Читать книгу Luisas Abenteuer - Carola Wegerle - Страница 5

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Und jetzt ist das Stroh nass, und es stinkt. Es ist dunkel geworden, und Luisa friert. Ihre Jacke fehlt ihr, und ihr Telefon vermisst sie so sehr, dass es weh tut. Von Daniel bekommt sie abends immer eine oder zwei oder drei oder ... SMS, daran hat sie sich schon gewöhnt. Sie sind wie ein Gutenachtkuss, danach fühlt sie sich eingewickelt in Wärme und schläft wunderbar ein. Ob er sich danach auch so gut fühlt? Und mit leichten Beinen in den Tag startet? Für ihn ist ja dann früher Morgen.

„Was denkt er wohl, wenn ich nicht antworte?“, fragt sie sich. „Ob er sich Sorgen macht?“ Sie zieht die Nase kraus. Musste man sich Sorgen um sie machen? Bei Racker kann ihr ja eigentlich nichts geschehen. Aber ihre Eltern ... Oh Gott. Acht Stunden Fahrt durch die Nacht, die drehen vollkommen durch. Die geben eine Vermisstenanzeige auf und lassen mich suchen. Was hat sie sich eigentlich dabei gedacht, einfach in den Hänger zu springen? Sie muss dringend auf die Toilette. Ihr ist kalt – die Plane schützt sie kaum vor der frostigen Nachtluft. Was wird sie erwarten, wenn sie ankommen?

Rackers Besitzer. Er wollte sein Pferd zu sich holen, denn er hat ein Gestüt gekauft, bei den Deichen, ein gute Pferdegegend, schrieb Daniel. Da wären viele Pferde, Racker würde es gefallen. Aber Racker war doch ihr Pferd! Racker war ihr Freund. Sie konnte ihm immer alles erzählen. Er hörte ihr zu, und seine sanften Augen verstanden alles. Daniel konnte sie auch viel erzählen, aber nicht alles. So lange war er noch nicht ihr Freund. Racker schon. Und der Fuchs brauchte sie. Er war so viel allein, weil sein Besitzer keine Zeit für ihn hatte. Ob er jetzt Zeit für ihn hatte? Und ihn zwischen den Ohren kraulte, wie Racker das mochte? Was ist das eigentlich für ein Mensch, fragt sie sich.

„Ein Schnösel“, meinte Daniel, „aber er zahlt gut für Rackers Pflege.“

„Ein reicher Fatzke“, hatte sie Herrn Hauser zu jemandem sagen hören, „aber er hat Pferdeverstand. Der Quarter ist ein gutes Pferd.“

„Mir tut Racker leid“, hatte Daniel mal gesagt, „dass er so einem Idioten gehört. Der kommt, wann er will, immer nur am Wochenende, und unter der Woche überlässt er das Pferd einfach uns.“

Luisa stellt ihn sich immer als Vampir vor, in Schwarz-Weiß, geschniegelt und mit blitzenden Zähnen. Den Zähnen. Armer Racker! Wie muss er sich fühlen, wenn dieses Scheusal auf ihm sitzt und er machen muss, was der Vampir will. Sicher setzt er ungeniert seine Gerte ein, wenn der Fuchs eine andere Vorstellung davon hat, wie man über eine sumpfige Wiese läuft. Oder einen steinigen Abhang hinunter.

Mit dem möchte ich nichts zu tun haben, denkt Luisa. Ich springe einfach raus, wenn wir angekommen sind – gut, dass es dunkel ist! – und verstecke mich und passe auf, wo sie Racker hinbringen. Und dann mache ich das, was ich schon in Herrn Hausers Reitstall vorhatte: Ich befreie mein Pferd und – auf und davon!

Eine leise, aber ziemlich aufdringliche Stimme, die aus ihrem Magen zu kommen scheint, fragt: „Wohin eigentlich? Und ohne Geld? Und ohne Jacke und Telefon?“ Aber Luisa drückt die Stimme weg, als drücke sie am Telefon einen lästigen Anrufer weg. „Ich lasse Racker nicht im Stich“, tönt sie, aus der Herzgegend jetzt, „und befreie ihn für immer von diesem ekligen Vampir.“

Wieder ein Ruck, dieses Mal recht sanft. Der Wagen kommt zum Stehen. Luisa spitzt die Ohren. Zwei Autotüren werden zugeworfen. Vorsichtig reckt Luisa den Hals über den Rahmen. Sie hebt die Plane ein wenig an. Viel kann sie nicht erkennen, denn es ist dunkel geworden. Doch, da sind sie. Die zwei SUV-Fahrer gehen zügig die Treppen zu einer Raststätte hinauf. Luisas fummelt ungeduldig an den Schlingen der Plane. Sie muss jetzt raus hier, sie muss einfach! Noch einmal versucht sie, sich mit aller Kraft, die sie eigentlich gar nicht mehr hat, an der hinteren Bordwand hochzuziehen, um wenigstens ein Bein darüber zu bekommen. Sie stöhnt und flucht und reißt sich die Hände auf. Ihr Bein schmerzt.

Schließlich schafft sie es. Sie springt vom Hänger. „Schschsch“, macht sie zu Racker, der die Ohren spitzt und ängstlich schaut, ob Luisa ihn jetzt allein lässt.

„Ich komm‘ gleich wieder!“, flüstert sie, und drückt sich schnell ins Gebüsch. Ebenfalls zur Toilette zu gehen, denn dorthin wollten die beiden Männer nach so vielen Stunden im Auto mit Sicherheit, wäre zu riskant gewesen, auch wenn die beiden Luisa ja noch nie gesehen hatten. Außerdem ist ihr Geld in ihrer Jacke, und wo die ist, wissen wir ja, mindestens vier Stunden Autobahn von ihr entfernt. Und außerdem – sie muss so dringend wie noch nie in ihrem Leben. Und ist sehr froh über das Gebüsch und die Dunkelheit. Das ist echt peinlich, das Ganze, denkt sie.

Nur - jetzt muss sie irgendwie wieder zurück zu ihrem Pferd. Vor vier Stunden war die Plane noch nicht da, und ihre Hände waren auch noch warm. Sie rutscht ab, wieder und wieder. Neben dem SUV mit dem Pferdehänger parkt ein Van ein. Luisa flüchtet in das kratzige Grün, das erfolglos versucht, den Parkplatz zu einem Wohlfühlort zu machen. Sie strauchelt, als sie sich tiefer in die Sträucher drücken will, während zwei Frauen aus dem Lieferwagen steigen, und fällt über etwas Hartes. Tastend erkennt Luisa, dass es eine Getränkekiste ist, die wohl jemand vergessen hat.

Sie unterdrückt den Fluch, den sie gern gebrüllt hätte. Wütend reibt sie ihre schmerzenden Rippen und das Knie. Doch dann erstarrt se. Rackers Entführer tauchen im Licht der Glastür auf, vor der Stufen zur Raststätte führen. Mit fliegenden Händen reißt sie die Flaschen aus der Kiste, zum Glück sind es nur fünf, schnappt sich den Getränkekasten und knallt ihn vor die Rückwand des Hängers. Als würde sie vor einem zähnefletschenden Dobermann verfolgt, erklimmt sie die Bordwand des Hängers, hinter der Racker aufgeregt schnaubt, und lässt sich fallen. Hastig schiebt sie die schwarzen Gummischlaufen über ihre Nippel. Die Plane ist wieder fest gespannt.

Die Kiste fällt dem Mann, der kurz einen Blick auf Plane und Hänger wirft, zum Glück nicht auf, und keine Minute darauf geht es weiter, Stunde um Stunde um Stunde. Luisa hat sich fest an Racker gepresst, von dessen dünnen Beinen sie ein bisschen Wärme abbekommt. Und es ist tröstlich, ihr Pferd im Arm zu haben. Also eine Fessel davon. Und ihr Pferd ist es ja auch nicht. Aber sie liebt Racker doch, und sie reitet ihn und striegelt ihn dreimal die Woche, und sie will ihn nie mehr vernachlässigen, wie sie das letztes Jahr getan hat, drei Wochen lang, als das Theater - und Leonard - für sie viel wichtiger waren. Wie konnte mir etwas wichtiger als Racker sein? Tränen stürzen aus ihren Augen, und sie staunt darüber, wie sehr es sie dabei schüttelt. Der Fuchs schnaubt lange und sanft.

Zum ersten Mal kann sie weinen, seit … Vor einer Woche erfuhr sie von Herrn Hauser, dass Rackers Besitzer ihn nach Norddeutschland holen wollte. Sie hat ihn nur angestarrt, den Herrn Hauser, dem das ein wenig peinlich war, denn er drehte sich schnell um und gab einem Pferdepfleger markige Anweisungen. Sie hoffte, dass es noch lange dauern würde, bis sie sich von Racker trennen musste. Den Gedanken mochte sie nicht. Sie stellte Sperren in ihrem Kopf auf, wenn er auftauchte.

Luisas Abenteuer

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