Читать книгу Fünf Minuten vor Mitternacht - Celina Weithaas - Страница 7
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„Achim.“ Ich schlinge ihm eine Nuance zu überschwänglich die Arme um den Hals. Seine Wärme, seine Nähe. Beides habe ich bis zur Besinnungslosigkeit vermisst. Achim schüttelt kaum merklich und mahnend den Kopf. „Nicht so stürmisch, Liebste.“ Sanft drückt er mir einen Kuss auf die Lippen. Diese sanfte Berührung ist ebenso beherrscht, elegant und schön wie alles an ihm. „Hat sich dein Fest bereits für dich gelohnt?“ Für einen flüchtigen Moment berührt Achims Hand meine Hüfte und gibt mir Halt. Ich strahle ihn an, verliere mich in diesen endlos blauen Augen.
Wimpernschläge lang fühlt sich alles perfekt an. Ich stehe genau dort, wo ich hingehöre, werde von dem Mann berührt, der meiner würdig ist. Spüre die Blicke aller Anwesenden auf mir wie anerkennende Handschläge. Viel zu schnell macht Achim einen Schritt zurück und lässt mich los. Ich schenke ihm ein glattes Lächeln. In der Öffentlichkeit ist es immer so. Körperkontakt wird vermieden, jeder steht seine Autorität für sich allein. Eine Frau an seiner Seite benötigt ein Mann erst, wenn sie seinen Namen trägt und die Feste gemeinsam mit den preisgekrönten Managern plant und ausrichtet.
Das ist die Welt, in der ich aufgewachsen bin. Der Mangel an Nähe ist mir bekannter als mein Name oder mein atemberaubendes Spiegelbild. Nachdem wir uns allerdings beinahe zwei Monate lang kaum gesehen und nicht berührt haben – exakt der Zeitraum, in dem die ominösen Briefe erstmals auftauchten – habe ich auf wenige Sekunden mehr mit ihm gehofft. Auf einen aufrichtigeren Kuss oder eine schmetterlingszarte Berührung mehr.
Hin und wieder malte ich mir vor dem Zubettgehen aus, wie er meine Hand für einige Sekunden hält und die Fotografen diesen kostbaren Augenblick für die Ewigkeit festhalten. Kühne Träume. Sobald er meinen Nachnamen trägt, werden sie endlich wahr werden.
Achim spiegelt mein Lächeln exakt: professionell, glatt, ausschließlich für den unbeteiligten Beobachter charmant. Selbst mit dem Wissen, dass wir nach dieser Feierlichkeit, voraussichtlich gegen drei, vier Uhr morgens, in mein Zimmer verschwinden werden und dann endlich Zeit für uns allein haben, bessert sich meine Laune kaum. Soweit ich informiert bin, geht morgen um drei Uhr nachmittags sein Flieger zurück nach London. Wenn das Fest endet, wie Mutter es geplant hat, und die Müdigkeit uns nicht einholt, haben wir erbärmliche zwölf gemeinsame Stunden. Zwölf Stunden, in denen ich ihn berühren darf, wie ich es möchte. Höchstens zwölf Stunden in denen wir all das sagen dürfen, was nur für unsere Ohren bestimmt ist. Eine winzige Zeitspanne, um sich geliebt zu fühlen. Danach wird er seinen Geschäften erneut nachgehen und ich mein perfektes Image pflegen.
„Bisher war der Abend mäßig erfolgreich“, antworte ich. Es ist mir gleichgültig, dass mein Verhalten gegen die Etikette verstößt. Ich drücke Achim einen weiteren winzigen Kuss auf die Lippen. Achim lässt es zu. Ich konzentriere mich auf seinen warmen Atem, den bekannten Duft, seine heiße Haut. Hinter geschlossenen Lidern sehe ich das Blitzlicht flackern. Wenige Atemzüge stehle ich uns noch, dann beende ich den Kuss. Achims Augen funkeln. Die Wangen schimmern unter dem sorgfältig aufgetragenen Puder rot. Mein Herz schlägt höher und ich lasse mich in eine kurze Umarmung sinken. Sie geht von ihm aus. Achims Geburtstagsgeschenk an mich? „Ich habe heute erst mit einer Person gesprochen. Dieser jemand hatte kein Interesse daran, mir zu gratulieren”, fahre ich fort. Achim hebt eine Augenbraue und legt locker einen Arm um meine Hüfte. Ich verbiete mir, zu meinen Eltern zu sehen. Ich kann ihre tadelnden Blicke spüren, ohne mich rück zu versichern. „Gioseppe Riva. Hast du von ihm gehört?“ Achim verzieht leicht den Mund, das Gesicht sonst starr gehalten, während er über die Menge blickt. Wir werden in weißes Licht getaucht, das wie Blitze über uns hinwegrast. Jedes Zucken bedeutet ein Bild. Ein Bild, das nie wieder aus dem unendlichen Gedächtnis des Internets verschwinden wird. „Nein“, sagt Achim. „Er ist niemand, mit dem man sich befassen muss.“ Zu dem gleichen Schluss bin auch ich gekommen. Je länger ich darüber nachdenke, desto überzeugter bin ich davon, dass es eine wertlose Füllung war, das Gioseppes Schneidezahn versiegelte. Das Material war zu glanzlos. Für Platin hat es nicht ausreichend geschimmert. Eine bodenlose Peinlichkeit. Damit hätte Gioseppe exakt die gleiche, wenn nicht sogar noch eine schlechtere, Behandlung erhalten wie jeder gewöhnliche Bürger mit seinem Monatseinkommen von rund 3.000 Dollar. Solche Menschen sollten sich nicht in meiner Gesellschaft befinden. Erfahrungsgemäß wissen sie sich nicht angemessen zu verhalten. Geschweige denn, dass sie sich der Ehre bewusst werden, die es bedeutet, hier anwesend sein zu dürfen.
Allein die möglichen reißerischen Überschriften der Presse halten mich davon ab, Gioseppe persönlich der Feier, meiner Feier, zu verweisen. Ich versuche, zu beurteilen, ob es sich bei dem Schemen mit der schlechten Haltung links vom Eingang um Gioseppe handelt. Sicher ist, dass mein Zimmermädchen sich angeregt mit diesem jungen Mann unterhält. Sollte er es sein, kann sie vielleicht einen Teil ihres Monatsgehalts in seine jämmerlichen Goldaktien investieren. „Beruhigend“, nehme ich den Faden wieder auf und neige den Kopf leicht in Achims Richtung. Achims Atem streicht über meine Wange wie eine warme Sommerbrise. Ich kämpfe gegen den Impuls an, genüsslich die Augen zu schließen. „Gioseppe Riva wirkte auf mich wenig vielversprechend.“ Achim lächelt mich an. Wieder strahlen seine Augen. Er legt zu viele Emotionen in seine Gesten. Bemerkt er das blitzende Gewitter vor uns nicht? „Warum? Investiert Mister Riva in fallende Aktien?“ Ich schnaube abfällig. Wenn es das nur wäre. „Nein. Gold, Silber, Holz. Er kannte nicht ein Unternehmen, das ich ihm auflistete. Vielversprechende Investitionen besitzen weder er noch seine Eltern.“ Achims Brust bebt leicht, als er lacht, ohne eine Miene zu verziehen. „Ich wüsste zu gern, wer ihn hierher eingeladen hat.“ Ich nicke leicht in Richtung meiner Eltern. Vater hat schützend einen Arm um Mutters Hüfte gelegt, während sie leichte Konversation mit einem Aktionär aus Saudi-Arabien führen, einander hin und wieder ansehend, an den gefüllten Gläsern nippend. Gemurmelte Zahlen werden zu uns hinübergetragen, die einen beachtlichen Deal versprechen. „Ein kleiner Italiener in den großen Weiten Amerikas“, seufzt Achim und drückt mir einen sanften Kuss in den Nacken, als niemand hinzusehen scheint. Das Klicken vor uns verspricht eine obszöne Schlagzeile am morgigen Tag. „Deine Eltern sollten nicht jedes Kleinkind überfordern, das einen Fuß an die Börse gesetzt hat.“ Ich kichere leise und sehe Achim mit nach oben gezogenen Augenbrauen an. „Wenn ich ihn nicht missverstanden habe, sind es seine Eltern, die investieren, nicht er. Bestenfalls profitiert er davon.“ Ich verkneife mir ein weiteres Lachen. „Sie verdienen 200.000 Dollar. Im Monat! Ich kann beim besten Willen nicht begreifen, was sie hier suchen. Es muss für die Frau Mama bereits eine kaum zu stemmende Ausgabe gewesen sein, sich ein Abendkleid zu leisten, das Rang und Namen hat.“ Achim hält mich etwas fester. Jeder kann erkennen, dass wir zueinander gehören.
Achim und ich geben das gleiche, perfekte Bild ab wie meine Eltern. Wunderschön, professionell, elegant. Mächtig.
Wir sind nicht verheiratet, diese Nähe ist unangemessen. Wir verstoßen gegen jeden Anstand. Vermutlich wird Achim die Geste mit meinem Verlobungsring entschuldigen, der mit seinen blauen Augen um die Wette funkelt, sollte die Presse ihn auf unseren Körperkontakt ansprechen. „Nach dem, was du erzählt hast, war sie vermutlich die Frau in dem Kleid von Chanel. Ich hielt sie anfänglich für eine Angestellte und bat sie um einen starken Espresso.“ Achim gluckst gedämpft und lässt den Blick desinteressiert über die Reihen von Fotografen wandern. „Sie verfluchte mich auf Italienisch als respektlosen Amerikaner. “Ich presse meine Lippen fest aufeinander, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen.
Ein Kellner bietet uns Champagner an. Das neue Glas fühlt sich willkommen kühl unter meinen Fingern an. Einzelne Tropfen perlen das edle Kristallglas hinab und küssen zart meine Haut. Der Champagner schmeckt noch etwas prickelnder als der letzte. Blumig. Zart und intensiv zugleich. „Woher die Rivas nur wussten, dass du nicht einer ihrer Landsmänner bist“, necke ich Achim. Er hat für diesen Scherz lediglich ein müdes Lächeln übrig. Mein Verlobter ist die letzte Person, die man als ungehobelten Italiener bezeichnen könnte. Anstatt von glühendem Temperament trägt er aalglatte Entscheidungsgewalt und Konsequenz zur Schau. Er verliert sich nicht in Diskussionen, sondern überzeugt binnen weniger Sätze. Vater und Mutter hätten mich nicht mit Achim verlobt, wäre sein Werdegang nicht derart vielversprechend, wie er ist. Ein junger Mann der sein Jurastudium in Harvard binnen von vier Semestern absolvierte, ist mehr als nur reich und engagiert. Achim ist vermutlich die intelligenteste Person im gesamten Raum. Ich selbst fühle mich oft belanglos und dümmlich neben ihm, selten sogar ein wenig tollpatschig. Müsste man männliche Tadellosigkeit in einem Bild beschreiben, würde man Achim malen, genauso wie er hiersteht, eine Hand locker auf meinem Hüftknochen, den Kopf kaum merklich geneigt, um die perfekte Fotografie zu garantieren. Allein mit seiner Liebe mir gegenüber nimmt Achim mir jede Sorge mit der gleichen Leichtigkeit, wie er inkompetente Handelspartner über den Tisch zieht. Vater nannte ihn einmal den Napoleon unter den Brokern. Er hat Recht behalten.
„Monsieur Depót beobachtet dich seit geraumer Zeit“, murmelt Achim in mein Ohr und lässt den Arm von meiner Hüfte gleiten. Kurz stolpert mein Herz. Ich folge seinem Blick zu einem gepflegten Mann mittleren Alters. Monsieur Depót saß bereits einige Male mit meiner Familie am Tisch, um Verträge zu schließen. Ein durchaus kluger Mann, der es versteht, die Karten verdeckt zu halten und die Unterschrift unter einen Vertrag zu zwingen, der einem die Schlinge um den Hals legt. Wenn meine Mutter vor einem Menschen Respekt besitzt, dann ist er es mit seiner undurchsichtigen Art, die man nur zu schnell als freundlich und zuvorkommend auslegen kann. Das ist nicht zuletzt seinem charmanten, französischen Akzent geschuldet. Sobald man aber zu diesem Trugschluss gekommen ist, wäre es Wahnsinn, sich auf einen Vertragsabschluss einzulassen. Mit Sicherheit ruiniert er einen.
„Denkst du, ich kann das?“, flüstere ich Achim zu, während ich Monsieur Depót über meinen Champagner hinweg zunicke. Achims Lippen streifen meine Ohrmuschel. „Halte dich von bindenden Abmachungen fern und achte darauf, dass die Konversation flach bleibt. Das sollte kein großes Problem für dich darstellen.“
Ich sauge sein unerschütterliches Vertrauen in mich auf. Achim setzt seine Hoffnungen niemals in die falsche Person.
Wenn er an mich glaubt, werden die kommenden Minuten ein Kinderspiel. Ohne einen Blick zurück, entferne ich mich von meiner Familie. Die Schleppe schleift leise hinter mir über das gebohnerte Parkett. Ich nehme jeden Zentimeter, den ich mich auf Monsieur Depót zubewege, übermäßig genau wahr. Er nähert sich mir ebenfalls, die Schritte gemessen, seine Hände locker an den Seiten hinabhängend. Mein Lächeln sitzt perfekt.
Heute ist es erstmals an mir, ihm die Hand zu reichen. Bei meinem Fest bin ich es, die in der Rangordnung höher steht. Es gleicht einem kleinen Triumph, ihm den Handschlag anzubieten, und einem noch größeren, als er seine Manieren nicht vergisst, seine Finger unter meine schiebt, und mir einen winzigen Kuss auf den Handrücken haucht. „Miss Clark”, seufzt er, den französischen Akzent schwer in der weichen Stimme. „Es ist mir eine Freude.“ Mein Herz beginnt aufgeregt zu rasen. Das hier fühlt sich an wie der perfekte Augenblick. Endlich bin ich genau dort angekommen, wo ich hingehöre: an der Spitze. Ich nicke Monsieur Depót zu. „Sie ist ganz meinerseits.“ Kurz schweigen wir. Ich weiß, dass es meine Aufgabe ist, unter diesen Umständen das Gespräch zu führen. Halt die Konversation flach. Dieser Ratschlag hallt wider, als ich Monsieur Depót einen Augenaufschlag schenke und den Kopf leicht schief lege. Wenn man mich in diesen Sekunden ablichtet, wird das Ergebnis makellos sein. „Genossen Sie eine angenehme Anreise?“
Monsieur Depót nickt und verzieht dabei leicht die Lippen, wodurch das Ziegenbärtchen an seinem Kinn kaum merklich hin und her schwingt. „Ihre Butler sind äußerst zuvorkommend. Es ist mir jedes Mal aufs Neue eine Freude, mich von ihnen einkleiden und chauffieren zu lassen. Nicht zu vergessen, der feine Wein, den Ihre Eltern mir bereitstellten. Richten Sie ihnen meinen aufrichtigen Dank aus.“ Ich lache kokett auf. „Für die Weinauswahl war ich zuständig. Es erfreut mich, dass er Ihnen geschmeckt hat.“ Monsieur Depót lässt locker die Hände in den Hosentaschen verschwinden. Er ist neben Achim die einzige Person, bei der diese Geste nicht unangebracht wirkt. Lediglich elegant und gelassen. Lächelnd verlagert er das Gewicht. „Beeindruckend, dass eine junge Dame wie Sie die Vorlieben der Gäste derart tadellos einschätzen kann.“ Ich lache leise auf und sehe durch meine Wimpern hindurch zu ihm auf. Eigentlich glich die Weinauswahl einem gezielten Raten, gepaart mit aufwendigen Recherchen und Überlegungen, welche Weinsorten die jeweiligen Gäste bei den zahlreichen Abendessen zu bestellen pflegten.
„Ich frage mich vermutlich zurecht, ob Ihre Fähigkeiten bezüglich der Aktienauswahl ebenso brillant einzuschätzen sind”, fährt Monsieur Depót fort. „Bereits bei unserem letzten Aufeinandertreffen prahlten Ihre Eltern mit ihrer Entscheidung, in Cannabis zu investieren.“
Tatsächlich war es Achims Vorschlag, den ich nur zu gern beherzigt habe. So wird es zukünftig immer sein. Er unterbreitet die Möglichkeiten, lässt sie von Beratern aufs Genaueste durchleuchten und den Großteil der endgültigen Entscheidungen werde ich treffen. Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine hübsche Frau, deren Lächeln allen den Kopf verdreht und deren Entschluss niemand anzuzweifeln wagt außer dem eigenen Ehemann. „Über mein Verhandlungsgeschick wird diskutiert“, antworte ich und schenke Monsieur Depót ein makelloses Lächeln. „Ihre atemberaubende Fähigkeit des Kalkulierens ist indiskutabel.“ Monsieur Depóts Mundwinkel heben sich leicht. Er lässt sich von meinen Schmeicheleien ebenso wenig beeindrucken wie ich mich von seinen. Diese Taktik – loben und dadurch siegen – habe ich von ihm übernommen. Es ist nichts, was ich gegen einen der gerissensten Manipulatoren meiner Zeit verwenden kann. „Sie sind erwachsen geworden, Miss Clark. Und wunderschön. Unmöglich es zu leugnen.“ Das ist eine Tatsache, keine Schmeichelei. Ich gehe trotzdem nicht darauf ein. „Nennen Sie mich doch Chrona, Monsieur Depót. Wir kennen uns so lange, Sie scheinen mir nahezu wie ein zweiter Vater zu sein.“ Einer, der keine Scheu davor hätte, all meine Mühen mit einem einzigen Vertrag in den Staub zu treten. So ist es an der Spitze der Macht. Die Reichsten sind die engsten Freunde und mindestens genauso arge Feinde. Jeder weiß es. Ein offenes, gepflegtes Geheimnis, das dafür sorgt, dass es Neulingen schwerfällt, in den hohen Kreisen Fuß zu fassen. Sie müssen von vorneherein ebenso abgebrüht und kaltblütig sein, wie es ein jeder von uns ist. Wozu das Können und die Diamanten uns geformt haben. Unter anderen Umständen gehört ihr Geld uns und ihr weiteres Schicksal ist gänzlich irrelevant für einen jeden Aktionär.
„Chrona, es ist mir eine Ehre.“ Monsieur Depóts kleine Verbeugung wirkt nahezu lächerlich. Gegenüber jeder anderen Person würde ich abfällig lächeln und gehen. Bei ihm ist es anders. Mir fällt es schwer, die Fassung zu bewahren. Es gibt keine größere Ehre. Ich bete dafür, dass einer der Fotografen diese kleine Geste mit einem kleinen Klicken für die Ewigkeit festhält. Frankreichs erfolgreichster Aktionär verneigt sich vor der Königin des Abends. Das wäre genau die Schlagzeile, die mich in meine Volljährigkeit begleiten sollte. „Ich hörte von Ihrer Verlobung.“ Monsieur Depót sieht an mir vorbei. „Der junge Mann, der die Augen nicht von Ihnen lassen kann, ist er der Glückliche?“ Ich drehe mich kurz um. Achim ist seinerseits in ein Gespräch verwickelt worden, die junge Dame scheint die Cousine des russischen Oligarchen Koroljow zu sein. Sie ist eine durchaus vielversprechende Partie für jeden Mann im Raum, der noch keine Fiancé vorzuweisen hat. Hübsch, intelligent, reich. Kurz hebt Achim den Blick und lächelt mir zu, dann konzentriert er sich erneut auf die Russin vor sich. „Ja, Achim Jameson“, antworte ich. Monsieur Depót nickt nachdenklich. „Der Wunderknabe, der binnen von zwei Jahren sein Jurastudium absolviert hat, wenn ich mich recht entsinne.“ „Das tun Sie.“ Ich entspanne mich nach und nach. Dieses Gespräch läuft gut. Bis jetzt habe ich nichts gesagt, das unpässlich wäre oder Monsieur Depót vor den Kopf stoßen könnte. Tatsächlich scheine ich auf dem besten Weg zu sein, die geschäftlichen Beziehungen meiner Eltern auf mich zu übertragen. „Ein äußerst intelligenter, junger Mann. Es ist beinahe eine Peinlichkeit zu gestehen, dass er mir im Alter von gerade einmal zwanzig Jahren eine halbe Milliarde Dollar abluchste.” Glucksend hebt Monsieur Depót sein Glas und nippt daran. „Ich bemerkte es erst, als die Unterschrift gesetzt und der Vertrag verstaut war.“ Ich widerstehe dem Impuls, überrascht zu blinzeln. Das hat Achim nie erwähnt. Monsieur Depót schenkt mir ein aufrichtiges, kleines Lächeln. „Ich nehme es ihm nicht übel. Tatsächlich bewundere ich diese Fähigkeit an jungen Menschen. Durch Sie mit ihm bekannt zu werden, Chrona, wäre mir eine Ehre.“ Ist das ein Angebot? Ich nehme es als solches und spiele den Ball zu ihm zurück. „In unserem Haus sind Sie stets herzlich willkommen, Monsieur Depót. Achim wird es mit Sicherheit gutheißen, wenn wir uns zu Verhandlungen niederließen. Soweit ich hörte, haben Sie vielversprechende Einsätze in der Robotik vorzuweisen. Ich habe vor kurzem in Sensomotorik investiert und Achim konzentriert sich auf das Unternehmen Theesla. Sie scheinen einen vielversprechenden Kurs zu fahren, Sir.“ Monsieur Depót lacht leise und zieht die Hände aus seinen Taschen. „Das hört sich nach einem erfüllten und interessanten Abend an. Wenn Sie sich wieder um die Weinauswahl bemühen, werde ich erscheinen, sobald es mein Terminkalender zulässt.“ Eine zufriedene Wärme steigt mir in die Wangen. Innerlich jubelnd, schenke ich ihm ein schwaches Lächeln. „Selbstverständlich. Ich hoffe, Sie verübeln es mir nicht, wenn ich Sie nun der Gesellschaft überlasse.“ Monsieur Depót schüttelt den Kopf und macht einen Schritt rückwärts. „Durchaus nicht. Chrona, meine Schöne.“ Ich biete ihm meine Hand an und er nimmt sie entgegen, verabschiedet sich mit dem gleichen, anständigen Kuss mit dem er mich begrüßte, ehe Monsieur Depót in der Menge untertaucht. Augenblicklich drehe ich mich zu meinem Mittelpunkt der Feier um. Die Cousine des Oligarchen nimmt soeben ein neues champagnergefülltes Glas von einem der dargebotenen Tabletts, ehe sie vor Achim knickst und sich neuen Partnern zuwendet.
Nie erschien es mir anstrengender, langsam und mit Stolz erhobenem Kinn die Menge zu durchqueren. Am liebsten würde ich rennen und ihm überschwänglich um den Hals fallen. Wir haben eine Verabredung mit Monsieur Depót. Wir beide! Niemand sonst. Er ist bereit, mit uns über Geld zu reden. Das ist ein größerer Erfolg, als ich mir von diesem Abend erhofft habe.
Letzten Endes hindert mich die Schleppe daran, schneller zu laufen, als es angemessen wäre, und jede Sekunde, die vergeht, kommt einer zähen Ewigkeit gleich. Meine Mutter tritt gerade zu Achim, als ich die Empore erklimme. Ich knickse leicht vor ihr, sie quittiert das mit ihrem professionellsten Lächeln. „Die Zeit des Verneigens ist für dich vorüber, Chrona.“ Sie streicht sich energisch eine helle Strähne aus dem Gesicht. „Wie ist dein Gespräch mit Monsieur Depót verlaufen?“ Ich halte meine Mundwinkel nur durch jahrelang geübte Kontrolle davon ab, unaufhaltsam zu zucken. „Er möchte so bald wie möglich mit Achim und mir am runden Tisch sitzen.“ Mein Verlobter legt einen Arm um meine Hüfte und drückt mir einen verdienten Kuss auf die Wange. Ich seufze leise auf. Für diesen Moment, dieses kribbelnde, übersprudelnde Glücksgefühl in meiner Brust, würde ich tausende Monate der Trennung hinnehmen. Das ist mein Lohn für die Geduld der letzten Zeit. Er fühlt sich bedeutsamer an, als ich zu hoffen wagte.
„Ich bin stolz auf dich“, flüstert Achim mir ins Ohr. Meine Brust schwillt an und ich will ihm um den Hals fallen, ihn vor versammelter Gesellschaft küssen und mich mit ihm freuen, mein Glück in die Welt hinausschreien. Stattdessen drücke ich einmal kurz Achims Finger und lehne mich gegen seine Schulter. Heute habe ich mir diese Nähe, diese Zuneigung verdient. Ganz egal was die Presse schreibt. Achim runzelt die Stirn. „Was hast du da?“ Er nickt in Richtung meines Dekolletés. Mir schießt die Hitze in die Wangen, als ich die winzige, weiße Ecke des Umschlages zwischen meinen Brüsten entdecke. Ein anständiger Gentleman hätte sie nicht entdeckt. Ich unterdrücke den Impuls mir in den Ausschnitt zu fassen und den Umschlag wieder zu verstecken. Meine Finger zucken. Ich atme tief durch und schmiege mich tiefer in seine Umarmung. Griffe ich in mein Dekolleté, würde das Bild mit Sicherheit in jedem Klatschmagazin auftauchen. Das sind nicht die Schlagzeilen, auf die ich es anlege. Neckisch tippe ich Achim gegen die Wange. „Warum hast du das überhaupt entdeckt“, hauche ich ihm ins Ohr. Sein kurzes, unangebrachtes Grinsen ist Antwort genug.
Tadelnd ziehe ich eine Augenbraue nach oben und wende mich wieder meiner Mutter zu. „Was sagst du zu Monsieur Depóts Willen, mit uns zusammenzuarbeiten?“, knüpfe ich an dem alten Faden an. Kleine Fältchen werden um Mutters Mund herum erkennbar. „Das Angebot ist ein voller Erfolg. Sollten die Verhandlungen mit Monsieur Depót gutlaufen, werden mit Sicherheit weitere folgen. Ich bin beeindruckt, wie gewissenhaft du den Abend bis hierhin genutzt hast.“ Ich auch. Und überglücklich. Über dieses Erfolgserlebnis hinweg spüre ich kaum meine schmerzenden Füße oder den Anflug von Müdigkeit. Auch nicht mehr den sanften Nebel des Alkohols in meinem Kopf. „Ich danke dir, Mama“, flüstere ich, seltsam gerührt, und kann beim besten Willen nicht sagen, ob das an dem Alkohol oder der Tatsache liegt, dass Achim mich noch immer in der Öffentlichkeit berührt entgegen allen Anstandes. Es fühlt sich fast wie ein kleiner, rebellischer Akt an, vor aller Augen zu demonstrieren, dass wir zusammengehören. Ich entschuldige unsere Nähe nicht nur mit meinem Verlobungsring, sondern auch mit den gegebenen Umständen. Wir sehen uns viel zu selten für ein junges Paar. Wenn wir Glück haben, lassen Zeitverschiebung und Meetings eine Stunde wöchentlich zu, in der wir skypen können. Ich wünsche mir nichts mehr, als eine Woche allein mit Achim, in der wir Zeit miteinander verbringen und uns vor keiner reichen Gesellschaft der Welt verstecken müssen, obwohl alles an unserer Haltung, jede Nachricht der Presse, beweist, dass wir zusammengehören. Mutter betont, dass es am gesündesten ist, wenn man sich nur sieht, sobald es dringend notwendig wird. Dadurch entwickeln sich die notwendigen Freiheiten in einer Beziehung. Das mag wahr sein. Momentan würde ich es vorziehen, mit Achim in meinem Zimmer zu verschwinden, anstatt zu spüren, wie er den Arm von meinem Körper löst. Die Blicke liegen wieder auf mir allein.
„Die skandinavische Milliardärstochter möchte mit mir sprechen“, sagt Achim und entfernt sich, ehe ich protestieren oder nur ein Wort sagen kann. Wie hat er sie überhaupt bemerkt? Ich hatte nur Augen für ihn. Ein Verhalten, das meine Eltern nur zu gerne tadeln. Und wenn nicht sie, dann die Öffentlichkeit. Ich wünschte, ein Mal, nur ein einziges Mal würde nicht nur ich mich alleinig in diesen kostbaren Momenten verlieren.
Der Schluck, den ich aus meinem Champagnerglas nehme, ist etwas größer, als es der Anstand gebietet. Verstimmt beobachte ich Achim. Die Dame, auf die er zueilt, ist ein Beispiel dafür, dass reiche Menschen nicht gezwungenermaßen schön sind. Sie ist zu dick, trägt mit Sicherheit die französische Konfektionsgröße achtunddreißig, und hat eine Hakennase im Gesicht, die man in früheren Zeiten vielleicht als edel bezeichnete, die heutzutage jedoch durch eine Operation begradigt werden sollte. Ihre Oberweite ist zu klein und die Finger zu kurz, die Lippen von Hyaluron gedehnt und die Wangen rot geschminkt.
Achim tritt ihr destotrotz mit Respekt und Höflichkeit gegenüber, reicht ihr die Hand und lässt sie vor sich knicksen. Ganz der wohlerzogene junge Mann, bietet er ihr ein Glas Champagner an. Sie hat bereits zu viel getrunken, lacht zu laut, und nimmt es trotzdem in die Hand, um viel zu viel auf einmal hinunterzukippen. Sie wirkt ordinär. Es ist ihr Geld, das es ihr ermöglicht, solchen Festen beizuwohnen, nicht ihr Verhalten. Nicht ihr Äußeres. Trotzdem durchfährt mich ein eifersüchtiger Stich. Weil Achims Aufmerksamkeit auf ihr ruht. Nicht auf mir.
Meine Mutter berührt mich sanft an der Schulter. „Dürfte ich meine Tochter kurz entführen?“, bittet sie mich leise. Ich nicke, spüre die Anwesenheit eines Fotographen und lächle ihm strahlend in die Kamera, ehe ich mein beinahe unberührtes Glas an ihn abtrete und Mutter folge. Immer neue Menschen gratulieren mir zur Volljährigkeit, zu meiner Schönheit, zu meinem Auftreten, während wir uns den Weg in Richtung des Aufzugs bahnen. Manchmal glaube ich fast, Mutter verloren zu haben, aber ihren streng begradigten Rücken in dem smaragdgrünen Kleid erkennt man überall in dieser Gesellschaft wieder. Ihre Haltung gleicht einem Leuchtfeuer der Perfektion. Trotz ihrer schmalen, etwas kleineren Gestalt machen die Menschen ihr Platz, zollen ihr so ihren Respekt, und tun es mir gegenüber gleich. Musste Gioseppe sich mühsam durch die Menge kämpfen, ist es für meine Mutter und mich eine ehrenhafte, gerühmte Aufgabe, unseren Weg zu gehen und die anderen bei Seite treten zu lassen. Der Fahrstuhl wartet geöffnet auf Gäste, die die Festetage verlassen wollen, um zurück in ihre Hotels zu fahren oder sich in einem der oberen Zimmer unseres Towers einzumieten.
Mutters Absätze klacken laut auf dem Marmorboden des Aufzugs, als sie ihn betritt. Die Türen gleiten flüsternd zu und lassen uns in angemessener Stille zurück.