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Kapitel 3

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„Aber Mrs. Ramsworth ist doch gar nicht von Adel?“, fragte Diane etwas mürrisch, als sie in der Schlange vor dem eleganten Stadthaus der Gastgeberin standen.

„Du bist ein dummes Wesen“, zischte ihre Mutter, sehr pompös in violetten Samt mit passendem Turban gekleidet und zu ihrem eigenen Missvergnügen mit einer aufwendigen Amethyst-Garnitur geschmückt, weil sie das berühmte Thurston-Smaragdcollier nicht hatte finden können.

Diane, in mädchenhaftem Weiß mit viel Spitze und goldenen Bändern, eine große weiß-goldene Schleife im Haar und Topase um den Hals, schob die Unterlippe vor. „Wenn sie so vornehm ist, warum ist sie dann nicht Lady Ramsworth?“

„Ich dachte, wir hätten dir die Grundbegriffe des englischen Adels beigebracht“, seufzte die Herzogin.

„Beigebracht reicht offenbar nicht“, konnte Cora sich nicht bezähmen, „regelmäßige Wiederholungen hätten vielleicht mehr geholfen.“

„Ach? Du weißt also, warum diese Person so vornehm sein soll?“

„Vielleicht noch etwas lauter?“, zischelte Cora. „Wenn das jemand hört, werden wir hier nie wieder eingeladen!“

„Mrs. Ramsworth hat die besten Verbindungen, auch wenn ihr Mann nur der jüngere Enkel eines Herzogs war“, flüsterte Ihre Gnaden, denn man war dem Portal schon gefährlich nahegekommen, man sah schon die Treppe, auf deren Absatz die Gastgeberin stand.

Cora erkannte schon auf diese Entfernung, dass diese eine wunderbare Robe trug, mit der sich der übertrieben mädchenhafte Kram Dianes ebenso wenig messen konnte wie die violette Pracht, die ihre Mutter nur blass und kränklich wirken ließ.

Tiefes, warmes Dunkelgrün in bestem Samt, der sanft schimmerte und mit wenigen Seidenbändern in etwas hellerem Grün an der hohen Taille und am Saum abgesetzt war. Dazu diskreter Goldschmuck…

„Ich hätte doch die Smaragde tragen sollen“, murrte die Herzogin leise. „Nicht zu Violett!“, widersprach Cora ebenso leise. „Und die Smaragde müssten einmal gereinigt werden. Sie hätten sie mitbringen können und sie bei Rundell & Bridge reinigen lassen. Dann hätten sie wieder ihr altes Feuer.“

„Da hast du Recht, Cora, aber ich habe sie wirklich nicht finden können, ich kann das gar nicht verstehen…“

Cora antwortete nicht; zum einen standen sie mittlerweile auf der untersten Treppenstufe und zum anderen verstand sie schon, warum ihre Mutter die Familiensmaragde nicht finden konnte: Die Herzogin war so unordentlich, dass selbst ihre Zofe Doris das Chaos nicht bändigen konnte – was ihre Herrin auch gar nicht erwartete. Die Zimmerflucht Ihrer Gnaden bestand auf Gave Court aus vier großzügig dimensionierten Räumen, ineinander übergehend und übersät mit Kleidern, Schmuck, modischem Aufputz, Retiküls und Handschuhen in allen Farben. Über jede Sessellehne waren Negligés geworfen, aufregende Romane waren zwanglos über allem verteilt und Doris war froh, wenn sie die gebrauchten Schokoladentassen und Gebäckteller rechtzeitig fand und in die Küche zurückschaffen konnte.

Da ließ sich ein Smaragdcollier, auch wenn es von bombastischer Hässlichkeit war, schon einmal übersehen.

„Duchess“, sagte Mrs. Ramsworth und knickste nicht allzu ehrerbietig, „wie schön! Sie sind bei guter Gesundheit?“

Cora verbiss sich ein Lächeln – jaja, das Violett…

„Und ihre reizenden Töchter…?“

„Lady Diane und Lady Cora.“

Cora knickste höflich, Diane stand stocksteif da. Gerade, dass sie nicht den Kopf in den Nacken warf.

Mrs. Ramsworth zog ganz leicht die Augenbrauen hoch und lächelte freundlich, dann sagte sie aber doch: „Lady Cora, Sie sind das Leben selbst. Und eine sehr attraktive Robe!“

Cora knickste noch einmal. „Vielen Dank, Mrs. Ramsworth!“

„Nun, ich wünsche Ihnen allen viel Vergnügen auf dem Ball…“

Damit waren sie entlassen, stiegen die zweite Halbtreppe hinauf und erreichten den Ballsaal.

„Warum hat sie nur dich gelobt?“, zischelte Diane. „Ich bin die Ältere, also bin ich wichtiger!“

„Das glaubst auch nur du“, zischelte Cora zurück. „Du warst arrogant und sie hat sich über dich geärgert.“

„Streitet nicht schon wieder“, mahnte die Herzogin, „aber ich muss schon sagen, Diane, du warst nicht höflich. Ein leichter Knicks hätte dir besser zu Gesicht gestanden.“

„Aber sie hat doch vor dir geknickst!“

„Du lernst es auch nicht mehr“, murmelte Cora. „Mama ist eine Herzogin und außerdem fast zwanzig Jahre älter als Mrs. Ramsworth. Du bist ein junges Gör und bloß eine Herzogstochter.“

„Du doch auch“, fauchte Diane prompt.

„Ja, ich auch. Aber ich benehme mich ja auch entsprechend!“

„Du dumme -“

„Diane! Nicht in einem Ballsaal!“

Tatsächlich warfen einige Gäste, die an den Streitenden vorbeikamen, den beiden etwas befremdete Blicke zu, was Diane dazu brachte, das Kinn unmutig zu heben und diese Gäste von oben herab zu mustern.

Groß genug war sie dafür ja, dachte Cora etwas missmutig und beschloss dann, den Ball zu genießen, auch wenn das in Gegenwart ihrer überheblichen Schwester nicht ganz leicht war.

Die Herzogin segelte mit leutseliger Miene wie eine Königin, die sich unter ihre Untertanen begibt, auf einen günstigen Platz am Rand der Tanzfläche zu und winkte dann gebieterisch ihren Töchtern. Cora sah sich noch interessiert um, während Diane weiterhin versuchte, erhaben zu wirken, und ihr bezauberndes Profil, leider in Verbindung mit einer recht mürrischen Miene, zur Schau stellte.

Als sie sich setzte und die weißen Spitzenwogen zurechtzupfte, ertönte nicht allzu leises Kichern, aber es war nicht auszumachen, woher es kam. Cora konnte das gut verstehen und flüsterte leise: „Sei nicht so albern, du bist hier nicht der Ehrengast!“

„Du auch nicht!“

Lieber Himmel!

„Das weiß ich doch. Deshalb benehme ich mich auch nicht so affig.“

„Affig??“

„Cora, bitte!“ Mama zog eine strenge Miene, die sich aber offenbar auch auf Diane zu beziehen schien.

Cora zuckte die Achseln und sah sich lieber im Saal um, der sich schon recht gut gefüllt hatte, denn Mutter und Schwester und deren spezielle Seltsamkeiten kannte sie ja wohl zur Genüge, herzlichen Dank!

Viele sehr junge und ausgesprochen unbedeutende Männer, zwar aufwendig gekleidet, aber manchmal doch so, als müssten sie in ihre eleganten Fräcke erst noch hineinwachsen. Die Frisuren waren freilich stellenweise recht erheiternd, kühne Windstoßfrisuren waren die große Mode und manche Jünglinge versuchten, Backenbärte zu züchten, die leider noch nicht so recht wachsen wollten.

Gab es hier auch erwachsene Männer? Ohne unkleidsame Barttrachten?

Sie sah Viscount Lynet, der offensichtlich ohne seine Braut unterwegs war. Ein hübscher Mann, aber schon vergeben. Ob sich seine Miss Herrion wohl darüber ärgern würde, wenn sie davon wüsste?

Würde sie sich über so etwas ärgern? Vielleicht… ob sie Anlagen zur Eifersucht hatte, hatte sie sich noch nie überlegt. Vielleicht mangels einer geeigneten Situation… ein rascher Seitenblick überzeugte sie, dass Diane immer noch als jungfräuliche Göttin neben ihr saß. Wie die Göttin Diana – wusste sie denn überhaupt, wer die gewesen war?

Bei solchen Gedanken fand sie sich selbst arrogant. Sie sollte lieber Mitgefühl mit Dianes eher schlichten Geistesgaben haben, nahm sie sich vor und setzte unwillkürlich die dazu passende Miene auf.

War Diane wirklich etwas dumm oder nur etwas – nun – geistig unbeweglich? Und an Bildung nicht übermäßig interessiert? Sie warf ihr einen prüfenden Blick zu und zuckte leicht die Achseln.

Viscount Hartford, der sich gerade mit seinem guten Bekannten Lynet über ein neues Kanalbauprojekt unterhielt, hatte Cora einen Moment lang beobachtet und fand ihr rasch wechselndes Mienenspiel recht amüsant.

Während sie die Frage diskutierten, ob diese Kanalgesellschaft wohl genügend Kapital hatte und ob die Tatsache, dass der Kanal um einen kleinen Berg herumgeführt werden musste, die Kosten nicht beträchtlich erhöhen müsste, tranken sie in kleinen Schlucken Champagner und Gabriels Blick schweifte immer wieder hinüber. Amüsantes Mädchen – vielleicht.

Benedict de Lys folgte seinem Blick und sagte halblaut: „Ach herrje! Ist die auch wieder da…“

„Wer?“

„Die weiße Göttin dort drüben. Ich habe mich ein, zwei Male mit ihr unterhalten und auch getanzt, aber nur, um Cecilia ein bisschen eifersüchtig zu machen.“ Er grinste. „Viel genützt hatte es damals freilich noch nicht…“

„Und die Dame in Weiß hat Ihnen nicht zugesagt?“

„Gewiss nicht. Sie ist bildschön, aber sehr von sich eingenommen, recht arrogant und – mit Verlaub – ein arges Dummerchen. Kennen Sie Vilmont?“

„Diesen jungen Nichtsnutz? Kennt nur Spielen und Trinken? Sein Ruf ist schon in ganz London herum!“

„Seine Schwester.“

„Oh! Und die andere? Die in dem Kleid in Silber und Dunkelblau, die ein so lebhaftes Mienenspiel hat? Sie sieht aus, als führte sie ein stummes Selbstgespräch!“

„Ich kenne sie nicht, aber ich möchte vermuten, dass es sich um die jüngere Schwester, Lady Ca- nein, Cora handelt. Über sie habe ich noch nichts gehört.“

„Sie ist nicht so schön wie die andere, aber sie wirkt lebhafter. Und sie ist viel origineller gekleidet“, stellte Gabriel fest. „Vielleicht werde ich einmal mit ihr tanzen.“

Benedict nickte. „Lassen Sie nur die Finger von der anderen. Und hüten Sie sich vor Vilmont. Er ist der Typ, der bei einem Duell vor dem Signal feuert.“

„Amoralisch? Ich verstehe. Sagen Sie, ging nicht einmal das Gerücht, jemand habe Vilmont die Nase gebrochen? Sie wissen nicht zufällig Näheres?“

Lynet ließ seine Schnupftabaksdose aufspringen und nahm eine winzige Prise. Ihm gefiel die Geste, leider mochte er den Tabak gar nicht so besonders. „Leider nicht“, sagte er dann und lächelte entschuldigend. Hartford zog die Augenbrauen hoch und nickte. „Ich verstehe.“

„Tatsächlich?“

Sie lächelten sich komplizenhaft an, dann ging jeder seiner Wege, Lynet zu den Herren in der Nähe des Kartenzimmers, um Gespräche über Investitionen und einen Grauschimmel zu führen, den er als Zuchthengst einsetzen wollte – und Hartford steuerte auf Lady Cora zu. Thurston war der Familienname, fiel ihm ein.

Die Herzogin unterhielt sich etwas gönnerhaft mit ihrer Nachbarin, Lady Diane sah sich um, als sei sie unter den Pöbel geraten und Lady Cora lächelte gerade einem sehr jungen Mädchen einige Plätze neben ihr zu.

Als Hartford sich der Gruppe näherte, richtete Lady Diane sich interessiert auf und sank mit mürrischer Miene in sich zusammen, als dieser attraktive Gentleman ihre jüngere Schwester um deren Tanzkarte bat und sich einen Walzer reservierte.

Danach verbeugte er sich etwas nachlässig vor der Herzogin, die ihm ein gnädiges Nicken schenkte, und entfernte sich wieder.

„Oh!“ Diane war empört. „Was fällt diesem Kerl denn ein, mich zu ignorieren?“

„Vielleicht bist du nicht sein Geschmack?“, spottete Cora.

„Aber du vielleicht? Das glaubst du doch nicht ernsthaft! Ich bin die Beauté der Familie, das weiß doch jeder!“

„Geht das wieder los!“, stöhnte Cora. „Ist dir immer noch nicht klar geworden, dass Schönheit nicht alles ist?“

„Streitet euch nicht, ihr zieht schon die Aufmerksamkeit der Leute auf euch!“, mahnte ihre Mutter.

„Cora drängt sich in den Vordergrund, das kommt ihr nicht zu!“, petzte Diane sofort.

„Unsinn, das tut sie nicht. Nun lass sie doch auch einmal tanzen! Du hast doch wirklich keinen Grund, ausgerechnet auf Cora eifersüchtig zu sein.“ Die Herzogin tätschelte Dianes Hand.

Ausgerechnet auf Cora? Was sollte das denn bitte heißen? Cora schwieg beleidigt und beschäftigte sich angelegentlich mit ihrer Tanzkarte. Fünf Tänze hatte sie bis jetzt vergeben, zumeist an Herren, deren Namen und Aussehen sie schon wieder vergessen hatte. Vielleicht kamen später ganz andere, um sie zum Tanz zu führen? Auffallen würde es ihr nicht… Sie lächelte bei dem Gedanken.

„Gefällt es Ihnen hier?“

Das junge Mädchen war einige Plätze näher gerückt.

Cora lächelte auch ihr zu. „Oh ja! Nicht, dass ich mich nach einem Leben in London verzehrte, aber ein Ball in einem so reizvollen Saal ist auf jeden Fall ein Erlebnis. Es heißt ja, dass Mrs. Ramsworth immer sehr elegante Unterhaltungen veranstaltet.“

Das Mädchen nickte etwas bedrückt. „Alle sind hier so vornehm! Ich bin ganz eingeschüchtert. Wahrscheinlich werde ich beim Tanzen über meine eigenen Füße stolpern oder meinen Tanzpartner treten. Oh, Verzeihung, mein Name ist Selina Lancourt.“

„Cora Thurston. Es freut mich, Sie kennenzulernen, Selina. Aber Sie sind doch gewiss nicht alleine hier?“

„Nicht doch!“ Miss Selina erlaubte sich ein winziges Kichern. „Meine Mama steht dort hinten und unterhält sich mit einem sehr dicken Herrn.“

Cora reckte so unauffällig wie möglich den Kopf und sah gerade noch eine spiegelblanke Glatze, die durch einen üppigen weißen Backenbart mehr als ausreichend ausgeglichen wurde. Nun ja – wohl nicht viel mehr als dreimal so alt wie die vielleicht siebzehnjährige Selina. Vielleicht war er ein reizender Mensch?

Oder ein lüsterner Greis, so etwas hatte Cora bei ihrem Debüt schon erlebt und sich sehr handgreiflich zur Wehr gesetzt. Ob Selina das auch wagen würde? Sie beschloss, das Mädchen ein wenig im Auge zu behalten, soweit das möglich war, denn sie würden ja wohl nicht ewig in London bleiben.

Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, als sie überlegte, dass sie vielleicht bleiben würden, bis Diane einen Mann gefunden hatte. Nun, das konnte dauern…

Die Musik setzte nach einigen eher misstönenden Stimmversuchen ein und ein junger Mann mit blondem Tituskopf und einer sehr aufregenden Weste holte Cora zum Tanz. Selina wurde von einem etwas gesetzteren Herrn aufgefordert, der nur durch eine sehr streng gebundene Krawatte auffiel. Ein ehemaliger Militär vielleicht?

Amüsanterweise fanden sie sich im selben Karrée wieder und lächelten sich gelegentlich zu, wenn sie sich gemessenen Schrittes umeinanderdrehten, bevor sie zu ihren Herren zurückkehrten. Miss Selinas Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht, sie tanzte noch ein wenig steif, aber tadellos und ohne über eigene oder fremde Füße zu stolpern.

Dazwischen gab es ein ständig unterbrochenes Gespräch mit dem blonden Jüngling, der sich als Sir Harold vorgestellt und gleich verkündet hatte, er hasse Lord Byron einfach, weil ihn seit Childe Harold jedermann auf seinen Namen ansprach. Cora war daraufhin recht froh, dass sie den albernen Witz nicht auch angebracht hatte.

Der korrekte Offizier und Miss Selina lächelten sich gelegentlich zu und wechselten wenige Worte – und dann verklang die Musik auch schon wieder.

Den Ländler ließ Cora bereitwillig aus; es hatte seine Vorteile, wenn man nicht alle Tänze vergeben hatte!

Ihre Mutter unterhielt sich immer noch mit ihrer Nachbarin, Diane war nirgendwo zu sehen, tanzte aber auch nicht. Miss Selina stand mit ihrem Tänzer vor dem Buffet und nippte an einem Glas, was Cora sehr zufrieden stellte.

Aber wo war Diane? So dumm, nach draußen zu gehen, war sie keinesfalls. Gut, wenn es darum ging, einen Herzog einzufangen – darunter täte sie es ja doch nicht, überlegte Cora und kräuselte dabei unwillkürlich die Mundwinkel.

Kannte sie hier eigentlich jemanden?

Sich umzusehen war ja recht nett, aber allmählich bereute sie, dass sie keinen kleinen Roman in ihrem Retikül mitgebracht hatte.

„Lady Cora! Man sieht Sie ja eher selten in der Stadt!“

Sie sah hastig auf und erhob sich ehrerbietig – die Gastgeberin persönlich ließ sich herab!

„Mrs. Ramsworth… ja, meistens bin ich auf Gave Court. Zunächst sollte ja wohl meine Schwester eine Partie finden, nicht wahr?“

„Das dürfte sich etwas hinziehen“, kommentierte Mrs. Ramsworth versonnen und lächelte Cora verschmitzt zu. „ich könnte mir vorstellen, dass Sie die größeren Chancen haben, Lady Cora. Im Übrigen kann ich Ihr raffiniertes Kleid nur bewundern! Wo haben Sie es machen lassen?“

„Wenn ich ganz ehrlich bin – nirgendwo. Ich nähe leidenschaftlich gerne und verwerte gerne kostbare alte Stoffe.“ Sie stockte und sah Mrs. Ramsworth nervös an, was ihr ein Armtätscheln eintrug. „Keine Sorge, Lady Cora, ich werde schweigen. Aber noch einmal: Respekt vor dieser Leistung! Oh, und mir scheint, da kommt ihr nächster Tänzer. Einer, der absolut kein Hohlkopf ist – wie leider so manche hier im Ballsaal.“

„Eine wertvolle Information, Mrs. Ramsworth. Herzlichen Dank“, erwiderte Cora trocken. Die Gastgeberin lachte auf, tätschelte ihr noch einmal den Arm und erhob sich elegant. „Dann also viel Vergnügen beim Walzer!“

Einen Moment später verbeugte sich der Mann, über den sich Diane so geärgert hatte, vor ihr, während das Orchester einen Walzer präludierte.

Cora lächelte höflich und ließ sich auf die Tanzfläche führen.

Im Stillen ärgerte sie sich über sich selbst: ein so gutaussehender Tänzer und Mrs. Ramsworth zufolge auch ein kluger Mann – warum hatte sie seinen Namen vergessen?

„Lady Cora, Sie tanzen ausgezeichnet“, lobte er nach zwei, drei Drehungen.

„Danke schön. Ich kann das Kompliment nur erwidern“, antwortete sie höflich, aber wahrheitsgemäß. Eleganz war die Eigenschaft, die einem bei ihm einfiel.

Sie nahm ihren Mut zusammen. „Es tut mir leid, Sir, aber ich war länger nicht mehr in London, deshalb sind mir nahezu alle Personen hier unbekannt.“

Sie überlegte, wie sie besonders vorsichtig weiterformulieren sollte, aber er lächelte nachsichtig. „Sie können sich nicht mehr auf meinen Namen besinnen? Das ist doch auf diesen Bällen ganz natürlich. Ich bin Hartford.“

Viscount Hartford? Dann, glaube ich, hat mein Bruder, einmal von Ihnen erzählt. Ging es nicht um einen Plan zur Verbesserung des Getreidetransports?“

„Oh! Ich bin beeindruckt.“

Sie sah mit hochgezogenen Brauen zu ihm auf. „Dass ein weibliches Wesen sich so schwierige Sachverhalte merken kann?“

Er zog sie in eine besonders schwungvolle Drehung und antwortete amüsiert: „Eine Frauenrechtlerin? Interessant – aber ich hatte mich nur gewundert, weil ich - ehrlich gesagt - Vilmont eine Neigung zur Wirtschaftspolitik gar nicht zugetraut hätte.“

Cora lachte schallend. „N-nein, da haben Sie auch ganz Recht. Vilmonts Interessen liegen ganz woanders. Ich habe noch einen Bruder, Vergil, und er ist ein begeisterter Landwirt und kennt seine Verantwortung.“

„Das, Lady Cora, hört man natürlich gerne.“

„Woher kannten Sie denn eigentlich meinen Namen, Mylord?“

„Ich kenne jeden, Mylady.“

Er studierte kurz ihr sicherlich verdutztes Gesicht, dann lachte er auf. „Nein, natürlich nicht. Ich habe Lynet gefragt.“

„Viscount Lynet? Eigenartig. Ich wusste gar nicht, dass er mich kennt!“

„Ich glaube, er hat einmal Ihre Schwester und Vilmont kennengelernt.“

„Dann sind Sie ein mutiger Mann, Mylord.“

„Ach ja?“

„Nun, hat Viscount Lynet Ihnen nicht energisch abgeraten? Diese Thurstons?“

„Sind denn alle Thurstons gleich? Ich habe schon aus der Entfernung feststellen können, dass Sie sich zumindest von Ihrer Schwester zu unterscheiden scheinen. Über Vilmont kenne ich nur Gerüchte, und ihren anderen Bruder – Vergil? – habe ich noch nie getroffen. Leider, sollte ich wohl sagen?“

„Was Vilmont betrifft – seien Sie froh, auch wenn das recht unschwesterlich klingt. Vergil dagegen ist wirklich ein netter Bruder.“

Der Walzer verklang und Hartford küsste Cora formvollendet die Hand. „Ich habe mich lange nicht mehr so nett während eines Walzers unterhalten. Vielleicht wiederholen wir das bei Gelegenheit?“

„Gerne“, antwortete Cora und knickste anmutig, bevor sie sich zu ihrem Platz zurückführen ließ.

„War das Hartford?“, fragte ihre Mutter. Cora bejahte. „Man kann sich gut mit ihm unterhalten.“

„Das ist doch nicht wichtig! Glaubst du, er wäre etwas für Diane? Zur Not, meine ich?“

„Was bitte meinen Sie mit zur Not, Mama?“

„Nun, ein Viscount ist ja eigentlich schon von vergleichsweise niedrigem Adel. Aber ob Diane noch die große Auswahl hat…“ Ein tiefer Seufzer folgte.

„Ich fürchte, Hartford schätzt Diane nicht so recht. Er hat mir das Kompliment gemacht, ich sei ganz anders als Diane. Außerdem scheint er auch allerlei Gerüchte über Horace gehört zu haben.“

„Horace…!“ Ein mütterliches Lächeln erschien auf dem eher strengen Gesicht der Herzogin. „So ein eleganter junger Gentleman… unser ganzer Stolz, nicht wahr?“

„Nun ja… ich fürchte, sein Ruf ist tatsächlich nicht der Beste.“

„Woher willst du das denn wissen? Das ist auch gar kein Thema für eine unschuldige junge Lady.“

„Ich mag ja unschuldig sein, aber ich bin doch nicht dumm! Die Gerüchte sind sogar bis Gave Court gedrungen. Aber wo ist eigentlich Diane?“

„Diane?“ Die Herzogin sah sich um, als müsse sie neben ihr sitzen.

„Sie tanzt vermutlich.“

„Nein, sie tanzt nicht, denn die Musiker machen vor der nächsten Runde eine Pause.“ Cora unterdrückte den Wunsch, hinzuzufügen wie man deutlich hören kann.

„Dann steht sie bestimmt bei den Erfrischungen und plaudert mit ihren Verehrern.“

„Also, ich kann sie dort auch nicht entdecken. Sie wird doch nicht etwa nach draußen gegangen sein?“

„Cora, ich bitte dich! Diane weiß in jedem Fall, was sie ihrer Familie schuldig ist! Wie kommst du nur auf solche Ideen?“

Cora schwieg leicht beleidigt. Ihrer Mutter zu erklären, dass Diane schon seit geraumer Zeit abgängig war, wäre ihr ja doch nur – wie immer - als Missgunst ausgelegt worden! Abgesehen von dem kurzen Moment des Realismus vorhin hielt Ihre Gnaden immer noch an der Idee fest, dass ihre wunderschöne Älteste unter ihren zahllosen vornehmen Verehrern nur zu wählen brauchte. Widerspruch war da genauso zwecklos wie bei ihrer Überzeugung, dass der verkommene und verrufene Horace der bewunderte Mittelpunkt der Gesellschaft war.

Vor kurzem hatte ihm ja jemand eins auf die Nase gegeben, so dass sie seitdem etwas schief stand. Es hätte seine liebende Schwester schon sehr interessiert, was er da wieder angestellt hatte, aber Horace hatte nur mürrisch geschwiegen und sich so schnell wie möglich nach Vilmont verzogen. Wahrscheinlich nur für die Zeit, in der er einen Verband über der Nase trug.

War es wohl unchristlich, zwei der Geschwister nicht zu mögen? Immerhin hatten sie als Kinder miteinander gespielt!

Nein, das war auch kein erfreulicher Gedanke; Horace war zwar glücklicherweise die meiste Zeit in der Schule gewesen, aber wenn er auf Gave Court weilte, war sein Lieblingsspiel Ich bin der Herzog und ihr müsst vor mir knien. Und Diane hatte einmal ihrer Lieblingspuppe ein großes Loch in den Kopf geschlagen - absichtlich! Sie hatten auch als Kinder nicht viel gemeinsam gehabt.

Nun ja, sie alle ritten gerne und gut, mit Ausnahme von Diane konnten auch alle recht ordentlich kutschieren, sogar Horace – wenn er nüchtern war. Aber sonst? Mama legte sich die Welt so zurecht, wie sie sie sehen wollte, und Papa war recht freundlich, aber schwach. Er hatte immer schon selbst zu viel Geld verschwendet und war nicht imstande, Gave Court, das – Vergil zufolge – sehr ertragreich sein konnte, wieder zur alten Blüte zu bringen. Immerhin hatte er Horace die Zuwendungen gestrichen, das war – Vergil zufolge – immerhin ein erster Schritt. Und er fuhr in letzter Zeit kaum noch nach London, etwas, was Vergil ebenfalls als gutes Zeichen wertete.

Vergil hatte in solchen Dingen im Allgemeinen Recht, fand Cora – aber sie waren schon eine seltsame Familie! Und wo steckte Diane?

Sie warf einen Blick auf ihre Tanzkarte – vor dem übernächsten Ländler war sie nicht engagiert, also konnte sie doch ihre Schwester suchen gehen?

Sie hatte sich schon halb erhoben, da stürzten gleich drei hochmodische junge Herren auf sie zu und flehten förmlich um den nächsten Tanz. Sie verteilte die Quadrille, den Ländler und den Walzer auf die drei, ohne sich zu merken, welcher nun welchen Tanz ergattert hatte, und zog mit dem ersten Kandidaten auf die Tanzfläche.

Ach, da war ja auch Miss Lancourt – wieder mit diesem Offizier? Achtete ihre Mutter nicht darauf, dass sie nicht zu oft mit dem gleichen Herrn tanzte? Sie überlegte, ob sie vielleicht nachher ein Wort der Warnung fallen lassen sollte, und nahm mit ihrem Partner, der sich als Lord Rufford vorgestellt hatte, Aufstellung.

Alle drei Tänze absolvierte Cora mit der nötigen Grazie und der nötigen Konversation, ohne sich nachher an etwas Besonderes erinnern zu können – außer, dass sie Diane nirgendwo auf der Tanzfläche entdecken konnte. Was bitte war das für ein Benehmen?

Sobald diese Runde beendet war, machte Cora sich einmal auf die Suche und bei gründlichem Umsehen im Ballsaal – Garten und Kartenzimmer waren natürlich tabu – überraschte sie ein Paar in der Bibliothek und zog sich hastig zurück, hörte einen leisen, aber giftigen Streit über ein nicht zurückgegebenes Darlehen und vernahm schließlich Dianes Stimme nicht allzu leise.

Sie saß mit einer anderen Lady in einer verdeckten Nische.

„Da bist du ja!“, stieß sie erleichtert hervor und knickste flüchtig vor der anderen Dame, die ihr nur vage bekannt vorkam. „Das, meine ach so besorgte kleine Schwester, ist Lady Dalley. Wir unterhalten uns hier über Dinge, die nur Erwachsene etwas angehen.“

Cora knickste noch einmal. „Lady Dalley…“

„Die kleine Cora… ich kann mich dunkel erinnern. Sehr eindrücklich war diese Begegnung wohl nicht…“

„Gewiss, Mylady.“ Sie erinnerte sich an den Skandal aus der letzten Saison und wusste wieder, warum aus Lady Eloise Whitfield so hastig Lady Dalley geworden war, erlaubte sich aber kein wissendes Lächeln.

„Dann werde ich die Ladys bei ihren Erwachsenengesprächen nicht weiter stören.“

Die Herzogin sah ihr stirnrunzelnd entgegen. „Wo warst du?“

„Ich habe Diane gesucht – und gefunden. Sie sitzt in einer Nische mit Lady Dalley und plaudert. Ich wundere mich nur: Will sie denn gar nicht tanzen?“

„Ja, seltsam – schließlich hat sie doch immer so viele Verehrer. Apropos, eben waren zwei junge Männer hier, die sich tatsächlich nach dir erkundigt haben.“

„Ah, danke schön.“ Sie warf einen Blick auf ihre Tanzkarte – nein, sie hatte keinen Tanz verpasst.

„Lady Dalley?“, kam Ihre Gnaden etwas verzögert auf Coras Information zurück. „Lady Dalley – kennen wir diese Dame überhaupt?“

„Sie ist die Schwester von Carew und musste letztens sehr überstürzt heiraten, Sie erinnern sich?“

„Oh! Ach ja… nun, hat sie nicht einen sehr wohlhabenden Mann geheiratet?“

„Ich weiß nur, dass die Schwester eines Earls einen Baronet geheiratet hat – müssten Sie sich darüber nicht entrüsten?“

„Hüte deine Zunge! Aber wenn ich mir recht überlege: Tatsächlich, das ist doch eine gewisse Mesalliance… ich bin mir nicht sicher, ob diese Freundschaft so wünschenswert ist.“

Cora ließ den Kopf hängen. Ihre Mutter würde Diane die Plaudereien mit Lady Dalley untersagen und Diane würde natürlich ihr die Schuld geben… endlose Sticheleien!

Vornehme Geschwister

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