Читать книгу Die Drachenfriedhof-Saga. Die Abenteuer von Bandath, dem Zwergling - Carsten Zehm - Страница 12

„Das gibt Stress!“

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„Das gibt Stress“, murmelte Rulgo, als er die Truppe betrachtete, die den Hohlweg vor ihnen blockierte. Er, Thugol und Korbinian hatten sich schon vor Tagen von To’nella getrennt, die den Weg nach Konulan eingeschlagen hatte. Die drei waren am diesseitigen Ufer des Ewigen Stroms weitergezogen, wollten Richtung Troll-Land, das Umstrittene Land umgehen. Dort erst hatte Korbinian vor, auf die andere Seite des Flusses überzusetzen, um zu seinem Vater auf den Riesengras-Ebenen zu gelangen. Kurz vor dem Umstrittenen Land durchquerten sie eine Bergkette und waren hier im Hohlweg in eine Falle gelaufen. Zehn Männer versperrten ihnen den Weg. So wie sie aussahen, handelte es sich um ehemalige Soldaten eines Heeres. Heruntergekommen, einige von ihnen mit schmuddeligen Verbänden um Arme oder den Kopf – und bewaffnet. Es schien, als hätten sie bereits einen langen Weg hinter sich.

Als Rulgo und seine Gefährten stehenblieben, raschelte es hinter ihnen und vier weitere desertierte Soldaten versperrten ihnen den Rückweg.

„Gut“, sagte einer der Soldaten. „Gebt uns einfach alles, was ihr habt: das Pferd, Waffen, Geld, Verpflegung. Dann können wir und ihr weiterziehen, ohne dass einer von uns jemand anderem wehgetan hat.“

Rulgo leckte sich über die Lippen. Er wog seine Keule in der Hand, das Insektenbein mit dem scharfen Stachel am Ende.

„Wisst ihr“, sagte er, „ihr hättet uns einfach um etwas Hilfe bitten können. Etwas Brot, ein wenig Wasser. Vielleicht hätten wir sogar Fleisch oder ein paar Silbermünzen für euch übrig gehabt. Aber jetzt habt ihr es verdorben. Außer Schlägen werdet ihr von uns nichts bekommen.“

„Rulgo.“ Thugol zupfte ihn am Arm. „Das sind vierzehn Soldaten. Meinst du nicht, dass das Kräfteverhältnis ein wenig ungünstig ist?“

„Naja, ihr beide könnt euch ja zurückhalten. Dann ist es etwas ausgewogener.“

Thugol sah Korbinian an. „Ist der immer so?“ Er nickte Richtung Rulgo.

„Im Normalfall?“, antwortete der Elf und sah am Troll vorbei zu den Soldaten. „Schlimmer!“ Er glitt von seinem Pferd.

Rulgo ließ seinen Schultersack zu Boden rutschen. „Hört mal. Das wird jetzt gleich ein wenig unsportlich hier. Das Beste ist, ihr lasst uns einfach vorbei und wir vergessen, dass wir euch gesehen haben.“

„Schnauze, Troll!“, rief ein zweiter Söldner. „Gebt uns, was wir verlangt haben und ihr könnt gehen.“

„Schnauze, Troll?“ Rulgo stieß die Worte zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.

„O-Oh!“, flüsterte Korbinian, ließ ebenfalls seinen Schultersack auf den Boden gleiten und griff nach dem Schwert.

„Hast du eben ‚Schnauze, Troll‘ zu mir gesagt?“ Rulgos Stimme war gefährlich leise, drang aber doch bis zu den Wegelagerern vor.

„Jetzt ist alles zu spät.“ Korbinian flüsterte noch immer. „Nimm deine Keule fest in die Hand, Thugol. Gleich rastet er aus.“

„Legt einfach alles auf den Boden und tretet zehn Schritte zurück!“, versuchte der erste Sprecher zu vermitteln.

„Niemand sagt zu mir ‚Schnauze, Troll‘! Niemand!“, brüllte Rulgo und rannte gegen die zehn Mann los, die den Weg vor ihnen versperrten.

„Dreimal getrockneter Zwergenmist!“, rief Korbinian. „Immer dasselbe mit diesem dummen Troll.“

Er zog sein Schwert, drehte sich um und griff die vier Wegelagerer hinter ihnen an. Das Schwert in Kopfhöhe, waagerecht nach vorn gereckt, den Griff neben dem rechten Ohr sprang er zwischen die Soldaten, schlug dem Ersten das Schwert aus der Hand, so dass dessen Handgelenk ein gefährlich klingendes Knacken von sich gab und dieser gepeinigt aufschrie, verpasste dem Zweiten mit der Breitseite seiner Waffe einen Schlag gegen den Kopf, der den Soldaten lautlos zusammenbrechen ließ und hieb dem Dritten eine Wunde in den Oberschenkel. Der Vierte ließ sein Schwert fallen.

„Alles in Ordnung, Elf. Wir hatten nur Hunger.“

Korbinian zielte mit der Schwertspitze auf die Kehle des Mannes. „Das hättet ihr euch früher überlegen sollen. Sammle die Waffen deiner Kameraden ein und schmeiß sie auf einen Haufen! Und dann kümmere dich um die Verwundeten!“ Er nickte zu den beiden Liegenden und dem Knienden hinter sich, der leise jammerte und sein Handgelenk umfasst hielt.

Thugol stand noch immer neben Memolth, dem schwarzen Hengst Korbinians, und blickte erstaunt zwischen Rulgo und dem Elf hin und her.

Das Schwert wachsam gegen seinen Gegner gerichtet, riskierte Korbinian einen Blick zu der Zehnergruppe und Rulgo. Der Troll stand ganz ruhig inmitten der auf dem Boden liegenden Männer, die sich entweder stöhnend auf der Erde wälzten oder bewegungslos rund um Rulgo herum lagen. Er hatte seinen Fuß auf die Brust eines der Liegenden gesetzt, stützte sich leicht auf sein angewinkeltes Knie und grinste dem nach Luft Schnappenden unter sich an. „Sag doch bitte noch mal ‚Schnauze, Troll!‘ zu mir. Bitte! Ich höre das so gern von solchen Verlieren wie euch.“

„Rulgo!“ Korbinian ließ den Mann, der die Waffen seiner Kameraden einsammelte, nicht aus den Augen.

„Was?“ Rulgo änderte nicht einmal seine Haltung, als er auf Korbinians Zuruf reagierte. Das Röcheln des Mannes unter seinem Fuß wurde immer leiser.

„Lass ihn! Er hat genug.“

„Niemand sagt zu mir ‚Schnauze, Troll‘. Hörst du, niemand!“ Jetzt drehte er doch den Kopf zu Korbinian.

Der Elf grinste breit. „Niesputz schon. Ich kann mich genau erinnern.“

Rulgo richtete sich auf und verlagerte sein Gewicht auf das auf der Erde stehende Bein. Dankbar sog der Liegende Luft in seinen malträtierten Brustkorb.

„Das ist auch was anderes. Niesputz ist einer von uns.“ Rulgo stellte sich neben sein Opfer und sah auf ihn herab. „Ihr werdet uns jetzt ein bisschen was erzählen. Ansonsten setzen wir zwei“, er wies auf Thugol und sich, „uns auf deine Brust.“

Der Soldat bekam riesige Augen, nickte jedoch heftig. Er schien es den beiden Trollen durchaus zuzutrauen.

Kurz darauf versorgten sie die Ohnmächtigen und Verletzten. Die Waffen warfen sie auf einen Haufen. Rulgo ließ es sich jedoch nicht nehmen, die Schwerter und Messer zu verbiegen, die Bögen und Armbrüste zu zerbrechen und die Pfeilköcher zu zertreten. Die Soldaten beobachteten alles trübe.

Thugol fing anschließend einen Raubmull, nahm ihn aus und briet ihn über dem Feuer. In der Zwischenzeit kümmerte sich Korbinian um die Verletzten, während Rulgo sich unter einen Baum setzte und die Bemühungen des Elfen kommentierte. Nach dem Essen – sie überließen den Soldaten den größten Teil des Raubmulls – unterhielten sie sich mit ihnen.

„Die Gorgals brechen überall durch. Die Heere, die sich ihnen entgegenstellen, befinden sich in Auflösung. Zu Tausenden desertieren die Krieger, während die Gorgals ohne nennenswerten Widerstand in die Ländereien einmarschieren, die Städte plündern, die Ernte vernichten.“

Der Krieger amtete schwer ein und wieder aus. Er hatte noch immer Schmerzen im Brustkorb. Wahrscheinlich hatte Rulgo ihm mehrere Rippen gebrochen. „Es ist, als wollten sie nur verwüstete Ländereien hinter sich lassen. Sie erobern das Land nicht, um es zu besitzen, sondern um es zu vernichten. Aber das Schlimmste ist das Tier, das sie bei sich haben. Ich habe es gesehen.“ Er blickte Rulgo, Korbinian und Thugol an. „Es ist groß wie ein Drache, schwarz, hat Beine wie ein Bernsteinlöwe, Adlerflügel und zieht einen schwarzen Nebel hinter sich her, wenn es fliegt, gerade so, als wäre es aus Staub und würde sich beim Fliegen auflösen. Keiner kann es lange ansehen, ohne dass in ihm die Angst wächst. Ein verfluchtes Ungeheuer! Als wir mit einer großen Umklammerung kurz vor dem Sieg über eine Gorgal-Armee standen, griff es ein. Wie aus dem Nichts tauchte das Tier auf und zog über unser Heer, mit seiner schwarzen Schleppe aus Rauch. Allein sein Schrei brachte viele Männer dazu, sich auf den Boden zu werfen und sich wimmernd die Ohren zuzuhalten. Männer, die ich zuvor in der Schlacht ihren Mann gegen eine Übermacht an Gorgals habe stehen sehen. Als wüsste es im Voraus, wann wir schießen, wich es den großen Pfeilen unserer Katapult-Schleudern aus. Mit seinen Tatzen pflügte es durch unsere Reihen wie ein Schnitter durch ein reifes Weizenfeld. Drei Mal überfolg es unser Heer, nur drei Mal, dann existierten unsere geordneten Reihen nicht mehr. Unsere Soldaten wurden von den Gorgals niedergemacht, nur wenige entkamen.“

Er sah den traurigen Haufen an, dem er angehörte. Sie saßen oder lagen auf der Wiese und erholten sich langsam.

„Das gibt euch noch lange nicht das Recht, hier lang zu ziehen und harmlose, unschuldige Wanderer wie uns auszurauben.“ Rulgo musterte den Soldaten, als wolle er sich nun doch auf dessen Brustkorb setzen.

„Aber was für ein Vieh haben die Gorgals da bei sich?“ Thugol sah Rulgo fragend an.

„Keine Ahnung“, Rulgo zuckte mit den Schultern. „Ist mir auch völlig egal. Das Vieh soll mir nur vor die Keule kommen.“

Thugol wog seinen Kopf hin und her. „Ich habe bisher nichts von diesem Vieh gehört.“

„Was weißt du schon?“, knurrte der Soldat.

„Ich gehörte zu Thargols Armee!“

„Thargols Armee wurde an der Hirschhöhe vernichtet.“

„Ich weiß. Ich war dort und habe das Ergebnis der Schlacht gesehen.“

Rulgo rieb sich die Hände und stand auf. „Wir müssen weiter!“ Er griff nach seiner Keule und sah den Krieger an. „Und glaubt mir, wenn wir hören, dass ihr Ärger macht, haben wir euch eingeholt, bevor ihr ‚Huch‘ sagen könnt.“

„Wo wollt ihr hin?“ Der Soldat blieb einfach sitzen. Sein Brustkorb hob sich immer noch nur flach.

„Wir werden unsere Völker darauf vorbereiten, den Gorgals mit ihrem Schoßtier ganz gehörig eins auf die Nase zu geben.“

Bellend lachte der Krieger auf, verzog aber gleich darauf sein Gesicht gequält und keuchte. „Den Gorgals eins auf die Nase geben? Hast du nicht zugehört, Troll? Niemand gibt den Gorgals eins auf die Nase. Ihr habt keine Chance gegen sie. Entweder ihr seid verrückter als ich dachte, oder ihr müsst unwahrscheinlich gut sein.“

„Hast du das nicht gesehen, Soldat?“

„Alle eure Krieger meine ich, Troll. Da reichen keine zwei oder drei guten Kämpfer wie ihr. Dazu braucht ihr Tausende. Zehntausende.“

Korbinian setzte sich auf sein Pferd. „Wenn ich meinem Vater sage, dass ihr mich als guten Kämpfer bezeichnet habt, dann wird er sich freuen. Die anderen Elfen der Riesengras-Ebene kämpfen nämlich bedeutend besser als ich.“

„Und die Zwerge kämpfen auch besser als du“, ergänzte Rulgo. Die drei Gefährten entfernten sich von der liegenden Truppe. Nur die Stimme des Trolls klang noch zu den Söldnern herüber. „Und die Trolle. Die Menschen. Die Halblinge. Die Gnome …“

„Es reicht“, hörten die Soldaten noch den Elf, als er versuchte, den Troll zu unterbrechen, der wohl sämtliche Völker aufzählen wollte, die in der Nähe der Drummel-Drachen-Berge lebten.

„Habe ich die Zwerglinge schon genannt? Die kämpfen auch besser als du. Und die Zwelfen. Die Minotauren sind auch bedeutend besser. Die Ährchen-Knörgis. Die Baumfeen …“

„An wen muss ich mich wenden, wenn ich eine wirklich wichtige Botschaft für die Bürger Flussburgs habe?“ Theodil saß an Deck der Fähre des alten Hangaith und ließ sich ans andere Ufer des Ewigen Stroms bringen. Die Häuser der Stadt auf der Landzunge zwischen den beiden großen Flüssen kamen näher.

„Was verstehst du unter ‚wirklich wichtig‘, Herr Zwerg? Wichtig für den Einkauf von Waren oder Lebensmitteln? Dann geh’ zu den Kaufleuten am Markt. Brauchst du Informationen, dann solltest du es im Sechsten Stadtviertel versuchen. Über ein- und auslaufende Schiffe wissen die Halblinge besser Bescheid.“ Er musterte Theodil genauer. „Ich kenne dich, Zwerg. Du warst damals dabei, als deine Leute vor Flussburg lagerten, weil euch der Vulkan aus den Bergen vertrieben hat.“

Theodil nickte wortlos.

„Du bist ein Freund Bandaths und dieser dicken Zwergin. Wie geht es ihnen?“

„Waltrude ist vor zwei Jahren gestorben, weit unten im Süden. Bandath geht es gut. Er ist seit etwa einem Jahr verheiratet. Im Moment aber ist er unterwegs.“

„Freunde Bandaths sind auch meine Freunde.“ Hangaith lief vom hinteren Teil der Fähre nach vorn, packte das Seil und zog die Fähre an ihm ein weiteres Stück über den Fluss, indem er auf ihr entlang lief, das Seil an der Schulter. Er sah im Vorbeigehen zu Theodil. „Tot, also. Das tut mir leid. Die Zwergin hatte etwas an sich, was ich noch bei niemand sonst gefunden habe. Wie ist sie gestorben?“

„Im Kampf. Wir kämpften gegen mehrere Sandmonster und zwei abtrünnige Magier gleichzeitig.“

„Gegen die Kopfgeldjäger Sergio und Claudio?“

Wieder nickte Theodil wortlos.

„Sie sind seit zwei Jahren nicht mehr gesehen worden. Es geht das Gerücht, sie wären tot.“

„Es ist kein Gerücht.“

„Das ist gut.“ Wieder lief Hangaith nach vorn, packte die nächste der am Seil befestigten Schlaufen und zog die Fähre ein weiteres Stück nach Flussburg.

„Und was willst du jetzt hier?“

„Die Gorgals kommen mit mehreren Heeren in die Drummel-Drachen-Berge. Eines davon nimmt den Weg über die Riesengras-Ebenen und Flussburg. Bandath will ein Heer aufstellen, Elfen, Trolle und die Bürger Flussburgs, das die Gorgals in den Riesengras-Ebenen stoppen soll.“

Hangaith hatte aufgehört, die Fähre über den Fluss zu ziehen und starrte Theodil an. „Bei dem größten Haufen, den je ein Drummel-Drache hinter sich hat fallen lassen. Das nenne ich mal eine schlechte Nachricht!“ Als die Fähre ruckte, weil die Strömung sie gegen das Seil drückte, griff er nach der nächsten Schlaufe und zog sie weiter in Richtung Stadt. Dreimal lief er ohne ein Wort an Theodil vorbei zum Bug, um die nächste Schlaufe zu greifen. Erst dann sprach er wieder.

„So kommt der Krieg also doch bis zu uns. Einige haben es befürchtet.“ Er schüttelte den Kopf. „Das gibt Stress!“

Dann lief er erneut an Theodil vorbei und griff nach der nächsten Schlaufe des Führungsseiles. „Helmo Fassreiter und Rhongil Steinbeißer sind noch immer nicht gut auf Bandath zu sprechen. Zu groß war der Schaden, den sie damals davongetragen haben, als Unbekannte ihre Lagerhäuser plünderten.“ Er musste grinsen, war er doch damals einer der Anführer dieser „Unbekannten“ gewesen.

„Selbst Gorgals vor den Toren Flussburgs würden sie nicht dazu bringen, irgendetwas zu tun, das von Bandath empfohlen wurde. Du solltest dich an den Ratsherrn der Gnome wenden, Connla Cael. Ich denke, er ist der mit dem gesündesten Verstand und dem größten Einfluss.“

„Und wo finde ich ihn?“

„Setz dich ins Gasthaus Zum schielenden Elf im Zwergenviertel. Ich werde heute Abend dort hinkommen und dich mit jemandem bekannt machen, der dich mit ihm bekannt machen wird.“

Theodil schüttelte den Kopf. „Geht das nicht unkomplizierter? Kann ich nicht einfach an seine Tür klopfen und Hallo sagen?“

Schnaubend griff Hangaith nach der nächsten Schlaufe und warf Theodil unter seinen buschigen Augenbrauen hervor einen Blick zu, der genau so grau war, wie die Farbe seiner Augen. „Du kommst aus den Bergen, das merkt man. Aber hier bist du in Flussburg. Das läuft so nicht. Du kannst nicht einfach zu einem Ratsherrn gehen, ihm schöne Grüße vom Magier Bandath ausrichten und ihn dann auffordern, ein Heer gegen die Gorgals aufzustellen.“

„Hexenmeister“

„Was?“

„Bandath ist jetzt ein Hexenmeister, kein Magier. Er hat sich von der Truppe in Go-Ran-Goh abgewandt.“

Hangaith fuhr sich mit dem Unterarm über die Stirn. „Es gibt also auch gute Nachrichten in dieser Zeit.“

Der Bug der Fähre rumpelte gegen den Steg. Der Fährmann warf gekonnt einige Seile über die Poller und half Theodil beim Aussteigen.

„Zwei Stunden nach Sonnenuntergang, Herr Zwerg, im Gasthaus Zum schielenden Elf.“

Theodil hatte das Gasthaus im Zwergenviertel schnell gefunden. Es stand in einer Seitenstraße am Hafen und jeder, der vom Hafen zum Marktplatz in der Mitte der Stadt wollte, lief an dem riesigen Elfengesicht mit den grotesk verdrehten Augen vorbei, das der Wirt auf die Wand seines Hauses gemalt hatte. Der Elf starrte auf eine Fliege, die ihm auf der Nase saß. Zwergenhumor.

Theodil bekam ein Zimmer, aß eine ordentliche Portion Braten mit Bergkäse und schwarzem Brot und unterhielt sich ein wenig mit anderen Zwergen in der Schankstube. Dann öffnete sich die Tür und ein Mann in Begleitung eines Gnoms trat ein. Im Halbdunkel waren ihre Gesichter nicht sofort zu erkennen. Augenblicklich breitete sich Stille im Schankraum aus. Bierhumpen wurden auf den Tisch gestellt und Pfeifen aus dem Mund genommen. Bis jemand „Hangaith“ sagte. Da lachten einige, winkten dem Fährmann einen Gruß zu und wandten sich zu ihren Tischgenossen um. Die Gespräche an den Tischen wurden wieder aufgenommen, als sei nichts geschehen. Theodil, der jetzt erst merkte, dass er die Luft angehalten hatte, stieß einen Seufzer aus und machte sich dem Fährmann bemerkbar, indem er den Arm hob. Hangaith nickte ihm zu und lenkte den Gnom zwischen den Tischen hindurch zu Theodil. Die beiden setzten sich auf die viel zu kleinen Bänke und griffen durstig nach den Bierkrügen, die der Wirt ihnen hinstellte.

„Das ist Hisur Aedalis“, sagte Hangaith nach einem kräftigen Schluck zu Theodil und nickte in Richtung des neben ihm sitzenden Gnoms. „Hisur ist der Anführer der Stadtwache der Gnome.“ Theodil nickte dem Gnom zu, dieser nickte schweigend zurück.

„Bitte erzähl ihm, was du mir erzählt hast“, bat dann der Fährmann. Und Theodil erzählte alles, sowohl vom Angriff auf die Magie, der Bandath ausgesetzt gewesen war, als auch vom Troll Thugol, dem Flüchtling aus dem Westen und dem, was dieser erzählt hatte. Selbst von Farael erzählte er dem Gnom. Dann erläuterte er dem noch immer schweigenden Gegenüber die Pläne Bandaths.

„Ein Heer?“, fragte Hisur plötzlich.

„Ja.“ Theodil nahm einen langen Schluck aus seinem Bierkrug. Reden machte Zwerge durstig. Diese Gefahr zumindest schien bei dem einsilbigen Gnom jedoch nicht vorhanden zu sein. „Es kommt aus dem Westen und will über die Riesengras-Ebenen und Flussburg in Richtung der Drummel-Drachen-Berge.“

„Elfen?“ Wieder stieß der Gnom das Wort aus als wäre es ein Knochen, dem man einem Drachenhund zuwarf.

„Die werden sich zusammen mit den Trollen den Gorgals entgegen stellen. Flussburg muss helfen.“

„Connla Cael!“

„Hangaith sagte, dass er helfen könne.“

„Morgen!“

Theodil lehnte sich zurück. „Ich kann es ja verstehen, wenn ihr langes Volk nicht unbedingt darauf aus seid, mit uns Zwergen zu reden. Aber ein paar Worte mehr wären schon ab und an angebracht. Was ist morgen? Sonnenaufgang? Mittag? Gibt es morgen kein Bier mehr?“ Der Zwerg staunte über sich selbst. Auf diese Art und Weise hätte er noch vor zwei Jahren nicht reagiert. Es war eindeutig eine Auswirkung des ständigen Zusammenseins mit Niesputz, Rulgo und den anderen.

„Treffen“, sagte der Gnom ungerührt.

„Wann und wo?“ Theodil resignierte.

„Mittag. Ratshalle. Hinterer Aufgang.“

„Naja. Das waren immerhin vier Worte hintereinander.“

Mehr war aber nicht aus dem Gnom herauszubekommen. Er nickte Hangaith zu und wies mit dem Kopf Richtung Ausgang. Hangaith erhob sich und ließ ein paar Silbermünzen auf den Tisch fallen.

„Der Anfang ist getan, Theodil. Mach deine Sache gut, morgen, wenn du den Ratsherrn triffst.“

Der Ratsherr Connla Cael erwies sich als nicht so wortkarg wie sein Artgenosse. Theodil hatte über eine Stunde an der Treppe des Hintereinganges herumgelungert. Sehr misstrauische Blicke waren bereits zwischen einigen Wachsoldaten hin und her und zu ihm gewandert. Der Zwerg hatte sich schon gefragt, wie lange er noch ungeschoren hier würde sitzen können, als Hisur mit einem weiteren Gnom plötzlich am Eingang erschien. Der für einen Gnom sehr prunkvoll gekleidete Begleiter Hisurs stellte sich als Connla Cael vor.

„Ich habe nur wenige Minuten. Wenn Hisur es nicht so dringend gemacht hätte, wäre ich nicht hier. Du hast genau einen Satz, Zwerg, um mich davon zu überzeugen, dir zuzuhören. Also, was willst du?“

Einen Satz? Den sollte er haben. „Die Gorgals befinden sich im Anmarsch auf Flussburg. Es ist ihr erklärtes Ziel, die Stadt zu vernichten.“

Der Ratsherr sah ihn an, machte den Mund auf und wieder zu, zwinkerte dann, räusperte sich und sagte: „Das … das waren zwei Sätze.“ Er kratzte sich an seinem haarlosen Gnomenschädel, musterte Theodil von oben bis unten und wägte wohl den Wahrheitsgehalt seiner Worte ab.

„Wer schickt dich?“

„Bandath, freier Hexenmeister und Ratsmitglied von Neu-Drachenfurt.“

„Ich kenne Bandath“, murmelte Connla Cael, „hab zumindest von ihm gehört, wenn auch sehr Widersprüchliches. Einige Leute sind nicht besonders gut auf ihn zu sprechen.“ Er wandte sich an Hisur. „Für wie sicher hältst du diese Information?“

„Sicher!“

„Gut, Zwerg, wir müssen reden. Komm mit.“

Theodil folgte den beiden Gnomen in das Gebäude, durch eine Flut von Gängen mit einer unendlich anmutenden Anzahl an Türen rechts und links sowie einer nicht minder geringen Zahl an Schreibern und Gehilfen, die mit ernsten Gesichtern, Papieren unter den Armen und Schreibfedern hinter den Ohren, über die Flure eilten. Der Zwerg erwartete, dauernd mit irgendjemanden zusammenzustoßen. Doch obwohl die mit scheinbar unaufschiebbaren Angelegenheiten Betrauten ihn alle ignorierten und geflissentlich übersahen, schien sich vor ihm ein Spalt in dem Gewusel zu öffnen und hinter ihm wie von Geisterhand wieder zu schließen. Er hatte nicht einen der Papier-Träger berührt, als sie endlich das Büro des Ratsherrn im dritten Stock des Gebäudes betraten. Im Vorzimmer wurde eine ganze Gruppe von Bitt- und Antragsstellern durch zwei Schreiber hinter voluminösen Tischen am weiteren Vordringen gehindert. Ohne die Wartenden zu beachten, eilte Connla Cael durch den Raum, riss die Tür zu seinem Büro auf, schob Theodil und Hisur hindurch, folgte ihnen und schloss die Tür mit einem vernehmlichen Krachen. Dann setzte er sich hinter seinen Schreibtisch – gewaltiger, als alle Tische, die Theodil je gesehen hatte. Er sah aus, als wäre er aus einem einzigen Stück Holz geschnitzt worden, war aber länger, als ein Elf groß war. Mit einer Hand wies Connla Cael auf zwei Stühle. Hisur ließ sich auf den einen plumpsen. Theodil kletterte mühsam auf den anderen. Wieder nur Stühle für Große, dachte er ärgerlich.

„Rede!“, forderte der Ratsherr und der Zwerg berichtete ausführlich alles, was er wusste. Nachdem er geendet hatte, lehnte sich der Ratsherr der Gnome zurück, verschränkte die Hände hinter dem Nacken und stierte minutenlang an die Decke. Theodil rutschte bereits unruhig auf der hölzernen Sitzfläche seines Stuhles umher, als Connla Cael tief durchatmete, sich mehrfach über den kahlen Schädel strich und dann den Zwerg ansah.

„Ich werde einige Erkundigungen einholen müssen.“ Er nahm eine Schreibfeder aus einer Ablage und während er sie mit einem feinen Messer anspitze, in ein Tintenglas tauchte und irgendetwas auf außergewöhnlich kleine Papierzettel schrieb, murmelte er an Theodil gewandt: „Nicht, dass ich dir nicht glaube. Ich habe von euren Abenteuern gehört, sowohl, was den Vulkan angeht, als auch von denen unten im Süden, in der Todeswüste. Ich weiß, dass Bandath nicht ohne Grund die Bernsteinlöwen aufscheuchen würde. Trotzdem muss ich einige Dinge überprüfen. Gestatte mir, dass ich ein paar Boten losschicke und ihre Rückkehr erwarte, bevor ich weitere Maßnahmen einleite. Dir wird von meinem redseligen Freund hier“, er wies mit dem Ende der Feder beiläufig auf Hisur, „ein Quartier zur Verfügung gestellt. Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du noch mit niemandem über das reden würdest, was du mir erzählt hast.“

Er hatte während seiner Worte vier dieser kleinen Zettel beschrieben. Jetzt stand er auf und schob einen Teil der Wandverkleidung hinter sich zurück. Vor Theodils staunenden Augen öffnete sich ein Nebenraum, dessen Rückwand vom Fußboden bis zur Decke in mit Gittertüren verschlossene Abteile gegliedert war. Der Zwerg erkannte in den Abteilen kleine Drachen von der Größe eines Haushuhns. Sie stakten auf den Hinterbeinen und den Ellenbogen ihrer Flügel auf dem Boden der Käfige umher und fauchten sich mit ihren gelben Schnäbeln an, die mit ineinander greifenden Fangzähnen besetzt waren.

„Dorignathen“, entfuhr es Theodil. „Ich wusste gar nicht, dass man sie zähmen kann.“

„Oh, man kann, mein kleiner Freund.“ Der Ratsherr strich sich erneut, diesmal nicht ohne einen gewissen Stolz, über den haarlosen Gnomenschädel. „Man muss es nur geschickt anstellen.“ Er rollte die beschriebenen Papiere zu Röllchen und steckte sie in vier winzige Lederetuis. Dann nahm er einen Dorignathen aus dem Käfig. Der Dorignath quiekte nervös und schnappte nach der Hand des Gnoms. „Ruhig, mein Kleiner.“ Der Gnom setzte den Drachen vor sich auf den Tisch, streichelte dessen beschuppten Schädel und band ihm das Lederetui mit einem Riemen um den Brustkorb. Dann flüsterte er ein paar Worte, öffnete das Fenster und der Dorignath erhob sich flatternd. Nach einer Runde durch den Raum verschwand er quiekend im Blau des Himmels. Die Prozedur wiederholte Connla Cael noch drei Mal. Dann schloss er sowohl das Fenster als auch die Tür zum Dorignathen-Raum mit einer Geste, die das Ende ihres Gespräches bedeutete. „Jetzt heißt es warten, Zwerg Theo.“

„Theodil“, korrigierte dieser ihn.

„Entschuldige.“ Connla Cael senkte den Kopf und Theodil merkte, dass es dem Ratsherrn ernst war. Auch er nickte und folgte Hisur nach draußen.

Die Drachenfriedhof-Saga. Die Abenteuer von Bandath, dem Zwergling

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