Читать книгу Clodia - Carsten Wolff - Страница 7

Rückblick am Grab

Оглавление

Liebe Clodia,

geliebte Freundin und Tochter,

in tiefe Trauer gehüllt, sitze ich an Deinem frischen Grab. Die nicht trocken werdenden Tränen verschleiern mir den Blick. Unschärfe beherrscht mich und Dein Platz vor mir ist ins Schwanken geraten. Ich muss mich setzen, um nicht den Halt zu verlieren, jedoch sind meine Gedanken wieder klar. Ein paar Tage sind nunmehr vergangen, seitdem Dir jemand diese unverzeihliche Schandtat angetan hat. Ich will nicht der Richter sein, denn Gott hat es so gewollt und geschehen lassen. Es muss einen Grund geben, auch wenn ich diesen nicht nachvollziehen kann. Wieso hat er mir mein Liebstes, mein Kind, genommen? Eltern sollten immer vor ihren Kindern sterben als ein naturbedingter Vorgang. Und doch auch ich habe eine schwere Schuld auf mich geladen: Wieso habe ich die Gefahr nicht rechtzeitig erkannt und verhindern können, in welcher Du schwebtest? Jedoch ist dieses Verlangen übermenschlich.

Clodia, ich möchte sterben, um bei Dir zu sein. Um mit meiner liebsten Tochter vereint zu sein. Ich weiß, wie sehr Du mich geliebt hast, obgleich Du es nie gefühlvoll ausgesprochen hast. Deine Augen haben es für Dich getan. Sehnsüchtige Blicke hast Du mir nachgeworfen und mich zuvor an den Händen festgehalten, wenn wir uns getrennt haben. Deine Blicke haben mir ewige Liebe signalisiert. Wenn ich Dich danach gefragt habe, hast Du mir stets geantwortet:

„Vater, frag nicht so viel!“

Es war Dein Inneres, welches dieses Bekenntnis nicht zuließ. Dein kontrollierender Geist, der Emotionen auf ein Minimum beschränkte. Und Du fügtest an:

„Mein Beruf bringt es mit sich, als beobachtete Frau sich immer unter Kontrolle zu halten. Sollen die Männer mich versuchen, zu enträtseln!“

„Ach ja, keine Mithilfe?“ kam als Antwort von mir.

„Nein, keine!“

Dann hast Du meine Hände gefasst, mir einen Kuss auch die Wange gesetzt und bist gegangen, eben mit diesen wehmütigen Blicken. Ich vermisse Dich so sehr, meine liebste Tochter! Und augenblicklich spüre ich Dich ganz deutlich, wie Du von oben auf mich blickst, wieder mit diesen elegischen Blicken in Deinen Augen. Sie lassen mich wanken, ob Du doch noch lebst und Dich nur auf einer langen Reise befindest. Augenblicklich hole ich mein Handy hervor und wähle Deine Nummer.

Der Teilnehmer ist zurzeit nicht erreichbar!

höre ich von einer Computerstimme. Lange Reise? Ich zweifele. Oder? Das Bewundernswerte an der Illusion ist, dass es nichts Illusionäres daran mehr gibt, es lebt nur noch das Wirkliche. Im Hier und Jetzt.


Aus der Jacketttasche hole ich einen Umschlag hervor. Er beinhaltet einen Brief an Dich, meine Tochter. Geschrieben von mir, nachdem ich Veränderungen an Dir wahrgenommen habe. Du solltest ihn erst öffnen, wenn ich sagte: „Jetzt.“ Darin habe ich für Dich eine kleine Geschichte geschrieben, die Dir zum Nachdenken Anlass geben sollte. Dazu ist es nun nicht mehr gekommen.

Ich lese ihn Dir jetzt vor in der Hoffnung, dass Du die Zeilen mitanhörst.


Clodia

Подняться наверх