Читать книгу Ein trauriges Schloss - Catherine St.John - Страница 6
Kapitel 4
ОглавлениеSie fuhr erschrocken herum und knickste dann so flüchtig, wie es ihrer doch immerhin gehobenen Stellung zukam. „Mr. Randal? Ich bin die Haushälterin, Mrs. Warren.“
„Aha. Sehr erfreut – woher kennen Sie meinen Namen?“
„Ich sah Sie vorhin ankommen und man hatte mir auch erzählt, dass Sie der einzige Verwandte seiner Lordschaft sind. Ich hoffe, Sie werden ihn bei gutem Befinden antreffen.“
„Ach, geht es ihm wieder schlecht?“
„Danach müssten Sie wohl Beatty befragen. Wahrscheinlich packt er gerade ihr Gepäck aus.“
„Warum sollte ich Sie nicht fragen, Mrs. Warren?“ Er musterte sie gründlich, aber das störte sie nicht. Immerhin sorgte er sich um seinen Cousin, das war doch sehr lobenswert. Und er machte einen durchaus sympathischen Eindruck.
„Weil ich leider gar nichts weiß. Ich habe seine Lordschaft bisher noch nicht zu Gesicht bekommen, allerdings bin ich auch erst etwas mehr als zwei Wochen hier.“
„Aha, deshalb also das neue Gesicht! Und, gefällt es Ihnen auf Kesham Court?“
„Sehr gut sogar. Eine interessante Position.“
Er runzelte leicht die Stirn und Eleanor überlegte, ob sie sich nicht ihrem neuen Stand entsprechend ausgedrückt hatte, aber er sprach schon weiter: „Obwohl Sie den Hausherrn noch nicht einmal zu Gesicht bekommen haben?“
„Man hat mir zu verstehen gegeben, dass es um die Gesundheit Seiner Lordschaft nicht zum Besten bestellt sei. Ich bin sicher, sobald es ihm recht ist, wird er mich zu sich bestellen. Bis dahin versuche ich, mich möglichst gut mit meinen Aufgaben hier vertraut zu machen.“ Sie knickste leicht und wollte in den Küchenbereich zurückkehren, aber Randal hielt sie auf. „Die Sandwiches – wer hat sie gemacht?“
„Die Köchin, Mrs. Kingsley.“
„Sie schmeckten anders als sonst. Interessanter.“
„Mrs. Kingsley hat die Butter gesalzen und mit Kräutern bestreut.“ Eleanor knickste noch einmal und verschwand, bevor er sich eine neue Frage ausdenken konnte.
Ein recht netter Mann, überlegte sie dann in der Küche, selbst an einer Tasse Tee nippend.
Sehr leutselig, wenn er sich so lange mit dem Personal unterhielt.
Mit einem feinen Gaumen, wenn er den Unterschied bei den Sandwiches bemerkt hatte.
Und durchaus gut aussehend, groß und kräftig, mit blonden Locken im Titus-Stil. Recht gut gekleidet obendrein.
Hatte Martin nicht gesagt, Randal habe keinen Kammerdiener? Dann musste er recht geschickt sein. Eleanor hatte schon von Männern gehört, die sich kaum alleine ankleiden konnten, von Feinheiten wie dem Binden der Krawatte und dem Frisieren der Haare ganz zu schweigen. Und dann sollte es ja noch armselige Tröpfe geben, die, wenn sie formelle Kniehosen trugen, Waden aus Holz oder passende Kissen mit Sägemehlfüllung brauchten, um kräftige Beine vorzutäuschen. So etwas dürfte Mr. Randal nicht nötig haben. Eher schien ihm das Essen ein klein wenig zu gut zu schmecken, wenn sie sich recht erinnerte. Nun, die Hauptsache war doch, dass es ihm gelang, den Earl ein wenig aufzumuntern!
Sie fand immer noch, dass eine Verwundung und Fieberanfälle keine hinreichenden Gründe darstellten, sich völlig von der Außenwelt abzuschotten. Da musste doch noch mehr vorgefallen sein? Aber was?
Nun, sie würde das wohl kaum herausfinden können, wenn das langjährige Personal es schon nicht wusste.
Im Salon, der von den Spuren des Tees schon wieder befreit war, entdeckte sie, dass an einem Kissen eine Naht in Auflösung begriffen war, also nahm sie es mit in ihr Zimmer und kramte nach ihrem kleinen Nähzeug aus Mädchentagen. Sie hatte die Naht kaum wieder geschlossen, als eines der Dienstmädchen klopfte.
„Tschuldigung, Mrs. Warren, aber Mrs. Kingsley hätte Sie gerne in der Küche was gefragt.“
„Danke, Bessie. Du bist doch Bessie?“
Bessie knickste bejahend, dann fiel ihr Blick auf das Körbchen mit dem Nähzeug und sie lächelte: „Mrs. Warren, wir haben doch auch einen großen Flickkorb. Und Sie müssen auch nicht flicken, dafür haben wir doch die alte Miss Spells!“
„Gut zu wissen, danke, Bessie. Aber ich hatte gerade Zeit, diese eine Naht zu schließen. Bringst du das Kissen in den großen Salon zurück? Ich werde dann mal Mrs. Kingsley aufsuchen.“
Mittlerweile, hatte sie gedacht, hatte sie alles Personal kennengelernt, aber von Miss Spells hörte sie heute zum ersten Mal.
Die Köchin bestätigte ihr auch, dass Miss Spells in einer Kate im Dorf lebte und nur einmal pro Woche aufs Schloss kam, um entzwei Gegangenes zu flicken. „Damit bessert sie ihre kleine Rente auf. Sie war einmal das Kindermädchen von Miss Miranda, und nachdem hier ja nun kein Kindermädchen gebraucht wird…“
„Miss Miranda?“
„Ach, das wissen Sie gar nicht?“
Mrs. Kingsley konnte ohne Probleme den Teig für eine Geflügelpastete zubereiten, die Füllung kleinhacken und – nach einem anerkennenden Blick auf Eleanor – kräftig würzen und dabei ununterbrochen reden.
„Miss Miranda war doch die Schwester seiner Lordschaft! Ein wirklich nettes Mädchen. Nun, ich kannte sie ja nur von den seltenen Besuchen, die sie und ihr Bruder, also der siebte Earl, ihrem Onkel, dem sechsten Earl abstatteten. Wirklich, ein reizendes, lebhaftes Kind – und so hübsch! Rabenschwarze Locken, immer sehr elegant frisiert, und ein Teint wie eine englische Rose.
Und ein freundliches, begabtes Mädchen war sie auch. Ja, und dann ging Seine Lordschaft in den Krieg nach Spanien… Miss Miranda heiratete Mr. Randal. Ich weiß gar nicht, warum eigentlich.“
Eleanor wusste nicht recht, warum das fraglich sein sollte, und verlieh ihrer Verwirrung auch Ausdruck.
„Nun, Miss Miranda hätte doch bestimmt einen besseren Fang machen können als Mr. Randal – einen bloßen Mr. ohne Aussicht, jemals den Titel zu erben. Damals wenigstens…“ Sie knallte die Pastetenform auf den Tisch und legte sie mit dem dünn ausgerollten Teig aus, dann sah sie auf.
„Immerhin lebten noch der alte Earl, sein Sohn, Viscount Dashfield, und Mr. Anthony – der jetzige Earl, außerdem noch Mr. Theodore, Mr. Georges Vater. Wie sollte Mr. George da jemals an den Titel kommen? Ganz ehrlich, für Miss Miranda war das doch eine recht armselige Partie, nicht wahr?“
„Hm“, machte Eleanor nachdenklich, „vielleicht war es ja eine Liebesheirat?“
Sie betrachtete sich das Innere des mächtigen Geschirrschranks und überlegte, wie man den Inhalt geschickter und praktischer anordnen konnte.
Mrs. Kingsley war nicht überzeugt. „Ja, das mag ja sein. Von ihrer Seite vielleicht…“
„Von seiner nicht? Miss Miranda war ja eigentlich nichts Besseres als er selbst, oder? Die Cousine des Erben, mehr nicht.“
„Hm… nun gut, die beiden machten durchaus einen recht zufriedenen Eindruck, und dann bekamen sie ja auch den kleinen Maxwell. Ein netter Junge, leider bringt Mr. George ihn nur selten mit hierher.“
„Nun, vielleicht ist das hier auch nicht ganz das Richtige für ein Kind – wie alt ist der Kleine jetzt?“
„Fünf. Leider bekam Miss Miranda – Mrs. Randal – keine weiteren Kinder, bevor sie starb.“ Sie seufzte tief auf. „So tragisch war das…“
„Ein Unfall?“, vermutete Eleanor, während Mrs. Kingsley die Pastete mit einer Teigplatte abdeckte und aus dem Teigrest zwei Blümchen ausschnitt und sie obenauf legte.
„Sehr hübsch, Mrs. Kingsley. Dazu reichen wir Gemüse, nicht wahr?“
„Gewiss. Diese Bohnen, mit Kräutern und ein wenig Pfeffer gewürzt, in einer leichten hellen Sauce. Und vielleicht noch ein Rübenmus.“
Eleanor nickte. „Das klingt hervorragend. Haben wir Muskatnuss im Haus?“
„Gewiss, Ma´am. Ein sehr teures Gewürz, finde ich.“
„Wenn das Rübenmus fertig ist, reiben Sie dann bitte einen Hauch Muskat darüber. Aber erst ganz zum Schluss!“
„Wie Sie wünschen. Mrs. Warren. Damit legen wir bestimmt Ehre ein, wenn wir schon einmal Besuch haben.“
Eleanor lachte. „Wir sehen ja, wieviel vom Dinner in die Küche zurückfindet!“
„Vom Tee ist jedenfalls nicht viel übrig geblieben – aber so eine Reise macht schließlich auch hungrig, nicht wahr?“
„Woher kommt Mr. Randal denn, aus London?“
„Nein, er hat ein kleines Landhaus in der Nähe von Higham, das liegt auf halbem Weg zwischen hier und London, hat mir Mr. Randal einmal erklärt.“
Eleanor nickte. „Das kann auch schon Appetit machen, da haben Sie Recht.“
Erst als sie die Köchin, die bereits zwei Mädchen herumscheuchte, alleine gelassen hatte, fiel ihr ein, dass sie jetzt nicht erfahren hatte, welchem Unfall Miss Miranda zum Opfer gefallen war. Ach nein, Mrs. Randal hatte sie ja geheißen. Ob sie sich wirklich in ihren eigenen Cousin verliebt hatte? In jemanden, den man schon Kindesbeinen an kannte? Eleanor ließ, während sie Salons, Bibliothek und das Arbeitszimmer seiner Lordschaft kontrollierte, ihre Gedanken schweifen und dachte an ihre eigene Kindheit. Die Söhne der Nachbarn hatte sie als kleine Lümmel gekannt, die mit Steinschleudern nach Katzen schossen und auf ihren Ponys ungeniert durch fremden Besitz galoppierten. Einer hatte auch wegen einer Mutprobe den Stier eines Bauern gereizt und sich hinterher bitterlich beklagt, dass er auf der Flucht seine Hosen verloren hatte. Sein Vater allerdings hatte dem entrüsteten Bauern Recht gegeben und seinen Sprössling übers Knie gelegt…
Als sie heranwuchs, waren diese Plagegeister in ihren Schulen gut aufgehoben und fielen der Nachbarschaft nur in den Ferien lästig, danach gingen einige zur Armee und ausgerechnet der verhinderte Stierkämpfer strebte das Amt eines Pfarrers an, was Eleanor leicht verblüfft hatte. Nur die jeweils Erstgeborenen blieben zu Hause und machten sich mit der Verwaltung des Besitzes vertraut, wie es eben üblich war. Und dann hatte Eleanor zwei Saisons in London verbracht, ohne allzu großen Erfolg freilich. Wahrscheinlich fehlte es ihr von Natur aus an der nötigen mädchenhaften Lieblichkeit. Das hatte Mama ihr jedenfalls vorgeworfen – Eleanor selbst hatte den Verdacht, es könne auch an ihrer bescheidenen Mitgift liegen. Immerhin war noch eine Tochter unterzubringen, und so vornehm war ihr Vater nicht, dass er eindrucksvolle Beziehungen in die Waagschale werfen konnte.
Ein Jahr lang war sie zu Hause geblieben, während ihre Schwester Rosamund auf ihr Debüt vorbereitet wurde. In dieser Zeit hatte sie einige der Nachbarssöhne wiedergesehen – aber einen von ihnen heiraten? Nie im Leben! Natürlich waren sie zum Teil auch viel zu jung für sie, aber auch die älteren – nein.
Vielleicht hatte Mr. Randal ja seine Cousine in der Kindheit nicht gequält, vielleicht war er nicht so albern gewesen wie andere Jungen? Vielleicht hatten ihre Eltern einfach auf der Heirat bestanden? So etwas gab es natürlich immer noch, aber warum ein hübsches Mädchen aus guter Familie nicht in London präsentieren und nach einer besseren Partie Ausschau halten?
Nun, um das zu beurteilen, fehlte es ihr wohl an Fakten.
Und vielleicht entwickelten sich manche der Jungen aus der Nachbarschaft durchaus noch zu vernünftigen Männern, zu richtigen Gentlemen – sie würde es nur nicht mehr miterleben.