Читать книгу Ein trauriges Schloss - Catherine St.John - Страница 3
Kapitel 1
Оглавление„Keine Referenzen?“ Die ältere Dame in strengem Schwarz betrachtete Eleanor missbilligend durch ihr Lorgnon. „Ich fürchte, dann -“
Ein Räuspern hinter ihr unterbrach sie. Eine andere Dame, geringfügig jünger und geringfügig weniger streng wirkend, reichte ihr ein Schreiben, offenbar sehr dickes, kostbares Papier und ein - erbrochenes - Siegel aus schwarzem Lack. Ungeduldig warf die Inhaberin dieser sehr exklusiven Personalvermittlungsagentur einen Blick darauf, dann legte sie den Kopf schief, musterte Eleanor, sagte: „Sie entschuldigen uns einen Moment“, und zog sich mit ihrer Kollegin? Angestellten? in einen Nebenraum zurück.
Eleanor blieb sitzen und überlegte, was dies nun zu bedeuten haben mochte. Hatte jemand eine Warnung geschrieben, die angebliche Mrs. Warren keinesfalls an einen Haushalt zu vermitteln? Aber wer sollte das denn sein?
Hatte jemand darauf bestanden, dass gerade sie ihm vermittelt werde? Noch unwahrscheinlicher. Wurde sie etwa von den Behörden gesucht? Das war nun das Allerabsurdeste – sie schuldete niemandem etwas und hatte auch keine Feinde. Auf der ganzen Welt nicht. Das bedeutete allerdings auch nicht mehr als London und die südlichen Areale Englands.
Welche Bedenken konnten diese beiden hoheitsvollen Damen denn noch haben? Gewiss, sie hatte keine Referenzen, denn dies würde ihre erste Stelle sein, aber wie sie eben noch auf das Ausführlichste dargelegt hatte, war sie mit allen Aspekten einer vornehmen Haushaltsführung bestens vertraut. Das musste doch auch zählen?
Sollte sie hier keinen Erfolg haben, wusste sie nicht, wie es weitergehen sollte. Annie war doch ganz sicher gewesen, dass sie hier beide etwas Neues finden konnten?
Die beiden Damen kamen zurück und lächelten verblüffenderweise einigermaßen freundlich. Eleanor verstand gar nichts mehr: An der Tatsache, dass sie keine Referenzen hatte – sie nicht haben konnte – hatte sich ja schließlich nichts geändert!
Die jüngere der beiden lächelte noch etwas breiter. „Sie haben Glück, Mrs. Warren, das darf ich wohl sagen. Wir haben tatsächlich soeben eine Anfrage erhalten, für die Sie – trotz Ihres bedauerlichen Mangels an Referenzen – geeignet sein könnten…“
Eleanor sah erwartungsvoll-fragend drein.
„Auf Kesham Court wird eine Haushälterin gesucht. Referenzen sind offenbar nicht notwendig. Es scheint, dass die bisherige Haushälterin aus – äh – persönlichen Gründen sehr plötzlich das Schloss verlassen musste. Trauen Sie es sich zu, den Haushalt von Kesham zu leiten? Natürlich mit einem Butler an Ihrer Seite?“
„Gewiss“, antwortete Eleanor ruhig. Was hatte sie schließlich in den letzten Jahren anderes getan?
„Und Sie könnten sofort abreisen?“
„Gewiss“, wiederholte Eleanor. „Darf ich fragen, wo Kesham Court liegt?“
Ein etwas verächtlicher Blick traf sie. Offenbar erwartete man von gehobenem Hauspersonal, sämtliche Schlösser Englands und ihre adeligen Besitzer zu kennen – aber dazu war sie zu abgeschieden aufgewachsen.
„Kesham Court ist der Besitz des Earls of Kesham“, wurde sie kühl beschieden, und Eleanor biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu antworten, das liege ja wohl auf der Hand.
„Das Anwesen befindet sich in der Nähe von Milton Regis in Kent. Sie wissen, wo das ist?“
„Ich werde es finden. Wann werde ich erwartet?“
„In Milton Regis selbst befindet sich eine Poststation. Morgen gegen Mittag wird Sie dort jemand vom Schloss abholen. Vermutlich fährt die Post wie immer um acht Uhr heute Abend ab. Lombard Street, überprüfen Sie das bitte selbst. Wir sind gehalten, Ihnen für Ihre Auslagen zwei Guinees auszuzahlen. Sie werden Ihnen auf Kesham Court vom ersten Lohn abgezogen werden.“
„Selbstverständlich.“ Eleanor hätte sich gerne noch nach ihrem Lohn erkundigt, aber fürs Erste war sie froh, überhaupt eine Stellung gefunden zu haben, nachdem die Referenzen doch eine so große Rolle zu spielen schienen. Außerdem wollte sie nicht geldgierig erscheinen.
Die Inhaberin dieser vornehmen Agentur für gehobenes Hauspersonal warf Eleanor noch einen unsicheren Blick zu, studierte dann noch einmal den Brief, der offenbar dringenden Bedarf an einer Haushälterin meldete, und seufzte. „Machen wir den Vertrag fertig, Mrs. Warren…“
Eleanor verließ, nachdem sie an den angezeigten Stellen unterschrieben hatte, erleichtert das Gebäude und trat auf die belebte Oxford Street hinaus.
„Hatten Sie Erfolg, Mylady?“
„Annie, du sollst doch nicht mehr Mylady sagen! Ich bin jetzt Mrs. Warren. Nur als wohlanständige Witwe aus dem Bürgertum kann ich doch als Haushälterin arbeiten. Wie sieht es bei dir aus? Hatten Sie etwas für dich?“
Annie nickte glücklich. „Als Zofe, für die Töchter von Lady Denby. Hier in London. Sechs Töchter hat sie.“
„Großer Gott, Annie, sechs Töchter? Du wirst dich zu Tode arbeiten!“
Annie kicherte. „Nein, es gibt dort schon zwei Zofen. Zu dritt schaffen wir das sicher. Aber Myl – Mrs. Warren – Madam, wie war es denn bei Ihnen?“
Eleanor lächelte breit. „Ich habe eine Stellung, ist das nicht herrlich?“
„Gewiss – aber eigentlich sollten Sie so etwas wirklich nicht nötig haben. Immerhin sind Sie die Dowager Countess of Lanford!“
„Psst!“, zischte Eleanor. „Das braucht hier wirklich niemand zu wissen. Annie, ich muss ab und zu etwas zu essen haben, also brauche ich eine Stellung. Und Haushälterin auf Kesham Court, das stelle ich mir nicht so arg vor. Offenbar hält man es dort für nicht gar so tragisch, dass ich keine Referenzen vorzuweisen hatte.“
Sie schlenderten die belebte Straße entlang und schlugen dann die Richtung zu ihrer bescheidenen Pension ein.
„Ich denke immer noch, Mylady, dass Ihre Eltern Sie eigentlich angemessen versorgen sollten.“
„Annie, du sollst nicht Mylady zu mir sagen! Wie oft muss ich dich noch daran erinnern? Wenn du dich in der Pension vergisst, erhöht mir die Inhaberin entweder den Preis oder sie erzählt überall herum, dass ich bei ihr wohne und anscheinend völlig heruntergekommen bin.“
„Dann würden sich Ihre Eltern wenigstens gebührend schämen“, murmelte Annie trotzig.
Eleanor konnte ein böses Lächeln nicht ganz unterdrücken. „Sie würden eine Geschichte erfinden, warum ich an meiner Situation selbst die Schuld trage. Wenn sie aber gar nicht wissen, was aus mir geworden ist, dürfte ihnen es viel unangenehmer sein, sollte sich jemand nach mir erkundigen.“
„Aha“, antwortete Annie wenig überzeugt und ließ Eleanor den Vortritt auf der Treppe zum Eingang der Pension.
Beide verhandelten kurz mit der Inhaberin, da sie ihre Rechnungen begleichen wollten. Annie sollte morgen Vormittag zu Lady Denby aufbrechen, die in der South Audley Street residierte, und Eleanor sollte sich rechtzeitig zur Lombard Street begeben, um pünktlich um acht Uhr abends Richtung Kent abzureisen.
Die ältliche Standuhr in der schmalen Eingangshalle der Pension zeigte im Moment zwei Uhr nachmittags, also hatte sie noch genug Zeit, ihre Sachen zu packen.
Annie ging ihr dabei aus alter Gewohnheit zur Hand, denn die beiden jungen Frauen hatten sich ja ohnehin das Zimmer geteilt, um Geld zu sparen.
„Sie hatten so schöne Kleider, M-Madam“, bedauerte Annie, während sie geschickt die schwarzseidenen, hochgeschlossenen Kleider – drei Stück an der Zahl, und mehr oder weniger identisch – faltete und im Portemanteau auf der ebenfalls gefalteten Wäsche verstaute. Eleanor seufzte nostalgisch, während sie ihre langen dunklen Locken ausbürstete und sie dann mit wenigen Handgriffen wieder zu einem strengen Chignon aufsteckte. „Aber ich bin nun mal eine Witwe, so weit ist mein Auftreten nicht gelogen. Und eine Witwe trägt schwarz. Mindestens zwei Jahre lang.“
„Jammerschade. Und Ihr schöner Schmuck…“
„Na, soweit war es damit auch nicht her“, antwortete Eleanor gleichmütig und schüttelte vorsichtig ihre schwarzen Handschuhe aus, „das meiste gehörte sowieso zum Warrenschen Vermögen. Jetzt trägt es die neue Countess. Und wenn schon.“
„Sie hätten ihn verkaufen und davon leben können, bis ein bess- Verzeihung, Mylady. Madam, wollt´ ich sagen.“
„Schon recht, Annie. Ich weiß, dass meine Ehe kein wirklicher Traum war, aber der Schmuck gehörte mir nun einmal nicht. Du hättest doch nicht gewollt, dass ich etwas Unrechtes tue?“
„N-nein, Madam.“ Sehr glaubhaft klang das nicht, und Eleanor wandte sich mit einem Lächeln ab. Annie war jetzt drei Jahre lang auf Lanford Hall ihre Zofe gewesen und wirklich eine treue Seele. Ihre Empörung über den Wandel von Eleanors Lebensumständen war echt.