Читать книгу Ein trauriges Schloss - Catherine St.John - Страница 8
Kapitel 6
ОглавлениеNach zwei Tagen kehrte Mr. Randal nach Hause zurück und Kesham Court verfiel wieder in die etwas morbide Stille, die der Normalzustand zu sein schien. Eleanor hoffte, dass der muntere Cousin sich bald wieder einmal blicken ließ, denn das konnte Seiner Lordschaft nur guttun. Ihn hatte sie seit dem Gespräch beim Dinner nicht mehr zu Gesicht bekommen, aber bei diesem Anlass hatte er eigentlich durchaus vernünftig gewirkt – oder war das ein respektloser Gedanke? Andererseits war das übrige Personal auch nicht so unterwürfig, wie sie es aus ihrem Elternhaus kannte. Vielleicht war Mama einfach eine strengere Dienstherrin und hier fehlte nur die Hand der Hausfrau?
Vernünftig, ja – aber nicht gesund. Diese tiefliegenden Augen, die hageren Wangen, die bleiche Gesichtsfarbe – hatte er gerade an diesem Fieber gelitten?
Sollte sie sich bei seinem Arzt erkundigen? Ach nein, das wäre dann doch unpassend. Sie stellte sich gerade vor, als sie noch Lady Lanford gewesen war, hätte Annie mit dem Arzt über sie konferiert… Sie hatte Annie wirklich sehr gerne gehabt, aber das hätte sie dann doch als Unverschämtheit empfunden. Wenn Annie ihr dagegen bei einem Leiden ein Heilmittel empfohlen hätte… sie überlegte. Doch, dafür wäre sie wohl tatsächlich dankbar gewesen. Das vermutete sie wenigstens.
Vielleicht traf sie Seine Lordschaft ja wieder einmal und konnte ihn besser kennenlernen. Dann ergab sich vielleicht doch einmal eine Gelegenheit, ihn auf dieses Heilmittel – hieß es nicht Chinon oder Chinin? – hinzuweisen, falls er es noch nicht kannte. Chinarinde, das war es gewesen. Wenn der Earl an diesem Wechselfieber litt, hieß das, von dem sie einmal gelesen hatte.
Aber das konnte nicht das ganze Problem des Earls sein – und bis sie das herausgefunden hatte, konnten noch Monate oder Jahre vergehen.
Nun, warum auch nicht? Sie hatte alle Zeit der Welt, denn sie hatte nicht vor, diese Stellung jemals wieder aufzugeben. Und nach den übrigen Geheimnissen würde sie in aller Ruhe forschen.
Vielleicht gab es eine Möglichkeit, dem Earl zufällig über den Weg zu laufen… nein, das war wohl nicht anzunehmen. Dazu müsste sie wohl in sein Schlafgemach eindringen, und dann bliebe ihm nichts anderes übrig, als sie auf der Stelle zu entlassen.
In den nächsten Tagen beschränkte sie sich also darauf, ihrer Arbeit noch routinierter nachzugehen und nach Gebieten zu forschen, die nach Verbesserung verlangten.
Mr. Grant hatte es mit Misstrauen betrachtet, als sie die Bibliothek von Grund auf reinigen und die Sofas und Sessel kräftig ausklopfen ließ. Was er eigentlich argwöhnte, sagte er freilich nicht. Vielleicht hielt er den kleinen Blumenstrauß auf dem Tischchen neben dem bequemsten Sessel auch für zu feminin – um nicht zu sagen, für Weiberkram? Seine diskret gerümpfte Nase ließ diesen Schluss zumindest zu.
Mrs. Kingsley hatte alle Rezept- und Gewürzvorschläge treulich befolgt und begann nun schon selbst, neue Créationen zu entwickeln. Dass es dem Earl schmeckte, erkannte man unschwer daran, dass die Schüsseln weitgehend leer in die Küche zurückfanden. Diese Tatsache zauberte vor allem zur Dinnerzeit ein leichtes Lächeln auf das gesamte Personal, das mit dem Dinner befasst war, Eleanor eingeschlossen. Es konnte doch sein, dass das Fieber bei einem kräftigeren Körper schwächer ausfiel?
An diesem Nachmittag hatte Eleanor auch wieder die gut ausgestattete Wäschekammer respiziert und festgestellt, dass Handtücher und Bettwäsche in Wahrheit zum Teil fadenscheinig waren und sich generell rau und hart anfühlten. Also eruierte sie, wie und womit hier gewaschen wurde, und musste feststellen, dass die beiden älteren Frauen im Waschhaus sich den einen oder anderen Spülgang zu sparen pflegten. Als sie die beiden so streng, wie es ihr möglich war (sie musste sich ernsthaft ihr Auftreten als Countess of Lanford in Erinnerung rufen) ins Gebet nahm, jammerten diese über unerträgliche Rückenschmerzen beim Bücken, das ja beim Ausspülen der Wäsche unabdingbar war. Hm… Sie beriet sich mit Jessop, ob man ein Mädchen zur Unterstützung der beiden einstellen oder aus einem anderen Bereich abziehen konnte. Letzterem widerriet Jessop, denn alle vorhandenen Mädchen, die Spülmägde eingeschlossen, empfänden die Position als Waschmagd bestimmt als Degradierung. Er kenne aber ein geeignetes Mädchen, das noch nichts gelernt habe und mäßig aufgeweckt, aber nicht zu albern sei.
„Aber wir müssten Seine Lordschaft fragen. Ich denke, wenn Sie das tun, stimmt er eher zu.“
Eleanor freute sich insgeheim über die Gelegenheit, den Earl zu sehen, und versuchte, dies unter einem betont neutralen Gesicht zu verbergen. „Nun gut, ich werde ihn aufsuchen – wenn er präsentabel ist, ich ihn nicht störe und er sich nicht gerade in seinem Schlafzimmer befindet.“
Jessop verbeugte sich. „Seine Lordschaft befindet sich im Rosengarten. Ich bin sicher, dass er Ihre Anwesenheit nicht als Störung empfinden wird.“
„Wollen wir es hoffen“, murmelte Eleanor, rückte ihr Häubchen zurecht, strich eine Haarsträhne darunter und schritt durch den Personalausgang in den Park. Der Rosengarten befand sich in sicherer Entfernung von Küche und Küchengarten, wohl, um den Duft der Rosen nicht mit Bratengerüchen zu verderben. Er war als Rondell angelegt, hatte als Eingang einen ebenfalls rosenumkränzten Bogen und war in der Mitte mit einem etwas dürftigen Springbrunnen geschmückt.
Eleanor betrat den Garten leise und spähte herum, bis sie gegenüber dem Eingang eine eiserne Bank und darauf den Earl entdeckte, der vor sich hin starrte.
Sie näherte sich vorsichtig und murmelte dann: „Euer Lordschaft?“
Der Earl sah ruckartig auf. „Was – oh! Mrs. Warren…“ Er erhob sich mühsam.
„Aber bleiben Sie doch sitzen, Euer Lordschaft! Ich wollte Sie auch gar nicht stören, ich hätte nur eine Frage.“ Sie lächelte schüchtern und glaubte, ein schwaches Echo dieses Lächelns in den umschatteten dunklen Augen zu entdecken.
„Dann nur heraus damit, Mrs. Warren.“
„Ich würde gerne ein Mädchen einstellen, das bei der Wäsche hilft“, kam sie sofort zur Sache.
„Ach ja – und warum das?“
„Die beiden Frauen, die sich um die Wäsche kümmern, sind schon etwas älter und haben Schwierigkeiten beim Bücken. Folglich sparen sie sich, um Schmerzen im Rücken zu vermeiden, so manchen Spülgang. Und ich denke, das spürt man, wenn man den Griff des Gewebes prüft – Handtücher und Bettleinen fühlen sich sehr viel rauer und unangenehmer an als wirklich gut gespülte Wäsche.“
Sie verstummte und sah ihn gespannt an. Er erwiderte einen Moment lang ihren Blick, dann sah er auf den Boden, in dem er mit seinem Stock herumgekratzt hatte. Er hatte offenbar etwas geschrieben, aber was, das konnte Eleanor nicht erkennen.
„Stellen Sie ein Mädchen ein“, stieß er dann hervor. „Die Handtücher kratzen wirklich.“
Damit erhob er sich ungelenk und hinkte davon, zurück zum Schloss. Eleanor sah ihm einige Minuten nach, zu verdutzt, um sich zu bewegen, dann betrachtete sie den sandigen Boden dort, wo er gesessen hatte: Was er in den Boden gekratzt hatte, sah aus wie ein großes M und ein Pluszeichen.
Das gab ihr zu denken, während sie langsam zurückschlenderte. Wäre der Earl nur halb so alt, hätte sie vermutet, er habe seine und die Initialen seiner Liebsten in den Sand ritzen wollen, vielleicht noch von einem Herz umrahmt, aber nachdem er Mrs. Kingsley zufolge schon bald dreißig Jahre alt war, war er über solch kindisches Verhalten doch wohl hinaus?
Andererseits - vielleicht liebte er wirklich eine Frau, deren Name mit M begann, eine Mary vielleicht? Warum sollte diese Mary aber seine Zuneigung nicht erwidern können? Er sah auf seine düstere, gequälte Art doch gut aus - und vor der Narbe würden ja wohl nur sehr junge und sehr alberne Mädchen zurückschrecken? Und ein solches Mädchen, womöglich direkt von der Schulbank, passte doch auch gar nicht zu ihm…
Sie verwies sich streng diese Gedanken – wer die richtige Gemahlin für den Earl sein konnte, war nun wirklich nicht ihre Angelegenheit!
Stattdessen sollte sie sich weiter darum kümmern, dass er jede Bequemlichkeit hatte, um in Ruhe zu gesunden. Und nebenbei konnte sie vielleicht – natürlich ganz diskret – das Personal aushorchen.
Er war im Krieg auf der Halbinsel verwundet worden, das wusste sie. Dort hatte er sich wahrscheinlich auch das Fieber eingefangen. Wie lange war das wohl schon her? Sie wusste, dass Bonaparte vor einem Jahr endgültig besiegt worden war, Waterloo - in der Nähe von Brüssel - war schließlich in aller Munde gewesen, und sie hatte auf Lanford Hall wirklich genügend Zeit gehabt, die Zeitungen zu studieren! Schließlich hatte Marcus sie ja nur selten beachtet – und sie hatte auch nicht gewusst, wie diesen Zustand ändern sollte, also hatte sie nichts unternommen und sich auf die Haushaltsführung, Ausritte und Lektüre beschränkt.
Wie war sie jetzt auf die Vergangenheit gekommen? Ach ja – Waterloo. Oder Belle Alliance, wie die Preußen den Schlachtort zu nennen pflegten. Leider hatte die Morning Post nicht erklärt, warum – die beiden alliierten Mächte mussten sich doch auf einen Ort verständigen können?
Der Krieg auf der Halbinsel war aber schon vor über zwei Jahren zu Ende gegangen… also hatte er sich schon mindestens zwei Jahre lang hier vergraben? Ohne zu verlangen, dass man es ihm wenigstens einigermaßen gemütlich machte? Ohne wenigstens die Möglichkeiten des Landlebens zu genießen? Nur wegen einer Narbe und gelegentlicher Fieberanfälle?
Sie konnte sich wirklich nicht vorstellen, dass das schon alles war – aber das musste jetzt warten.
Jessop nahm die Information, er dürfe ein Waschmädchen einstellen, erfreut hin und teilte ihr mit, er habe da tatsächlich schon das geeignete Mädchen im Auge: „Miss Spells hat doch eine Schwester, die mit einem der hiesigen Bauern verheiratet war.“
„Sie sind ausgezeichnet informiert“, lobte Eleanor und Jessop seufzte: „Wenn man Miss Spells nicht umgehend in das Nähzimmer befördert und dann schleunigst die Flucht ergreift, redet sie wie ein Wasserfall. Und da sie außer ihrer Familie – oder besser der ihrer Schwester Abby – kein Thema kennt, wissen wir alle hier jede Einzelheit über Abby und all ihre Kinder.“
„Oh, wie viele hat sie denn?“
„Sieben! Sechs Töchter und einen Sohn, und der Hof ist sehr, sehr klein. Die älteste Tochter ist in Milton Regis in Stellung, die zweite in London. Die dritte ist verheiratet, mit einem Landarbeiter. Also haben sie immer noch drei Mädchen durchzufüttern. Ich denke, die viertälteste, Rachel, scheint geeignet. Sie ist immerhin schon vierzehn und zwar nicht gerade sehr klug, aber ein recht vernünftiges Mädchen, nach dem, was Miss Spells uns so vorzuschwatzen pflegt.“
„Dann schlage ich vor, Sie sprechen mit der Familie und bringen die kleine Rachel hierher. Ich bitte Nancy, ihr eine Kammer im Dienstbotentrakt vorzubereiten – und dann haben wir hoffentlich in Zukunft besser gepflegte Wäsche.“
Jessop lächelte knapp und verbeugte sich. „Das sollte mich freuen, Mrs. Warren.“
Eleanor war recht zufrieden mit sich, auch wenn sie sich selbst eingestehen musste, dass sich der Earl wohl kaum der Welt stärker öffnen würde, nur weil seine Handtücher nun weniger kratzten.
Sie überlegte, dass es ihr eigentlich gleichgültig sein konnte, ob ihr Dienstherr mit seinem Leben zufrieden war – aber das war eben nicht ihre Art. Sie wollte immer, dass ihre Umgebung sich wohlfühlte, auch wenn es ihr bisher noch selten gelungen war. Für ihre Eltern war sie ein steter Quell der Enttäuschung gewesen; sie hatte sich zwar immer bemüht, die elterlichen Erwartungen zu erfüllen, aber dazu hätte sie sich wohl schon in ihrer ersten Saison einen Herzog angeln müssen. Es war zwar überhaupt keiner verfügbar gewesen – entweder waren sie völlig senil und traten nicht mehr in der Öffentlichkeit auf, oder sie waren bereits vermählt – aber das tat den vorwurfsvollen Blicken ihrer Eltern keinen Abbruch. Sogar, als sie nach zwei Saisons und einem zu Hause vergeudeten Jahr doch noch wenigstens einen Earl vorweisen konnte, hatten ihre Eltern ein Gesicht gezogen, als habe sie damit ihr früheres Versagen nur äußerst notdürftig wieder gut gemacht. Sicher, den Earl hatten ihre Eltern ihr beschaffen müssen…
Nun, dass sie jetzt als Haushälterin arbeitete, wussten sie ja nicht. Für ihre Eltern war sie nach ihrem erneuten Versagen gestorben.
Was erzählten sie wohl den Nachbarn, wenn nach ihr gefragt wurde? Vielleicht pflegten sie sogar auf dem Besitz ein leeres Grab?
Nein, das war sogar für ihre aufstiegsversessenen Eltern zu viel. Ob sie Rosamund nun genauso peinigen würden? Allerdings war Rosamund blond und niedlich und würde wahrscheinlich auf dem Londoner Parkett viel schneller Erfolg haben also sie selbst, die groß und dünn war und unmodische dunkelbraune, obendrein nur leicht gelockte Haare hatte. Hellbraune Augen waren zurzeit auch nicht gerade de rigeur, alle Welt umschwärmte blauäugige Blondinen, vorzugsweise mit üppiger Mitgift. Nun, nicht weiter verwunderlich.
Weg mit diesen unnützen Gedanken! Sie machte sich auf die Suche nach Nancy und wies sie an, eine weitere Dienstbotenkammer vorzubereiten.
„Oh, Mrs. Warren, das freut mich aber!“, strahlte Nancy. „Diese kratzigen Handtücher waren richtig unangenehm, und erst das Bettzeug! Aber gab es für Seine Lordschaft denn keine bessere Wäsche? Der arme Herr!“
Eleanor lächelte. „Ich glaube, die beiden Waschfrauen haben da keinen großen Unterschied gemacht, sie haben überhaupt nichts gründlich genug ausgespült. Die Rückenschmerzen, du weißt ja…“
„Das hätte aber Ihre Vorgängerin auch schon rauskriegen können“, fand Nancy dann doch. „Aber die war ja sowieso seltsam. Ich glaube, die dachte wirklich, dass es hier spukt.“
„So ein Unsinn!“ Eleanor war empört, verzichtete aber taktvoll darauf, Nancy an ihre eigenen früheren Aussagen diesbezüglich zu erinnern.
„Ja, und einmal ist sie Seiner Lordschaft begegnet und davongelaufen, weil er doch diese Narbe hat und humpelt. Hinterher hat sie herumgekreischt, das sei der Gottseibeiuns – was soll das überhaupt heißen?“
„Der Teufel“, erklärte Eleanor zerstreut, „und was hat sie danach getan?“
„Na, ihre Sachen gepackt. Fort mit Schaden. Mr. Jessop hat Mr. Grant sofort an die Agentur schreiben lassen und das war wohl genau das Richtige.“
Eleanor lächelte. „Das ist nett von dir.“
Sie verließ das Schloss wieder und umrundete es im Park, um weiter über den Earl nachzudenken. Weit kam sie damit freilich nicht, denn ein hochgewachsener Mann in Reitkleidung kam ihr entgegen: „Sie müssen Mrs. Warren sein, der neue Besen?“
„Richtig. Aber Sie sind mir gegenüber im Vorteil, ich weiß nämlich nicht, wer Sie sind, Mr. - ?“
„Corbyn. Thomas Corbyn. Ich bin der Verwalter. Leider war ich jetzt einige Wochen lang nicht auf Kesham. Familiäre Gründe. Aber ich habe schon gehört, dass Sie allerlei Verbesserungsmaßnahmen durchführen. Seine Lordschaft hat das bereits erwähnt.“
„Oh – tatsächlich?“ Eleanor freute sich und wusste selbst nicht genau, warum eigentlich. Dass sie ihre Arbeit gut machte, wusste sie schließlich selbst. Aber dass der Earl es bemerkt hatte, war doch ein günstiges Zeichen?
„Das freut mich“, sagte sie also nur. „Wenn Sie noch Vorschläge haben, was man an Verbesserungen unternehmen könnte, lassen Sie es mich doch bitte wissen.“
Mr. Corbyn versprach dies und Eleanor verabschiedete sich mit dem Gefühl, dass ihr auf Kesham niemand übel gesonnen war. Nun, vielleicht außer Mr. Grant?