Читать книгу Luisas Abenteuer - Carola Wegerle - Страница 7

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Sie schreckt hoch, weiß nicht, wo sie ist, als Sörens hellwache Stimme sie früh am nächsten Morgen aus dem Schlaf reißt, sanft an ihrer Schulter rüttelnd. Was ist – Racker! Ihr Pferd mampft Hafer. Schnaubt sie freundlich an.

Abschied? Nein, bitte nicht! Bitte nicht! Nicht!

„Wiedersehn, Racker“, sagt sie leise und umarmt ihn. Dann zieht sie sich ihre Schuhe an und wendet sich zur Tür der Box. Racker hält inne, wendet ihr den Kopf zu. Schnaubt. Luisa schluckt. Und stürzt aus der Tür. Racker wiehert. Luisa schluchzt auf. Sie rennt aus dem Stall. Racker trommelt mit den Hufen an die Boxenwand. Wenn das so weiter geht, braucht er bald neue Hufe, denkt Luisa unter einem Tränenfilm, und dabei ist er gerade frisch beschlagen worden.

Racker macht Krach. Unvorstellbaren Krach. Es ist nicht leicht, bei so einem Riesenkrach des geliebten Pferdes zu gehen, es einfach im Stich zu lassen.

Sie stoppt, kurz vor Sörens Auto, in dem Jan sitzt, um sie zum Bahnhof zu bringen. „Moment“, ist alles, was sie sagen kann, denn Jan ist so nett und hat sicher keine Zeit, lange auf sie zu warten. Und dann rennt sie zurück in den Stall und zu Racker und fällt ihm um den Hals, und Racker wird ruhig und Luisas Tränen fließen noch heftiger.

„Racker, ich muss gehen“, sagt sie, „ich kann nicht bleiben. Sören magst du doch, nicht? Guck mal, da ist der Sören, den du magst.“ Racker schnaubt an Sören herum, findet ihn eindeutig nett, aber dass Luisa geht, hier, in einem fremden Land, und ihn allein lässt, das will er nicht. Sofort beginnt er wieder zu wiehern, aus Leibeskräften, die Wände des Stalles hallen wider. Die anderen Pferde werden unruhig.

Sören hält Luisa am Arm fest. „Bring ihn dazu, dass er von dem Wasser trinkt. Da ist ein bisschen Valium drin, für den Übergang.“ Luisa bezweifelt, dass ihrem Quarter Valium Ruhe bringt, sie denkt an die unruhigen Stunden im Pferdehänger. Aber sie hält Racker die Wasserschüssel vor die Nase.

„Du musst trinken, mein Schöner“, sagt sie leise zu ihm und reibt ihre Nase an seinem samtigen Maul. „Trink, bitte, mir zuliebe!“

Endlich senkt Racker den Kopf und trinkt. Trinkt in großen Zügen, und weil er am Tag zuvor vor Aufregung ganz vergessen hatte zu trinken, kann er gar nicht mehr aufhören, und Sören zieht Luisa am Jackenärmel aus der Box und aus dem Stall und schiebt sie beinahe in sein Auto.

„Ich bleibe lieber hier“, meint er, „Jan fährt dich. Ich glaube, ich sollte jetzt bei Racker bleiben.“

Luisa nickt. „Sei gut zu ihm, ja?“ Denn gestern hat er ihr das „Du“ angeboten. Jan auch. Da war sie so todmüde, dass sie alles akzeptiert hätte, und jetzt muss sie wohl dabei bleiben, wenn sie nicht unhöflich sein will.

Es ist stockfinster. Neusunderklam muss sehr abgelegen sein. Die Straße ist schmal und nahezu unbeleuchtet. Sie ist Jan dankbar, dass er sie jetzt nicht mit Feelgood-Music zudröhnt.

Er sagt nichts. Aber er kramt im Handschuhfach, bis er Tempotaschentücher findet, und drückt sie Luisa in die Hand. Sie schnäuzt sich. „So ein kalter Wind“, sagt sie.

„Du hast ihn sehr gern, nicht?“ Luisa schnaubt, schnäuzt sich gleich noch einmal. „Sören und ich, weißt du, wir haben gestern, als du schon im Stall warst, gedacht, dass du vielleicht in den Schulferien kommen und Racker besuchen könntest.“

Luisa guckt ihn ungläubig an.

„Unsere Gästezimmer hast du ja gestern nicht gesehen, aber sie sind umwerfend. Bauernmöbel, geblümte Vorhänge im Landhausstil und immer frische Blumen auf dem Tisch. Das macht Irene. Sie sorgt fürs Haus.“

„Aber ich kann doch nicht ..., ich meine, ihr kennt mich doch gar nicht.“

„Racker kennt dich, das ist doch genug.“

„Aber – denkt ihr denn nicht, dass ich total durchgeknallt bin nach der Nummer im Pferdehänger gestern?“

Jan lacht. Dann schüttelt er todernst den Kopf. „Eigentlich konnte uns doch gar nichts Besseres passieren. So hat Racker die Fahrt und die erste Nacht viel besser überstanden.“

Das überzeugt Luisa nicht. Jan will einfach nett sein. Vielleicht ist er sogar nett. „Na ja“, sagt sie, weil ihr nichts einfällt, was sie sagen könnte.

Jan hält vor dem Bahnhof. „Soll ich mitkommen?“ Luisa schüttelt den Kopf und grinst. „Ich bin genau wie ein Pferd. Den Weg zum Stall finde ich blind.“

Jan gibt ihr Geld für die Karte.

„Ich überweise es dir gleich heute Abend“, sagt Luisa.

„Das hat Zeit.“ Er lächelt. „Bring es mit, wenn du uns in den Ferien besuchen kommst.“

„So lange warte ich bestimmt nicht.“

Sie öffnet die Beifahrertür. „Halt!“, ruft Jan. „Gib mir deine Telefonnummer.“ Luisa setzt sich noch einmal ins Auto. Sie blickt ihn fragend an. „Es muss ja nicht immer alles über deine Eltern laufen, nicht?“, meint er. „Wir werden sicher die eine oder andere Frage wegen Racker haben.“

Luisa ist erleichtert. Ja, das ist wichtig. Jan tippt ihre Nummer in sein iPhone. Es sieht fast so aus wie Luisas, nur ist es viermal so teuer. Das sieht Luisa gleich. Sie hat ja erst vor kurzem alle Smart- und iPhones verglichen, bevor sie ihr schönes schwarzes und nicht so teures kaufte. Von ihrem Theatergeld. Viele Vorstellungen hat sie gespielt, am Stadttheater, wie ein Profi. Noch immer fühlt es sich ein bisschen unwirklich an, dass ihr großer Wunsch, Theater zu spielen, in Erfüllung gegangen ist. Nach einem Vorsprechen, bei dem alles schiefging.

Dass sie die Rolle bekommen hatte! Verena hatte ihr Mut gemacht hinzugehen. Ihre Freundin wusste, wie gern sie spielen wollte. Und dass sie nie jemanden fand, der mit ihr spielte.

Luisa hat ihr ein dunkelgrünes Sweatshirt für ihr Training gekauft, natürlich Verenas Lieblingsmarke. Und sich von dem Geld auch selbst ein paar Wünsche erfüllt. Ein Tablet zum Beispiel. Mit Skype. Und sechs neue T-Shirts ganz ohne Aufdruck. Und eine richtig gut sitzende Jeans.

„Wenn ich jetzt Jan und Sören das Geld zurückzahle, ist mein Konto leer“, rechnet sie aus, als sie zwanzig Minuten später im Zug sitzt. „Egal, aber ich kann es bezahlen.“

Sie denkt an Racker, wie er sie angesehen hat, als sie die Box das erste Mal verließ. Und sie kann nichts dagegen tun, die Tränen laufen und laufen, als hätte jemand einen Hahn aufgedreht. Die Fahrgäste blicken sie verwirrt an. So viele, die einem gleich den Arm um die Schulter legen, gibt es aber nicht. Jedenfalls nicht in Zügen. Die Leute gucken lieber weg. Das ist Luisa recht. Sie hat zum Glück einen Fensterplatz. Da kann sie sich in die dicke silberne Jacke von Lena kuscheln und auch das Gesicht halb darin einwickeln. Wer ist eigentlich Lena?

Niemand spricht sie an. Draußen sind Wiesen und niedere Zäune, flache Backsteinhäuser, sehr vereinzelt, und – Pferde. Viele Pferde. Es ist ein flaches Land. Mit sehr grünen Wiesen, staunt Luisa. Und überall Pferde! Sie reckt den Hals und erinnert sich daran, wie sie als Kind hinten im Auto saß und „Ein Pferd! Ein Pferd!“, gebrüllt hat, wenn sie eines sah. Eines! Bei diesem Anblick hier wäre sie sicher vollkommen ausgerastet. Luisa muss lächeln. Mit dem Rest von Jans Taschentuch, also dem, der noch nicht ganz durchnässt ist, wischt sie sich die Tränen weg.

Es kommen schon wieder welche. Trotzdem hat sie das Gefühl, dass ein Sonnenstrahl durch graue Wolken bricht. In den Ferien Racker besuchen? Ja. Ja! Ja!!!! Ja, das will sie.

Aber wer wohnt denn dort außer Sören und Jan und, nein, die Frau, die für den Haushalt sorgt, wohnt vermutlich gar nicht dort, sonst hätte Luisa sie ja gesehen. Das werden ihre Eltern sicher nicht erlauben, denkt sie. Wenn da keine Familie ist ...

Sie lassen sie doch nicht zu zwei wildfremden Männern, allein. Aber - Racker! ...

Nein, anlügen wird sie Ihre Eltern nicht. Nie. Sie wird keine Familie erfinden. Sowas macht sie nur im Theater.

Theater? Luisa schlägt sich die Hand vor den Mund: Morgen ist ihre letzte Vorstellung! Sie glaubt, sie bekommt keine Luft mehr. Die hätte sie ja beinahe vergessen. Vor lauter Sorge um Racker. Die letzte! Und überhaupt. Sie hat noch nie bei einer Vorstellung gefehlt, sogar mit einem Gipsbein hat sie gespielt, die Vorstellung muss stattfinden, das ist, wenn man am Theater arbeitet, das Wichtigste. Es ist wichtiger als alles andere für Theaterleute. Und wenn sie mitspielt, ist sie eben auch ein Theatermensch. Die letzte Vorstellung!

Das letzte Mal Viola sehen? Und Tobias? Und Ursula und Sandra und alle anderen, die am Theater arbeiten, und zum letzten Mal das altmodische Hängerchen tragen, mit der kleinen Fahne wedeln und das schöne Lied singen. Und Federball spielen mit Leonard ... Sie wird ihn vermissen. Er war ja nur Gast am Theater, ist für den verletzten Konstantin eingesprungen, und wohnt weit weg. Und wie er ihr stolz erzählte, hat er bereits ein Engagement in Osnabrück, das ist wohl ein Sprung weiter für ihn. Hoffentlich lernt er rechtzeitig seinen Text, denkt Luisa. Sonst wird das kein Sprung, sondern ein Bauchplatscher. Aber trotzdem: Er war ihr Bruder, einige Monate lang, und er hat sie Abend für Abend im Arm gehalten. Sie wird ihn vermissen. Vielleicht kann sie ihn auch besuchen? Irgendwann. Nein, sie möchte bei Racker sein, in jeder Minute ihrer Ferien.

Die letzte Vorstellung. Es tut weh. Sie hat die Rolle gern gespielt. Es war ein Stück Leben, das sie leben durfte. Geliehenes, aber auch von ihr selbst erschaffenes Leben. Ein Stück von ihr eigentlich.

Oh, wie kann ich denn jetzt Geld verdienen, um Racker zu besuchen, im Sommer – wie lange ist es noch bis zum Sommer!

Und wie kann ich meine Eltern dazu überreden, mich dorthin zu lassen? Wenn sie vielleicht ihren Urlaub auch dort machen könnten, also in einer Pension in der Nähe, das wäre die Lösung. Aber Papa will ja immer ans Mittelmeer, er braucht Wärme, und Olli freut sich auch schon auf den Strand. Mama! Sie muss sie dazu bringen, dass sie Deiche und flaches Land mit vielen Pferden ganz toll findet und Papa überredet, einmal Urlaub im Norden zu machen.

Das Gästezimmer lasse ich mir aber nicht nehmen, da können sie machen, was sie wollen. Außerdem sparen sie dann das Hotelzimmer für mich. Ist das nicht ein wirklich cooles Argument?

Daniel wird sich hoffentlich freuen, dass Racker doch nicht bei einem Schnösel gelandet ist. Könnte Daniel nicht mitkommen? Aber er hat im Sommer ein Praktikum in Amerika, gleich nach seinen College-Prüfungen. Jetzt erst wird ihr klar, dass auch er im Pferdeland sein wird. Durch die Zeitverschiebung skypen sie immer nur zu Zeiten, an denen einer von beiden todmüde ist. Mensch, Luisa, sagt sie sich, ich habe ein Tablet, ich habe ein iPhone, ich kann ja wohl mal googeln, wie es da aussieht, wo Daniel studiert. Ein Collegejahr mit Spezialisierung auf Pferdezucht und Landwirtschaft. Seine Schule hat ihn dafür ein Jahr freigestellt, weil dieses Stipendium ganz selten vergeben wird und nur total begabten jungen Pferdewirten vorbehalten ist. Angehenden Pferdewirten.

Der muss ja sehr intelligent sein, der Daniel, denkt sie, wieso habe ich das noch gar nicht gemerkt? Ich finde ihn nur einfach, also da ist etwas, wo mein Herz immer zu tanzen anfängt, wenn ich an ihn denke. Und wenn ich ihn sehe, dann kann ich eigentlich gar nicht mehr denken. Ich sehe einfach so gern, wie er mit Pferden umgeht. So liebevoll und sicher. Und dann - liebe ich ihn. Liebe ich ihn?

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