Читать книгу Mörder sind keine Engel: 7 Strand Krimis - Cedric Balmore, Alfred Bekker, Frank Rehfeld - Страница 25
Оглавление15
Sie hatte Lust, sich zu betrinken, aber sie wusste, dass sie sich das nicht leisten konnte. Sie war hundemüde, die Vernehmungen hatten sie ebenso erschöpft wie die Risiken, die plötzlich an allen Ecken und Enden lauerten, aber sie fühlte sich trotzdem auf seltsame Weise unverwundbar. Sie war für die anderen immer noch Joyce Finch, eine Dame der Gesellschaft, eine junge Schönheit mit erstklassiger Adresse, eine Lady vom Battery Park.
Zugegeben, der Captain glaubte ihr kein Wort, das hatte sie gespürt, aber er hatte dem Haftrichter gegenüber eher zurückhaltend taktiert und nicht darauf bestanden, sie einzulochen.
Wer weinte schon um Bruce Copper? Und wer um Jessica?
Eine Ratte war vernichtet worden, das war alles. Natürlich waren Folgeerscheinungen zu erwarten, aber die ließen sich managen, wenn man nur den Nerv hatte, das Geschehen im Griff zu behalten. Und diesen Nerv hatte sie! Jessica war tot, und Leslie hatte versagt, aber sie, Joyce Finch, war entschlossen, einigermaßen ungeschoren aus dem Tohuwabohu herauszubekommen, sie hatte jedenfalls bewiesen, dass sie nichts umwerfen konnte.
Ohne Zweifel war es ein Fehler gewesen, Bount Reiniger mit den Details zu versorgen, die er noch nicht gewusst hatte, aber das war eher ein taktisches Versagen gewesen, entstanden aus der Hoffnung, den Detektiv durch rückhaltlose Offenheit für sich gewinnen zu können.
Zum Glück klang die Geschichte so haarsträubend, dass sie am Ende für Reiniger zum Bumerang werden konnte: Niemand würde ihm glauben, und ein paar fixe Jungens von der Presse würden ihm sicherlich unterstellen, das Ganze nur erfunden zu haben, um sich von einer drohenden Mordanklage befreien zu können.
Reiniger befand sich immer noch in der Defensive. Auch wenn Latham und Brother keine Zeugen waren, auf die die Anklage stolz sein konnte, waren sie juristisch eindeutig ihrem Gegner überlegen.
Es war fast Morgen, als Joyce Finch schlafen ging. Sie nahm vorher den Telefonhörer ab, weil sie keine Lust verspürte, vom Klingeln des Apparates gestört zu werden. Als sie sich hinlegte, musste sie daran denken, welches Gesicht Bruce Copper gezogen hatte, als die Waffe in ihrer Hand ihm den Tod signalisiert hatte. Joyce Finch lächelte, grimmig und zufrieden.
Sie erwachte gegen elf Uhr morgens und hörte, dass das Mädchen im Haus war. Mary besaß einen Schlüssel, sie schlief außerhalb und arbeitete täglich von acht bis sechzehn Uhr. Joyce Finch legte den Hörer auf die Gabel zurück und widmete sich ihrer Toilette, danach bat sie Mary darum, das übliche Frühstück zu servieren.
Joyce Finch las die Zeitungen, die Mary ihr bereitgelegt hatte. Correggios Tod hatte für dicke Schlagzeilen gesorgt, während Jessicas Ende nur mit wenigen Zeilen auf den hinteren Seiten kommentiert wurde. Die große Stadt war mit dem großen Morden vertraut und hatte gelernt, ihre Bedeutung nach dem Wertmesser der Verkäuflichkeit einzuordnen.
Joyce Finch verließ das Haus gegen zwölf Uhr dreißig. Sie ging zu der nahen Tiefgarage, in der sie ihren Lancia abgestellt hatte, dann fuhr sie hinaus nach Hillcrest, wo sie gegen dreizehn Uhr vierzig eintraf.
Sie wusste, dass dies keine Besuchszeit war, aber sie hatte nicht die Absicht, in ihrer jetzigen Lage auf Fragen der Etikette zu achten.
Unterwegs hatte sie mehrere Umwege gemacht und sich vergewissert, dass ihr niemand folgte. Als sie auf den Knopf am Portal des Grundstücks Harpers Lane 13 drückte, suchte ihr Blick vergeblich nach einem Namensschild. Konstantin Andreous bewies auch mit diesem Detail, wie wenig er es schätzte, gekannt, begafft oder gar besucht zu werden. Wen er zu sehen wünschte, rief er zu sich, alle anderen taten gut daran, sich seiner Kontaktscheu zu beugen.
„Ja, bitte?“, tönte es aus der Sprechanlage.
„Joyce Finch. Melden Sie mich bitte Mr. Andreous“, sagte die junge Frau.
„Haben Sie einen Termin?“
„Nennen Sie ihm meinen Namen“, sagte Joyce Finch. „Das wird genügen.“
„Moment, bitte.“
Eine Minute später glitt das hohe, schmiedeeiserne Portal fast geräuschlos zur Seite. Joyce Finch kletterte in ihren Wagen und fuhr durch den weitläufigen Park bis vor das große, im Kolonialstil erbaute Haus, dem unschwer anzusehen war, dass es mindestens drei Dutzend Zimmer beherbergte.
Am Eingang des Hauses empfing sie ein Butler. Er führte sie durch eine kühle, riesengroße Halle in ein Arbeitszimmer, dessen Wände deckenhoch mit dicht gefüllten Buchregalen bestückt waren.
Andreous befand sich nicht im Raum, betrat ihn jedoch durch eine Seitentür, als Joyce Finch sich anschickte, einige alte Gemälde zu betrachten, die über dem Kamin hingen.
Konstantin Andreous sah nicht aus wie ein Reeder, zumindest nicht so, wie sich der Durchschnittsbürger einen Mann seiner kommerziellen Statur vorstellen mochte. Er war hochgewachsen und trotzdem bullig, was durch einen etwas kurz geratenen Hals zustande kam, er trug einen schlichten grauen Flanellanzug und hatte ein rundes, glattrasiertes Gesicht mit schütterem Haar und farblosen Augenbrauen. Die Augen waren steingrau, irgendwie flach, wie die eines Fisches.
Er wies auf einen Sessel. „Bitte, Madame.“
Sie setzten sich. Joyce Finch legte die wohlgeformten Beine übereinander und registrierte, dass ihre Gehwerkzeuge von Andreous mit einem prüfenden, fast lüsternen Blick bedacht wurden. „Sie wollten mich umbringen lassen“, kam Joyce Finch geradewegs zur Sache.
Andreous lächelte. „Aber Madame!“
„Das Foto in Hamishs Anzug beweist es.“
„Ich kenne keinen Hamish.“
„Ich habe nicht erwartet, dass Sie sofort die Karten auf den Tisch legen“, sagte Joyce Finch. „Reden wir ganz offen miteinander. In gewisser Weise sind wir quitt. Jetzt geht es darum, zu retten, was noch zu retten ist.“
„Was meinen Sie damit?“
„Ich habe den Mann erledigt, der Ihre Killer tötete“, sagte Joyce Finch. „Sie haben Jessica auf dem Gewissen. In gewisser Weise auch Correggio. Ich weiß, wie alles gekommen ist.“
„Nämlich?“
„Sehen Sie, als es Ihnen gelang, Jessica glauben zu machen, dass Correggio hinter ihre Verschwörung gekommen sei, hatten Leslie und ich unsere Zweifel an dieser Entwicklung. Wir hielten es trotz aller von Ihnen gelieferten Beweise durchaus für denkbar, dass Sie selbst daran interessiert waren, Jessica aus dem Verkehr zu ziehen. Wir brachten Jessica dazu, uns mit Details zu versorgen, gleichsam mit Munition, die dem Zweck dienen sollte. Ihnen notfalls Paroli zu bieten.“
„Ich verstehe kein Wort“, sagte Andreous.
„Jessica war lange Zeit Ihre Vertraute, eine Frau, die aus dem Bankgeschäft stammte und auf deren Rat Sie hörten“, sagte Joyce Finch. „Sie hat nicht nur Latham mit Informationen versorgt, sie hat auch ein paar Fotokopien für uns hinterlassen – für Leslie und mich.“
„In der Tat?“
„Ja. Diese Papiere beweisen, dass Sie mit Correggio krumme Geschäfte gemacht und den Fiskus um ein paar Millionen Dollar betrogen haben. Sie beweisen auch, weshalb Ihnen daran gelegen sein musste, Jessica zu töten, als sie auf den Gedanken gekommen war, sich über Latham Ihrem Geldgeber Correggio mitzuteilen.“
„Kann ich die Kopien einmal sehen?“
„Eine Kopie der Kopie habe ich mitgebracht“, sagte Joyce und öffnete ihre Handtasche. Sie stutzte. „Was ist denn das?“, hauchte sie und brachte eine flache, schwarze Metallkapsel ans Tageslicht.
Andreous sprang auf. Er riss ihr die Kapsel aus der Hand, warf sie zu Boden und zerstampfte sie mit den Füßen. „Ein Minispion“, keuchte er. „Eine Kombination von Mikrofon, Verstärker und Sender! Woher haben Sie das Ding? Wer hört mit?“
„Ich bitte Sie, ich habe wirklich keine Ahnung, wie das Ding in meine Tasche gekommen sein könnte“, sagte Joyce Finch erregt. „Es sei denn ...“
„Nun?“
„Ich bin bis in die frühen Morgenstunden verhört worden“, sagte Joyce Finch. „Das hat mich ganz schön geschafft. Jemand muss mir dabei dieses Mistding in die Handtasche gezaubert haben.“
„Das wäre ungesetzlich“, sagte Andreous, der es endlich geschafft hatte, den Minispion am Boden zu zerstören.
„Ungesetzlich?“ Joyce Finchs Stimme war ein wütendes Schnarren. „Darum kümmern die sich doch einen feuchten Schmutz! Die wollen nur den Erfolg, um jeden Preis.“
„Den wollen wir alle“, sagte Andreous und setzte sich. „Die Kopien müssen vernichtet werden, und zwar schnellstens.“
„Das erledige ich – vorausgesetzt, dass ich entsprechende Garantien von Ihnen erhalte und dass Sie mir versprechen, Bount Reiniger und Leslie Harper auszuschalten.“
„Bount Reiniger habe ich fest im Griff, der dürfte die ihm erteilte Lektion verstanden haben“, sagte Andreous, „aber was ist mit Leslie?“
„Sie stellte sich mir in den Weg, als ich Reiniger fertigmachen wollte. Ich habe sie niedergeschossen. Sie könnte auf den Gedanken kommen, sich rächen zu müssen. Sie weiß so viel wie ich.“
Die Tür wurde aufgestoßen. Ein paar Männer traten über die Schwelle. Zwei von ihnen trugen Uniform und hielten ihre Dienstwaffen in den Händen, die anderen beiden waren in Zivil.
„Captain Rogers“, sagte einer der Zivilisten. „Dies ist mein Freund Bount Reiniger. Ihnen, Mrs. Finch, brauchen wir uns ja nicht vorzustellen.“
Joyce Finch erhob sich. Sie begann plötzlich zu zittern. Sie wusste, dass es aus war.
Aus und vorbei. Sie blickte hilfesuchend auf Konstantin Andreous. Der erhob sich seltsam langsam und schwerfällig, als sei er sich plötzlich seines Alters und der Last jener Verbrechen bewusst geworden, für die er verantwortlich zeichnete.
„Ich sage kein Wort, ohne vorher meinen Anwalt konsultiert zu haben“, erklärte er spröde.
Bount nahm Joyce Finch die Handtasche ab.
„Das Ganze war meine Idee“, sagte er. „Mir und Captain Rogers war klar, dass Sie versuchen würden, mit Andreous Kontakt aufzunehmen. Wir konnten darauf verzichten, Ihnen mit dem Wagen zu folgen. Es genügte, hier draußen auf Sie zu warten und im richtigen Moment in das Haus einzudringen. Den Anfang Ihres Gespräches mit Mr. Andreous haben wir selbstverständlich über den Minispion mitgehört.“ Er entnahm der Handtasche eine zusammengefaltete Fotokopie und überreichte sie dem Captain. „Verstehen Sie etwas davon?“, fragte er.
Toby Rogers schüttelte den Kopf. „Das ist etwas für unsere Wirtschaftsexperten“, sagte er. „Ich kümmere mich nur um mein Geschäft, und das besteht nach wie vor darin. Killern das Handwerk zu legen.“
Joyce Finch streckte den Männern mit trotziger Miene die Arme entgegen. „Wollen Sie mir keine Handschellen anlegen?“, fragte sie.
Captain Rogers verzog keine Miene. „Mit Ihnen werden wir auch so fertig“, sagte er.