Читать книгу Der Unbezähmbare - Cathy McAllister - Страница 8

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Kapitel 3


Etwas Feuchtes, Kaltes berührte meine Wange. Ich schlug die Augen auf und schaute in die Fratze eines haarigen Monsters.

„Hilfe!“, schrie ich entsetzt auf. Die Zähne des Biests waren lang und spitz und nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt.

„Sie ist wach!“, ertönte eine angenehme männliche Stimme. „Ab mit dir Atoll! Du siehst doch, dass du ihr Angst einjagst.“

Mein Blick fiel auf den Mann, der in der Tür erschienen war. Er sah fremdländisch, aber sehr attraktiv aus. Er schien in meinem Alter zu sein. Sein rabenschwarzes Haar trug er kurz geschnitten, bis auf einen langen, dünnen, geflochtenen Zopf auf der rechten Seite. Die haselnussbraunen Augen, von schwarzen, dichten Wimpern umrahmt, blickten mich freundlich an und ein Lächeln erschien auf seinen Lippen, als er mich interessiert musterte. Instinktiv erwiderte ich das Lächeln, wenn auch ein wenig zaghaft.

Ich schaute mich etwas verunsichert um. Das haarige Monster entpuppte sich als ein riesiger Hund mit zottigem, grauem Fell. Ich hatte solche Hunde schon gesehen. Es war ein Wolfshund.

„Keine Angst. Atoll tut dir nichts. Er wollte nur mal nach dir sehen. – Wir haben uns alle große Sorgen gemacht. Du warst zwei Tage ohne Bewusstsein.“

Zwei Tage? Ich fuhr erschreckt hoch, legte mich aber gleich wieder stöhnend flach. Mein Kopf schmerzte fürchterlich und die plötzliche Bewegung hatte mich schwindelig gemacht. Es puckerte hinter meinen Schläfen und Sterne tanzten vor meinen Augen.

„Zwei Tage?“, fragte ich verwirrt.

Was mochte nur geschehen sein? Das Letzte, an das ich mich erinnerte war, dass ich vor meinem Onkel geflohen war und zwar auf meines Vaters Hengst. Wie also in Gottes Namen kam ich hier her? Und wo war ich überhaupt? Wer war dieser Mann und war das Bett, in dem ich lag, etwa seines? Was war passiert?

„Ja. Zwei Tage. – Wie geht es dir? Hast du noch Schmerzen?“

Er setzte sich auf einen Stuhl neben das Bett und schaute mich prüfend an. Er schien aufrichtig besorgt zu sein.

Ich fasste mir stöhnend an den Kopf.

„Mein Kopf schmerzt. – Was ist passiert?“

„Das wissen wir nicht so genau. Wir fanden dich vor zwei Tagen am Wegesrand. – Anscheinend bist du vom Pferd gestürzt und mit dem Kopf aufgeschlagen. Großmutter Aneta hat sich um dich gekümmert. Sie ist eine weise Frau und kennt sich mit Heilkunde aus.“

„Wo bin ich. – Was ist das ...“ Ich schaute mich erneut in dem Raum um. „... ein Wohnwagen?“, riet ich.

„Ja. Das ist der Wagen von Großmutter Aneta. Wir sind Sinti, fahrendes Volk. Mein Name ist Sergio. Darf ich fragen, wer du bist?“

Zigeuner!, schoss es mir entsetzt durch den Kopf. Ich hatte schon viel von dem fahrenden Volk gehört und das war nichts Gutes gewesen. Alles Diebe, Betrüger und manchmal auch Mörder, so erzählte man sich. Dieser Mann an meinem Krankenlager jedoch sah nicht gefährlich aus. Seine Gesichtszüge waren offen und freundlich. Ich konnte keine Arglist in seinem Gesicht lesen. Ich schien wohl nicht unmittelbar in Gefahr zu schweben. Immerhin hatte man mich nicht ermordet, sondern scheinbar gerettet. Wo war denn nur diese Großmutter Aneta?

„Ich ... mein Name ist Elizabeth. Man nennt mich aber meistens nur Liz.“

Immerhin wusste ich noch, wer ich war? Ich hatte von Leuten gehört, die wirklich jegliche Erinnerung verloren hatten und nicht einmal mehr ihren eigenen Namen kannten. Ich fühlte mich tatsächlich ein wenig erleichtert.

„Liz. Der Name passt zu dir.“

Er musterte mich wohlwollend aber auch ein wenig skeptisch. Es war offensichtlich, dass er nicht so ganz wusste, was er von mir halten sollte. Eine Weile schwieg er, den Kopf leicht schräg gelegt, als müsse er über meine seltsame Erscheinung nachdenken.

„Was hast du verbrochen?“, fragte er schließlich geradeheraus.

„Verbrochen?“, wiederholte ich erstaunt und schaute ihn verständnislos an.

Dann sah ich auf die Männersachen, meine Sachen, die ordentlich auf einer Kiste lagen, und begriff, was er denken musste. Keine anständige Frau würde in so einem Aufzug durch die Gegend reisen und noch dazu allein. Zudem war die Kleidung ärmlich, mein Pferd hingegen von edlem Blut, was ein Zigeuner wohl ohne Weiteres erkennen konnte. Man sagte ihnen schließlich nach, dass sie Pferdeverstand besaßen.

„Ich habe nichts verbrochen, wenn du Diebstahl oder Mord meinst. Ich ... ich bin auf der Flucht vor meinem Vormund. Er wollte mich zwingen ihn ...“ Ich stockte. Wie viel sollte ich, durfte ich, überhaupt erzählen?

„... zu heiraten?“, half er mir nach.

Ich nickte nur. Ich fühlte mich ein wenig unbehaglich. Dieser Sergio war freundlich, aber wusste ich wirklich, was in den Köpfen dieser unzivilisierten Menschen vor sich ging? Ich hatte nichts bei mir, was sie mir stehlen könnten, außer dem wenigen Schmuck; falls sie ihn nicht schon gefunden hatten; meinem Pferd und ... – meiner Unschuld.

„Bei uns sucht er dich bestimmt nicht, außerdem lassen wir niemanden ins Lager, wenn wir es nicht wollen. Hier bist du sicher. Ruh dich erst einmal aus und komme zu Kräften. Ich hole dir etwas zu essen und zu trinken. Ich muss Santino von deinem Erwachen berichten. Er wird mit dir reden wollen, aber keine Angst, er wirkt manchmal ruppiger, als er eigentlich ist. Außerdem ist Großmutter Aneta deine Verbündete und er würde nie wagen, sich gegen sie zu stellen. Sie könnte ihn verfluchen.“

Verfluchen? Ja, ich hatte davon gehört, dass Zigeuner manchmal Leute verfluchten und diese dann nur noch Unglück hatten oder gar verstarben. Diese Großmutter Aneta musste sehr mächtig sein. Hoffentlich stand sie wirklich auf meiner Seite. Ich wollte mich ungern mit einer Hexe anlegen.

Als Sergio verschwunden war, schaute ich mich im Wohnwagen um. Der Wagen war einfach eingerichtet, aber sauber und praktisch. Vielleicht waren diese Zigeuner ja doch nicht so schlimm, wie man ihnen nachsagte. Eigentlich war ich ein Mensch, der nicht viel auf Vorurteile gab. Schließlich hatte man auch über mich geredet, weil ich mit zwanzig Jahren noch unverheiratet war. Es war ja nicht so, dass es an Bewerbern gemangelt hätte. Es war nur nie ein Funke übergesprungen und ich hatte mir in den Kopf gesetzt, nur aus Liebe zu heiraten. Zum Glück hatte mein Vater für mich Verständnis gehabt und mich nie sonderlich bedrängt. Nur meine Mutter hatte mir die letzten Monate in den Ohren gelegen, dass es langsam an der Zeit sei, mir einen Gemahl zuzulegen.

Ich wägte die Argumente, die für und gegen ein Verbleiben bei den Sinti sprachen, sorgfältig gegeneinander ab. Es war unmöglich, weiter als Mann durch die Gegend zu reisen. Ich traute meiner Verkleidung nicht mehr. Als allein reisende Frau hingegen war ich vielen Gefahren ausgesetzt. Möglicherweise war es doch sicherer, in Begleitung dieser Menschen zu reisen, und Sergio hatte recht – hier würde mein Onkel mich so schnell nicht finden.

*****

Nach einer Weile erschien Sergio wieder in dem Wagen und er brachte mir eine gebratene Hasenkeule und geschmorte wilde Zwiebeln mit allerlei Kräutern sowie einen Krug frischen Wassers mit. Als der Duft des Essens mir in die Nase stieg, merkte ich erst, wie hungrig ich doch war. Ich setzte mich vorsichtig in meinem Lager auf und machte mich über das Essen her. Ich verschwendete keinen Gedanken daran, ob ich schmatzte oder ob es besonders damenhaft war, sich die Finger abzulecken. Ich war ausgehungert und das Essen war köstlich. Ich glaubte, in meinem ganzen Leben noch nie so etwas Leckeres gegessen zu haben.

„Santino kommt gleich zu dir. Wenn du möchtest, bleib ich hier bei dir.“

Ich blickte von meinem Essen auf. Dieser Santino schien ein gefährlicher Bursche zu sein. Sicher wäre es nicht schlecht, wenn jemand dabei war, dem ich wenigstens etwas vertrauen konnte. Zumindest hatte ich das Gefühl, diesem jungen Mann trauen zu können.

„Ja, bitte. Ich hätte dich gern dabei“, sagte ich deswegen und schaute ängstlich zur Tür.

„Keine Sorge. Er beißt dich schon nicht. Er trägt die Verantwortung für die Sippe und deshalb muss er sicherstellen, dass uns durch dich keine Gefahr droht. Großmutter Aneta hat gesagt, du wärst Schicksal. Sie sagt, du musst hier bei uns bleiben, also wird er sich ihren Rat zu Herzen nehmen.“

Das beruhigte mich etwas. Diese Alte musste einigen Einfluss haben, wie mir schien. Ich war mittlerweile sehr neugierig auf Großmutter Aneta.

Ich kratzte mit dem Löffel die letzten Zwiebeln aus der Schüssel und spülte sie mit einem großen Schluck Wasser runter. Kaum dass ich mein Mahl beendet hatte, erschien ein großer Mann mit einem eindrucksvollen Schnurrbart in der Tür. Er schaute grimmig drein. Seine buschigen Augenbrauen verstärkten den Eindruck noch. Ich hatte plötzlich das Bedürfnis, mich in Luft auszulösen. Er hatte nichts von der unangenehmen und hinterhältigen Ausstrahlung meines Onkels, vielmehr erschien er mir wie ein Berserker aus diesen alten Nordmann-Sagen. Ich hatte darüber gelesen. Seine Präsenz schien den ganzen Wagen zu füllen. Ich kam mir unangenehm klein und hilflos vor.

„Vater, das ist Liz“, sagte Sergio.

Vater? – Das war Sergios Vater? Wie konnte so ein freundlicher junger Mann so einen Vater haben? Ich war erstaunt. Ich hätte vieles erwartet, doch sicher nicht dies.

Santino trat näher und Sergio überließ ihm respektvoll den Stuhl. Der Anführer der Sippe setzte sich und schaute mich eingehend an, was mich ganz nervös machte. Seine Augen schienen mir bis auf den Grund meiner Seele schauen zu können. Seine Miene blieb unbeweglich. Unmöglich zu sagen, was er dachte. Dieser Mann war wirklich Furcht einflößend. Vielleicht war an den Geschichten über Raub, Mord und Vergewaltigung doch was dran. Sergio könnte ja eine Ausnahme darstellen, aber dieser finstere Barbar war jemand, dem ich alles zutrauen würde. Eine scheinbare Ewigkeit schwieg Santino, dann lehnte er sich plötzlich vor und ich wich unwillkürlich auf meinem Lager zurück.

„So, dein Name ist Liz“, stellte Santino fest. „Wie kommt es, das du in Männerkleidung unterwegs bist? Was hast du ausgefressen, hä?“

Ich schluckte nervös und schaute Sergio unsicher an. Der lächelte mir aufmunternd zu und nickte. Er schien nicht besonders beunruhigt zu sein. Vielleicht wirkte sein Vater schlimmer, als er war, dachte ich hoffnungsvoll.

„Ich bin geflohen“, begann ich mit leiser Stimme.

„Wovor? Oder vor wem?“, wollte Santino wissen.

„Vor ... vor meinem Vormund.“

„Eine Frau hat zu gehorchen. Ihren Eltern oder ihrem Vormund und später ihrem Ehemann“, polterte Santino und schaute mich tadelnd an.

„Das habe ich ja. Doch dann hat er versucht mich ... er wollte mich zwingen ...“, ich brach in Tränen aus.

Vergessen war die Angst vor diesem wilden Zigeuner. Was sollte er mir tun? Nichts konnte schlimmer sein, als das, was mir zu Hause blühte.

„Dann ist er ein charakterloser Schwächling. Ein Mann, der mit einem Weib nur zurechtkommt, wenn er ihr Gewalt antut, ist ein Schwächling. Ein Sinti hat sein Weib auch so im Griff“, erregte sich Santino.

„Ja, so wie du Mama im Griff hast“, warf Sergio lachend ein und erntete dafür einen vernichtenden Blick.

„Schweig!“, brüllte Santino. „Deine Mutter ist ein Teufelsweib! Sie würde ihrem Henker noch hochmütig Befehle erteilen!“

Santinos Stimme war ein lautes Poltern, aber er konnte ein leises Grinsen nicht verbergen und seine Augen funkelten amüsiert.

Ich war neugierig geworden. Was für eine Frau musste Sergios Mutter sein, wenn sie einem Mann wie Santino Befehle erteilte? – Ein Teufelsweib! So einer Frau war ich noch nie begegnet. Meine Mutter war ruhig und sittsam gewesen, immer folgsam gegenüber dem Ehemann. – Ja, eine Frau, die es mit ihrem Gatten aufnahm, sich ihm offen entgegen stellte, hatte ich noch nicht erlebt.

„Also, du kannst einstweilen hier bei uns bleiben, aber du darfst dich nicht allein aus dem Lager entfernen. Schlaf jetzt noch ein wenig. Morgen fahren wir weiter.“

Mit diesen Worten verließ Santino den Wagen, ohne sich noch einmal umzudrehen.

„Siehst du, ich hab es ja gesagt. Er hält sich an Großmutter Anetas Worte“, sagte Sergio, als sein Vater gegangen war.

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass er dein Vater ist?“, fragte ich vorwurfsvoll.

Sergio zuckte mit den Schultern und schenkte mir ein entschuldigendes Lächeln.

„Hätte es einen Unterschied gemacht? Niemand hat Einfluss auf ihn, außer Großmutter Aneta und meine Mutter.“

„Wie ist sie?“, wollte ich neugierig wissen.

„Wer? – Meine Mutter?“

„Ja!“

Sergio lächelte amüsiert.

„Sie ist das, was mein Vater gesagt hat. – Ein Teufelsweib. – Wenn mein Vater eine Entscheidung trifft, die ihr nicht zusagt, dann macht sie ihm das Leben zur Hölle. Und sie verweigert sich ihm, was ihn noch rasender macht, dann tut er alles, was sie will, nur um wieder in ihrer Gunst zu stehen.“

„Aber er könnte sie doch zwingen, wo er doch so groß und stark ist“, wandte ich ein. Ich hatte noch nie gehört, dass eine Frau es wagte, ihrem Ehemann die ehelichen Rechte zu verweigern.

„Meine Mutter hat ihm einmal gedroht, dass sie ihn dann im Schlaf entmannen würde“, erklärte Sergio grinsend.

Ich riss ungläubig die Augen auf. So etwas zu sagen, hätte meine Mutter sich bei ihrem Gatten nie getraut. Allein schon, an so etwas nur zu denken.

„Du solltest jetzt wirklich noch ein wenig schlafen. Morgen fahren wir weiter, in einer Woche wollen wir unseren Sommerplatz erreicht haben. Dort bleiben wir die nächsten drei Monate. Du stehst jetzt unter unserem Schutz“, sagte Sergio.

*****

Am nächsten Morgen machte ich endlich auch Bekanntschaft mit Großmutter Aneta. Ich erwachte von einem melodischen Gesang in einer Sprache, die ich nicht kannte. Ich schlug die Augen auf und erblickte eine sehr alte Frau, die damit beschäftigt war, Kräuter aus verschiedenen Säckchen in eine Kanne zu füllen. Sie stand mit dem Rücken zu mir, also konnte sie noch nicht gesehen haben, dass ich wach war. Was sollte ich tun? Mich wieder schlafend stellen oder sie einfach ansprechen?

„Guten Morgen. Hast du gut geschlafen?“, fragte die Alte unvermittelt.

Ich setzte mich erstaunt auf.

„Woher weißt du, dass ich wach bin? Du kannst mich doch gar nicht sehen, wenn du mir den Rücken zukehrst.“

„Oh, ich brauche nichts zu sehen“, sagte Großmutter Aneta und drehte sich zu mir um.

Ich erschrak, als ich die blinden Augen der Alten sah.

Großmutter Aneta kicherte amüsiert. Sie brachte mir einen dampfenden Becher Tee und setzte sich in den Stuhl. Eine Weile schwieg sie und ich hatte trotz ihrer blinden Augen das Gefühl, als würde sie mich beobachten. Vielleicht tat sie es – auf ihre Weise.

„Ich kann zwar schon seit Jahren nichts mehr sehen, aber ich habe andere Fähigkeiten“, sagte Großmutter Aneta nach einer gewissen Zeit und lächelte.

„Du bist Großmutter Aneta“, stellte ich fest. Es gab keinen Zweifel daran, wer sie war. Wenn ich je eine Weise Frau gesehen hatte, dann diese weißhaarige Alte mit ihren unheimlichen, blinden Augen.

„Richtig mein Kind. Wer hat dir von mir erzählt? Ivo oder Sergio? – Nein, Ivo war es sicher nicht. Er hat sich in seinem Wagen verkrochen, weil er dem Schicksal nicht in die Augen sehen will.“

Ich erinnerte mich, dass Sergio davon erzählt hatte, dass Großmutter Aneta der Meinung war, ich wäre „Schicksal“. Was hatte es nun wieder mit dem Schicksal von diesem Ivo, wer war das überhaupt?, auf sich?

„Sergio hat es mir erzählt. – Wer ist Ivo?“

„Sergios großer Bruder. Er ist ein guter Mann, nur ein wenig – schwierig. Er hält sich für schlauer als seine alte Großmutter und stärker als das Schicksal, aber er irrt sich.“ Wieder kicherte die Alte. „Alles wird sich zusammenfügen, was zusammengehört.“

Was meinte die Alte nur damit? War es immer so bei weisen Frauen, dass sie in Rätseln sprachen?

„Komm, zieh dich an und dann gehen wir zusammen zu den Anderen. Du musst etwas essen, bevor wir aufbrechen.“

„Wo sind meine Sachen?“, fragte ich, als ich sah, dass sie nicht mehr dort lagen, wo sie gestern noch gelegen hatten.

„Die brauchst du nicht mehr“, sagte Großmutter Aneta und zeigte auf ein blaues Kleid mit schwarzer Stickerei auf dem Oberteil. „Das ist für dich.“

„Das kann ich doch nicht …“, wandte ich abwehrend ein.

„Ach Unsinn! – Komm, es wird dir gewiss gut zu Gesicht stehen. Zieh es an, ich bin schon gespannt.“

Ich wollte gerade sagen, dass Großmutter Aneta es doch nicht sehen konnte, ob es mir stand, besann mich dann aber schnell. Es wäre unhöflich, die alte Frau auf ihre Blindheit anzusprechen.

„In Ordnung, ich probier es an“, gab ich mich geschlagen und schwang mich aus dem Bett.

Das Kleid passte mir wie angegossen. Das Mieder saß perfekt und der weite Rock umschmeichelte meine schlanke Gestalt.

„Es ist wunderschön“, sagte ich und ich meinte es auch. Obwohl der Stoff nicht so kostbar war, wie ich es sonst gewohnt war, so war doch der Schnitt tadellos und die Nähte sauber und ordentlich.

Großmutter Aneta tastete mich mit den Fingern ab. Mir war das ein wenig unangenehm, aber ich hielt trotzdem still. Ich wollte die alte Frau nicht beleidigen. Obwohl sie mir noch immer etwas unheimlich war, so begann ich doch, Sympathie für sie zu entwickeln.

„Ja, es ist wie für dich gemacht“, sagte die Alte schließlich zufrieden. „Nun komm, ich habe Hunger und wir wollen die Anderen nicht warten lassen.“

Der Unbezähmbare

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