Читать книгу Ohne Freiheit ist Führung nur ein F-Wort - Carsten K Rath - Страница 20
ENTSCHEIDEN IN DER PRAXIS: FREIHEIT SCHLÄGT GELD
ОглавлениеEin häufiger Einwand gegen eine Kultur der unabhängigen Entscheidungen ist: Wer soll das bezahlen? Schließlich könnte der Mitarbeiter Kosten verursachen, weil er die Folgen seiner Entscheidung gar nicht überblickt.
Doch bei der Frage, ob wir unsere Führungskräfte durch größere Entscheidungs- und Handlungsfreiheit ermächtigen oder nicht, geht es gar nicht in erster Linie um Geld. Unternehmer, die nur in dieser Dimension denken, stehen sich selbst im Weg. Unternehmer, die den Mut zur Umverteilung der operativen Macht aufbringen, können dagegen flexibler auf Herausforderungen reagieren – und sparen dadurch in aller Regel noch Geld, weil sie ihre Inhouse-Ressourcen besser nutzen oder überhaupt erst freilegen.
Den Unterschied verdeutlicht folgende Geschichte über das typisch amerikanische Modell des Managements, die ich im Internet fand.
Das Bootsrennen
Eine japanische und eine amerikanische Firma treten in einem Bootsrennen gegeneinander an. Beide Teams trainieren wie besessen, um beim Rennen ihre Bestleistung zu zeigen.
Als es so weit ist, gewinnen die Japaner mit einer Meile Vorsprung. Die Amerikaner sind am Boden zerstört. Sie leiten sofort eine Untersuchung ein, um die Gründe für ihren Untergang zu analysieren. Ein Team von Senior-Managern wird gebildet, um die Untersuchung zu leiten und Maßnahmen vorzuschlagen. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Japaner acht Ruderer und einen Steuermann hatten, während die Amerikaner acht Steuermänner und einen Ruderer hatten.
Also heuern die Amerikaner eine Unternehmensberatung an. Sie bezahlen viel Geld für eine zweite Meinung. Die Unternehmensberatung kommt zu dem Schluss, dass zu viele Leute das amerikanische Boot gesteuert und zu wenige gerudert haben.
Um eine weitere Niederlage gegen die Japaner zu verhindern, wird das amerikanische Ruderteam umgebaut: in vier Steuer-Supervisors, drei regionale Steuer-Superintendents und einen Assistant-Steuer-Manager. Außerdem wird ein leistungsorientiertes Vergütungssystem eingeführt. Es bietet dem einen Ruderer höhere Incentives, damit er härter arbeitet. Das Programm bekommt den Titel „1. Ruderteam-Qualitätsoffensive“. Meetings und Dinners werden veranstaltet, und der Ruderer bekommt Gratis-Kugelschreiber. Bei den Zusammenkünften wird über neue Paddel, Kanus, zusätzliche Urlaubstage fürs Training und Boni diskutiert.
Im nächsten Jahr gewinnen die Japaner mit zwei Meilen Vorsprung. Gedemütigt schmeißen die Amerikaner den Ruderer wegen schlechter Leistungen raus. Sie stoppen die Entwicklung eines neuen Kanus. Sie verkaufen die Paddel und frieren alle Kapitalinvestitionen in neues Equipment ein. Das eingesparte Geld wird als Boni an die Senior-Manager verteilt. Und das Ruderteam fürs nächste Jahr wird nach Indien outgesourct.
So läuft das in unfreien Unternehmen, wo Entscheidungen ein Führungsprivileg sind. Wenn ein Unternehmen vor lauter Navigation nicht mehr zum Rudern kommt, dann wird der Kahn früher oder später auf Grund laufen. Weil er vor lauter Untätigkeit einfach von der Strömung mitgerissen wird.
Sie brauchen nicht acht Leute, um zu entscheiden, wo Norden ist. Sie brauchen acht Leute, die rudern können. Mit anderen Worten: Ihre Mitarbeiter müssen handlungsfähig sein. Und dafür brauchen sie Entscheidungsfreiheit. Unsere Aufgabe als Leader besteht nicht darin, Entscheidungen zu treffen, die andere besser treffen können, sondern darin, jedem Mitarbeiter einen klaren Rahmen für eigene Entscheidungen zur Verfügung zu stellen.
Im Rahmen einer Managementberatung haben wir für die Hotels von Kameha Grand, deren Gründer und Gesellschafter ich bin, überlegt, wie wir das anstellen könnten. Und dann haben wir die Entscheidungsfindung neu durchdacht, nachdem wir festgestellt haben: Die üblichen Entscheidungsprozesse gehören vom Kopf auf die Füße gestellt. Also bekommt jeder Mitarbeiter, und zwar vom Abteilungsleiter bis zum Auszubildenden, drei Dinge, um seinen Gast glücklich zu machen.
Drei Führungsgeschenke an unsere Mitarbeiter
•Entscheidungsfreiheit: Du entscheidest, was der Kunde in diesem Moment braucht – alles, um ihn glücklich zu machen!
•Sicherheit: Dir passiert nichts, wenn du deine Freiheit für den Kunden nutzt!
•Finanzieller Spielraum: Du hast die Mittel dazu – bis zu einer vierstelligen Summe pro Anlass – zur freien Verfügung.
Stellt sich natürlich die Frage: Schießen Mitarbeiter übers Ziel hinaus, wenn ihnen die Kundenbegeisterung als Orientierungspunkt gesetzt wird, oder denken sie auch ans Unternehmen? Wurde dieser Rahmen bei uns schon einmal ausgeschöpft? Noch nie vollständig, nein. Denn um die Kosten geht es gar nicht. Der Rahmen dient vor allem einem Zweck: den einzelnen Mitarbeiter von seinen Fesseln zu befreien und handlungsfähig zu machen. Und genau so versteht er den Auftrag auch: Er weiß, er hat die Freiheit zu tun, was er für richtig hält. Und er weiß auch, dass es dabei in den wenigsten Fällen um Geld geht, sondern darum, dass der Kunde sich aufgefangen fühlt.
Sie glauben gar nicht, wie motivierend das wirkt. Sehr viele Gäste haben wir allein dadurch glücklich gemacht, dass ihr Ansprechpartner auf der Stelle eine Lösung für sie hatte. Dass er von Angesicht zu Angesicht sagen konnte: „Ich kümmere mich darum. Ich erledige das für Sie. Ich bin für Sie da.“ Das ist es nämlich, was der Kunde in diesem Moment der Wahrheit will. Nur das. Braucht der HWC-Kunde mit dem Upgrade-Wunsch wirklich eine Suite? Nein, er würde auch im Deluxe-Zimmer gut schlafen. Er braucht die Sicherheit, dass wir uns gut um ihn kümmern und seine Wünsche ernst nehmen. Und genau die versagen wir ihm, wenn die Mitarbeiterin an der Rezeption ihn in der Luft hängen lassen muss. Das alles funktioniert natürlich nur, wenn wir als Leader frei sind. Wenn wir keine Schranken im Kopf haben. Das alles beruht nämlich auf Vertrauen. Vertrauen gibt Freiheit.
Viele Jahre nach meinem Engagement in Dresden ist mir klar geworden, warum ich mich damals so eingeschränkt gefühlt habe. Warum auch ich damals so mittelmäßig geführt habe. Und warum ich als Führungskraft so gelitten habe. Nicht, weil ich so ein stolzes Alphatier gewesen wäre und alles selbst hätte entscheiden wollen, sondern weil ich nicht handlungsfähig war. Nicht, weil ich nicht allein entscheiden durfte. Sondern weil beim Konsensieren zu wenig rumkam. Weil die Entscheidungsmacht falsch verteilt war und das Potenzial des Unternehmens an allen Ecken und Enden von hausgemachten Barrieren ausgebremst wurde, die letztlich nur eines bedienten: Eitelkeiten.
Ich war gefangen im Monkey Business. Ein COMO eben.
Heute glaube ich, dass Entscheidungen nicht den Alphatieren und auch nicht den Betatieren vorbehalten sein dürfen. Egal, wo jemand im griechischen Alphabet verortet ist: Jeder muss in seinem Verantwortungsbereich entscheiden können. Auch die Gamma- und die Omega-Tiere. Die sind in der Regel nämlich an den Touchpoints beim Kunden. In Ihrem Unternehmen bestimmt auch. Denken Sie mal darüber nach. Es geht eben nicht nur in den Meetings der Vorstände um alles. Nicht nur in Zielsetzungsgesprächen. Nicht nur beim Rafting einmal im Jahr. Sondern jedes Mal, wenn Ihr Kunde anruft. Jedes Mal, wenn eine Führungskraft vor ihrem Team steht, oder vielmehr: sich vor ihr Team stellt. Und jedes Mal, wenn einer Ihrer Mitarbeiter Kontakt mit einem Kunden hat oder einem potenziellen Kunden oder auch nur mit einem anderen Mitarbeiter.