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Kapitel 4

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Gar so schlimm war es dann gar nicht geworden, überlegte sie am nächsten Morgen, während Lizzie ihr das neue mittelblaue Tageskleid mit den weißen Mäanderverzierungen am Saum auf dem Rücken zuknöpfte. „Sie wollen bestimmt an die frische Luft, Mylady?“

„Ja, natürlich. Um diese Zeit ist die Luft im Hyde Park ja auch noch recht angenehm. Im Lauf des Tages fragt man sich, warum hier nicht viel öfter Seuchen um sich greifen.“

„Ich werde Sie natürlich begleiten, Mylady. Und James wird ebenfalls auf Sie achten.“

„Gewiss doch. Alles muss seinen Anstand haben, nicht wahr?“

Lizzie kicherte pflichtgemäß.

Um diese Tageszeit waren auf den friedlichen Straßen Mayfairs nur Dienstboten unterwegs – und auch diese nur in bescheidenem Maße. Wahrscheinlich reinigten sie noch die Kamine und bereiteten den Morgentee zu, zogen die Vorhänge zurück und fütterten die Pferde; für Botengänge oder gar Einkäufe war es definitiv noch zu früh.

Im Park lag malerischer Nebel auf den feuchten Wiesen und in der Nähe der Serpentine watschelten einige Enten durch das Gras; es roch frisch und feucht und keinesfalls so übel wie zu späteren Tageszeiten.

Cora schritt munter aus und atmete dabei die frische Luft genussvoll ein – man konnte fast glauben, zu Hause auf Gave Court zu sein! Lizzie hielt mühsam mit ihr Schritt, James schlenderte entspannt hinter den beiden Frauen her und lächelte vereinzelten Nannys zu, die schon die ersten Kleinkinder ausführten.

Sehr warm war es nicht, also zog Cora ihren passenden blauen Umhang enger um sich.

„Wie malerisch das verfärbte Laub aussieht!“

„In diesen Farben könnte man eine elegante Ausfahrgarnitur entwerfen“, spekulierte Lizzie prompt. Sie waren noch mitten in einer Diskussion, ob man tiefes Gelb und Rostbraun wirklich schon in unmittelbarer Nähe zum Gesicht oder doch eher um die Taille und den Saum herum verwenden sollte, als ihnen ein Gentleman in den Weg trat und den Hut zog. „Lady Cora, ich wünsche einen guten Morgen!“

Sofort trat James recht angriffslustig einen Schritt näher, aber Cora winkte ab. „Ihnen auch einen guten Morgen, Mylord. Sie lieben den frühen Morgen in der Natur?“

„Oh ja – und wie ich sehe, geht es Ihnen genauso, Lady Cora?“ Er änderte seine bisherige Richtung und schlenderte neben Cora und ihrem Gefolge her. James und Lizzie waren durchaus noch etwas misstrauisch, aber das harmlose Gespräch über den Herbst in der Natur, über die Geschichte des Hyde Parks und über andere Parks in London wie zum Beispiel den geplanten Regent´s Park im Norden der Stadt beruhigte sie rasch. Von John Nash hatte auch Cora schon gehört und Hartford wusste sehr kenntnisreich über Architektur zu sprechen.

Schließlich verabschiedete er sich und Cora kehrte mit Lizzie und James nach Hause zurück, nachdem sie verraten hatte, dass sie regelmäßig des Morgens im Hyde Park spazieren zu gehen pflegte. Diese Information hatte Hartford mit schmeichelhaftem Interesse vernommen.

Die Herzogin und Diane hatten sich immer noch nicht erhoben, umso besser, fand Cora. Sie frühstückte, wobei sie bedauerte, dass ihr Vater und Vergil nicht in London waren, denn für die Herren hätte man bestimmt viel reichlicher aufgefahren. So musste sie sich mit heißer Schokolade und süßem Gebäck begnügen.

Danach eilte sie wieder auf ihr Zimmer und kramte im Kleiderschrank, bis sie den säuberlich gefalteten Rock einer weiteren Robe der zweiten Herzogin herausziehen und auf dem Bett ausbreiten konnte. Blasses Blau mit dezenten Stickereien in Silber und Violett. Sehr hübsch – und sehr ungewöhnlich!

Lizzie, die mit einem Stapel frischer Handtücher hereinkam, hätte ihre Last vor Begeisterung beinahe fallen lassen: „Was für ein wunderbarer Stoff, Mylady! Haben Sie den auch auf dem Dachboden von Gave Court gefunden?“

„Natürlich, Lizzie. Immer in der gleichen Truhe. Die zweite Herzogin war doch rothaarig, deshalb hat sie wohl so gerne verschiedene Blautöne getragen. Ich weiß nur nicht, wie lange die Stoffe halten werden, ohne auszubleichen.“

Lizzie kicherte. „In der Küche wurde einmal getuschelt, die Herzogin hätte auch zwei Töchter gehabt, deren Vater in Wahrheit der König war – was meinen Sie dazu, Mylady?“

Cora zuckte die Achseln. „Wenn ein König im Spiel ist, nimmt man die Unmoral wohl nicht mehr so tragisch. König Charles soll ja wahre Heerscharen von Mätressen gehabt haben, warum also nicht auch die Herzogin von Gaveston? Wir verdanken ihr auf jeden Fall die herrlichsten Stoffe. Ohne die gute Anna müsste ich in dem gleichen faden Weiß auftreten wie Lady Diane.“

Lizzie verstaute nun endlich die Handtücher und zog dann die schimmernd hellblauen Stoffwolken vorsichtig auseinander, bevor sie ihre Herrin ansah: „Wie wäre ein weißes Bustier mit einem weißen Unterrock und darüber ein schmaler Rock aus diesem Stoff, so gerafft, dass man das Weiße gerade noch sehen kann, Mylady?“

„Und um die hohe Taille ein breites Band – in Silber oder in Violett?“, ergänzte Cora träumerisch.

„Unbedingt in Violett, Mylady. Und weiße Handschuhe. Sie haben doch ein silbernes Halsband mit zwei Amethysten?“

Sie verbrachten eine genussvolle halbe Stunde damit, Violett- und Lilatöne zu vergleichen, nach einem weißen Kleid zu suchen, dass man passend umarbeiten konnte, den Kasten mit den langen Handschuhen zu revidieren und zu überlegen, was man aus den reichlichen Überresten des hellblauen Reifrocks anfertigen konnte. Vielleicht zu Silber? Ein blaues Oberteil mit einem silbern schimmernden Rock?

Schließlich sah Cora Lizzie verschmitzt an: „Grafton House?“

„Oder den Pantheon Bazaar, Mylady.“

„Am besten beides. Vielleicht morgen nach dem Spaziergang im Park…“

„Gewiss, Mylady. Ein sehr stattlicher Gentleman, Mylady, wenn ich das sagen darf.“

„Du darfst – aber nur zu mir! Wehe, du tratschst!“

Lizzie war entrüstet: „Mylady! Das täte ich doch nie!“

Cora tätschelte ihr den Arm. „Das weiß ich doch, Lizzie. Bleib auch bitte dabei!“

Beim Lunch, dem ihre Mutter und Diane nur sehr verhalten zusprachen – sie waren ohnehin erst vor etwa zwei Stunden aufgestanden – erfuhr Cora, dass man gegen fünf in den Park ausfahren würde.

„Sehr nett“, lobte sie brav und bediente sich mit kaltem Braten und in Eierteig ausgebackenem Hühnerfleisch. Diane sah ihr angewidert zu: „Wie kannst du so früh am Tag solches Zeug essen?“

„Früh am Tag? Es ist schon fast Nachmittag und ich habe vor vielen Stunden etwas spärlich gefrühstückt.“

„Warst du wieder vor Tau und Tag unterwegs?“, erkundigte sich die Herzogin, hörbar nur mäßig interessiert.

„Gewiss, das erfrischt die Lebensgeister. Natürlich mit Lizzie und James, ich weiß ja, was ich meinem Ruf schulde!“

Ihre Gnaden nickte zustimmend, Diane zuckte die Achseln. „Um diese Zeit ist doch niemand im Park?“

„Eben, man kann die Luft genießen und sieht nur von weitem vereinzelte Reiter auf Rotten Row und wenige Spaziergänger. Hauptsächlich Nannys mit ihren Schützlingen.“

„Das ist doch schrecklich langweilig?“

„Für mich nicht.“ Cora wandte sich zu Ihrer Mutter. „Aber ich fahre natürlich gerne mit Ihnen aus, Mama. Und mit Diane.“

Der zweite Satz klang etwas lahm, aber Diane registrierte dies wohl gar nicht, sie hatte anderes zu bedenken.

„Mama, ist Ihnen Lady Dalley ein Begriff?“

„Aber gewiss“, antwortete Ihre Gnaden, ohne zu erröten. Cora angelte sich noch ein Geflügeltörtchen und beschäftigte sich angelegentlich damit, um sich nicht durch ein wissendes Lächeln zu verraten.

„Sie ist die Schwester des Earl of Carew, also eine durchaus standesgemäße Lady.“

Dazu hätte Cora noch einiges zu ergänzen gewusst, aber auf sie hörte ja ohnehin niemand!

„Gibt es wohl auch eine Lady Carew?“

Das wusste die Herzogin leider auch nicht, vermied es aber, hilfesuchend zu Cora zu sehen, die gerade ihr Törtchen auf das Zierlichste in mundgerechte Stücke zerlegte und das Gespräch offensichtlich gar nicht verfolgt hatte.

„Lady Dalley hatte dazu nichts zu sagen?“

„Nein, leider. Sie hat mir ihr Stadthaus beschrieben, es muss sehr prunkvoll sein. Ich glaube, ihr Gemahl ist sehr, sehr wohlhabend… sie hat sich nur für diese kleine Saison fünfzehn Ballroben geleistet, Mama, stellen Sie sich das nur vor! Fünfzehn! Und ich habe nur zwei neue Roben bekommen…“ Diane schniefte vor Selbstmitleid.

Ihre Gnaden entgegnete nur lakonisch: „Heirate einen reichen Mann, dann kannst du dir auch fünfzehn Ballroben leisten.“

„Wie soll ich einen reichen Mann finden, wenn ich in Lumpen auf die Bälle gehen muss?“, maulte Diane weiter.

„Du hast zwei neue Roben bekommen und Cora gar keine!“

Cora sah überrascht auf: Ihre Mutter bemühte sich um Gerechtigkeit? Was war mit ihr geschehen?

„Ach, Cora!“

„Sag das nicht so verächtlich, mein Kind. Deine unzweifelhafte Schönheit“ –

„Ha! Und darauf kommt es doch schließlich an!“

„- wird durch dein überhebliches Benehmen durchaus beeinträchtigt. Lady Sherville, die gestern neben mir saß, hat auch festgestellt, dass deine Haltung ungebührlich stolz gewirkt hat und deshalb wohl niemand dich zum Tanz bitten wollte.“

Daher wehte also der Wind…?

„Wer ist denn schon diese Lady Sherville!“

„Sie war sehr elegant gekleidet“, erinnerte Cora sich an die Nachbarin ihrer Mutter.

„Lady Sherville ist die Marchioness of Sherville und eine Frau mit einem sehr sicheren Urteil. Und, mein liebes Kind,“ – aha, das sagte ihre Mutter immer, wenn sie ernsthaft ärgerlich war! – „ich wüsste auch wirklich nicht, dass du so viel getanzt hättest!“

„Warst du eigentlich den ganzen Abend mit Lady Dalley zusammen?“, wollte Cora wissen, die mit ihrem Törtchen nun endgültig fertig war.

Diane warf ihr einen giftigen Blick zu, sagte aber nichts, denn die Diener räumten noch den Tisch ab.

„Gehen wir in den hinteren Salon“, verfügte Ihre Gnaden und erhob sich, um, von ihren Töchtern gefolgt, hinauszurauschen.

„Warum willst du das wissen?“, fuhr Diane ihre Schwester an, sobald die Salontüren sich hinter ihnen geschlossen hatten.

„Es ist nur, weil ich dich fast den ganzen Abend nicht gesehen habe, auch nicht beim Tanz!“

„Als ob du getanzt hättest!“, höhnte Diane prompt.

Cora winkte ab, das war ihr nun wirklich zu albern – ihre Mutter allerdings verwies ihrer Ältesten diese Bemerkungen. „Sogar Hartford hat mit ihr einen Walzer getanzt!“

„Hartford? Dieser ältliche Viscount? Nun ja, wenn du damit zufrieden bist…“

„Du übertreibst“, erwiderte Cora mit mäßigem Interesse, „ich habe doch nur einmal mit ihm getanzt. Er scheint aber recht klug zu sein. Und das kann man ja nicht von jedem Gentleman in einem Ballsaal behaupten.“

„Aber Cora!“

Sie warf ihrer Mutter einen wenig zerknirschten Blick zu. „Mama, das können Sie nun wirklich nicht bestreiten!“

„Wie heißt denn der Mann von dieser Lady Dalley?“, wandte Ihre Gnaden sich sofort an ihre andere Tochter, die nicht so lästig in sie drang.

„Vermutlich Lord Dalley“, antwortete Diane.

„Hoffentlich ist es wenigstens ein einigermaßen angesehener, vornehmer alter Titel, sonst ist diese Dame wohl doch kein Umgang für dich!“

„Lady Dalley ist eigentlich Lady Eloise Dalley!“, trumpfte Diane auf, die ja bei allem Standesdünkel nicht besonders gut in den Feinheiten der englischen Adels- und Höflichkeitstitel Bescheid wusste. Cora hatte dies aus Interesse an diesen Details einmal gründlich studiert und wandte nun ein: „Sie ist doch die Schwester eines Earls, hast du gesagt? Daher trägt sie also den Titel einer Lady…“

„Eben! Das ist ja wohl wirklich vornehm!“

„Vorsicht, Schwesterchen“, mahnte Cora nicht ohne Amüsement. „Wenn sie ihren eigenen Titel immer noch trägt, heißt das, dass ihr Ehemann einen geringeren Titel trägt und sie deshalb ihren Rang behalten hat.“

„Blödsinn!“, blaffte Diane unhöflich.

„Doch“, urteilte die Herzogin, „da hat Cora vollkommen Recht. Dieser Dalley ist ein Viscount, ein Baron oder gar nur ein Baronet. Reichgeworden, vermutlich. Keine alte Familie. Diane, das dürfte kein Umgang für dich sein!“

„Dann darf Cora aber auch nicht mit Hartford tanzen!“ Diane triumphierte, immer noch zornrot.

„Tanzen darf man mit allen – und Hartford ist ein sehr angesehener Mann und ein einflussreicher Politiker. Möglicherweise wird der Regent ihm sogar eine Rangerhöhung zubilligen.“

Die Herzogin hatte in kaltem Ton gesprochen und Cora staunte, was ihre Mutter alles wusste. „Und jetzt möchte ich von diesem Thema nichts mehr hören!“

„Schade, dass wir nicht ins Theater gehen können“, bot Cora folgsam ein neues Thema an.

„Warum denn nicht?“, wollte Diane in dem unzufriedenen Tonfall wissen, den sie mittlerweile bis zur Perfektion gebracht hatte. Cora entwickelte allmählich Mitleid mit dem armen Mann, den Diane eines Tages heiraten würde…

Ach nein – musste er nicht ziemlich dumm sein? Diane erwartete einen Herzog mit immensem Vermögen und hatte im Gegenzug nur Arroganz, Unzufriedenheit und so gut wie keine Mitgift zu bieten. Ach ja, und einen ebenso arroganten und obendrein stets in Geldnöten befindlichen Schwager brächte sie auch noch mit in die Ehe… Wer dieses Angebot interessant fand, musste doch beschränkt sein!

Sie konzentrierte sich wieder auf das Gespräch: Ihre Gnaden versuchte gerade, Diane klarzumachen, dass sie nicht ohne männliche Begleitung ins Theater gehen könnten, ohne zumindest Getuschel auszulösen.

„Dann fragen wir doch die Dalleys!“, schlug Diane weinerlich vor. „Bestimmt haben die eine eigene Loge!“

„Wäre das nicht etwas aufdringlich?“, überlegte Cora halblaut. „Wir kennen die Dalleys doch gar nicht – nur du! Und auch du kennst nur Lady Dalley.“

„Ich denke, sie werden sich freuen. So vornehme Gäste hatten sie in ihrer Loge bestimmt noch nie.“

Ihre Mutter sah zweifelnd drein und Cora verzichtete auf weitere Einwände. Sie wusste wirklich nicht viel vom Treiben der feinen Gesellschaft, aber nach dem, was man ihr auf dem Ball bei Mrs. Ramsworth zugetuschelt hatte, war Dalley unermesslich reich, aber recht plebejischer Herkunft – und Lady Dalleys vornehmer Bruder stand am Rande des Bankrotts. Eine arme Herzogstochter konnte ihm da nicht viel nutzen!

Wenn Mama sich von Diane überreden ließ, musste sie wohl ihrer Mutter reinen Wein einschenken…

„Das ist ungehörig, mein liebes Kind. Wir werden lieber auf Bälle gehen.“

Cora verspürte Erleichterung. „Wann ist denn der nächste?“

„Nun, nachdem uns bei Mrs. Ramsworth alle Welt bemerkt hat, dürften wir einige Einladungen erhalten haben.“ Ihre Gnaden läutete und ließ sich die Post bringen, einen recht eindrucksvollen Stapel.

Sie überreichte ihn Cora. „Hier, sortiere sie schnell durch!“

Cora nickte und ging an die Arbeit. „Horace – Horace – Papa – Sie – Sie – Horace – Papa – Papa.“

Sie überreichte ihrer Mutter die beiden goldgeränderten Schreiben und legte die Häuflein für Seine Gnaden und Vilmont auf den Kaminsims.

„Für Horace kommen wahrscheinlich nur Geldforderungen.“

„Aber Cora!“

Cora lächelte böse über die Schulter. „Glauben Sie ernsthaft, jemand möchte Vilmont einladen?“

„Warum denn nicht?“ Diane war empört. „Er ist doch ein Marquess!“

„Ein Marquess, der wahrscheinlich angetrunken auf dem Ball erscheint und dort sofort im Kartenzimmer verschwindet? Oder die anderen Gäste beleidigt?“

„Woher willst du das eigentlich wissen? Ich wüsste nicht, dass du seine Vertraute bist!“

„Vergil weiß doch, was Horace so treibt! Übrigens hat er unglaubliche Schulden, aber das wissen ja zumindest unsere Eltern.“

„Das ist nicht wahr!“

„Doch, das stimmt leider“, warf Ihre Gnaden betrübt ein. „Euer Vater hat ihm schon die Zuwendungen gestrichen. Das finde ich allerdings recht – nun ja – hart. Der arme Junge…“

Arm? Mitleid empfand Cora zumeist eher für die Personen, die mit Horace Umgang haben mussten.

Aber das seiner vernarrten Mutter und seiner ebenso dünkelhaften und zugleich beschränkten Schwester zu erklären, hielt sie für recht sinnlos.

Immerhin hatte ihre Mutter das erste Schreiben geöffnet: „Oh, nächste Woche sind wir bei den Hartleys eingeladen. Nett.“

„Wer sind die Hartleys?“, fragte Diane sofort misstrauisch. Cora schnaufte. „Hast du Angst, dass sie nicht mindestens einen Herzog in der Familie haben?“

„Na, überall können wir doch wohl nicht hingehen?“

„Liebe Schwester, es ist bestenfalls die kleine Saison und wir sind nicht sonderlich umschwärmt. Das sind gerade einmal zwei Einladungen! Willst du lieber zu Hause bleiben? Mir wäre das ja gleich, aber du willst doch unbedingt heiraten?“

„Du vielleicht nicht?“

„Ich bin erst neunzehn. So eilig ist das noch nicht.“

Dieser vergiftete Pfeil machte Diane nicht lange mundtot, aber die Herzogin sagte, ohne das Gezänk zu beachten: „Die Hartleys sind Baron und Lady Hartley. Sie sind nett, sie haben ein Haus in der Bruton Street und Lord Hartleys Schwester ist die Countess of Woodhurst. Vollkommen einwandfrei.“

„Und die andere Einladung?“

„Bei den Stanwoods. Übermorgen.“

„Die kenne ich gar nicht“, kommentierte Diane mit einer steilen Falte zwischen den Brauen, was ihre Mutter sofort monierte und die Anwendung von glättender Creme anordnete.

„Du lieber Himmel, Diane!“, konnte Cora sich nicht zurückhalten, „du kennst doch nun wirklich nicht alle Welt! Hast du solche Angst, dass dich keiner mehr heiratet, weil du auf einem vielleicht etwas uneleganten Ball getanzt hast?“

„Unelegant?“, japste ihre Schwester.

„Die Stanwoods sind nicht unelegant“, beschied Ihre Gnaden recht unwirsch ihre Töchter und schickte sie auf ihre Zimmer: „Für den Moment habe ich genug von euren Streitereien –und nein! ihr beschuldigt euch jetzt nicht gegenseitig, den Streit begonnen zu haben! Hinauf mit euch!“

Diane war gekränkt, Cora fiel ein, dass sie noch überlegen wollte, ob die Reste von Annas üppigem Ballkleid wohl noch für ein weiteres Kleid reichen konnten. Immerhin trug man jetzt ja deutlich weniger voluminöse Röcke…

Und einen erst halb gelesenen Roman hatte sie auch noch neben dem Bett liegen…!

Also eilte sie recht beschwingt nach oben und breitete die Einzelteile der ehemaligen Hofrobe auf ihrem Bett aus.

Genügend blaue Seide mit silberner Stickerei, auch wenn sie das Bustier mit einrechnete, das sie für die eine Balltoilette schon geplant hatten.

Und ein silbernes Bustier zu einem blauen Rock? Silberner Stoff… hm.

Lizzie trat ein und betrachtete nach dem Knicks sofort entzückt die blausilberne Pracht. Die Idee eines silbernen Oberteils fand sie wieder ausgesprochen elegant: „Sehr ungewöhnlich, Miss, aber genau das, was gewiss alle anderen jungen Ladys die Augen aufreißen lässt. Wie wir es heute Vormittag schon überlegt hatten, nicht wahr? Vielleicht könnte man aus den blauen Resten auch noch einen Schal anfertigen?“

Tatsächlich nähten sie in jeder freien Minute und hatten am Abend des Stanwood-Balls das Ballkleid fertig, nachdem sie einen genussreichen Morgen im Pantheon Bazar verbracht und dort auch wirklich einen silberdurchwirkten weißen Stoff ergattert hatten, der im Licht der Gaslampen im Inneren sehr aufregend funkelte. Aus diesem Material bestanden neben dem enganliegenden Bustier dann auch die kleinen Puffärmel; Lizzie zupfte am Abend des Balls diese Ärmelchen noch zurecht und drapierte den blauen Schal elegant um Coras Schultern, so dass die silberne Stickerei gut zur Geltung kam.

Das passende Retikül am Handgelenk, verließ Cora sehr zufrieden ihr Schlafzimmer. Auf dem Gang traf sie natürlich auf ihre Schwester in strahlend weißen Rüschen, mit kleinen rosa Röschen bestickt. Insgeheim fand Cora, dass Diane damit wie eine Siebzehnjährige aufgeputzt war, aber das sagte sie lieber nicht laut – es würde noch genug Zank geben, ohne dass sie damit anfing!

„Dieses Blau ist sehr unpassend!“, rügte Diane auch prompt. „Du bist doch keine Witwe!“

„Aber auch keine Debütantin mehr!“, entgegnete Cora ärgerlich. „Und nachdem alles Geld für deine Jungmädchengewänder ausgegeben wird, muss ich mich eben mit den Stoffen behelfen, die ich finden kann. Da gibt´s nicht so viel ödes Weiß.“

Ach, jetzt hatte sie es ja doch gesagt! Diane würde sich umgehend bei Mama beklagen.

„Jungmädchengewänder?“, fragte Diane. „Was meinst du damit?“

„Nur dass du dich wie eine Debütantin kleidest“, rettete Cora sich auf eine harmlose Deutung.

„Warum auch nicht? Ich zumindest habe durchaus noch Hoffnung zu heiraten. Du hast ja offensichtlich schon aufgegeben… das Kleid würde besser zu einer Frau von Dreißig passen. Aber nun gut, du bist ja auch nicht besonders schön, nicht wahr?“

„Ich bin ganz zufrieden“, schnappte Cora, schon auf der untersten Treppenstufe und knapp vor der Herzogin, die ihnen ärgerlich entgegensah. „Streitet ihr euch schon wieder?“

Cora zuckte die Achseln, Diane aber ereiferte sich: „Sie kann doch nicht Blau tragen wie eine verheiratete Frau! Das gehört sich nicht! Sie macht das nur, um mir eins auszuwischen!“

„Wie denn das?“, fragte Ihre Gnaden leicht verdutzt.

„Aber Mama, das müssen Sie doch verstehen! Alle meine Verehrer müssen doch glauben, ich nähme es ebenso wenig genau!“

„Diane, du übertreibst. Bestenfalls hält man Cora für etwas exzentrisch.“ Sie musterte ihre Jüngste kritisch. „Ich muss sagen, diese Robe ist recht interessant. Wo hast du sie nur machen lassen? Und von welchem Geld?“

„Mama!“ Diane war kurz davor, aufzustampfen; so enthob sie Cora der Notwendigkeit, die Fragen zu beantworten.

„Diane, was hast du heute nur? Coras Ballkleid hat dich gar nicht zu interessieren! Und ich denke, der Wagen ist bereits vorgefahren, also kommt jetzt!“

Vornehme Geschwister

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