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Einige Zeit später - Beerdigung
ОглавлениеBei der Trauerfeier ist der Raum bis auf den letzten Platz gefüllt. Zumeist befinden sich Männer unter den Anwesenden. Einer nach dem anderen tritt an den aufgebahrten weißen Sarg heran, erbietet der Verstorbenen die Ehre, legt eine weiße Rose hinzu, dreht dann nach einer Schweigeminute ab und begibt sich auf einen Platz in der Kapelle zurück. Die meisten der Herren kenne ich nicht, nur vier von ihnen, denen ich teilweise flüchtig bereits begegnet bin. Durch meine Tränen wirken sie verschwommen, fast nicht unterscheidbar. Alles im Raum wirkt unwirklich, bizarr, undeutlich, so als würde augenblicklich Nebel in die Halle eingezogen sein. Und dennoch spüre ich Deine Gegenwart, so unwirklich und unbegreiflich ist Dein Tod für Deinen Vater, für mich.
Clodia, Du bist nur 29 Jahre alt geworden und dennoch hast Du mehr erlebt als vermutlich die meisten der Anwesenden in ihrem längeren Leben. Du warst nie genügsam, wolltest immer mehr, gabst keine Ruhe, warst immer auf der Suche und gingst zumeist über die Grenzen hinaus, ja, Du warst stets eine Gehetzte Deiner Schönheit und Ansprüche von Kindheit an.
Was sind wir zusammen im Geiste durch das All gestreift. Wir haben Pläne geschmiedet, die der Unendlichkeit standhalten sollten, mussten jedoch erkennen, auch wenn es uns zeitweise verzweifeln ließ, dass diese nicht einmal der Endlichkeit genügen könnten. Was hast Du ängstlich gefragt:
„Oh Geist, oh Vater, hat denn das All kein Ende?“
Was habe ich Dir darauf geantwortet?
„Ach Liebes, ich weiß es nicht! Man könnte meinen, nein! Doch auf der Suche haben wir festgestellt, dass das Gesehene eine ewige Wiederholung unseres Vorwissens ist, eine Wiederholung gleicher Mechanismen: des „Kommens und Gehens.“ Und wenn Du es erst einmal verinnerlicht hast, wirst Du bestätigen, dass wir Gefangene des Großen, des Alls, sind und uns gleichsam in einem dunklen Kerker befinden wie dem hier bei uns im Jetzt.“
„Du meinst, es verhält sich dort wie hier bei uns auf der Erde?“
„Ja! Ich denke, das All ist zum Träumen erschaffen worden, um zeitweise aus dem eigenen Kerker ausbrechen zu können. Du bist sehr jung und willst Berge versetzen. Glaube mir: Auch Dir wird es nicht gelingen! Das Grenzenlose muss ein Bestandteil Deines Ichs sein. Dann siehst Du das Nahe wie das Ferne zugleich und begreifst zumindest einen Teil davon. Es wird Dich leiten. Es wird Dich auch verführen wollen. Das Maßvolle ist der richtige Weg. Bedauerlicherweise ist es nicht Dein Weg! Dein Weg ist die Einsamkeit ohne Liebe! Erreicht Dich ein Funken der roten Wärme, vermagst Du diese nicht als solche zu deuten, da sie nicht in Dich eindringen kann und sich sofort wieder erkaltet zurückzieht.“