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KAPITEL 3 PAPAS MÄDCHEN

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Eine meiner ersten Kindheitserinnerungen ist ein Rennen, das mein Vater zwischen mir und meinem Bruder zu veranstalten pflegte.

Sonntags, wenn Mutter das Haus putzte, ging Paps immer mit uns raus. Dann fuhr er mit uns zum Sportplatz einer Highschool, wo er sich mitten auf den Platz stellte, während wir eine Art Staffellauf machen mussten, bei dem wir immer wieder hin und her liefen.

Ich hasste es.

Damals war ich so unglaublich mädchenhaft, dass ich weinte, wenn ich draußen spielte und mich schmutzig machte.

Also konnte ich es auch nicht ausstehen, mit meinem Bruder um die Wette zu laufen. Zwar gab ich mein Bestes, doch mein Bruder gewann jedes Mal. Das Schlimme daran war, dass er etwa zwei Jahre jünger ist als ich und mich damals trotzdem immer um Längen schlug.

„Toll machst du das, Kleines. Gib, was du kannst“, rief mein Vater mir zu.

Ein paar Jahre später, ich war sieben und mein Bruder fünf, beschlossen unsere Eltern, uns beide in einem Fußballverein einzuschreiben.

Ich wollte aber nicht Fußball spielen, ich wollte lieber steppen. Ich liebte das Steppen und schlief sogar in meinen Steppschuhen. Es war etwas, das mir unheimlich gefiel. Das Klicken der Schuhe, die Kleidung. Wenn du einmal ein paar Monate trainiert hattest, dann durftest du bei einer Aufführung mitmachen, und das bedeutete wiederum, dass du Make-up tragen durftest, eine neue Frisur bekamst und dieses glitzernde Gewand tragen konntest, Dinge, zu denen du als Siebenjährige normalerweise nie gekommen wärst. Ich hatte schon immer ein Faible für alles, was mit Glamour zu tun hat. So liebte ich Soul Train, eine TV-Show mit farbigen Tänzern, die zu Funkmusik tanzten, und vor allem ihre glitzernden Outfits, die sie dabei trugen. Es war einfach toll.

Es dauerte nicht allzu lange, bis mein Vater zum Coach für das Fußballteam meines Bruders bestellt wurde und beschloss, auch mein Team zu coachen. Doch ich war keine besonders gute Teamspielerin. Während die anderen das Feld rauf und runter liefen, saß ich an der Seitenlinie, da ich nicht dreckig werden wollte, und weigerte mich lautstark zu spielen. Irgendwann gab ich dann nach, doch ich hasste es. Ich hasste es, zu laufen.

Da ich im Dezember geboren bin, war ich immer die Jüngste im Team. Ich war elf Jahre alt, als ich in das 12+ Team kam. Als ich 13 war, waren die anderen Mädchen alle 14 oder 15. Sie waren älter und größer, und ich kam mir immer viel kleiner und schwächer vor.

Etwa zur selben Zeit meldete mich mein Vater in einer Softballliga an und übte mit mir im Garten. Eines schönen Tages blendete mich die Sonne, und der Ball traf mich genau auf der Nase, da ich ihn nicht gesehen hatte.

Das jagte mir so einen Schrecken ein, dass ich eine Angst vor Bällen im Allgemeinen entwickelte. Wenn ich also Fußball spielte und der Ball auf mich zukam, drehte ich mich immer weg. Mit der Zeit verabscheute ich jegliche sportliche Betätigung.

Paps versuchte weiter, über den Sport eine Verbindung zu mir herzustellen. Es dauerte Jahre, viele Jahre nach seinem Tod, ehe ich erkannte, wie sehr er mich beeinflusst hatte.

XXX

Einmal, als ich ins Wohnzimmer kam und hoffte, dass meine Eltern mich in Ruhe lassen würden, lief gerade eine Sendung über den Western States 100, damals der bekannteste Ultramarathon des Landes, im Fernsehen.

„He, Catra, komm einmal kurz her“, sagte mein Vater.

Ich war noch nicht ganz ein Teenager damals, aber knapp dran, und ich hasste das Laufen noch immer. Ich hasste auch das Fußballspielen. Ich sah, wie sich mein Vater irgendetwas im Fernsehen über Läufer ansah. Warum will er, dass ich mich zu ihm setze?

„Sieh dir diese Läufer an“, sagte er. „Die laufen den ganzen Weg von Squaw Valley bis nach Auburn.“

Na und, dachte ich mir.

„Cool, Paps“, sagte ich nicht gerade enthusiastisch.

Als ich so dasaß und den Läufern zusah, dachte ich mir, dass sie in ihren kurzen Hosen und mit den Brillen wie eine Horde Streber und Nerds aussahen. Viele von ihnen sahen auch so aus, als wären sie total erschöpft und am Rande eines Zusammenbruchs.

XXX

Mein Vater wurde nicht als Athlet geboren. Meine Großeltern waren sehr wohlhabend und Großvater sehr streng. Und so durfte er nur eine Handvoll Sportarten ausüben. Für meinen Großvater waren nur Tennis und Golf akzeptabel. Er schien niemals mit dem zufrieden zu sein, was mein Vater tat. Paps ging zur Armee, doch Großvater war dagegen. Großvater liebte Golf, mein Vater nicht. Auch war mein Großvater nicht einverstanden, als Paps mit meiner Mutter, einer kleinen Italienerin mit einem Dutzend Brüder und Schwestern, ausging und sie dann sogar heiratete. Für ihn kam sie aus armen Verhältnissen, und er wollte, dass sein Sohn jemanden aus der besseren Gesellschaft heiratet. So machte es sich mein Vater zur Aufgabe, immer das Gegenteil von dem zu tun, was sein Vater tat. Er war ein supernetter Kerl.

Später, als mein Bruder seine Liebe zum Fußball entdeckte, beschloss unser Vater, dass er ihn dabei unterstützen und auch selbst ernsthaft Sport betreiben würde. Es war ein weiterer Schritt, sich von seinem eigenen Vater zu unterscheiden.

Paps las alles, was er über Fußball in die Finger kriegen konnte. Einige Jahre später wusste er bereits so viel darüber, dass er selbst ein Handbuch schrieb, wie man Burschenteams coacht.

Damit er als Fußballtrainer arbeiten konnte, musste er aber auch selbst spielen, und deshalb ging er laufen.

Mein Vater nahm regelmäßig an 5K- und 10K-Rennen teil und lief Halbmarathons. Dazu nahm er auch meinen Bruder mit. Sie liefen oft auf den Mission Peak hinauf, einen kleinen, aber beliebten Hügel am Rande der Stadt. Mein Bruder war zwar noch recht jung, doch er lief auch die Halbmarathons zusammen mit Paps.

Ich selbst wollte nichts davon wissen.

XXX

In der siebenten Klasse zogen wir in eine andere Gegend, wo ich keine Freunde hatte. Am ersten Tag in der neuen Schule stand ich ganz allein an der Bushaltestelle, wie immer, und die anderen Mädchen sprachen mich an. Sie wurden meine neuen Freundinnen. Das waren ziemlich wilde Kids, und sie alle hatten Geld, doch sie hatten auch ältere Schwestern, das war ziemlich cool. So hingen wir eben zusammen herum.

Das erste Mal, dass ich wirklich in Schwierigkeiten geriet, war, als ich 13 Jahre alt war und beim Ladendiebstahl erwischt wurde. Von da an ging es langsam bergab. Mein Vater redete mir nur ins Gewissen, aber meine Mutter hätte mich am liebsten umgebracht.

Im Jahr darauf begann ich zu rauchen. Ich war noch zu jung, um Nachtclubs zu besuchen, also ging ich zusammen mit meinen Freundinnen auf die Rollschuhbahn, wo wir im Raucherbereich rauchten. Das war auch etwa die Zeit, in der ich begann, Alkohol zu trinken und mich für Jungs zu interessieren. Meine beiden älteren Schwestern halfen uns, an Alkohol zu kommen. Mit der Zeit lernte ich auch, wie ich mich in Nachtclubs hineinschmuggeln konnte, indem ich ein falsches Alter angab. Ich sagte, ich wäre 16, doch ich sah nicht wie 16 aus. Ich war klein und dünn, doch die Türsteher ließen mich hinein, da meine Freundinnen älter aussahen. Aufgrund meines Verhaltens entfernte ich mich emotional immer mehr von meinem Vater, doch er war immer nett zu mir. Manchmal fuhr er mich sogar zu diesen Clubs, selbst wenn meine Mutter es mir nicht erlaubt hatte.

Damals wollte ich so wenig wie möglich mit meinen Eltern zu tun haben. Mein Vater konnte richtig peinlich sein, und es war mir unangenehm, wenn er in der Nähe war, während ich mich mit Jungs unterhielt. Dann kam er herüber und begann mit dem Jungen zu reden. Ich hasste das. Meinem Vater war das egal. Ich denke, er sah ein, dass Teenager gewisse Phasen durchmachten und es prinzipiell in Ordnung war, solange sie dabei nicht außer Kontrolle gerieten. Außerdem waren meine Eltern damals mehr mit Peggy und ihrem Drogenproblem beschäftigt.

Meine Schwierigkeiten wurden größer, weil ich nun auch begann, die Schule zu schwänzen. Ich wollte nur noch Party machen, und außer meinem eigenen Vergnügen interessierte mich nichts. Ich ging in einen Laden, suchte mir ein Outfit aus und bat dann eine Freundin, es für mich zu stehlen. Sie war so gut darin, dass nicht einmal ich es mitbekam, wie sie es klaute. Das ging für einige Zeit so weiter.

Als ich 17 war, bat ich meinen Vater um etwas Geld, um mir neue Klamotten damit zu kaufen. Doch Paps weigerte sich, es mir einfach so zu geben. Er meinte, ich bekäme erst Geld von ihm, wenn ich gewisse Aufgaben erledigen würde. Aber ich wollte keine Aufgaben übernehmen oder erledigen. Also sagte er, dass er mir Taschengeld geben würde, wenn sich meine Schulnoten verbesserten. Ich war wütend und schrie, wie sehr ich ihn dafür hasste. Dann ging ich auf mein Zimmer.

Es sollten die letzten Worte sein, die ich zu meinem Vater sagte.

XXX

Ich erinnere mich noch, wie Paps am nächsten Morgen aufstand, um zur Arbeit zu fahren. Ich ging in die Schule und danach shoppen. Ein wenig Geld hatte ich noch übrig, und ich musste mir noch ein Paar Schuhe abholen, die ich mir zurücklegen hatte lassen. Es war ein Tag wie jeder andere.

Dann rief mich Patty an und sagte, dass Paps im Spital sei. Bereits einen Monat zuvor war er wegen Brustschmerzen ins Spital gefahren, wo ihm die Ärzte sagten, dass er wahrscheinlich chronisches Sodbrennen hätte, was aber nicht so tragisch wäre, da man das in den Griff bekommen könne.

Als ich dann zu Hause ankam, rief meine Mutter an. Vater war tot.

Ich fuhr zum Krankenhaus und erinnere mich nur mehr daran, dass ich unter Schock stand. Schließich war ich noch so jung und kannte niemanden aus meinem näheren Umfeld, der gestorben war. Der Tod war etwas, das anderen Menschen zustieß. Ich betrachtete seinen Körper. Er sah nicht tot aus, sondern so, als schliefe er.

Meine Mutter weinte, und meine Tante versuchte sie trösten. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich stand da wie angewurzelt.

Mein Bruder stand völlig unter Schock und starrte nur vor sich auf den Boden.

Wie ich später herausfand, hatte mein Vater wieder Brustschmerzen verspürt, und sein Doktor meinte, er solle ins Spital fahren. Mein damaliger Freund hatte gerade seinen Führerschein gemacht und fuhr meinen Vater und meinen Bruder ins Spital.

Nach etwa eineinhalb Kilometern Fahrt erlitt mein Vater einen Herzstillstand. Er krümmte sich und konnte nicht mehr atmen. Mein Bruder versuchte, ihn mittels Herzmassage wiederzubeleben. Doch es half nicht.

Am Tag des Begräbnisses konnte ich es gar nicht fassen, wie viele Leute da waren. In der Kirche gab es nur mehr Stehplätze. Einige der Anwesenden hatten Trauerreden vorbereitet, in denen sie voll Lob darüber sprachen, was für ein guter Mensch er war und wie sehr er andere inspiriert hat.

An jenem Tag lernte ich viel über meinen Vater, Dinge, die ich davor nicht gesehen hatte.

Die Fußballmannschaft meines Bruders legte einen unterschriebenen Ball in seinen Sarg. Das war wundervoll.

Wir alle trauerten. Mutter war völlig verloren, und sie musste nun auch wieder arbeiten gehen. Mein Bruder, der seinen Vater sterben gesehen hatte, war besonders still. Und ich wusste nicht, was ich ohne die lenkende Hand meines Vaters mit meinem Leben anfangen sollte. Meine Mutter war noch immer wie benommen und lenkte sich mit ihrer Arbeit ab.

Nur einige Monate nachdem mein Vater gestorben war, ich war noch immer 17, flog meine beste Freundin von der Schule. Ich beschloss, zusammen mit ihr auf eine andere Schule zu gehen. Doch die Idee mit der neuen Schule funktionierte nicht, und ich entschloss mich dazu, mit der Schule aufzuhören und eine Ausbildung als Friseurin und Kosmetikerin zu machen. Das war keine schlechte Entscheidung, wie sich herausstellen sollte. Ich war eine gute Friseurin, und ich hatte einen guten Job. Ich konnte nebenbei Drogen nehmen und arbeiten.

Aber es würde noch Jahre dauern, bevor ich meine Liebe zum Laufsport entdecken sollte. Davor musste ich erst noch in einem Frisiersalon arbeiten und drogenabhängig werden, verhaftet werden und von den Drogen loskommen. Ich war auf der Suche nach etwas, das mir helfen sollte, die Drogen endgültig zu vergessen. Und am Ende meiner Suche sollte das Laufen stehen.

Mein ganzes Leben lang sollte ich an jenen Moment denken. Es war eine wunderbare Erinnerung an meinen Vater, wie er während meiner verkorksten Teenagerjahre versuchte, eine engere Beziehung zu mir aufzubauen. Das ist auch der Grund, warum ich denke, dass Paps so wie einer dieser älteren Läufer geworden wäre, vielleicht sogar jemand, der die Rennen mit mir bestritten hätte. Ich glaube auch, dass ich deswegen zum Laufsport gefunden habe. Ich war auf der Suche nach etwas, was mir helfen sollte, nie mehr rückfällig zu werden, und selbst so viele Jahre danach kommt es mir vor, als wäre mein Vater noch da und erteilte mir ungewollte Ratschläge und half mir, etwas zu finden, das ich dringend brauchte.

Catra Corbett: Wiedergeburt

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