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Dass die Frage der gesellschaftlichen Ordnung sich auch auf die Kindererziehung auswirkt, leuchtet ein – schließlich erzieht niemand seine Kinder im luftleeren Raum. Und wie wir seit ein paar Jahrzehnten durchaus wissen, ist auch das Private politisch. Bei der Autorität sind familiäre Ideale und politische Herrschaftsverhältnisse aber noch in einer ganz besonderen Weise miteinander verflochten. Die klassische Idee von Autorität im politischen Sinn ist direkt verbunden mit der Idee einer natürlichen Autorität in der Familie und spezifisch einer natürlichen Autorität des Vaters – über seine Kinder, aber auch über seine Ehefrau. Während Ersteres meist explizit thematisiert wird, zieht sich Letzteres – die geschlechtliche Hierarchie – eher implizit durch die Geschichte. Und ist dadurch, so möchte ich behaupten, umso wirkmächtiger.

Aber der Reihe nach. Wie das lateinische Wort auctor, der Urheber oder Ahnherr, leitet sich der Begriff auctoritas von dem Verb augere ab, das so viel bedeutet wie »vermehren, steigern, verstärken«. Die alten Römer verstanden unter auctoritas im Wortsinn der »Mehrung« das Gewicht, das allem Älteren und Weiseren zukommt. Es vermag weder zu befehlen noch zu zwingen, aber es ist zu respektieren. Wie der Historiker Theodor Mommsen in einer aufschlussreichen und bereits von Hannah Arendt zitierten Stelle seines Buches Römisches Staatsrecht ausführt, wurde das »verschwommene« und »aller strengen Definition sich entziehende« Wort auctoritas in diesem Sinne auf die »unbestimmte und formell unfundierte Machtstellung« des Senats angewendet. Die Autorität des Senats ist in Mommsens schöner Formulierung »mehr als ein Rathschlag und weniger als ein Befehl«.11

Das »verschwommene« Konzept, dessen Bedeutung sich vor allem im Rahmen des römischen Respekts vor der Tradition und insbesondere vor den Ahnen ergibt, ist also eng mit einer Legitimierung durch die Vergangenheit verbunden. Die Funktion von Autorität ist es in diesem ursprünglichen römischen Sinne, »jede Handlung und jede Entscheidung an diesen geheiligten Anfang zurückzubinden, um jedem einzelnen Augenblick gleichsam das ganze Gewicht der Vergangenheit hinzuzufügen«, wie Arendt schreibt.12

Die Vorstellung von Autorität wird über die Jahrhunderte mit derjenigen des Älteren, von früher auf uns Überkommenen verbunden bleiben – und mit derjenigen des Respekts vor dem Gewicht und der Bedeutung ebendieser Vergangenheit.

Eine entscheidende Wendung kommt allerdings dann aus dem christlichen Denken: Aus der Autorität wird in der frühen christlichen Theologie eine ganz handfeste Macht, insofern sie dem allmächtigen Schöpfergott zugeschrieben wird, dem Urheber von allem. Aus seiner Machtfülle ergibt sich denn auch die Autorität der Heiligen Schrift – und nicht zuletzt diejenige der christlichen Kirche, an der sich Wissenschaft und Politik fortan zu orientieren haben.

Zugleich ist Autorität jetzt nicht mehr nur an die Ahnen und den Respekt vor den Älteren und Weiseren gebunden (die natürlich auch die Römer sich tendenziell als männlich imaginierten), sondern endgültig verväterlicht: Autorität kommt Gott zu, den sich das Christentum gerne als gütigen Vater vorstellt.

Wie genau man mit dieser Autorität umgeht, die sich in einer unverbrüchlich hierarchischen Weltordnung, an deren Spitze Gott steht, legitimiert, darüber werden schon im Mittelalter endlose Diskussionen geführt. Diese drehen sich um die Autorität der Tradition in Wissenschaft, Philosophie und Theologie, aber auch um das Verhältnis von weltlicher und kirchlicher Macht. Denn die christliche Kirche hatte jederzeit den Anspruch, dass ihre Meinung »mehr als ein Rathschlag« sein müsse – auch da, wo die reale Macht in der Hand von weltlichen Fürsten lag und sie darum nicht mehr unmittelbar Befehle erteilen konnte.

Und sooft weltliche Herrscher auch in Konflikt mit dem kirchlichen Machtanspruch gerieten, sie nutzten die Autorität der Religion doch immer wieder gerne für ihre Zwecke. Seit dem frühen Mittelalter war die Autorität der Kirche jedenfalls nicht nur die bestimmende Instanz für alle Fragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens sowie eine feste, man könnte auch sagen: rigide, Leitplanke für die Wissenschaft, sondern auch eine bequeme Unterlage, auf der die Monarchen ihren Herrschaftsanspruch begründeten. Pippin der Kurze, der sich eine Krone unter den Nagel gerissen hatte, ließ sich im Jahr 751 in Soissons in einer religiösen Zeremonie zum König salben; sein Sohn Karl der Große setzte noch einen drauf und ließ sich zu Weihnachten 800 von Papst Leo III. zum Kaiser krönen. Seither waren die fränkischen Könige Herrscher »dei gratia« – Könige von Gottes Gnaden. Eine überaus erfolgreiche Idee, die Schule machte. Zunächst, um konkurrierende Anwärter auf Königskronen in Schach zu halten, später dann auch, um die monarchische Herrschaft selbst gegenüber Untertanen zu legitimieren.

Gerade ab dem 16. und 17. Jahrhundert, als die Philosophie eine göttliche Ordnung des Politischen zunehmend durch neue Ideen über die ursprüngliche Gleichheit der Menschen herausfordert, wird die althergebrachte Verbindung von königlicher Macht mit göttlicher Macht als zwei Formen von wohlwollender väterlicher oder »patriarchaler« Autorität für die Verteidigung absoluter Herrschaft besonders wichtig.

Warum auf Autoritäten hören?

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