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Empfang am anderen Ufer

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Als das weiße Schiff dem Hafen langsam näher kam, konnte Gino ihn schon von weitem erkennen, denn er ist ein großer Mann mit einer sehr aufrechten Körperhaltung. Nachdem das Schiff festgemacht hatte, rumpelte der Junge mit seinen beiden Rollkoffern die Aluminiumrampe hinunter auf den Anleger. Der Großvater drückte ihn kurz an sich und wuselte ihm mit einer Hand über das Haar. Gino nahm den ihm vertrauten Geruch eines Pfeifentabaks wahr. Wieder wollten in ihm Tränen aufsteigen, aber er biss sich tapfer auf die Lippen. Sein Opa nahm sich einen der Koffer und sagte nur „Na, komm.“ Er ging voran, um gleich darauf wieder bei einem freien Tisch vor dem italienischen Eiscafé anzuhalten. „Wir setzen uns hier erst einmal in aller Ruhe hin.“ Sie bestellten sich ein gemischtes Eis und einen Eiskaffee. Der alte Mann war kein Freund von vielen Worten und kam meist schnell auf den Punkt. So auch jetzt, nachdem er an seinem Getränk genippt hatte.


„Sonja hat mich erst vor kurzem informiert, dass du herkommst. Zunächst war es auch für mich eine Überraschung, aber nach einigem Nachdenken fand ich die Idee gar nicht so übel.“ Gino sah in die ehrlichen blauen Augen des alten Mannes und nickte. Er war froh, dass wenigstens sein Opa jetzt hier bei ihm war. Seine Gegenwart hatte auf ihn schon früher immer sehr beruhigend gewirkt. Der Vater seiner Mutter hatte ihm immer das Gefühl gegeben, dass er den Jungen genauso ernst nimmt, als wäre er ein Erwachsener.


„Sie hatten noch an ein Internat in Lausanne und an eines in Italien gedacht“, fuhr der alte Herr ruhig fort, „sich aber dann für dieses hier am Schlossberg entschieden. Dein Vater kennt die Rektorin und vielleicht spielt es ja auch eine kleine Rolle, dass ich hier wohne.“ Er konnte sich natürlich vorstellen, warum sein Schwiegersohn die Schulleiterin kennt, denn es ist ihm wohl bekannt, dass der es mit der ehelichen Treue nicht so genau nimmt, aber seine Tochter hatte sich scheinbar irgendwie mit den sonderbaren Gegebenheiten ihrer Ehe arrangiert.


Der Junge nickte wieder und rührte in seinem Eisbecher herum, dessen Inhalt sich langsam zu verflüssigen begann. „Pass auf, das wird schon“, hörte er noch, dann war Schweigen. Wie immer an den Sommertagen herrschte ein reges Treiben hier im Hafengebiet, besonders wenn die Ausflugsschiffe an- oder ablegten. „Woll’n wir?“, fragte der Großvater, nachdem der Eisbecher leer und auch der Kaffee ausgetrunken war. Gino nickte langsam, atmete tief durch und dann standen die beiden auf.


Sie gingen bis zum Parkplatz und luden das Gepäck in einen alten Geländewagen. Gino hat es immer toll gefunden, dass sein Opa so ein uriges Auto fuhr – nämlich einen betagten dunkelgrünen Land Rover – einen Direktimport aus England, der sogar Lenkrad auf der rechten Seite hatte. Den kaufte er einem englischen Soldaten ab, als der in seine Heimat zurückbeordert wurde. Und das war lange bevor solche Wagen hier allgemein als chic galten. Sie fuhren die kurze Strecke hinauf zum Schlossberg. Dort befand sich das Internat in unmittelbarer Nachbarschaft des anderen großen Gymnasiums oberhalb der Ufermauer. Im Garten des Gebäudes hantierte ein Mann in einer grünen Latzhose mit einer großen Harke. Er hatte ein kariertes Hemd an und auf dem Kopf trug er einen mächtigen Strohhut. Als der Jugendliche und der Ältere aus dem Wagen stiegen und das Gepäck ausluden, kam er auf sie zu und streckte ihnen zur Begrüßung seine Hand entgegen. „Willkommen, ich bin Michael und hier der Hausmeister“, sagte er freundlich. Der Großvater nickte und legte seine Hand auf Ginos Kopf. „Das ist mein Enkel Gino Bertani, er zieht heute hier ein und ich bin Clemens Berger.“ „Sie kommen mir irgendwie bekannt vor.“ Der Gärtner musterte die Ankömmlinge aufmerksam. „Ja, sie mir auch, ist ja kein Wunder, denn ich wohne hier im Ort“, murmelte der Großvater. „Genau – deshalb – ah ja. Ich hole gleich mal den Felix.“ Fragend schauten die beiden Besucher ihn an. „Ach so ja, also Felix ist der Zimmerkollege von dir.“ Michael nahm die beiden Koffer in seine großen Hände, ganz so, als ob sie nichts wiegen würden und trug sie in das Gebäude.


Gino und sein Opa schauten sich abwartend an und blieben mitten in dem großen Garten stehen. „Viel zu tun hier“, sagt der Großvater mit Kennerblick, während er sich interessiert umschaute. Da kam der Hausmeister auch schon wieder und hinter ihm her trottete ein blasser Junge mit struppigen blonden Haaren, beide Hände in den Taschen seiner Jeans versenkt. „Das ist Gino, das ist Felix.“ Der Mann in der Latzhose lächelte die beiden Jungen aufmunternd an. Die begrüßten sich mit einem kurzen ‚Hallo‘ und standen dann, sich etwas verlegen musternd, herum.


Sein Opa gab Gino einen leichten Klaps auf die Schulter. „Also, ich geh‘ dann mal. Mach‘s gut mein Junge. Wenn du mich brauchst, weißt du ja wo du mich findest. Ade Herr …“ „Sagen sie einfach Michael. Das gilt übrigens auch für dich, Gino.“ Der Großvater nickte dem Felix auch noch kurz zu, wandte sich um und verließ langsam das Gelände, ohne sich noch einmal umzudrehen. „Die Koffer sind schon auf deinem Zimmer, lass dir am besten alles von Felix zeigen, o.k.?“ Der Hausmeister klopfte beiden freundlich auf die Schulter und widmete sich wieder seiner Arbeit.

Das Internat am Schlossberg

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