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KEINE ENTSCHEIDUNGSFREIHEIT, NIRGENDS

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Kennen Sie das Dilemma der Alphatiere? Sie wollen alles entscheiden und müssen dann eben auch jede Entscheidung treffen, die sie an sich gerissen haben. Und kennen Sie das Dilemma der dressierten Alphatiere? Sie wollen alles entscheiden, dürfen aber nicht.

Ich ging 1993 nach Dresden. Als Pre-Opening-Manager und designierter F&B-Direktor sollte ich das historische „Kempinski Hotel Taschenbergpalais“ mit aufbauen. Die erste Adresse in einer Stadt, die gerade mitten im Umbruch ist. Dresden war 1993 noch eine ziemliche Ruine. Kopfsteinpflaster, verfallene Fassaden, viel Grau. Aber gleichzeitig ein Mekka der Kulturwelt: In der Semperoper gab sich alles die Klinke in die Hand, was Rang und Namen hatte. Und drum herum war noch architektonischer Sozialismus. Das war wirklich spannend.

Das Problem war nur: Ich mache mich nicht so gut als dressiertes Alphatier. Wenn ich zu wenig Freiheit habe, bekomme ich einen Lagerkoller. Und der kam in Dresden ziemlich schnell, obwohl ich mich in der Stadt damals sehr wohlfühlte. Was mich bei der Stange gehalten hat, war die Herausforderung. Man bekommt ja nicht jeden Tag die Chance, ein historisches Hotel direkt neben der Semperoper neu zu eröffnen.

Wenn Sie ein Fünf-Sterne-Hotel eröffnen, dann treffen Sie täglich 100 Entscheidungen. Oder vielmehr: Sie müssten täglich 100 Entscheidungen treffen. Wogegen ganz und gar nichts auszusetzen ist, wenn man denn alles selbst entscheiden könnte. Aber als dressiertes Alphatier trifft man diese Entscheidungen eben nicht allein, zumindest nicht verantwortlich. Stattdessen werden sie konsensiert. In den meisten größeren Unternehmen braucht es für jede Entscheidung, die über den Wechsel einer Glühbirne hinausgeht – und selbst da hört es in manchen Unternehmen schon auf – irgendein Gremium.

Schon der Begriff „Gremium“ löst bei den meisten von uns ein weiteres Reizwort aus: Meeting. Das sind die Sitzungen, bei denen die COMOs unterm Tisch verstohlen Taschenbillard spielen, während am Kopfende der langen Tafel irgendein höheres Tier einen ordentlichen Affentanz veranstaltet.

In Dresden beginne ich nicht zum ersten Mal, aber in bis dahin ungeahnter Form unter dieser Kultur zu leiden. Ich bin der Gastronomiedirektor dieses Hotels, aber ich darf nicht mal das Geschirr selbstständig aussuchen. Ich muss jeden verdammten Teller mit einem Gremium klären, das aus der gesamten Führungsmannschaft und meinem Vorgesetzten besteht. Und der ist meistens nicht mal da. Kennen Sie diesen Typ auch, den unerreichbaren Chef, der aber alles absegnen will? Dann kennen Sie schon mal mindestens einen Corporate Monkey.

Nun muss ich ergänzen: Ich war relativ verwöhnt aus früheren Engagements. Unter anderem war ich vorher in Südafrika gewesen. Dort hatte ich in zwei sehr speziellen Grand-Hotels weitgehend schalten und walten können, wie ich wollte. In Dresden aber steckte ich in der Konzernkultur fest und durfte praktisch nichts mehr allein entscheiden. Weil jede Tasse mit den Kempinski-Standards konform gehen muss. Und mit den Befindlichkeiten aller anderen sogenannten Entscheidungsträger. Damit wir uns richtig verstehen: Nichts gegen die Kempinski-Standards. Aber alles ist durchschematisiert. Und was nicht durchschematisiert ist, muss konsensiert werden. Keine Entscheidungsfreiheit, nirgends.

Die Entscheidungen aber sind das, was eine Führungskraft auszeichnet. Die Entscheidungen sind die Momente im Führungsalltag, in denen wir scheitern oder Erfolg haben, wachsen oder stagnieren. Wenn führen entscheiden heißt – wie sollen wir dann führen, wenn wir nicht entscheiden dürfen? Wie sollen wir es jemals zu guten Führungskräften bringen? Wie sollen wir andere zu Leadern machen? Und wenn wir Leader nicht an ihren Entscheidungen messen können, woran denn dann?

Genau deshalb sind die Corporate Monkeys so oft und oft so lange erfolgreich auf ihrer Jagd nach der Kokosnuss. Deshalb fällt so oft gar nicht auf, dass sie immer zuerst an den eigenen Vorteil denken. Wo alles konsensiert wird, lässt sich am Ende auch ein Misserfolg nicht schlüssig erklären und an seinen Ursprung zurückverfolgen. Und wo alle der gleichen Kokosnuss hinterherjagen, besteht daran auch gar kein Interesse. Eine Führungskultur, in der Menschen der Freiheit zu entscheiden beraubt werden, züchtet Corporate Monkeys: Führungskräfte, die gar nicht entscheiden wollen.

Ohne Freiheit ist Führung nur ein F-Wort

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