahrt nach Klein Curaçao. Der Anruf bleibt aus. Also machen sie sich auf die laut Google Maps 40-minütige Autofahrt zur Caracas Baai. Sie denken, genug Zeit eingeplant zu haben, als sie gut eine Stunde vor Abfahrt des Schnellboots an ihrer Lodge in den Leihwagen steigen. Aber sie haben nicht den Berufsverkehr einkalkuliert, der an diesem Freitagmorgen auf der Königin-Juliana-Hochbrücke für stop and go sorgt. Mit dem Zeitdruck im Nacken können sie den Ausblick nicht recht genießen. Aber grandios ist er doch mit der riesigen Raffinerie am Rand des Schottegats zur Linken und der Sint Annabaai zwischen Punda und Otrabanda tief drunten zur Rechten. Dieses bunte karibisch-holländische Architekturensemble wirkt aus der Höhe wie eine Spielzeugstadt im Museumsreich des Weltkulturerbes.

Sie schaffen es gerade noch rechtzeitig, da sich hinter der Brücke der Stau auflöst. Das Charterboot kurvt langsam aus der kleinen Nebenbucht der Caracas Baai hinaus und nimmt in der eigentlichen Baai Fahrt auf. Das Schnellboot düst am 1703 erbauten Fort Beekenburg vorbei, das vom Rand der Caracas-Bucht aus die dahinterliegende Lagune, das „Spanische Wasser“, deckt. Im 18. Jahrhundert haben die Holländer von dort des Öfteren Angriffe von Piraten sowie der französischen und englischen Flotten abgewehrt. So schnell wie das Adrenalin-Boot werden die Piraten nicht unterwegs gewesen sein. Der Schiffsrumpf klatscht immer wieder auf die Wellen. Solange das Boot halbwegs im Windschatten der Insel fährt, hält sich der Seegang in Grenzen. Doch nach einer guten halben Stunde lassen sie die Inselnase an Curaçaos südöstlichem Ende hinter sich.

Nun geht es noch sechs Seemeilen (etwa elf Kilometer) über das offene Meer – weiter in Richtung Südost. Der Nordostpassat kommt dem kleinen Schnellboot in die Quere. Der Wellengang wird stärker, das Aufprallen des Schiffsrumpfes heftiger. Kosimar, der versierten Seglerin, blitzt die Begeisterung aus den Augen. „Der Kapitän macht das wirklich toll, wie er die Wellen anfährt“, kommentiert sie. Karl, die Landratte, ist ganz still geworden. Krampfhaft hält er sich am Vordersitz fest, angestrengt starrt er nach vorne. Auch ihm sind die Ausweichmanöver des Käpt’n nicht verborgen geblieben. Aber ihm ist nicht nach Plaudern zumute. Er will dem Meeresgott Neptun kein Opfer bringen. Nach eineinhalb Stunden Fahrt ist der Leuchtturm der unbewohnten Insel zu erkennen.


Ankunft in Klein Curaçao

Wenig später sind sie da. Endlich! Der Kapitän fährt ein Wendemanöver, tuckert im Schleichtempo an den Strand heran. Nun heißt es, die Schuhe im Rucksack verstauen und ab ins Wasser. Wie Landungssoldaten steigen die Passagiere der Adrenaline Tours vom Heck in die plätschernden Fluten. Ein paar Schritte noch. „Hey, wir sind auf Klein Curaçao!“ triumphiert Karls Lieblingsseefahrerin.


Entspannung auf Klein Curaçao

Klein Curaçao hat einen wunderbaren Strand, der sich fast an der ganzen 2,9 Kilometer langen Westseite entlangzieht. Aber es ist gewissermaßen auch eine verwunschene Insel. Zur Zeit des Sklavenhandels wurden hier erst einmal alle Neuankömmlinge in Quarantäne (40 Tage) festgehalten. Überbleibsel dieser Quarantäne-Behausungen sind noch an der Nordwestecke der Insel zu entdecken. Sklaven und andere Passagiere, die die Überfahrt nicht überlebt hatten, wurden auf der Insel beerdigt. Reste mehrerer Gräber gibt es im südlichen Teil des Eilands zu sehen.


Stilleben am Strand

K und K genießen zunächst die schöne Seite der Insel. Das Meer scheint hier noch türkiser als anderswo. Drei andere Boote liegen vor dem Strand. Von einem großen, etwas weiter draußen ankernden Katamaran hat der gewiefte Tourmanager offenbar eine Ladung Fischfutter ins Meer gekippt. Als die deutschen Schnorchler nämlich einigen blauen Papageifischen folgen, finden sie sich unter den Kufen des Katamarans wieder. Dort hängen Flocken im Wasser und es wimmelt von Kiemenatmern in allen Farben, die danach schnappen. Aber nicht nur die Fische, auch die Korallen und ihr Bewuchs sind eine Augenweide im glasklaren Wasser.


Blick von Holzturm auf Strand

Hinter dem Strand am Westufer sind einige offene Palmblatthütten für die Tagestouristen aufgebaut. Ein palmblattgedeckter Holzturm ist auch darunter, von dem man die gesamten 1,7 Quadratkilometer des ziemlich flachen Eilands überblicken kann. Seitdem hier in den 80er Jahren des vorletzten Jahrhunderts Phosphat entdeckt, das gesamte Vorkommen abgebaut und nach Europa verschifft worden war, ist die Insel noch flacher, als sie eh schon war.


Lighthouse von Klein Curaçao und Schiffswrack

Auf der anderen, der Atlantikseite der an ihrer weitesten Stelle nur 1,1 Kilometer breiten Insel ist das Wrack der Maria Bianca Guidesman zu erkennen, eines kleinen Tankers, der dort 1986 auf Grund gelaufen ist. Der Kapitän hat wohl gedacht, der Leuchtturm stehe am Ufer. Aber nein, das Lighthouse – tatsächlich ein Turm, flankiert von zwei heute unbewohnten Wohnhäusern – steht mitten auf der Insel. Zwar kommen in dieser Gegend der Karibik höchst selten Hurrikane vor. Aber 1877 hat ein Wirbelsturm den ersten Leuchtturm der Insel zerstört. Danach hat man den Nachfolger samt zwei festen mehrstöckigen Schutzhäusern auf die Mitte des Eilands platziert. Der gut sichtbare Rosthaufen, der von der Maria Bianca übriggeblieben ist, markiert möglicherweise den Standort von Leuchtturm Nr. 1.


Verlassen inmitten der Insel - Der Leuchtturm

So trostlos die Insel an sich ist, so voller Wunder steckt die Unterwasserwelt, die sie umgibt. Die Korallenriffe und Unterwasserhöhlen sind für Taucher ein Paradies. Doch die Schnorchler K und K lassen sich auch vom ufernahen „Vorparadies“ und dem, was es dort bereits an Farbenpracht zu sehen gibt, euphorisieren. Sie haben sogar einer vorbeischwimmenden Seeschildkröte „Guten Tag“ gesagt.

Bei der Rückfahrt mit dem Adrenalin-Boot ist die See ruhiger. Da sie zudem eine leichte Brise im Rücken haben, sind sie deutlich schneller zurück als gekommen. Zurück in der Lodge haben sie ihren Feriennachbarn, Ulli und Jochen aus dem Schwabenland, beim Abendessen auf dem gemeinsamen Freisitz einiges zu erzählen. Und zum Höhepunkt des Abends gibt es noch Jazz bei Williwood!

Gischt hat Karl bei dem brettharten und bewegten Ritt nach Klein Curaçao am Freitag mehr als einmal überschüttet. Und er hat das nicht immer genossen. Übermannshoch aufschäumende Gischt begeistert ihn am Samstagmorgen. K und K sind an die Nordwestküste der Hauptinsel zum Nationalpark Shete Bokas gefahren. Diese Worte in Papiamentu, diesem Gemisch aus Portugiesisch, Niederländisch, Spanisch, Englisch und afrikanischen Dialekten, bedeuten „Sieben Münder“. Gemeint sind tiefe Einschnitte (mehr als sieben), die das Karibische Meer in die Kalksteinklippen hineingearbeitet hat.


Natürliche Brücke am Boka Wandomi

Die „Natürliche Brücke“ am Boka Wandomi, wo die See einen Kalksteinarm unterspült hat, ist einer der Höhepunkte der Küstenwanderung. Zurück zum Ausgangsort Boka Tabla gehen K und K auf einem parallelen Weg etwas landeinwärts – eine karge Landschaft mit ein wenig bodennahem Gestrüpp und einigen hohen Kakteen. Die Szenerie lässt an einen Wildwestfilm denken. „Würde mich nicht wundern, wenn John Wayne gleich drüben vom Berg heruntergeritten käme“, meint Karl. Auf der anderen Seite der Straße nach Westpunt, der westlichen Inselspitze, erhebt sich der Sint Christoffelberg, mit 375 Metern die höchste Erhebung der Insel.

Doch eine Begegnung der besonderen Art erwartet sie erst am Parkplatz beim Boka Tabla. Unter ihrem Leihwagen kommt auf einmal ein graugrüner Geselle hervor mit einem ellenlangen grauschwarz gemusterten Schwanz. Ein paar Momente lang hält er inne und lässt sich fotografieren. Interessiert blinzelt er zu den Besuchern aus Deutschland hinüber. Dann huscht der Leguan auf allen vieren davon.


Im Reich des Leguans

Zur ein paar Kilometer östlich des Haupteingangs gelegenen Boka Pistol nehmen sie das Auto. Die Fahrt lohnt sich. Die Meereswellen schwappen in einen schmalen Trichter hinein und werden von der „Pistole“ hochgeschossen als schäumende Gischt. Die zahlreichen Zuschauer jubeln vor Begeisterung, wenn das Meer aufbrandet. Jeder Wellengang ist anders. Als Karl eine Panorama-Aufnahme macht, die ja praktisch den Film eines mehrsekündigen Schwenks als still festhält, bannt er die Momente im Bild, wie das Wasser hochschießt und sich als perfekter Bogen wieder in Richtung Meer ergießt. „Ja“, schreit er zufrieden gegen das Wellengetöse an. Schon beim nächsten Wellengang reagiert die Boka Pistol anders, sie schießt wie eine Schrotflinte. Sie produziert keinen Strahl, sondern sprüht nach allen Seiten hoch, so dass vor den „Hui!“ und „Wow!“ johlenden Betrachtern eine Art Wasserpyramide entsteht.



Boka Pistol: Perfekter Bogen und Pyramide

Nach diesem aufregenden Naturerlebnis wollen sich K und K einen ganz natürlichen, ruhigen letzten Nachmittag auf Curaçao gönnen. Sie haben sich im The Natural Curaçao angemeldet. Karl hat Kosimar die Weiterfahrt zur Inselspitze Westpunt sowie entlang der westlichen Südküste und ihren vielen Stränden erspart. Er hat sie schon im vorletzten Winter „inspiziert“, Playa Grandi, Grote Knip und Kleine Knip, Playa Lagun und Playa Cas Abao. „Alle ganz reizvoll, aber alle kein Muss, wenn man sich einmal in Daai Booi Baai wohlgefühlt hat“, meint er. So fahren sie also direkt in Richtung Willibrordus zurück. Mitten auf der Insel halten sie vor dem gut abgeschirmten Mini-Resort „The Natural“. Über die Gegensprachanlage nennen sie ihren Namen und werden eingelassen. Drinnen ist „clothing optional“. Ihnen gehört der Pool, von dem man einen schönen Blick auf die Salzfelder der Saliña Sint Mari vor Jan Kok hat, fast ganz allein. Die meisten Gäste sind ausgeflogen. „Einmal die milde Luft ohne störende Kleidung genießen zu können, ist einfach herrlich“, gesteht Kosimar, während sie sich auf der Liege am Pool räkelt. Auch ein Turpial findet’s hier schön, landet auf einer pinken Skulptur am Rande des Schwimmbeckens und leistet ihnen flötend Gesellschaft.


Ausblick von „The Natural“


Turpial auf Aussichtsposten

Das holländische „Natural“-Besitzerpaar treffen sie am Abend unvermutet wieder – angezogen. Saturday night bei Williwood – da trifft sich anscheinend „alle Welt“ von Willibrordus und Umgebung. Live-Musik, Barbecue und kühle Drinks – es brodelt an der Straßenecke vor Sint Willibrordus. Auf der Terrasse des Toko stehen die Gäste dicht gedrängt, auf dem Vorplatz sind alle Bänke besetzt. Sogar jenseits der Straße sind welche aufgebaut. Dorthin ziehen sich K und K zusammen mit ihren neuen Freunden aus dem Schwäbischen zurück, da man im Gebrodel auf der Terrasse kaum sein eigenes Wort versteht. Bei einigen Gläsern Rotwein lassen die Vier die gemeinsamen Tage auf der Jan Kok Lodge gut gelaunt Revue passieren. Ulli und Jochen bleiben noch eine Woche, während K und K auch noch die Nachbarinsel Bonaire kennenlernen wollen.

„Morgen verlassen wir das zum Königreich der Niederlande gehörende autonome Land Curaçao und landen nach 25 Minuten Flug in den eigentlichen Niederlanden. Die Einwohner von Bonaire haben sich nämlich bei einer Volksabstimmung für den Verbleib in den Niederlanden entschieden, innerhalb derer ihre Insel nunmehr den Status einer ‚besonderen Gemeinde‘ hat“, erläutert Karl. „Na, dann gute Reise nach Holland! Prost!“ sagt Jochen mit strahlender Miene und hebt das Glas. Kosimar stößt an und verkündet: „Nun denn, von Holland nach Holland! Aber hoffentlich sehen wir uns im Schwabenland wieder.“ „Naja, oder auf Curaçao. Vor dem Rückflug nach Deutschland werden wir nämlich noch einmal für ein paar Stunden in Willemstad sein und im Curaçao-Museum einen Abstecher in die holländische Kolonialgeschichte machen“, kündigt Karl an. „Mh, mal schauen“, meint Ulli. „Ich glaube für die nächste Woche ist vor allen Dingen Strand angesagt.“ „Ja, ja, verstehe ich“, erwidert Karl. „Het leven is mooi bij Kees op Daai Booi. Das Leben ist schön bei Kees in Daai Booi.“

1 Fremdsprachliche Namen wie Williwood von Restaurants, Hotels, anderen Lokalitäten und Firmen sowie fremd sprachliche Zitate und Ausdrücke werden im Folgenden kursiv gesetzt, geographische Namen dagegen nicht.

Calypso-Bogen

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