Читать книгу Torn apart - Zerrissen zwischen zwei Männern - Cedrina Lautenfeld - Страница 7

Wiedersehen mit Michael

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Ihre Landung in Frankfurt war etwas ruppig. Doch Cassandra störte das nicht. Sie war schon viel geflogen und konnte damit umgehen. Auf dem Frankfurter Flughafen wimmelte es von Fluggästen, die in alle Richtungen unterwegs waren. Cassandras Gepäck und das ihrer Eltern war in Hamburg durchgescheckt worden bis Mexiko-Stadt. Daher hatten sie nur ihr leichtes Handgepäck dabei. Ihr Flugzeug nach Mexiko startete erst in einer Stunde. Sie hatten also Zeit genug, um den richtigen Abflugbereich zu finden.

Als sie dann an ihrem Abflugbereich ankamen, warteten schon viele Fluggäste dort. Alle hatten sich auf den, nur für kurze Zeit bequemen, Sitzbänken niedergelassen. Unter den wartenden Fluggästen war auch eine offensichtlich mexikanische Familie. Cassandra hatte am Handgepäck der Mutter eine kleine mexikanische Flagge gesehen. Diese Flagge sah aus wie die von Italien. Doch Cassandra konnte im weiß der Flagge das mexikanische Wappen mit dem Adler, der Schlange und dem Kaktus erkennen. Diese Entdeckung zauberte ihr einen wohligen Schauer über den Rücken. Plötzlich empfand sie so etwas wie Freude und Stolz, wieder in dieses großartige Land fliegen zu können.

Die Kinder der Familie waren ungeduldig und die Mutter versuchte sie zu beruhigen. Ein kleines Mädchen der Familie lächelte Cassandra lange Zeit an und fragte sie dann auf Spanisch, ob sie Spanisch sprechen würde. Als Cassandra auf Spanisch antwortete, plapperte die Kleine fröhlich los. Cassandra machte es sichtlich Spaß sich mit dem Mädchen zu unterhalten. Die Zeit bis zum Abflug verging dadurch sehr viel schneller.

Cassandra und ihre Eltern hatten drei Sitzplätze in der Mitte des Flugzeuges. Cassandra saß wieder am Gang. Neben ihr ihre Mutter und daneben ihr Vater. Cassandra hatte sich einen spannenden Krimi auf Englisch und eine spanische Zeitung zum Lesen mitgenommen. Sobald das Flugzeug seine endgültige Flughöhe erreicht hatte begann sie zu lesen. Es war wirklich ein spannender Krimi. Wäre nicht ab und zu eine Flugbegleiterin vorbeigekommen, hätte Cassandra vergessen können, wo sie gerade war.

Doch auch wenn der Krimi noch so spannend war, das Essen im Flugzeug wollte sie nicht verpassen. Sie hatte zwar nicht wirklich Hunger, aber der appetitliche Duft der warmen Mahlzeit regte dennoch ihre Speichelproduktion an. Cassandra aß langsam und genüsslich. Ihre Gedanken wanderten unwillkürlich zu René. Was er jetzt wohl machte? Hatte er schon zu Abend gegessen? Wie spät war es eigentlich jetzt in Deutschland? Cassandra sah auf ihre Uhr. Sie rechnete.

René müsste schon gegessen haben und würde jetzt schon in seinem Bett liegen. Cassandra grinste bei diesem Gedanken. Sie hatte in seinem Bett gelegen ohne dass etwas passiert war. Ihre innere Stimme hatte sie nicht getäuscht. Sie schloss ihre Augen für einen Moment und sah sein Gesicht vor sich. René hatte ein sehr schönes ebenmäßiges Gesicht. Seine braunen Haare, die dunklen Augenbrauen, die langen Wimpern und seine braunen Augen passten so gut zusammen, dass es ihn unwiderstehlich für sie machte. Sie dachte an seine Lippen, die sie jetzt gern küssen würde und von denen sie so gern geküsst wurde. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. War sie dabei sich in René zu verlieben?

Doch die Frage einer Flugbegleiterin, ob sie einen Kaffee oder einen Tee trinken wollte, riss Cassandra abrupt aus ihren Gedanken. Sie entschied sich für Kaffee, da sie wach bleiben wollte, um ihren Krimi weiter zu lesen. Denn der Film, den es nach dem Essen gab, interessierte sie nicht. Sie laß mit wachsender Spannung in ihrem Buch. Dennoch schlief sie irgendwann ein, erschöpft von den Ereignissen des Tages und dem Schlafmangel der vorangegangenen Nacht.

Als sie wieder aufwachte, lag ihr Krimibuch zusammengeklappt in der Zeitschriftenablage des Sitzes vor ihr. Cassandra wunderte sich. Doch dann erklärte ihr ihre Mutter, dass sie das Buch dort hinein gelegt hatte, als sie bemerkte das Cassandra eingeschlafen war. Ihre Mutter lächelte sie liebevoll an und strich ihr zärtlich über eine Wange. Lissi war mehr als deutlich klargeworden, dass auch Cassandra nicht mehr ihre „kleine“ Tochter war, sondern längst ein eigenständiges und eigenverantwortliches Leben führte.

Lissi dachte an Cassandras Bruder Michael, den sie lange nicht gesehen hatte. Sie freute sich auf ihren Sohn und die Schwiegertochter Maria, die sie in guter Erinnerung hatte. Die beiden Jungen ihres Sohnes, ihre Enkel Pedro und Rafael kannte sie bisher nur als Baby und Kleinkind. Jetzt aber, so hatte Michael in seinem letzten Brief berichtet, sprachen die beiden schon gut Spanisch. Daher hatte Lissi mehrere Volkshochschulkurse besucht, um so gut wie möglich Spanisch zu lernen. Sie hatte ihre Spanisch Lehrbücher mitgenommen und sah sogar jetzt im Flugzeug in ihre Bücher.

Nun fragte sie Cassandra nach einer sprachlichen Feinheit. „Me gusta und quiero heißt doch beides ich mag, oder? Aber wann benutzte ich was?“ Cassandra lächelte und erklärte es ihrer Mutter. „Me gusta kannst Du sagen, wenn Dir zum Beispiel das Essen schmeckt oder Dir ein Bild gefällt. Aber quiero ist viel stärker. Es hat mehr die Bedeutung von lieben. Ich liebe es, etwas zu tun oder mit jemandem zusammen zu sein. Wenn ich sage te quiero, dann bedeutet es sogar ich liebe Dich auf Spanisch.“

Cassandra konnte sehen, dass ihre Mutter diesen Unterschied verstanden hatte. Sie gab ihrer Mutter einen liebevollen Kuss auf eine Wange und sagte, „Mama, ich finde es toll, dass Du Dir die Mühe machst Spanisch zu lernen.“ „Es bleibt mir ja nichts anderes übrig, wenn Michael eine Mexikanerin heiratet und ich mit ihr reden möchte. Ich kann doch nicht erwarten, das Maria extra für mich Deutsch lernt.“

Cassandra nickte zustimmend. Das war eine sehr vernünftige Einstellung ihrer Mutter. Ihr Vater hingegen sprach nur Deutsch und Englisch. Spanisch zu lernen hatte er bisher als nicht notwendig erachtet, da sowohl Michael als auch Cassandra diese Sprache fließend sprachen und er hoffte, weiterhin von den Sprachkenntnissen seiner Kinder profitieren zu können.

Zeit zum Lesen hatte Cassandra nun nicht mehr, denn es gab jetzt Frühstück im Flugzeug. Das Frühstück war lecker und verkürzte die Zeit bis zur Landung in Mexiko-Stadt. Michael würden sie erst morgen treffen. So blieb ein Tag, um zumindest einen Teil der Sehenswürdigkeiten von Mexiko-Stadt, die Cassandra so mochte, noch einmal zu besichtigen.

Die Landung auf dem Flughafen in Mexiko-Stadt war sanfter, als die in Frankfurt am Tag zuvor. Trotzdem war Cassandra froh wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Es dauerte lange bis sie ihre Koffer hatten und die Passkontrolle überwunden war. Doch schließlich standen sie vor dem Flughafengebäude und suchten nach dem Taxi-Service ihres Hotels.

Andere Taxifahrer sprachen sie auf Englisch an und versuchten mit ihnen ins Geschäft zu kommen. Doch Cassandra erklärte ihnen in fließendem Spanisch mit mexikanischem Akzent, dass sie kein Taxi benötigten. Überrascht und mit dem Eindruck auf eine Einheimische gestoßen zu sein, ließen die Taxifahrer von ihnen ab und kümmerten sich um andere potentielle Fahrgäste.

Dann kam das Hoteltaxi. Der Fahrer begrüßte sie, überprüfte ihre Namen und lud in aller Ruhe und mit viel Zeit ihr Gepäck in sein Kleinbustaxi ein. Cassandra grinste als sie die Automarke des Fahrzeuges sah. Es war der gleiche Hersteller bei dem Michael in Puebla arbeitete.

Vom Flughafen ging es nur langsam voran in Richtung Innenstadt und Hotel. In dieser Weltstadt gab es immer viel Autoverkehr, doch sie hatten ausgerechnet die Hauptverkehrszeit erwischt. Cassandra nutzte die Verzögerung, um sich durch die Autofenster die Stadt anzusehen. Es schien sich nichts verändert zu haben, in dieser Stadt, seit sie das letzte Mal, hier gewesen war.

Teile der Stadt sahen für deutsche Augen immer noch unfertig und chaotisch aus. Unzählige kleine und große Straßen zogen an Cassandras Augen vorbei. Sie sah kleine und große Geschäfte und viele Menschen auf den Bürgersteigen. Doch Cassandra machte dieses Gewimmel von Läden, Straßen, Menschen und Autos nichts aus. Sie fühlte sich wohl und konnte sich nicht satt sehen an der Stadt.

Als sie beim Hotel ankamen und endlich ihre Koffer in ihren Hotelzimmern abgestellt hatten, war noch Zeit bis zum Abendessen. Cassandra schlug ihren Eltern vor einen Spaziergang zum Chapultepec Park zu machen, der ganz in der Nähe ihres Hotels lag. Da es für Lissi und Robert die erste Reise nach Mexiko war, verließen sie sich auf die Empfehlung ihrer Tochter. Trotzdem fragte Robert sie neugierig, „wieso willst Du unbedingt in den Chapultepec Park?“ „Papa, dieser Park ist wunderschön und sehr groß. Er ist die grüne Lunge der Innenstadt. Die Mexikaner nutzen ihn als eine Art Naherholungsgebiet. Ich möchte aber auch dahin, weil es dort ein schönes Schloss mit viel Geschichte und einem tollen Blick über die Innenstadt gibt.“ Sie lächelte ihren Vater an. Er lächelte verständnisvoll zurück, denn er kannte das große Interesse seiner Tochter an Geschichte.

„Deine Idee klingt wirklich gut. Wir werden also ein Schloss sehen und einen schönen Park.“ Lissis Interesse war geweckt. Sie lächelte in Vorfreude.

Sie brauchten nicht viel Zeit, um zum Chapultepec Park zu gelangen. Der Park lag in der Innenstadt von Mexico-Stadt und war die einzige größere Grünfläche. Entsprechend viele Mexikaner suchten ihn vor allem am Wochenende auf. Heute war allerdings ein Werktag und so waren nur wenige Mütter und Väter mit ihren Kindern im Park.

Ein See zum Rudern, ein Zoo und Kinderspielplätze waren auf dem großen Gelände verteilt. „Du hast uns nicht zu viel versprochen“, bestätigte Robert seiner Tochter, „der Park ist wirklich schön.“ Lissi nickte zustimmend.

Plötzlich blieb Lissi stehen. „Da sollen wir jetzt heraufgehen?“ Sie zeigte mit dem Finger auf Teile des Schloss Gebäudes, das durch die Bäume, die es umringten, nur wenig zu sehen war. „Ja“, bestätigte Cassandra grinsend. Dann erklärte sie voller Verständnis für die Bedenken ihrer Mutter. „Aber Mama, es gibt eine breite, mit dem Auto befahrbare, Auffahrt zum Schloss. Wenn wir langsam gehen ist das leicht zu schaffen.“ Cassandra sah ihre Mutter aufmunternd an.

„Lissi, das schaffst Du“, ermunterte sie auch ihr Mann Robert. Lissi schaute von Cassandra zu Robert, atmete tief durch und startete den Weg nach oben zum Schloss. Lissi ging gern spazieren, doch möglichst auf ebenen Wegen. Urlaub in den Bergen hatte sie noch nie gemacht. Robert hingegen fuhr nicht nur gern ans Meer, sondern auch gern in die Berge. Doch seit er seine Frau kannte, hatte er nur noch einmal Urlaub in den Bergen gemacht.

„Schön ist es hier“, sagte Lissi noch etwas keuchend. „Das Schloss ist aber klein. Ich hatte es mir größer vorgestellt“, hörte Cassandra ihren Vater sagen. Cassandra ging es genauso. „Stimmt, ich hatte es auch größer in Erinnerung“, bestätigte sie. Dann steuerte sie die Außenanlage des Schlosses an, um den Panoramablick über die Innenstadt zu genießen. Auch hier erwartete sie eine kleine Enttäuschung. „Schade, die Bäume sind gewachsen. Der Blick von hier über die Stadt ist nicht mehr so eindrucksvoll wie beim letzten Mal als ich hier war“, erklärte sie traurig ihren Eltern. „Das macht nichts wir können den Blick trotzdem genießen“, tröstete sie ihre Mutter. An der einen oder anderen Stelle war es möglich zwischen den Bäumen hindurch die Stadt zu sehen. Diese Tatsache versöhnte Cassandra wieder.

„Gehen wir ins Museum?“, fragte sie dann ihre Eltern. „Wir haben noch Zeit“, drängte sie. Ihre Eltern sahen einander an und nickten. Dann kauften sie Eintrittskarten und betraten das Schloss, in dem das Museo Nacional de Historia, untergebracht war. Es beherbergte eine interessante Sammlung zur Geschichte der Mexikaner, die ihren Schwerpunkt in der Erklärung der Zusammenhänge der Ereignisse im 18. und 19. Jahrhundert hatte.

Das historische Schloss lag auf einem Hügel hoch über der Stadt. Es zeichnete sich aus durch einen wunderschönen Panoramablick über die Stadt, den Cassandra gern genoss. Doch nun lächelte sie in Vorfreude auf den Rundgang durch das schöne Gebäude. Vorher jedoch erklärte sie ihren Eltern kurz die wechselvolle Geschichte dieses wundervollen Ortes.

„Im 19. Jahrhundert hatten hier Maximilian von Habsburg, der Bruder von Kaiser Franz Joseph von Österreich und Ungarn und seine Gemahlin, Erzherzogin Carlota, gelebt. Sie bewohnten das Schloss allerdings nur kurze Zeit, da politische Wirren die Regentschaft von Maximilian zum Scheitern verurteilten. Er war ein schwacher Regent, der die wirklichen Machtverhältnisse verkannte und so zum Wohle seiner politischen Gegner geopfert wurde. Seine Regentschaft begann im Mai 1862 als ihm die Nationalversammlung, die von der siegreichen französischen Expeditionsstreitmacht kurz zuvor eingesetzt worden war, die mexikanische Krone anbot. Kurze Zeit später wurden er und seine Gattin, dann zum Kaiserpaar gekrönt. Nach politischen Wirren wurde Maximilian allerdings in Querétaro gefangengenommen und am 19. Juni 1867 hingerichtet. Seine Gattin, Erzherzogin Carlota konnte nach Europa zurückkehren und starb geistig umnachtet einige Jahre später dort.“

Cassandra mochte Geschichte. Die der mexikanischen Nation hatte sie als sehr interessant entdeckt. Während Cassandra sich mit viel Begeisterung Zeit nahm, um einzelne Exponate anzuschauen, begnügten sich ihre Eltern damit eine allgemeine Einführung in diesen Teil der mexikanischen Gesichte zu erhalten. Viel zu früh, Cassandras Ansicht nach, verließen sie wieder das Museum.

Langsam gingen sie, in der späten Nachmittagssonne, die breite Auffahrt zum Schloss wieder herunter. Unten angekommen waren es nur noch wenige Hundert Meter bis zu dem Ausgang des Parks, der sie in Richtung ihres Hotels führte. Außerhalb der Parkbegrenzung umhüllte sie sofort wieder der stetige Geräuschpegel der Großstadt.

Cassandra hatte noch das wunderschöne Kleid von Erzherzogin Carlota vor Augen, als sie wieder, gemeinsam mit ihren Eltern, die Hotellobby betrat. Sie durchschritten die Lobby in Richtung Hotelrestaurant und setzten sich dort an einen Tisch. „ Du kennst Dich doch mit den mexikanischen Speisen aus. Was können wir essen?“, fragte Lissi hungrig. „Ich möchte auf jeden Fall etwas mit Fleisch“, meldete sich auch ihr Vater zu Wort.

Cassandra lächelte geschmeichelt und überlegte kurz, dann bestellte sie für das Abendessen Frijoles, ein Bohnenmouse und Guacamole, einen Avocado Dip, dazu gab es Fleisch mit Paprikagemüse sowie Tortillas satt. Als Getränk bestellte sie ein mexikanisches Bier. Sie freute sich auf den mild herben Geschmack, des mexikanischen Bieres. Doch ihr Vater rümpfte nur die Nase, ihm war das mexikanische Bier nicht kräftig genug. Trotzdem bestellte auch er ein Bier.

Ihre Eltern hatten ihren Essensvorschlag angenommen und so aßen sie alle drei das gleiche. Ihre Mutter lernte die Aussprache einiger Essenszutaten auf Spanisch. „Wie spricht man das Wort für Bohnenmouse noch aus?“ Cassandra lächelte geduldig und sprach es ihrer Mutter noch einmal vor. Ihr Vater freute sich indes über die große Portion Fleisch auf seinem Teller. Beide Eltern genossen ihre Mahlzeit, auch wenn sie ungewöhnlich gewürzt war. Cassandra freute sich, denn auch ihr hatte das Essen geschmeckt.

Einige Zeit später lag Cassandra dann endlich wieder in einem richtigen Bett. Im Flugzeug hatte sie zwar auch geschlafen, aber ihr Nacken und Hals waren noch immer etwas steif von der unnatürlichen Körperhaltung, die sie im Flugzeug eingenommen hatte. Entsprechend freute sie sich als sie am nächsten Morgen erholt und ohne steifen Nacken und Hals aus dem Bett aufstand. Sie duschte und zog sich neue Kleidungsstücke an. Frisch und munter erschien sie am Frühstückstisch. Fröhlich gab sie erst ihrer Mutter und dann ihrem Vater einen Kuss auf die Wange.

„Was möchtet Ihr frühstücken“, fragte sie nun fröhlich lächelnd. Während ihre Eltern dann Toast mit Butter und Marmeladen zum Frühstück bestellten, aß Cassandra Rühreier mit Tomaten, Zwiebeln und Speckstückchen. Sie erhielt eine große Portion und war begeistert. Dazu gab es Kaffee und Fruchtsäfte.

„Ich verstehe nicht wie Du so früh am Morgen schon etwas Herzhaftes essen kannst, Cassandra“, wunderte sich ihre Mutter. „Dieses Rührei mit Speckstückchen liegt das dann nicht viel zu schwer in Deinem Magen?“ fragte Lissi weiter. „Nein, so viel Speck ist es nicht, aber es macht statt. Außerdem schmeckt es gut.“ Ergänzte Cassandra und lächelte zufrieden.

Noch während des Frühstückes machte Cassandra Vorschläge, was sie sich ansehen sollten. Bis zum Nachmittag und dem Moment in dem Michael sie abholen würde, war noch viel Zeit. Lissi und Robert konnten sich für die Besichtigungsvorschläge ihrer Tochter begeistern. Daher verließen sie direkt nach dem Frühstück gemeinsam das Hotel.

Sie nahmen die U-Bahn zum Zócalo. Zwar war Cassandra es durchaus gewohnt mit der U-Bahn zu fahren, doch die Metro, wie die U-Bahn in Mexiko-Stadt hieß, war nicht zu vergleichen mit dem Hamburger Verkehrsnetz. Hier war alles viel größer und weitläufiger und Cassandra musste genau hinschauen, um auch genau in die richtige Metro einzusteigen.

Zum Glück war es schon nach 10 Uhr morgens als sie ihren Ausflug zum Zócalo starteten, daher war die Metro nicht so voll. Sie fuhren nur sieben Stationen mit der Metro. Beim Aussteigen kam ihnen bereits ein warmer Wind entgegen. Trotzdem mussten sie noch einige Flure entlang und Treppen hinaufgehen, bis sie wieder die wärmende Sonne des schönen Tages auf ihrer Haut spürten.

Der Zócalo, der eigentlich „Plaza de la Constitución hieß, lag vor ihnen. Der Platz war für den Autoverkehr gesperrt und so konnten die Menschen ihn, in alle Richtungen überqueren, ohne auf die Autos achten zu müssen. Der Platz wurde eingerahmt durch den Nationalpalast, indem sich auch die Amtsräume des mexikanischen Präsidenten befanden und der in seinem Eingangsbereich riesige Wandgemälde von Diego Rivera aufwies. Daneben erhob sich die beeindruckende Kathedrale von Mexico-Stadt mit zwei Türmen, einer Kuppel und einem mächtigem Eingangsportal. Zwischen Nationalpalast und Kathedrale lag der Platz der drei Kulturen. Eine Ausgrabungsstätte für Monumente aus der Zeit der Azteken. Die verbleibenden beiden Seiten des Platzes wurden von alten Handelshäusern aus der Zeit der Spanier eingerahmt, in denen sich jetzt Restaurants, Geschäfte und Büros eingerichtet hatten.

„Der Platz ist ja riesig“, entfuhr es Robert als er am Rande des Platzes stand. „Stimmt“, bestätigten Cassandra und Lissi wie aus einem Mund. „Nun stell Dir diesen Platz am 16. September vor, wenn die Mexikaner hier ihren Nationalfeiertag begehen. Er ist dann völlig überfüllt mit Menschen, die jubeln und singen.“ Cassandra lächelte als sie sich an den Nationalfeiertag erinnerte, an dem sie in dieser Stadt teilgenommen hatte. Lissi und Robert sahen in Cassandras Gesicht und bemerkten, dass dieses Erlebnis der Teilnahme am Nationalfeiertag einen nachhaltigen Eindruck bei ihrer Tochter hinterlassen hatte.

„Nur gut dass Dir damals nichts passiert ist.“ Bemerkte Lissi. „Bei so vielen Menschen kann immer jemand dabei sein der anderen schadet“, mit ihrem zweiten Satz riss sie Cassandra endgültig aus ihren Erinnerungen. „Aber Mama, Michael war doch bei mir und Du weißt doch, dass er immer gut auf mich aufpasst“, sie lächelte, weil sie sich schon auf den Moment am Nachmittag freut, an dem sie ihren Bruder wiedersehen würde.

Inzwischen hatten sie den Nationalpalast erreicht. Sie durchschritten den vorderen Torbogen und gingen die dahinter seitlich an der Wand gelegene Treppe nach oben zum Wandelgang des 1. Stockwerkes. Die Polizisten am Eingang hatten sie ohne weiteres durchgelassen, da sie ganz offensichtlich nur Touristen waren, die sich die Wandgemälde von Diego Rivera anschauen wollten.

„Das sind also die berühmten Wandmalereien von Diego Rivera. Wer war das noch?“, fragte Robert seine Tochter. „Das war ein Maler, der sich auch politisch engagiert hat“, antwortete Lissi, die stolz war, ihr angelesenes Wissen aus dem Reiseführer weitergeben zu können. „Genau“, bestätigte Cassandra. Dann ergänzte sie, „er war mit Frida Kahlo verheiratet, einer großen mexikanischen Malerin. Ihre Bilder sind gegenständlich und sehr ausdrucksstark. Anfangs war sie seine Schülerin. Dann hat sich Diego in sie verliebt. Sie haben geheiratet. Beide waren künstlerisch sehr aktiv, was zu Streitigkeiten führte. Doch ihre Ehe zum Scheitern brachte ihre Unfähigkeit Kinder zu bekommen und Diegos ständige Untreue. Frida erlitt als junges Mädchen einen schweren Unfall, den sie nur knapp überlebte und an dessen Folgen sie ihr Leben lang litt. Eine Folge des Unfalles war es auch, dass sie keine Kinder bekommen konnte. Sie ließen sich scheiden. Blieben aber ihr Leben lang mit einander verbunden bis Frida starb.“

Beeindruckt von Cassandras Wissen, standen ihre Eltern staunend vor ihr. Dann erklärte Cassandra verschiedene Teile von Diego Riveras Wandmalerei. Es waren Bilder vom Kampf der Azteken gegen die Spanier und weitere Szenen bis zur mexikanischen Revolution in bunten Farben zu sehen. Nachdenklich verließen Cassandra und ihre Eltern dann wieder den Nationalpalast.

Zurück auf der Straße schien ihnen die Sonne auf den Rücken. Nur wenige Touristen kamen ihnen entgegen, als sie in Richtung Platz der drei Kulturen am Zocaló entlang gingen. Zum Platz der drei Kulturen erklärte Cassandra ihren Eltern, dass „1978 durch Zufall bei Bauarbeiten die Überreste von Bauten der Azteken gefunden wurden. Die Ausgrabungen dauern bis heute an. Der Platz hat seinen Namen durch die Überreste der Bauten der Azteken, durch die alte Kirche, die von den Spanier im 16. Jahrhundert erbaut wurde und wegen der neueren Gebäude aus dem 20. Jahrhundert.“ Sie lächelte ihre Eltern fröhlich an. Es machte ihr sichtlich Spaß, sich als Stadtführerin zu betätigen. „Ich hätte meinen Reiseführer gar nicht lesen brauchen“, protestierte Lissi scherzhaft, als Cassandra ihre Erklärungen beendet hatte. Cassandra lächelte stolz und unbeeindruckt von ihrem Protest.

„Gut Lissi, dann erzähl uns doch etwas über die Kathedrale, die wir gleich sehen werden“, sagte Robert ein bißchen provokativ. Lissi nickte. Auf dem Weg zur Kathedrale zitierte sie dann aus ihrem Reiseführer. „Sie wurde 1573 von den Spaniern erbaut, über den Ruinen mehrerer kleiner Tempel ….“ Lissi stoppte. In ihrem Reiseführer stand nichts davon, dass die Kathedrale auch von außen durch ein stützendes Gerüst umgeben war. Sie schaute von ihrem Mann zu ihrer Tochter, dann las sie weiter vor, stoppte aber erneut.

„Wenn wir jetzt in die Kathedrale hinein gehen, werden wir sofort die stützenden Metallpfeiler, die überall im Mittelschiff der Kathedrale aufgestellt worden sind, sehen. Die Innenstadt von Mexiko-Stadt, die von den Einheimischen nur D.F. Districto Federal genannt wird, war von den Spaniern auf trockengelegtem Sumpfgebiet erbaut worden. Diese Tatsache rächte sich nun, indem schwere große Gebäude wie die Kathedrale einseitig in den weichen Unterboden absackten.“ Lissi beendete ihr vorlesen und alle drei betraten die Kathedrale. Obwohl Cassandra nicht religiös war, so war sie doch erneut, genauso wie ihre Eltern, von der Schönheit, der hervorragenden künstlerischen Ausgestaltung und der enormen Größe der Kathedrale beeindruckt.

Die helle Sonne blendete sie als sie wieder auf den Bürgersteig vor der Kathedrale traten. Cassandra war froh in diesem Moment ihre Sonnenbrille zur Hand zu haben. Zu Fuß schlenderten sie nun weiter die Avenida de 5 de Mayo entlang in Richtung Palacio de Bellas Artes. Der Palacio de Bellas Artes, der Palast der schönen Künste, war das Opernhaus der Stadt. Cassandra konnte sich an einen wunderbaren Abend in diesem Gebäude erinnern, an dem sie gemeinsam mit Michael eine Aufführung gesehen hatte. Das Opernhaus konnte sich in Punkto architektonischer Schönheit von innen und außen mit den großen Opernhäusern in Wien und Paris messen.

Gleich neben dem Gebäude begann der Alameda Park. Ein, im Vergleich zum Chapultepec Park, kleiner Park, der es nur mit Mühe schaffte, die Geräusche der Großstadt zu filtern und seinen Besuchern ein bißchen Ruhe zu gönnen. Hier im Park kaufte Cassandra für ihre Eltern und sich jeweils eine Cola. Dann setzten sie sich alle auf eine, der vielen Holzbänke und tranken genüsslich, das kühle koffeinhaltige Getränk.

Nach dieser Stärkung verließen sie den Park und überquerten die breite Avenida de 5 de Mayo, um zum Torre Latinoamericana, dem Lateinamerikanischen Turm, zu gelangen. Sie fuhren zur Aussichtplattform hinauf und genossen den Rundum-Panoramablick auf die Weltstadt. Auch wenn Cassandra schon viele Male hier oben gewesen war, war sie doch jedes Mal wieder von diesem Blick überwältigt. Dieser Blick und diese Stadt zogen sie in ihren Bann, Gegenwehr war sinnlos.

Verträumt blickte Cassandra durch die dicken Scheiben der Aussichtsplattform des Turmes. Sie liebte diese Stadt und dieses Land mit all seinen Menschen und Eigenheiten. Noch nie war ihr das so bewusst gewesen wie in diesem Moment. Dann holte sie ihre Mutter in die Gegenwart zurück, als sie laut staunte, „eindrucksvoll dieses Häusermeer und der weite Blick bis zum Horizont“. „Siehst Du wie klein die Leute und die Autos auf der Straße sind? Es sieht alles aus wie Spielzeug“, meinte ihr Vater. „Ich verstehe wieso Du diese Stadt so magst. Sie ist so vielseitig, so beeindruckend und überwältigend“, ließ sich Lissi vernehmen.

Robert nickte zustimmend und sichtlich beeindruckt von dem was er sah. „Mir fehlen die Worte, Cassandra, ich bin überwältigt von diesem Blick“, sagte ihr Vater leise in ihre Richtung. Sie sahen die Türme der Kathedrale und die kupferfarben schimmernde Kuppel des Monumento de la Revolución, des Monuments der mexikanischen Revolution. Darüber hinaus war das moderne Geschäftsviertel mit den Banken und der Börse von Mexico-Stadt gut zu erkennen. Bis zum Horizont sahen sie nur Gebäude und Straßen und natürlich die Berge, die die Stadt seit jeher an ihrer Ausdehnung hinderten und den Piloten beim Anflug auf die Stadt viel Können und Konzentration abverlangten.

Cassandras Vater schaute auf die Uhr und drängte plötzlich zum Aufbruch. Der Fahrstuhl brachte sie schnell zum Erdgeschoß und in die Nähe des Ausganges des Turms. Von dort waren es nur wenige Schritte zur Metro. Es war kurz nach 16 Uhr nachmittags, aber die Metro bot noch Platz zum Sitzen.

Cassandra blieb die wenigen Stationen bis zum Hotel, in der Metro stehen, während ihre Eltern sich setzten. Sie dachte noch einmal an das, was sie soeben noch von dieser riesigen und beeindruckenden Stadt gesehen hatte. Sie war begeistert und sehr beeindruckt. Mexico-Stadt hatte sie wieder in ihren Bann gezogen. In ihren Gedanken war sie mit der Stadt fest verbunden.

Beinahe hätten Cassandra und ihre Eltern die richtige Haltestelle verpasst, doch zum Glück schaute Cassandra noch rechtzeitig auf die Haltestellenschilder. Sie stiegen aus und erreichten über mehrere Treppen wieder das Tageslicht. Zum Hotel waren es nur wenige Schritte.

Als sie in der Hotellobby ankamen, wartete Michael schon auf sie. Cassandra erblickte ihren Bruder und lief ihm entgegen. Sie umarmte ihn so stürmisch, dass er sich mit ihr in seinen Armen drehte. Auch Michael freute sich sehr seine kleine Schwester, wie er Cassandra gern liebevoll nannte, wieder zu sehen. Voller Freude berichtete Cassandra ihm, welche Sehenswürdigkeiten sie heute besucht hatten und wieviel Freude ihr der erneute Besuch in dieser Stadt gemacht hatte. Michael sah im Gesicht seiner Schwester, wie sehr sie der Aufenthalt in dieser Stadt bewegte. Sie trug genau wie er den Mexiko-Virus in sich. Seid sie beide die spanische Sprache beherrschten wie ihre Muttersprache, waren sie der Faszination dieses Landes erlegen.

Michael freute sich Cassandra, die nicht nur seine jüngere Schwester war, sondern auch eine Seelenverwandte, wieder bei sich zu haben. Er küsste sie auf eine Wange und umarmte sie lange. Ihre Eltern standen daneben und freuten sich, dass sich ihre Kinder trotz der langen Trennung immer noch so gut verstanden.

Nach der herzlichen Begrüßung durch Cassandra waren jetzt ihre Eltern dran. Lissi umarmte ihren Sohn zu erst. Tränen der Freude rannen dabei über ihr Gesicht. Sie war so froh und glücklich ihren Sohn gesund und munter vor sich zu sehen, dass ihre Gefühle mit ihr durchgingen. Michael wischte vorsichtig die Freudentränen seiner Mutter aus ihrem Gesicht und küsste sie auf beide Wangen. Dann schaute er sie an. Seine Mutter war noch immer schlank wie eh und je. Nur die Falten in ihrem Gesicht hatten sich vermehrt und sie hatte ein paar graue Haare mehr bekommen, was man aber bei ihren immer noch naturblonden Haaren kaum sah.

Vater Robert begrüßte seinen Sohn mit einem Handschlag und kräftigem Klopfen auf eine Schulter. Er sah ihn mit Stolz an und freute sich genauso wie seine Frau, seinen Sohn gesund und munter vor sich zu haben.

Gemeinsam trugen sie dann kurze Zeit später die Koffer in Michaels Wagen. Er hatte extra für den Besuch von Cassandra und seinen Eltern einen Kleinbus seines Arbeitgebers gemietet. Der Bus bot Platz für acht Personen und deren Gepäck. Alle stiegen ein und Michael steuerte den Bus langsam vom Parkplatz des Hotels auf die Hauptstraße. Geschickt schlängelte er sich mit dem Bus durch den dichter werdenden Feierabendverkehr der mexikanischen Hauptstadt bis er die Abfahrt Richtung Puebla erreichte.

Michael konzentrierte sich ganz auf den Straßenverkehr und trotzdem durchfloss ihn ein wohliges Glücksgefühl. Seine kleine Schwester, Cassandra, die fünf Jahre jünger war als er, war wieder bei ihm und auch seine Eltern hatten sich erfolgreich auf den weiten Weg zu ihm gemacht. Michael strahlte vor Freude und Vorfreude auf die drei Wochen die jetzt vor ihnen lagen.

Seine Freude konnte auch nicht durch einen zu forschen mexikanischen Autofahrer getrübt werden, der ihm dreist die Vorfahrt nahm. Michael kannte die Fahrweise mancher Mexikaner. Nach all der Zeit in diesem auch für ihn immer noch exotischen Land, hatte er sich daran gewöhnt und pochte schon lange nicht mehr auf deutsche Korrektheit.

Die Autofahrt von Mexico-Stadt nach Puebla dauerte länger als üblich, da sich der Stau der Großstadt weit in die Vororte ausgedehnt hatte. Mit den letzten Sonnenstrahlen erreichten sie Puebla und das Haus von Michael. Er hatte eine Art Reihenhaus mit Garten in einem guten Wohnviertel von Puebla gekauft und wohnte nun mit Maria, seiner mexikanischen Ehefrau und seinen beiden Söhnen Pedro und Rafael in eben diesem Haus. Das Haus hatte drei Schlafzimmer, eine Galerie und ein Bad im Obergeschoß sowie Küche, Duschbad, Arbeitszimmer und Wohn- und Esszimmer im Erdgeschoß. Der Garten hatte eine Terrasse und war groß genug, damit Michaels Söhne Fußball spielen konnten. Vor dem Haus befand sie ein Stellplatz für den Bus. Ein kleines Auto der gleichen Automarke wie der Bus, stand auf dem Rasen daneben. Vorsichtig parkte Michael den Bus auf dem Stellplatz.

Nachdem er endgültig angehalten hatte, stiegen alle aus. Michael und Robert kümmerten sich um das Ausladen des Gepäcks und Cassandra und Lissi gingen auf die Haustür zu, die bereits weit geöffnet war. Maria und ihre Söhne kamen ihnen freudig strahlend entgegen. Maria umarmte erst Lissi sehr herzlich und begrüßte sie auf Spanisch. Lissi brachte nur ein kleinlautes „Hola“ zustande, strahlte aber dafür über das ganze Gesicht. Das sie glücklich war ihre Schwiegertochter zu sehen, bedurfte daher keiner Worte.

Nun war Cassandra an der Reihe. Auch sie wurde von ihrer Schwägerin liebevoll umarmt. Die beiden Frauen redeten umgehend auf Spanisch mit einander und Cassandra fühlte sich sofort wohl im Kreis von Michaels Familie. Dann stand plötzlich José vor ihr. Maria stellte ihn als ihren älteren Bruder vor und lächelte verschwörerisch. Sie hoffte, dass Cassandra und José sich mögen würden und sich dann vielleicht mehr daraus ergeben könnte.

José lächelte und begrüßte Cassandra mit einem Kuss auf eine Wange. Er lächelte sie so begeistert an, dass es für Cassandra nur die Flucht nach vorn gab, um eine peinliche Situation zu vermeiden. Sie fragte ihn in fließendem spanisch und mit einem charmanten Lächeln, ob er für den gleichen Arbeitgeber arbeiten würde wie Michael.

José war dankbar für ein Gesprächsthema. Er plauderte fröhlich darauf los und erzählte Cassandra so viel wie möglich von seiner Ausbildung und seiner Tätigkeit bei seinem deutschen Arbeitgeber. Während er redete schaute er Cassandra ganz genau an. Sie war noch viel schöner als auf dem Foto, das Michael ihm gezeigt hatte. Ihre blonden Haare, die blauen Augen, ihre Lippen, einfach bezaubernd und sehr reizvoll. Ihre helle Haut war bereits ein wenig gebräunt.

Es fiel José schwer eine blonde Strähne, die über ihrer Schulter hing nicht anzufassen. Er war in Versuchung nicht nur ihr Haar, sondern auch ihre Schulter und ihre Haut zu berühren. Schon nach wenigen Minuten, die er Cassandra kannte zog sie ihn magisch an. Sie war so attraktiv und so sexy, dass es José schwer fiel seine Augen von ihr zu nehmen.

Maria bemerkte als erste, das ihr Bruder von Cassandra begeistert war. Sie grinste und ließ die beiden allein.

José war nervös. Daher redete und redete er, während er heftig mit Cassandra flirtete. Cassandra war bewusst welche Wirkung sie auf ihn hatte. Sie fühlte sich geschmeichelt, war aber auch etwas verunsichert, da es ihr schwer fiel auf Josés offenbar starke Zuneigung zu reagieren. Er mochte sie, dass war ihr sofort klar. Doch fühlte sie sich bedrängt von so viel Aufmerksamkeit von seiner Seite.

Maria kündigte an, dass sie in kürze das Abendessen für alle servieren würde. Diese Ankündigung gab Cassandra die Gelegenheit, sich zumindest für kurze Zeit, der Aufmerksamkeit von José zu entziehen. Sie fragte nach dem Bad und er zeigte es ihr. José wurde bewusst, dass er ihr nicht die Möglichkeit gegeben hatte, sich nach der langen Autofahrt zumindest die Hände zu waschen. Er entschuldigte sich mit einem charmanten Lächeln und ließ sie ins Bad verschwinden.

Im Bad atmete Cassandra auf. Ein Moment der Ruhe tat ihr gut. Michael hatte sie zwar in seiner letzten E-Mail vor ihrem Abflug gewarnt, dass sein Schwager schon voller Begeisterung auf ein Kennenlernenn mit ihr wartete. Doch dass dieser Schwager sie dann gleich so vereinnahmen würde, nein damit hatte sie nicht gerechnet.

Sie wusch sich die Hände und auch das Gesicht. Dann kämmte sie sich ein paar der verwuselten Locken aus der Stirn und lächelte ihr Spiegelbild an. Sie seufzte laut. Es sah ganz nach einem anstrengenden Aufenthalt aus, sollte sie José nicht dazu bringen können, ihr etwas weniger Aufmerksamkeit zu schenken. Immerhin aber, schien er trotz allem auf den ersten Blick ganz nett zu sein.

José begrüßte Cassandras Eltern auf Englisch, da er wusste, dass sie kein Spanisch sprachen. Umso erstaunter war er als Lissi ein paar Worte auf Spanisch zu ihm sagte. Er lächelte sie erfreut an und antwortete langsam und deutlich in seiner Muttersprache. An Lissis Lächeln sah er, dass sie ihn verstanden hatte. Freundlich und charmant begleitete er die Schwiegereltern seiner Schwester auf die Terrasse, wo Maria auf einem großen und breiten Holztisch bereits alles für ein leckeres mexikanisches Abendessen bereitgestellt hatte.

Als Cassandra das Bad wieder verließ, wurde sie von ihren beiden Neffen bestürmt. Sympathie auf beiden Seiten sorgte für ausgelassenes Geplauder der Kinder mit Cassandra. Die Kinder stürmten mit ihr in den Garten und wollten testen, ob sie als deutsche Frau genauso gut Fußball spielen konnte wie die Männer. Cassandra hatte zwar lange nicht Fußball gespielt, doch war sie lange Jahre Trainingspartnerin von Michael gewesen, der Mitglied in einem Fußballverein gewesen war. Michael war damals so Fußball verrückt gewesen, dass er auch zu Hause ständig spielen musste. Daher trainierte er seine jüngere Schwester zu einer guten Fußballspielerin.

Cassandra überlegte nicht lange. Sie zog ihre Sandalen aus und spielte mit den Jungen Fußball im Garten. Sie war froh eine Jeans zu tragen, als sie mit einem Bein die Mauer berührte, die den Garten begrenzte. Die Jeans hatte jetzt eine raue Stelle, nicht aber ihr Bein. Durch den Lärm, den die Kinder machten, hatten sie die Aufmerksamkeit aller anwesenden Erwachsenen.

José achtete jedoch nur auf Cassandra. Sie machte geschmeidige Bewegungen und trickste die Jungen immer wieder aus, wie ein brasilianischer Fußballprofi. Er freute sich, dass sie gut mit Kindern umgehen konnte. Er mochte seine Neffen und wollte selber Kinder haben. Cassandra würde eine gute Mutter sein. Da war er sich jetzt schon sicher.

Cassandra hatte viel Spaß beim Fußballspiel mit ihren Neffen. Dennoch freute sie sich als Maria ihr Spiel abrupt beendete. Die Jungen meckerten zwar, befolgten aber umgehend die Anordnung ihrer Mutter. Sie gingen ins Haus, wuschen sich Gesicht und Hände und setzten sich dann zu allen anderen an den Tisch.

José setzte sich so neben Cassandra, dass er ihr Gesicht sehen konnte und trotzdem dicht bei ihr war.

Michael gratulierte seiner Schwester für ein großartiges Spiel. Er freute sich, dass sie nichts von dem verlernt zu haben schien, was er ihr vor Jahren beigebracht hatte.

Maria hatte sich sehr viel Arbeit mit der Zubereitung verschiedener mexikanischer Leckereien gemacht. Der Tisch quoll über mit Dingen wie Frijoles, Guacamole, Salza verde, Mole con pollo, papas asadas und weiteren Fleischgerichten und Gemüse. Für die Erwachsenen gab es mexikanisches Bier oder Wein aus Argentinien. Die Kinder tranken Saft oder Limonade.

Cassandra versuchte von allen Gerichten, die auf dem Tisch standen zumindest einmal zu probieren. Das Essen schmeckte ihr so gut, dass sie mehr aß als sonst. Die Tatsache, dass sie während des Essens vom spanischen ins deutsche und zurück übersetzte, sorgte glücklicher Weise dafür, dass es ihr möglich war kleine Pausen zwischen den einzelnen Gerichten einzulegen.

Cassandra machte es viel Spaß sprachlich zwischen Deutsch und Spanisch hin und her zu übersetzen. Sie war ganz in ihrem Element und bemerkte nicht, wie José all ihre Bewegungen und Äußerungen genau registrierte. Er versuchte weiterhin mit ihr zu flirten, doch er erlangte nicht die erhoffte Aufmerksamkeit von ihr.

Es war spät geworden und nachdem Maria, die Jungen ins Bett gebracht hatte, saßen alle Erwachsenen bei Kerzenschein und Ölfackeln weiterhin am Tisch und tranken noch etwas Wein oder Bier. Lissi versuchte sich auf Spanisch bei Maria zu bedanken für das tolle Abendessen, bevor sie und Robert auch ins Bett gingen.

Nun saßen nur noch Cassandra, José, Michael und Maria am Tisch. José nutzte die Gelegenheit, um Cassandras ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er flirtete wieder mit ihr und brachte das Gespräch geschickt auf sein Lieblingsthema. Er erzählte stolz, dass er vor wenigen Monaten, das Nachbarhaus gekauft hatte. Sein Haus stand Mauer an Mauer neben dem von Michael und Maria. Es war genauso groß und auch der Garten hatte die gleiche Quadratmeterzahl.

Nach dieser Erklärung wusste Cassandra, wohin die weit geöffnete Tür in der Mauer hinter ihr führte, durch die ihre Eltern soeben verschwunden waren.

Als José dann weiter stolz berichtete, dass sie genau genommen Gast in seinem Haus war, war Cassandra irritiert. Durch das Gespräch das sie vorhin mit José geführt hatte, hatte sie nicht mitbekommen, dass sie und ihre Eltern im Haus von José übernachteten und nicht im Haus von Michael und Maria, wie sie es angenommen hatte. Ein leichtes Unwohlsein breitete sich in Cassandra Magengegend aus. Es kam aber nicht von dem leckeren Essen und dem Wein, den sie genossen hatte, sondern von der Tatsache, dass sie vermutlich Wand an Wand mit José im gleichen Haus schlafen würde.

Michael hatte Cassandras Irritation bemerkt und versuchte sie zu beruhigen. Denn auch ihm war die Begeisterung und offenbare Zuneigung von José für seine Schwester nicht entgangen. Als Cassandra daraufhin kurze Zeit später auch ins Bett gehen wollte, begleitete er sie und José in Josés Haus. Leise zeigte José Cassandra die Gegebenheiten. Dann ließ er sie taktvoll allein. Michael verwickelte José in ein Gespräch und sorgte dafür, dass er noch einmal sein Haus verließ. Cassandra war ihrem Bruder dankbar für diese Hilfe und beeilte sich ins Bett zu kommen. Die Tür ihres Zimmers drückte sie sorgfältig zu, da es keinen Schlüssel zum Abschließen gab. Müde und aufgeregt zugleich lag Cassandra kurze Zeit später in ihrem Bett.

Die Aufmerksamkeit, die José ihr schenkte schmeichelte ihr. Allerdings war sie auch irritiert. Sie wusste immer noch nicht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Dann dachte sie an René. Was machte er wohl in diesem Moment? Würde sie es schaffen sich über ihre Gefühle für ihn klar zu werden? Vielleicht half ihr die Aufmerksamkeit von José dabei. Sie wusste es nicht. Während sie versuchte darüber nachzudenken schlief sie ein. Sie hörte daher nicht, dass José das Zimmer neben ihr betrat und sich in sein Bett legte, dass Wand an Wand mit dem von Cassandra stand.

Torn apart - Zerrissen zwischen zwei Männern

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