Читать книгу Die Drachenfriedhof-Saga. Die Abenteuer von Bandath, dem Zwergling - Carsten Zehm - Страница 9

Aufbruch

Оглавление

Bandath lehnte sich zurück. „Ich werde diese Vermutung überprüfen müssen, auch wenn ich noch nicht weiß, wie. Aber jetzt muss ich nach Go-Ran-Goh. Das hier ist für mich allein zu groß.“

„Bist du dir sicher, dass du zur Magierfeste musst?“ Niesputz sah den Hexenmeister durchdringend an. „Bist du dir wirklich sicher?“

„Nein“, sagte Bandath und sah dabei leidend aus. „Ich bin mir ganz und gar nicht sicher. Ich weiß nicht, ob die Magier mit mir zusammen arbeiten wollen. Ich werde keine Magie wirken können, um mich oder die zu schützen, die mich begleiten, denn dieses Etwas sitzt auf den magischen Kraftlinien und lauert auf jeden, der Magie wirkt. Und schlussendlich lässt mich mein Bauchgefühl völlig im Stich. Ich weiß nicht, was richtig ist. Mir kommt der Gang nach Go-Ran-Goh nur … am wenigsten falsch vor, wenn ihr wisst, was ich meine.“

„Sei vorsichtig. Ein altes Sprichwort sagt: Wer auf der Jagd nach einem Bernsteinlöwen ist, soll sich nicht wundern, einen Bernsteinlöwen zu treffen. Manchmal trifft man aber auch einen Mantikor.“ Niesputz sprach völlig im Ernst.

„Altes Ährchen-Knörgi-Sprichwort, was?“, frotzelte Rulgo und wandte sich dann Bandath zu. „Du brauchst keine Angst zu haben, ich komme mit. So ein Zauberer soll nur mal versuchen, an Rulgo vorbei zu zaubern.“

„Es sind Magier, Rulgo“, korrigierte Bandath. „Und du kommst nicht mit. Für dich und unseren neuen Freund Thugol habe ich eine andere Aufgabe. Wenn die Gorgals kommen, brauchen wir ein schlagkräftiges Heer. Nur du kannst die Trolle dazu bringen, zu den Waffen zu greifen, ohne gleich über die Elfen herzufallen. Du wirst mit Thugol in die Troll-Berge gehen und deinen Einfluss als ehemaliger Anführer nutzen. Thugol wird deinen Bericht mit den nötigen Fakten unterstützen und vielleicht habt ihr gemeinsam die eine oder andere Idee, wie dem ungewöhnlichen Kampfstil der Gorgals beizukommen ist. Ich habe schon mit Thugol gesprochen. Er ist einverstanden.“

Rulgo war gar nicht damit einverstanden, seinen Freund „ohne wirksamen Schutz“, also ohne ihn, in die Höhle des Mantikors zu schicken. „Das ist, als wolle ein Elf allein und unbewaffnet mit einem Bauchladen auf dem Trollmarkt Strümpfe verkaufen.“

Am Ende einer längeren Diskussion aber sah er ein, dass die Mission, mit der ihn Bandath betraute, wichtiger war, als Leibwächter für einen Hexenmeister zu spielen.

„Euer Heer sollte sich so schnell wie möglich Richtung Riesengras-Ebenen in Bewegung setzen. Ihr werdet den Elfen helfen, die Riesengras-Ebenen zu halten. Wenn uns das gelingt, haben wir viel gewonnen.“

„Du brauchst keine Angst um den Hexenmeister zu haben“, sagte Korbinian gönnerhaft zu Rulgo. „Da du im Troll-Land unabkömmlich bist, werden wir Bandath nach Go-Ran-Goh begleiten.“ Mit diesen Worten legte er To’nella die Hand auf das Knie.

Sie legte ihre Hand auf die seine. „Ich glaube nicht.“

„Nicht? Aber wieso? Ich verstehe nicht …“ Korbinian sah von einem zum anderen.

„Elfen verstehen eben von Natur aus nicht immer alles“, knurrte Rulgo.

„Ihr beide“, erklärte Bandath, „geht in die Riesengras-Ebenen zu deinem Vater. Er muss gewarnt werden. Für die Elfen gilt dasselbe, wie für die Trolle. Ihr werdet mit den Trollen zusammen kämpfen.“

„Mit den Trollen? Sag mal, sonst ist aber alles in Ordnung bei dir? Wie soll ich denn die Elfen dazu kriegen, mit Trollen gemeinsam zu kämpfen? Wenn die Armee der Trolle in den Riesengras-Ebenen erscheint, werden die Elfen ganz im Gegenteil erst mal gegen die Trolle kämpfen. Sie werden denken, der Friede sei vorbei …“

„Unterschätz’ mal deine Artgenossen nicht, Korbinian. Ich bin ganz zuversichtlich, dass ihr das hinkriegt.“ Bandath drehte die Pfeife zwischen seinen Fingern. „Und dein Vater wird dabei das kleinste Problem sein.“

„Ich werde nicht mit in die Riesengras-Ebene gehen.“ To’nella umkrampfte mit ihren Fingern Korbinians Hand. „Ich gehe nach Konulan. Mein Vater hat dort einigen Einfluss. Vielleicht kann ich etwas bewegen.“

Bandath nickte zustimmend. Er drehte sich zu Menach und Almo. „Ihr beide müsst dafür sorgen, dass die Nachricht des bevorstehenden Krieges hier auf der Südseite der Drummel-Drachen-Berge verbreitet wird. Mobilisiert die Dörfer, bewaffnet die Leute. Alle Dörfer, die nördlich und westlich von Neu-Drachenfurt liegen, sollen ihre Leute zum Markt schicken und sich dem dort angreifenden Heer entgegenstellen. Die südlich und östlich liegenden Siedlungen senden ihre Leute nach Go-Ran-Goh. Sie werden sich gegen das aus dem Westen eindringende Heer verteidigen müssen.“ Die Bewohner der Dörfer auf der Marschroute des Heeres aber müssten sich tief in die Berge zurückziehen. Es würde keine leichte Aufgabe werden, diese Leute davon zu überzeugen, so kurz nach dem Winter.

Menach und Almo nickten. „Und wir haben die Gorgals aus dem Süden in unserem Rücken“, knirschte Menach zwischen den Zähnen hervor.

„Ihr müsst darauf vertrauen, dass die Elfen und Trolle das Heer aufhalten.“

Menach zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts.

„Ich gehe davon aus, dass du auch eine Aufgabe für mich hast, die mich von dir weg führt?“ Theodils Stimme schwankte ein wenig und verriet seine Unsicherheit.

„Du gehst nach Flussburg. Die Bürger Flussburgs müssen die Elfen unterstützen. Sprich zuerst mit den Zwergen und den Gnomen, erst dann mit den Elfen. Wenn sie dir nicht glauben, sollen sie Boten zu Gilbath in die Riesengras-Ebene senden. Und sag ihnen“, jetzt nahm Bandaths Stimme einen drohenden Klang ein, „wenn sie wieder so kneifen wie während des Vulkan-Ausbruches vor drei Jahren … wenn sie erneut ihre Tore schließen und nicht helfen, dann werden die Elfen die Gorgals passieren lassen und sie erst aufhalten, wenn diese mit Flussburg fertig sind. Und das ist mein Ernst.“

Theodil nickte. „Nur zu gerne werde ich ihnen das sagen.“ Er hatte vor drei Jahren zu den Flüchtlingen gehört, die vor den verschlossenen Toren Flussburgs vergeblich auf Hilfe gehofft hatten.

„Gut“, Niesputz rieb sich die Hände. „Dann sind wir nur noch drei, die nach Go-Ran-Goh gehen werden.“

Bandath schüttelte den Kopf. „Du wirst mich ebenfalls nicht begleiten. Wir brauchen einen Späher. Flieg nach Westen und sieh’ zu, was du rauskriegst.“

Niesputz surrte hoch. „Gute Idee.“

Er versprühte grüne Funken, wie immer, wenn er aufgeregt war.

„Ich werde dich zu finden wissen.“ Dann verschwand das Ährchen-Knörgi in Richtung Westen hoch am Himmel.

„Und du“, wandte sich Bandath an Barella, doch die ließ ihn nicht zu Wort kommen.

„Vergiss einfach alles, was du jetzt sagen wolltest. Wenn du denkst, ich lasse dich allein in die Magier-Feste ziehen, dann hast du noch nichts gelernt, seit wir zusammen sind.“

Bandath zog den Kopf ein. Eigentlich war ihm das klar gewesen.

„Aber wir brauchen jemanden, der nach Pilkristhal oder vielleicht sogar in die Todeswüste nach Cora-Lega geht. So gering die Chance auch ist, dass sie uns helfen können, will ich nichts unversucht lassen.“

„Ein altes Sprichwort sagt: Schicke keine Boten nach Pilkristhal, wenn Pilkristhal Boten zu dir schickt, Hexenmeister.“ Eine Stimme von außerhalb der Versammlung ließ alle den Kopf drehen. Nur wenige Schritte hinter ihnen stand ein Mann in einer bodenlangen Kutte, die deutlich als Tracht von Cora-Lega zu erkennen war. Er hob die linke Hand, legte sie auf sein Herz und verbeugte sich leicht. Seine schwarzen Haare wurden durch einen Silberreif zusammengehalten. Unter dem grauen Stoff seiner Kutte leuchtete eine Goldkette an seinem Hals und auch die unter der Kutte getragene Kleidung wies auf einen gewissen Wohlstand hin.

„Unser König, der Herrscher von Cora-Lega, entsendet dem großen Hexenmeister Bandath seine Grüße.“ Die Stimme des Fremden war tief und volltönend. Man hatte unwillkürlich den Eindruck, dass er laut und weittragend rufen könnte.

„Ratz sendet seine Grüße?“ Bandath sah den Ankömmling fassungslos an. „Das glaube ich jetzt nicht.“

„Ich wusste, dass du das sagen würdest. Doch glaube es ruhig, Hexenmeister.“

Der Fremde trat näher und zeigte auf einen freien Platz neben To’nella. „Darf ich? Es war eine lange Reise.“

„Aber ja“, Bandath sprang auf, als entsänne er sich plötzlich seiner Pflichten als Gastgeber. „Kann ich dir Tee anbieten?“

„Wasser wäre mir lieber.“

Barella holte einen Krug Wasser und reichte dem Fremden einen Becher. Keiner in der Runde sagte ein Wort solange der Fremde trank.

„Ah, das tat gut.“ Er wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen und sah in die Runde.

Er nickte der Zwelfe zu. „Du musst Barella sein. Unser Herrscher lobte dein Können in den höchsten Tönen. Genau wie eures, To’nella und Korbinian. Er hat erfahren, dass ihr ein Paar geworden seid und freut sich darüber. Er meinte, das würde besonders dir gut tun, Korbinian.“

„Da hat er recht“, dröhnte Rulgo, der neben Korbinian saß und schlug dem Elf auf die Schultern. Der wurde nach vorn geschleudert und landete kurz vor dem Feuer auf Knien und Händen. Der Tonbecher in seiner Hand zerbrach.

„Rulgo!“, rief Barella wütend. „Hör auf, mein Geschirr kaputt zu machen.“

„Der Troll Rulgo.“ Jetzt nickte der Fremde dem Troll zu. „Benutzt du noch immer das riesige Insektenbein als Keule?“

Rulgo hatte in Cora-Lega seine Holzkeule gegen das Bein einer überdimensional großen Sandwespe eingetauscht, das Korbinian ihr bei einem Kampf abgeschlagen hatte.

„Jepp!“, bestätigte Rulgo. „Es liegt bei meiner Ausrüstung.“

„Du meinst, bei dem groben Sack mit deiner Wechselhose.“ Korbinian hustete mehr, als dass er sprach. „Und hör’ endlich auf, mir auf den Rücken zu klopfen.“

Rulgo grinste schweigend.

„Du musst Theodil der Zwerg sein, der Zimmermann mit der Axt, die den Kristall zerstörte und Cora-Lega erlöste.“

„Ja.“ Theodil schien peinlich berührt. „Aber geführt hat die Axt euer Herrscher.“

Bandath hob die Hand. „Du scheinst uns alle gut zu kennen. Wer aber bist du? Und wenn du wirklich aus Cora-Lega kommst, weshalb hat Ratz Nasfummel dich geschickt?“

„Ich bin Farael der Seher. König Ellenbogen …“, er hüstelte, „unser Herrscher sendet seine Grüße und bietet seine Hilfe an. Er hat über das Orakel der Drei Schwestern erfahren, dass den Drummel-Drachen-Bergen ein Krieg droht, ein gnadenloser, gewaltiger, schrecklicher, grausamer Krieg.“

„Der kann einem so richtig Mut machen“, flüsterte Korbinian.

„Unser Herrscher schickt mich zur Unterstützung des Hexenmeisters. Mit meiner Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen, kann ich zum Sieg beitragen, sagt unser Herrscher.“

„Was für eine Hilfe“, knurrte Rulgo abwertend. „Jemand, der das Wetter von morgen voraussagen kann. Toll.“

„Ich soll dir, Bandath, in den nächsten Monden nicht von der Seite weichen, sagt unser Herrscher.“

„Wie schön“, flüsterte Barella. „Ich wollte schon immer einen lebenden Bettvorleger.“

„Es werden schwere Zeiten auf euch zukommen …“

„… sagt euer Herrscher“, ergänzte Korbinian. „Sagst du auch mal was alleine?“

„Ich wusste, dass ihr mich nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen werdet. Unser Herrscher hat gesagt, dass ihr ihn damals auch nicht mitnehmen wolltet. Besonders Waltrude, deine Haushälterin, Hexenmeister, hatte sich gegen ihn gestellt. Nur dir, To’nella, war es zu verdanken, dass er dem Kerker von Pilkristhal entkommen konnte.“

„Womit wir die Wahrheit deiner Worte wohl bewiesen hätten. Es gibt kaum jemanden, der all diese Einzelheiten kennen sollte, außer Ratz Nasfummel selbst“, murmelte Barella und legte Bandath die Hand auf das Knie. Der Tod Waltrudes hatte Bandath sehr mitgenommen, denn sie war für ihn weit mehr, als nur eine Haushälterin gewesen. Noch immer wachte er in manchen Nächten von Albträumen geplagt auf.

„Wenn du ein Seher bist, dann sag uns doch, wie der Krieg gegen die Gorgals ausgehen wird. Wo müssen wir angreifen, um sie zu besiegen? Welchen Weg werden ihre Heere nehmen?“ To’nella hatte noch weit mehr Fragen parat.

„So einfach ist das nicht, hübsche Elfe. Das In-die-Zukunft-Sehen ist eine schwierige Kunst. Es kann nicht immer dann angewandt werden, wenn man es braucht. Manchmal kommt und geht es, wie eine launische Katze. Dann sehe ich völlig belanglose Dinge, wie zum Beispiel einen kaputten Tonbecher, ohne aber zu wissen, dass er sich in der Hand eines Elfen befand, der von dem freundschaftlichen Klaps eines Trolls nach vorn geschleudert wurde.“

„Wie witzig“, knurrte Korbinian.

„Du bist also gesandt worden, um dich an mich zu hängen?“ Wie Barella war auch Bandath nicht begeistert von dieser Aussicht.

„Unser Herrscher ist davon überzeugt, dass ich im richtigen Moment einen entscheidenden Hinweis geben kann.“ Ergeben senkte Farael seinen Kopf.

„ ‚Er wird etwas Wichtiges sehen!‘, das waren seine Worte über mich, als er von den Drei Schwestern zurückkehrte. Außerdem“, fuhr er fort, „sendet unser Herrscher eine kleine Streitmacht. Sie soll helfen, die Verteidigung der Drummel-Drachen-Berge zu organisieren. Zusammen mit den von Hauptmann Eneos aus Pilkristhal zugesicherten Kriegern wird sich unser Heer auf etwa siebentausend Mann belaufen. Ich denke, sie werden Mitte des Sommers da sein.“

„Mitte des Sommers?“ To’nella wog den Kopf. „Da können die Drummel-Drachen-Berge schon voller Gorgals sein.“

„Ein Heer ist nicht so schnell wie eine kleine Gruppe. Und es ist ein weiter Weg von der Todeswüste hierher.“

„Versteh’ uns bitte nicht falsch.“ Bandath goss dem Seher Wasser nach. „Wir haben eben erst erfahren, welche Gefahr uns droht.“

„Oh, ich bin euch nicht böse. Ich habe eure Reaktion vorausgesehen.“

„Sicher“, knurrte Korbinian. „Hätte ich auch und dazu bräuchte ich kein … Seher zu sein.“

„Wir haben bereits einige Entscheidungen getroffen“, begann Bandath zu erklären, doch Farael unterbrach ihn.

„Ich konnte den letzten Teil der Unterhaltung verfolgen, Hexenmeister. Der Wirt eures Gasthauses war so freundlich, mir den Weg zu deinem Haus zu weisen und so lauschte ich, unbeabsichtigt natürlich, eurer Unterhaltung.“

„Natürlich“, grollte Korbinian und erntete dieses Mal einen Rippenstoß von To’nella.

„Ich bin kein Krieger, doch ich denke, du hast gute Entscheidungen getroffen. Wann brechen wir nach Go-Ran-Goh auf?“

„Oh.“ Bandaths Miene hellte sich auf. „Ich glaube nicht, dass du uns wirst begleiten können. Barella reitet auf Sokah, ihrem weißen Leh-Muhr und ich auf Dwego, meinem Laufdrachen.“

„Das ist überhaupt kein Problem. Ich habe mir in Pilkristhal ein Quilin zugelegt und ich denke, dass dieses es durchaus mit deinem Laufdrachen aufnehmen kann, sowohl in Bezug auf seine Ausdauer, als auch auf die Schnelligkeit.“

„Ein Quilin?“ Ungewollt hob Bandath die Augenbrauen. „Nun, dann können wir ja ein ordentliches Tempo an den Tag legen.“

Er stand auf und machte damit deutlich, dass alles gesagt und getan war, was zu diesem Zeitpunkt gesagt und getan werden konnte.

„Wie lange brauchen wir, um aufzubrechen?“, wandte er sich an Barella.

„Wir?“, fragte die Zwelfe und zog die Augenbrauen hoch.

„Das ist die Zusammenfassung von ich und du“, entgegnete Bandath.

„Du?“, antwortete sie. „Eine Stunde, höchstens. Ich mindestens drei. Dafür habe ich dann alles in meinem Schultersack, was du brauchst und vergessen hast.“

„Ich habe noch nie etwas gebraucht, was ich nicht dabei hatte“, entgegnete Bandath unwirsch, weil ihm das Grinsen auf den Gesichtern seiner Freunde nicht entgangen war.

Die Freunde erhoben und verabschiedeten sich voneinander. Ihnen war flau im Magen. Solch eine Trennung bei dem, was den Drummel-Drachen-Bergen bevorstand, behagte keinem einzigen. Selbst Rulgo hätte seine Freunde gern dabei gehabt, wenn er es auch nie zugeben würde.

„Ich gehe Dwego und Sokah rufen“, murmelte Bandath schließlich und gab damit das Zeichen zur Trennung. Schweigend schlichen sie mehr auseinander, als dass sie gingen. Nur der Seher blieb vor dem Haus stehen und murmelte: „Das habe ich kommen sehen.“

To’nella und Korbinian begaben sich zur Herberge. Sie brauchten nicht lange, um zu packen, ihre Pferde zu satteln und sich auf den Weg zu machen. Gemeinsam wollten sie bis Flussburg reisen und sich dort trennen. To’nellas Reise würde nach Osten gehen, Korbinians nach Westen.

„Ich werde euch ein Stück begleiten.“ Rulgo trabte neben den Pferden her, gefolgt von Thugol, dem Troll aus dem Westen. Trollen machte die Geschwindigkeit der Pferde nichts aus, sie konnten sehr ausdauernd sein. „Das wird schön: zwei Freunde zusammen auf einem Abenteuer.“

„Wie jetzt: zwei Freunde?“ Korbinian war alles andere als begeistert.

Rulgo zwinkerte To’nella zu. „Ach ja, zwei Freunde, ein fremder Troll und Korbinian auf einem Abenteuer. Ich hatte dich glatt übersehen.“

Theodil sattelte sein Pony und machte sich allein auf den Weg nach Flussburg, nachdem er sich von seiner Frau und dem Sohn verabschiedet hatte. Die Elfen hatten ihm angeboten, gemeinsam mit ihm zu reisen, aber er würde sie mit seinem Pony nur aufhalten. Schließlich war ihr Weg bedeutend weiter als seiner. Es war eine undankbare Aufgabe, dachte er. Die Kaufleute, die in Flussburg das Sagen hatten, waren alles andere als entgegenkommend. Alles, was nicht ihrem Profit diente, wurde rigoros abgelehnt. Bandath hatte aus der Zeit des Vulkanausbruches noch die eine oder andere offene Rechnung mit einigen der Kaufleute. Hätte er sie inzwischen beglichen, wäre Theodils Mission nicht so schwierig. Der Zwerg schüttelte unzufrieden den Kopf als sein Pony Neu-Drachenfurt verließ. Seine Frau hatte ihn gebeten, so schnell wie möglich zurückzukommen, verständlicherweise. Ihr ältester Sohn schliff seine Axt, er wollte sich denen anschließen, die zum Markt ziehen sollten. Theodils Stirn war zerfurcht vor Sorgen. Wo sollte das alles bloß enden? Waltrude hätte wahrscheinlich eine Menge dazu zu sagen gehabt.

Lange nach Theodil verließen Barella, Bandath und Farael Neu-Drachenfurt. Ihre Reittiere waren schnell und ausdauernd. Dwego mit Bandath auf dem Rücken eilte im wiegenden Schritt auf seinen beiden kräftigen Hinterbeinen durch den Wald. Sokah, der Barella trug, folgte problemlos. Der Laufvogel konnte stundenlang neben Dwego her laufen, ohne zu ermüden. Auf ihren bisherigen Reisen hatten die Tiere sich aneinander gewöhnt und zogen auch gemeinsam durch die Wälder, wenn sie nicht gebraucht wurden. Der Quilin Faraels stampfte hinterher, schnaubte und stöhnte, als sei ihm alles zuviel. Seine beiden Geweihstangen, die aus dem mit blauen Schuppen bedeckten Kopf ragten wie die Hörner einer Ziege, rissen Zweige und Blätter von den Bäumen. Die Kopfschuppen gingen kurz hinter dem Hals in ein rötlichbraunes Fell über. Mit Beinen wie von einem Stier und gewaltigen Hufen trottete der Quilin hinter Dwego und Sokah den Weg entlang und verscheuchte mit der Quaste seines langen Schwanzes die Fliegen, denn er roch gewaltig nach „altem Pferd“.

Rulgo hatte es so ausgedrückt: „Das Vieh riecht so alt, als wäre sein letzter Atemzug schon mehrere Monde her.“

Farael hatte alles mit gleichmütiger Miene aufgenommen. Ich wusste, dass er das sagen würde, schien sein Blick zu bedeuten. Er hatte seine Kapuze über den Kopf gezogen, um sich vor den herumfliegenden Blattresten zu schützen und schwieg wie Barella und Bandath.

Barella sah auf Bandaths Rücken. Die Situation gefiel ihr ganz und gar nicht. Sie wusste, dass niemandem diese Situation gefiel. Sie konnte nur auf eine schnelle, wirklich sehr schnelle Verbreitung der Nachricht über den bevorstehenden Angriff der Gorgals hoffen. Ansonsten war sie völlig ratlos und das machte sie unsicher. Aber Unsicherheiten und Fehler konnten sie sich nicht leisten, schon gar nicht im Moment. Nicht in ihrer Situation und nicht mit Bandath, der unsicherer war, als sie ihn je erlebt hatte.

Bandath hatte ebenfalls ein schlechtes Gefühl. Und das war übel, denn im Normalfall verließ er sich auf sein Bauchgefühl und es hatte ihn noch nie im Stich gelassen. Intuitiv traf er Entscheidungen, die sich im Nachhinein als richtig erwiesen. Sich selbst gegenüber begründete er das mit seinem Talent für Magie, seinem natürlichen Gespür für die magischen Kraftlinien. Aber jetzt ließ ihn dieses Bauchgefühl völlig im Stich. Er wusste absolut nicht, was er machen sollte. Sein Gang nach Go-Ran-Goh entsprang eher einer logischen Überlegung, als einer bewussten und mit Überzeugung getroffenen Entscheidung.

Hinzu kam, dass er müde war, sehr müde. In den letzten Nächten hatten die Albträume wieder zugenommen. Seit Waltrudes Tod vor zwei Jahren plagten ihn diese Träume. Er sah sie, ohne ihr Gesicht zu erkennen. Das war schlimm. Viel schlimmer aber war, dass sie wie ein Geist weit draußen über dem Ozean schwebte und ihn zu rufen schien. Zumindest sah er, wie sich ihr Mund öffnete, ohne dass er jedoch etwas hörte. Sie streckte Hilfe suchend die Arme nach ihm aus, doch je mehr er sich anstrengte, um zu ihr zu gelangen, desto weiter entfernte sie sich von ihm. Und obwohl die Gestalt Waltrudes am Ende immer kleiner wurde, konnte er in seinem Traum jede Geste erkennen, ihre ausgestreckten Arme, die gespreizten Finger, sogar ihre Augen, ihre Falten um die Nase und ihren zum Rufen geöffneten Mund … ohne jedoch, und das belastete ihn sehr, ihr Gesicht noch einmal als Ganzes sehen zu können.

Waltrude war von Sergio, dem Minotaurus, ermordet worden. Durch diese Tat hatte Bandath sich zu etwas hinreißen lassen, dass er in seinem bisherigen Leben noch nie getan hatte: Er hatte getötet. Das erste und bisher einzige Mal hatte er mit Sergio ein denkendes Wesen umgebracht. Er wusste noch immer nicht, ob das richtig gewesen war. Damals aber, mit der toten Waltrude zu seinen Füßen, war es ihm richtig vorgekommen.

Hoffentlich mache ich keinen Fehler, sagte er sich, als sie die hohen Regionen der Drummel-Drachen-Berge verließen und sich vor ihnen das Hügelland ausbreitete, das bis zum Ewigen Strom reichte.

Aber er hatte keine Antwort auf die Fragen, die ihn quälten und hoffte, in Go-Ran-Goh Antworten zu bekommen.

Niesputz seinerseits flog unverdrossen Richtung Westen. Er hatte sich entschlossen in großer Höhe fast schnurgerade gen Sonnenuntergang zu fliegen. Große Heere konnte man auch aus großer Höhe sehen. Und außerdem hatte er gute Augen, viel bessere, als alle anderen Ährchen-Knörgis zusammen.

Er wusste, dass der Zeitpunkt gekommen war, an dem Bandath die größte Rolle seines Lebens spielen musste. All die anderen Abenteuer zuvor, sowohl der Vulkanausbruch in den Drummel-Drachen-Bergen, als auch der Kampf gegen den Dämon in Cora-Lega waren nur Vorbereitungen gewesen, Stationen für den Hexenmeister um ihn auf das vorzubereiten, was jetzt auf ihn zukam. Würde Bandath versagen, dann würde sich die ganze Welt verändern. Ein Zeitalter der Dunkelheit würde über die Welt hereinbrechen, von dessen Ausmaßen sich keiner eine Vorstellung machen konnte, nicht einmal er, Niesputz. Mit all dem, was Niesputz wusste und konnte, und das war eine ganze Menge mehr, als man ihm im Allgemeinen zutraute, würde er Bandath unterstützen. Aber selbst er konnte nicht voraussehen, wie sich die Dinge entwickeln würden.

Zuerst einmal, und da lag Bandath durchaus richtig, war es wichtig, sich einen Überblick zu verschaffen. Dazu wollte er beitragen.

Er sah in weiter Ferne südlich das Umstrittene Land liegen, ließ die Troll-Berge hinter sich und war bereits am dritten Tag so weit nach Westen vorgedrungen, dass er die höchsten Gipfel des Gebirges, die, auf denen die Drummel-Drachen lebten, nördlich von seiner Position aus aufragen sah.

Dann sah er etwas, ganz weit unter sich, das seine Aufmerksamkeit fesselte.

Er legte die Flügel an und ließ sich wie ein Stein nach unten fallen … wie ein sehr kleiner grüner Stein.

Die Drachenfriedhof-Saga. Die Abenteuer von Bandath, dem Zwergling

Подняться наверх