Читать книгу Die Erzählerin von Arden - Carola Schierz - Страница 6
Böses Spiel
ОглавлениеRaven hatte den Tag mit einem kurzen Ausritt ins Umland begonnen. Als er zurückkam richtete ihm eine Zofe aus, dass sein Vater auf seine Anwesenheit beim Mittagessen bestand. Raven war alles andere als erfreut und entließ das arme Dienstmädchen mit einem unfreundlich gebrummten Kommentar. Als er sich schließlich zu Tisch begab, wartete sein Vater bereits etwas ungehalten.
Raven sah ihn an. Er hatte immer noch diese machtvolle Aura, die jeden in seiner Nähe einschüchterte. Das Haar des Königs war einst genauso nachtschwarz gewesen wie das seines Sohnes. Jetzt, im Alter von fünfzig Jahren, bekam es einen Silberschimmer, der seine tiefdunklen Augen noch mehr zur Geltung brachte. Es lag voll und schwer auf den breiten Schultern. Der schmale Mund wurde von einem gepflegten Bart umrandet. Als er aufstand, um seinen Sohn zu begrüßen, befanden sich beide Männer auf Augenhöhe. Raven war eine jüngere Version seines Vaters, nur trug er keinen Bart und sein Mund hatte einen weicheren Zug als der des Älteren.
„Schön dich wohlauf zu sehen, mein Sohn. Ich habe ein paar wichtige Dinge mit dir zu besprechen.“ Aron forderte ihn mit einer Geste auf, sich zu setzen.
Als das Mahl aufgetragen war, entließ er die Dienerschaft nach draußen.
„Dein Onkel James hat mir geschrieben. Er und seine Frau werden bald für ein paar Wochen zu uns kommen.“
Das waren durchaus gute Nachrichten, denn Raven mochte seinen stets zum Scherzen aufgelegten Onkel sehr gern.
„Wie es aussieht, bleibt auch seine zweite Ehe kinderlos. Er denkt darüber nach, sein Erbe eines Tages dir zu vermachen, sofern sich daran nichts ändert. Das bedeutet, dass du, gesetzt den Fall er würde vor mir sterben, Herr über seine Ländereien wirst, noch bevor du dein Amt als mein Nachfolger antrittst.“
Er machte eine Pause und holte hörbar Luft.
„Raven! Du musst endlich aufwachen! Wenn du das nicht von alleine schaffst, werde ich dich dazu zwingen müssen. Erspare uns beiden diese Schmach. James weiß noch nichts von deinem Lebenswandel und wähnt sein Erbe bei dir in sicheren Händen. Du bist für ihn wie ein eigener Sohn.“
Raven war der Appetit gründlich vergangen. „Ich habe nicht darum gebeten, als Thronfolger geboren zu werden, genauso wenig wie um das Erbe von Onkel James!“, erwiderte er zähneknirschend.
Das war zu viel für die Geduld Arons. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, so dass die Gabeln von den Tellern sprangen.
„Es reicht!“, schrie er. „Du wirst deine Verantwortung in Zukunft wahrnehmen! Die einfachen Bauern hat auch keiner nach ihren Geburtswünschen gefragt. Sie meistern ihr Leben trotzdem, denn es bleibt ihnen nichts anderes übrig. Ihnen stellt keiner das Essen auf goldenen Tellern auf den Tisch und schüttelt ihnen die Betten auf. Sie arbeiten von früh bis spät, damit du ein Leben in Luxus und Verschwendung führen kannst. Du bist ihnen verdammt noch mal etwas schuldig. Und ich sorge dafür, dass du deine Schuld begleichst. Das schwöre ich, beim Andenken deiner Mutter!“
Das wiederum war mehr als Raven verkraften konnte. So hatte sich sein Vater noch nie gebärdet. „Lass Mutter aus dem Spiel!“ Er sprang auf und verließ wutentbrannt den Raum.
Krachend ließ er seine Schlafzimmertür ins Schloss fallen. Seine Halsschlagader pochte, als wenn sie platzen wollte. „Verflucht!“, schrie er, während er ein Glas an die Wand schmetterte. Das Schlimmste an allem war, dass sein Vater, mit jedem Wort, das er gesagt hatte, im Recht war. Und Raven wusste das leider nur zu gut. Er nahm einen kräftigen Schluck Branntwein. Heiß rann die bernsteinfarbene Flüssigkeit seine Kehle hinunter, um sich dann brennend in seinem leeren Magen auszubreiten. Irgendetwas musste geschehen, sonst ging er vor die Hunde.
Da fiel ihm ein, dass er heute Abend noch etwas vorhatte und ein leises Gefühl der Vorfreude verdrängte seine Wut ein wenig. Als die Sonne unterging stieg er wieder aufs Dach. Diesmal hatte er eine Stelle gewählt, von der aus man direkt auf das Gesindehaus und die Menschen davor blicken konnte. Er wollte sehen wer die Frau war, zu der diese Stimme gehörte, die sich wie Balsam auf die Wunden seiner Seele legte. Vom Klang her schien sie fast noch ein Mädchen zu sein.
Dann war der Moment gekommen, als die Unterhaltungen verstummten und nur noch sie zu hören war. Er kniff die Augen zusammen, um auf die Entfernung so viel wie möglich zu erkennen. Was er sah, stimmte mit seinen schönsten Vorstellungen überein. Ihr Gesicht wurde vom Feuer angeleuchtet. Er konnte es nur schemenhaft erkennen, aber es schien fein geschnitten. Was ihn am meisten beeindruckte, war die lockige Haarpracht, die das Mädchen einhüllte. Er hielt seinen Blick fest auf sie gerichtet, während er ihr zuhörte.
John hatte Helen fest in den Arm genommen, während sie gemeinsam mit den anderen Lillians Geschichte lauschten. Nun, einige Zeit später, saßen nur noch die drei Freunde am Feuer, welches langsam niederbrannte. John flüsterte seiner Verlobten etwas ins Ohr und sie lächelte entschuldigend, mit einem Seitenblick zu Lillian. Die hatte es bemerkt und sagte verständnisvoll: „Nun geht schon ein Stückchen spazieren! Ich warte hier am Feuer auf euch.“ Sie lächelte ihnen zu.
„Können wir dich wirklich alleinlassen?“, fragte Helen besorgt.
„Was soll mir hier schon zustoßen?“, wehrte Lillian ab. „Jetzt geht schon!“
Als die beiden in der Dunkelheit verschwunden waren, hörte sie ein leises Räuspern hinter sich. Erschrocken fuhr sie auf. „Wer ist da?“
Aus dem Dunkel trat ein Mann hervor. Clark, der Kammerdiener. Er schien leicht erregt zu sein, als er sich ihr näherte. „Sind die Turteltauben fort?“ Er grinste süffisant und blickte in die Richtung in die das Paar eben verschwunden war. „Beneidenswert!“ Dann blieben seine Augen flackernd an Lillian hängen. „Deine Geschichte war wieder sehr spannend. Und der Held hat doch noch erwartungsgemäß seine Auserwählte bekommen. Aber was hältst du davon? Wollen wir es deinen Freunden gleichtun und einen kleinen Nachtspaziergang machen?“
Lillian bekam es mit der Angst zu tun, als sie das lüsterne Glitzern in seinen kalten Augen sah. „Oh, nein danke! Ich wollte eh gerade zu Bett gehen.“ Schnell drehte sie sich um. „Gute Nacht!“
Doch er verstellte ihr den Weg. „Willst du mich auf den Arm nehmen? Ich habe gerade gehört, wie du deiner Freundin gesagt hast, du würdest auf sie warten. Die stellt sich bestimmt nicht so zimperlich an! John wird seinen Spaß haben. Und ich werde meinen auch noch bekommen!“
Er riss sie an sich und begann mit seinen Lippen ihren Ausschnitt abzutasten. Sie trat ihm mit voller Wucht in seine vor Lüsternheit pulsierenden Weichteile. Mit einem erstickten Schrei sank er zu Boden. Lillian nutzte die Gelegenheit und rannte ins Haus.
„Dafür wirst du mir bezahlen, du kleine Schlampe. Such dir schon immer eine neue Stellung, denn lange wirst du hier nicht mehr bleiben!“
Raven hatte die ganze Szene beobachtet. Es war alles so schnell gegangen. Gerade als er dem Mädchen zur Hilfe eilen wollte, hatte sie sich schon selbst befreit. Er nahm sich vor, diesen frisch kastrierten Balzhahn im Auge zu behalten …
Lillian war völlig verstört zu Bett gegangen. Als Helen heimkam, stellte sie sich schlafend. Sie nahm sich vor, keinem etwas von dem Übergriff zu sagen. Sie fühlte sich auch so schon schmutzig genug, ohne ihre Fragen und besorgten Blicke ertragen zu müssen.
Die Arbeit ging ihr am nächsten Tag nur schwer von der Hand und sie war auch nicht sehr gesprächig.
Als Lillian dann gleich nach Dienstschluss ins Bett wollte, wurde Helen misstrauisch. „Was ist los mit dir? Du sagst den ganzen Tag kein Wort. Bist du jetzt doch böse wegen gestern Abend? Du hast doch gesagt, es macht dir nichts aus.“
„Nein, es ist nichts. Ich habe nur Kopfschmerzen.“
Die Freundin schaute sie misstrauisch an. „Hm, du würdest es mir doch sagen, oder?“
Lillian rang sich ein Lächeln ab. „Natürlich!“ Sie streichelte Helen beruhigend den Arm.
„Würdest du mich bei den anderen entschuldigen?“
Helen nickte und ließ sie allein. Lillian wusste nicht, wann sie wieder in der Lage sein würde, entspannt mit den anderen am Feuer zu sitzen. Im Moment hätte sie immer das Gefühl, die kalten Augen dieses Mistkerls würden in der Dunkelheit lauern.
Lillian war froh darüber, dass die Freunde sie nicht zu sehr bedrängten und ihre Ausreden an den folgenden Abenden akzeptierten.
Weniger froh darüber war Raven. Er konnte sich denken, warum sie sich zurückgezogen hatte, aber er wollte wieder ihre Stimme hören. Sie war wie eine Medizin, die ihm Linderung, vielleicht sogar Heilung verhieß, von der er aber nur eine kleine Dosis probieren durfte. Es musste doch einen Weg geben.
Die nächsten Tage verliefen ohne besondere Vorkommnisse und langsam fühlte Lillian sich wieder besser. Sie versuchte Clark aus dem Weg zu gehen, so gut es ging. Als sie wieder einmal mit Helen das Geschirr abholen wollte, bemerkte diese, dass ein Henkel ihres Korbes locker war. „Warte kurz hier und stapele schon mal alles. Ich hole schnell einen neuen!“, sagte sie und war schon verschwunden.
Als Lillian alles vorbereitet hatte und die Freundin noch nicht zurückgekehrt war, beschloss sie, sich ein wenig umzusehen. Neugierig ließ sie ihren Blick schweifen.
Völlig unerwartet wurde sie von der bekannten kalten Stimme Clarks aufgeschreckt: „Hab ich dich also auf frischer Tat ertappt!“, rief er lauter als nötig.
Lillian wusste nicht, wovon er sprach und sah ihn verständnislos an.
Vom Lärm angelockt kamen zwei Zofen hinzu.
Im selben Moment öffnete sich eine Tür und Raven stand da, den Blick kritisch auf die Szene gerichtet. „Was ist hier los?“, fragte er und sah den Diener misstrauisch an.
Dieser hob einen Silberleuchter, den er schon die ganze Zeit in der Hand hielt, in die Höhe. „Ich habe diese Küchenmagd erwischt, wie sie hier herumschlich. Diesen Leuchter habe ich zwischen ihren Röcken gefunden. Sie ist eine Diebin!“
Lillian brachte kaum einen Ton heraus, so schockiert war sie von der Unverfrorenheit dieses Mistkerls. „Das ist nicht wahr, ich …“
Raven gebot ihr zu schweigen. Er wandte sich an Clark. „Du bist ein wenig zu eifrig, mein Lieber! Ich selbst habe ihr diesen Leuchter gegeben, damit er mal ordentlich poliert wird. Es ist eine Schande, wie schludrig hier einige ihren Dienst ausüben. Soweit ich weiß, gehört es zu deinen Pflichten, so etwas zu sehen. Also kümmere dich in Zukunft besser um deine eigenen Aufgaben, bevor du über unschuldige Küchenmädchen herfällst. Es könnte sein, dass wir sonst deinen Platz hier neu besetzen müssen.“ Bei den letzten Worten ging er ganz nah an das Gesicht des Dieners heran und setzte eine unmissverständliche Miene auf.
Clark durchfuhr es wie ein Blitz. Der Prinz musste irgendwie von der Sache am Feuer erfahren haben. Wieso setzte er sich aber so für das kleine Miststück ein? Wahrscheinlich wollte er sie selber in sein Bett holen. Aber er war der Prinz. Warum so ein Theater? Soviel Clark wusste, waren Ravens ritterliche Ambitionen bei dessen anderen Gespielinnen auch nicht nötig gewesen. Er zog sich mit einer Verbeugung zurück und beschloss, seine Rachepläne auf später zu verschieben. Auch die Zofen waren an ihre Arbeit zurückgekehrt und Lillian und Raven standen sich nun allein gegenüber.
„Ich habe wirklich nichts Unrechtes getan, Herr, das müsst Ihr mir glauben“, stammelte sie.
„Davon gehe ich aus“, entgegnete er mit ironischem Unterton.
Lillian war verunsichert. „Tausend Dank! Ich stehe in Eurer Schuld“, brachte sie heraus.
Raven wollte das Mädchen nicht ausnutzen, aber er konnte der Versuchung nicht widerstehen. „Du hast recht. Und deshalb erwarte ich dich heute Abend zur achten Stunde in meinen Privatgemächern. Dort werde ich dir sagen, wie du dich revanchieren kannst.“
Als er Lillians entsetzten Gesichtsausdruck bemerkte, erschrak er selbst und räusperte sich. „Keine Angst, es wird dir nicht das Geringste geschehen, solange du nur erscheinst.“
Etwas bestimmter fügte er hinzu: „Ich erwarte dich pünktlich! Mein Diener wird dich am Dienstboteneingang abholen und dann ungesehen zu mir bringen. Und bewahre Stillschweigen!“
Gerade als er sich von ihr abwandte, tauchte Helen wieder auf. Fragend blickte sie ihre völlig aufgelöste Freundin an. „Was war das denn?“
Lillian fasste nach dem Korb. „Lass uns nur schnell von hier verschwinden! Ich erzähle dir später alles.“
Zum Feierabend ließ Helen sich nicht länger vertrösten.
„Also gut“, sagte Lillian. „Aber lass uns einen Ort aufsuchen, an dem uns niemand belauschen kann.“
Als sie einen geeigneten Platz gefunden hatten, forderte sie von Helen einen Eid, dass jedes Wort, das sie ihr jetzt sagte, geheim blieb. Diese runzelte die Stirn, tat aber was von ihr verlangt wurde. Dann erzählte Lillian ihr alles. Angefangen von Clarks Angriff am Lagerfeuer bis hin zu den neuesten Ereignissen.
Helen stieß die Luft aus, die sie vor Aufregung angehalten hatte. „Nun wird mir einiges klar. Aber willst du wirklich heute Abend zu ihm gehen? Du kennst seinen Ruf!“
„Ja, ich weiß. Aber was bleibt mir übrig? Er ist schließlich der Prinz und ich habe ihm zu gehorchen. Außerdem habe ich wirklich nicht das Gefühl, dass er mir etwas tun will.“ Helen holte tief Luft. „Dann hoffen wir, dass dich dein Gefühl nicht im Stich lässt.“