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KAPITEL 5 DÜNNER MIT JEDEM BISSEN

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Ich war neun, als ich meine erste lebensverändernde Entscheidung traf.

Mein Vater probierte die verschiedensten Dinge aus, um Geld zu verdienen. Meine Schwester und ich waren Mitglieder von 4H, einer internationalen Jugendorganisation, und inspiriert von den Kursen, die wir dort besuchten, kam er auf die Idee, bei einer Nutztierauktion neun junge Ochsen zu kaufen. Er wollte sie mästen und dann wiederverkaufen.

Mein Liebling war ein weißer Ochse, so weiß wie die Wolken, die am blauen Himmel über unserem Haus standen. Die anderen acht jagten mir Angst ein, doch aus irgendeinem Grund beruhigte mich die Farbe dieses einen Ochsen. Ich fühlte ich mich sicher in seiner Nähe, denn er war auch sehr zahm. Er kam immer zu mir und ließ sich streicheln, tätscheln und umarmen. Ich nannte ihn Charlie, und wir hatten ihn für knapp ein Jahr. Er war der letzte Ochse, den wir bei uns hatten.

Als ich eines Tages von der Schule nach Hause kam, führte mich mein Bruder zu der Gefriertruhe in der Garage, in der wir unsere Fleischvorräte aufbewahrten.

„He, schau einmal in die Gefriertruhe hinein“, sagte er zu mir.

Ich sah, dass sie bis zum Rand hin gefüllt war.

„Was ist damit?“, fragte ich.

„Das ist Charlie, da drinnen“, sagte er.

Ich war am Boden zerstört.

Danach wollte ich kein Fleisch mehr essen, das mir meine Eltern gaben, denn es würde sich um Charlie handeln. Ich wollte mein Haustier nicht essen. Charlie war so zahm und freundlich gewesen, ihn zu essen wäre nicht richtig gewesen. Es wäre grausam gewesen, dies einem so sanften Tier anzutun. Ich würde Charlie nicht essen. Ich würde überhaupt keine Tiere mehr essen.

Meine Mutter, eine großartige Köchin, sollte sich schon bald über die sehr wählerische Ernährung ihrer Tochter Sorgen machen. Allerdings sollte es auch nicht das letzte Mal sein, dass sie sich darüber sorgen musste.

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Meine beiden älteren Schwestern waren sehr hübsch. So ist es auch kein Wunder, dass ich bereits in sehr jungen Jahren auch so sein wollte wie sie und mich hübsch, glamourös und sexy herausputzte.

Ich war ja immer nur das kleine Mädchen. Ich wollte älter sein. Schon damals, in den 1970er-Jahren, in denen ich aufwuchs, waren die meisten Schauspielerinnen rank und schlank und die Models sogar noch dünner. Das war der Look, wenn man glamourös und sexy sein wollte. Da ich die Kleider liebte, die sie trugen, schien die Botschaft, die vermittelt wurde, folgende zu sein: Wenn du die gleichen Kleider tragen willst, musst du auch so aussehen wie sie. Du musstest aussehen, als wärst du am Verhungern.

Damals gab es nur Schwarz oder Weiß. Es gab keine Models für Übergrößen, so wie heute. Wenn du dünn warst, warst du hübsch, und wenn nicht, dann warst du hässlich, zumindest nahm ich es damals so wahr. Eines Tages brachte mir eine Freundin aus der Highschool einige Schokoladeprodukte mit, die den Appetit zügelten. Ich aß sie, denn ich wusste nicht, dass Schokolade diesen Effekt haben könnte, und ich mochte Schokolade. Doch ich aß sie auch, weil ich so aussehen wollte wie diese Models.

Ich war überhaupt kein übergewichtiges Kind. Aber dünn zu sein war in Mode, und obwohl es leicht ist, die Schuld dafür der Gesellschaft zu geben, so war es doch genau diese Botschaft, die meine Essstörung verursachte. Ich weiß, dass viele Mädchen mit ihrem Aussehen kämpfen und deswegen Diät halten und nicht an einer Essstörung erkranken. Doch die Mädchen, mit denen ich mich herumtrieb, waren davon besessen, dünn zu sein. Diese Obsession blieb an mir hängen. Die Idee, dass ich einem bestimmten Typ Frau gleichen müsste, wurde mir eingepflanzt. Ich brauchte Jahre dafür, diese fixe Idee wieder aus dem Kopf zu bekommen und mich davon zu erholen.

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Als ich begann, mit Jungs auszugehen, wurde alles noch viel schlimmer. Mein erster fester Freund Jim und ich betranken uns immer, wenn wir zusammen waren. Wir waren 19 und gingen jedes Wochenende in die Clubs und tranken. Als wir dann nach Hause fuhren, begannen wir meist lautstark zu streiten. Jedes Mal trennten wir uns, nur um uns gleich danach wieder zu versöhnen. Es grenzte schon an Quälerei, doch damals fanden wir das ungeheuer romantisch.

Während unserer Streitereien beleidigte Jim mich immer wieder. Er nannte mich fett und sagte, ich würde furchtbar aussehen. Um also weiter Gewicht zu verlieren, griff ich rasch zu Abführmitteln.

Schließlich trennten sich Jim und ich endgültig, doch ich hatte seine Beschimpfungen noch immer im Kopf. Also fand ich eine neue Methode, um abzunehmen. Ich begann damit, Drogen zu nehmen. Meth war großartig, um Gewicht zu verlieren, da es meinen Stoffwechsel auf Hochtouren brachte.

Als ich bei Jason einzog, entdeckte ich dort eine Waage. Ich hatte noch niemals eine Waage gehabt. Ich war ganz besessen davon. Es war eine sehr ungesunde Entdeckung für mich, denn die Waage trug so wie vieles andere zu meiner Krankheit bei.

Bevor ich mit den Drogen angefangen hatte, wog ich etwa 55 Kilo, doch als wir bei Jasons Eltern einzogen, war ich auf 50 Kilo unten. Die Drogen wirkten sich bereits auf meine Essstörung aus. Ich musste gar nicht einmal versuchen, dünn zu sein. Aufgrund des Meths erhöht sich der Stoffwechsel, weswegen man es auch Speed nennt, und als ich abhängig davon wurde, blieb ich oft zwei oder drei Nächte am Stück auf, tanzte, arbeitete und sauste herum wie ein aufgeladenes Elektron. Wenn ich einmal so drauf war, dann aß ich auch selten etwas. Und so purzelten die Pfunde munter weiter, ohne dass ich etwas dazutun musste.

Nachdem ich die Badezimmerwaage gefunden hatte, begann ich, mit einer Freundin um die Wette zu fasten. Wenn sie 49 Kilo hatte, dann musste ich auf 48,5 kommen. Dann aß ich für zwei Tage nichts und kam auf 48 Kilo und war unheimlich stolz.

Als ich dann das erste Mal unter 45 Kilo fiel, freute ich mich irrsinnig. Dass mich das alles langsam, aber sicher umbringen würde, war mir allerdings nicht bewusst.

Dann setzten meine monatlichen Blutungen aus. Gelegentlich sah ich auch Sternchen, wenn ich nach längerem Sitzen aufstand. Meine Knochen standen unter der Haut hervor, und als ich dann verhaftet wurde, wog ich gerade noch 42 Kilo.

Nach meiner Verhaftung hörte ich mit den Drogen auf, doch ich hatte nicht die mentale Stärke, gesund zu werden. Ich hatte keine Ahnung, wie man sich richtig ernährt. Außerdem hatte ich nicht mit dieser niederschmetternden Depression gerechnet, die Hand in Hand mit dem Drogenentzug und meinem neuen Leben ging. Ich aß, wenn ich traurig war, und an manchen Tagen wollte ich nicht einmal aufstehen. Ohne Drogen, Ernährungsplan und Antrieb stieg mein Gewicht wieder. Nach meinem Selbstmordversuch nahm ich sogar zehn Kilo zu.

Ich sprang von 42 auf 52 Kilo. Das hört sich nach viel an, doch 52 Kilo waren ganz normal für jemanden mit meiner Größe. Sogar etwas zu wenig. Doch ich verfiel in Panik.

So fing ich also an, Sport zu betreiben, sogar bis zu dreimal täglich. Zusätzlich fand ich heraus, dass ich eine Soja- und Weizenunverträglichkeit hatte, was einige Magenprobleme löste und mir half, mich vegan zu ernähren. Der Unterschied war spürbar. Ich fühlte mich besser. Das Gewicht reduzierte sich aufgrund meiner neuen Lebensweise wieder auf natürliche Weise. So wie man eigentlich abnehmen sollte.

Doch ich verlor immer weiter Gewicht, und je mehr ich verlor, desto weniger aß ich. Ich aß weniger und verlor mehr Gewicht, was mich wieder dazu inspirierte, weniger zu essen. Ich war in einem Teufelskreis gefangen.

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Als ich mit dem Laufen begann, schaukelte sich das schnell zum Marathon hoch, aber ich fühlte mich nach fast jedem meiner Trainingsläufe furchtbar, vor allem nach den Dauerläufen über lange Distanzen. Doch ich nahm an, dass dies der Sinn der Sache war. Immerhin läufst du auf den langen Strecken schon einmal drei oder vier Stunden. Wer fühlt sich danach nicht furchtbar?

Als ich dann mehr lief, verlor ich noch schneller an Gewicht. Jeden Tag aß ich Obst, bis ich nur mehr drei Äpfel am Tag zu mir nahm.

Das positive Feedback, das ich bekam, machte alles nur noch schlimmer. Kevin, mein Trainingspartner und späterer Freund, war ein netter Bursche. Er half mir und war immer lieb zu mir. Doch seine Unterstützung förderte meine Essstörung weiter. Er machte mir immer Komplimente, wenn ich abgenommen hatte.

„Süße, du siehst großartig aus“, sagte er zu mir, als die Pfunde purzelten. Ich aß nicht und wurde dafür von Kevin mit Komplimenten bedacht, und dann lief ich diese Rennen und fühlte mich großartig.

Wie damals Jim förderte er damit meine Essstörung. Gut gemeinte Worte können den gleichen Schaden anrichten wie gemeine.

Am Ende meines ersten Marathons hatte ich 43 Kilo.

Ich nahm Abführmittel, um mein Gewicht unter 45 Kilo zu halten.

Den Leuten fiel es bereits auf, als sie die Knochen durch meine Haut sehen konnten. Sie sagten, ich sehe krank aus. Also legte ich mir eine Ausrede zurecht, und es war eine Antwort, die ich immer dann benutzte, wenn mich jemand auf mein Gewicht ansprach.

Ich war Veganerin und Läuferin.

Aufgrund meiner Arbeit besuchte ich oft Partys, wo man mir immer etwas zu essen anbot. Doch ich lehnte dankend ab und erklärte, ich sei Veganerin. Wenn sie meinten, dass ich etwas unterernährt aussah, sagte ich, dass ich viel laufen gehe. Läufer sehen nun einmal so aus.

Wieder setzte meine Periode aus, und meine Ärztin warnte mich eindringlich davor, noch mehr Gewicht zu verlieren. Schließlich fragte sie mich, ob ich unter einer Essstörung litt.

Nein, antwortete ich. Ich war Veganerin und ging laufen.

Auch meine Therapeutin sah mich einmal an und fragte mich, ob ich Probleme mit dem Essen hätte.

Nein, antwortete ich. Ich war Veganerin und lief.

Schon bald wurde diese Phrase zu einer Ausrede, die ich mir selbst einredete. Ich musste mir keine Sorgen machen, wenn ich mich nach einem langen Lauf elend fühlte, selbst als ich für Ultramarathons trainierte. Ich ernährte mich ja vegan und war Läuferin. Ich musste mir keine Gedanken darüber machen, dass mein Körper rebellierte. Ich aß ja vegan und lief viel.

Ich brauchte mich auch nicht darum zu sorgen, was andere über mich dachten. Ich musste mir keine Sorgen über diese nagenden Gedanken in meinem Hinterkopf machen, dass dies eine andere Form der Sucht war und ich, wenn ich mir nicht bald Hilfe suchte, daran sterben könnte.

Ich war Veganerin und Läuferin. Doch ich war auch eine Frau in den Fängen einer anderen Art von Sucht. Die Genesung würde Therapie, Zeit und die gleiche Willensstärke in Anspruch nehmen, die ich aufbringen musste, um meine Ultramarathons zu überstehen.

Catra Corbett: Wiedergeburt

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