Читать книгу Das Leben ist zu kurz, um drüber nachzudenken! - Chapeau Baschtel - Страница 12

Оглавление

Der fleißige Denker konnte sich noch gut daran erinnern, dass er sich sehr lange mit diesem Problem auseinandergesetzt hatte. Der kleine Mann beschloss strategisch an das Problem mit den Bedürfnissen der Akzeptanz und des Respekts heranzugehen. Strategie, eine neue Art zu denken, bisher hatte der kleine Mann ohne groß drüber nachzudenken gehandelt und meistens aus dem Bauch heraus Entscheidungen getroffen. Doch nun sollte ihm die Strategie helfen, taktisch dieses Problem zu beheben. Der kleine Mann überlegte lange, wie er sich Respekt verschaffen könne. Er glaubte die Lösung zu haben, fast immer wenn sich jemand über ihn lustig gemacht hatte, ging es von einem bestimmten Mitschüler aus oder er war zumindest dabei. Dieser Mitschüler hieß Jurek und war ein Jahr älter als die Klasse, da er aus Polen stammte und aus sprachlichen Gründen ein Jahr später eingeschult wurde. Er war allerdings nicht nur älter, sondern auch größer und stärker als alle anderen. Wenn man so will war er der Alphawolf des Rudels. Keiner traute es sich, sich gegen ihn zu stellen. Wer es versuchte, bekam eine Abreibung oder lernte sehr schnell, wie man aus den Schulabfallcontainern wieder rausklettert.

Der kleine Mann war fest davon überzeugt sich Respekt zu erkämpfen, indem er den Alphawolf herausforderte. Der Pausenhof war also so etwas wie der Schauplatz des großen Kampfes. Schnell ergab sich eine Möglichkeit. In der zweiten großen Pause, die Sonne stand hoch am Horizont, die Vögel zwitscherten, trat der kleine Mann Jurek entgegen. Dieser nutzte die Gelegenheit dem kleinen Mann wie gewohnt einen abwertenden Spruch über seine Schneeketten entgegen-zuschmettern. Der kleine Mann nahm seinen gesamten Mut zusammen und schubste Jurek mit aller Kraft nach hinten. So dass der Alphawolf nach einem kurzen Straucheln zu Boden ging. Das ging ja einfach, dachte der kleine Mann. Entsetzen machte sich auf dem Schulhof breit, es war Mucksmäuschen still, keine Vögel mehr zu hören. Ein gewaltiger Schatten tauchte vor dem kleinen Mann auf, PUFF dann waren die Lichter aus.

Als er wieder zu sich kam, sprach seine Klassenlehrerin zu ihm, half ihm auf die Beine und wollte gemeinsam mit der Direktorin wissen, wer das gewesen sei. Jurek und alle anderen Wölfe, so wie die gesamte Schule standen Drumherum. Jurek war bereits zuvor einige Male wegen ähnlichen Delikten unangenehm aufgefallen und stand kurz davor von der Schule zu fliegen. Somit zeigte die Direktorin mit einem steifen Finger auf sein Gesicht und fragte den kleinen Mann, ob er es gewesen sei. Der kleine Mann beschloss zu schweigen! Die Eltern des kleinen Mannes und ein Arzt wurden gerufen und trafen im Direktionsbüro ein. Der Arzt prophezeite dem kleinen Mann ein dickes, blaues Veilchen unter dem rechten Auge für den nächsten Tag und er sollte Recht behalten. Die Eltern des kleinen Mannes und die Direktorin, sowie die Klassenlehrerin schossen sich auf den kleinen Mann ein, endlich damit herauszurücken, wer es war. Immer wieder fiel Jureks Name. Doch der kleine Mann hatte sich entschieden nicht zu antworten.

Wie vom Arzt prophezeit, bildete sich über Nacht ein dickes blau-lilanes, schmerzhaftes Veilchen unter seinem rechten Auge. Und schon wieder war der kleine Mann auf dem Schulweg ein Hingucker, diesmal wurde der kleine Mann jedoch nicht wegen seiner Zahnspange bewundert, sondern wegen seines dicken blau-lila schimmernden Veilchens unter seinem rechten Auge. In der Schule angekommen, bemühten sich die Schüler seiner Klasse ihn nicht direkt anzuschauen. In der ersten großen Pause spielten die Jungs, wie üblich, Fußball auf dem Schulhof. Ebenfalls üblich war es, das die Mädchen der Klasse am Spielfeldrand saßen und zuschauten. Der kleine Mann stellte sich an den Spielfeldrand um zuzuschauen, da kam Jurek auf ihn zu, den Ball in der Hand und blieb genau vor seiner Nase stehen. Jurek schaute dem kleinen Mann in die Augen und lächelte ihn an. Er gab ihm den Ball und lud ihn ein mitzuspielen. Der kleine Mann nahm die Einladung dankend an.

Von diesem Moment an, war alles anders. Wurde der kleine Mann gefoult, entschuldigte sich der Gegenspieler und half ihm auf die Beine. Nun gehörte er dazu, er hatte Jurek nicht verpfiffen und hatte sich somit ohne es so geplant zu haben Respekt verdient. Noch viel wertvoller als das bisschen Respekt, war jedoch die Akzeptanz, welche ihm nun entgegengebracht wurde. Er stand nicht mehr außen vor, er war im Klassenverbund angekommen. Er wurde akzeptiert und war nun einer von ihnen. Niemand in der Klasse machte sich jemals wieder lustig über seine Zahnspange. Versuchte es ein Schüler aus einer anderen Klasse, sollte er sehr schnell die Gemeinschaft der Klasse des kleinen Wunderknaben zu spüren bekommen. Es gab nun keine Nachmittage mehr, an dem der kleine Junge alleine vor dem Atari saß. Er konnte sich vor Spielkameraden kaum noch retten. Vor allem in den Wintermonaten, als die Größe seines Zimmers eine beträchtliche Rolle spielte. Der Wunderknabe war nun im neuen Ort, in der neuen Klasse und im neuen Heim angekommen und er war nicht mehr der Neue.

In den nächsten Monaten war der kleine Mann genauso gedankenlos, wie es sich für einen kleinen Jungen gehört, er war einfach nur Kind. Der fleißige Denker erinnerte sich, dass dieser Effekt jedoch nur von kurzer Dauer war. In den nächsten Monaten sollte sich zeigen, dass die Bedürfnisse Akzeptanz und Respekt nicht die einzigen Lebenspfeiler waren. Ein neues Bedürfnis tauchte auf. Das Bedürfnis Erfolg zu haben. Schneller, weiter, höher, besser als die Anderen zu sein. Dieses Bedürfnis schien aber nicht nur den kleinen Mann zu diesem Zeitpunkt beschäftigt zu haben. Der damit verbundene Ehrgeiz zu siegen schien viele seiner Freunde und Klassenkameraden ebenfalls gepackt zu haben. Bei jedem Spiel auf dem Schulhof, bei jedem Wettbewerb, bei jeder Prüfung, eigentlich bei jeder Gelegenheit wollte jeder Wissen wer der Beste war. Wer ein Sieger und wer ein Verlierer war. Denn es stellte sich heraus, dass der Erfolg ebenfalls dazu beitrug akzeptiert und respektiert zu werden. Der kleine Mann musste lernen, dass man nicht immer der Schnellste, Weiteste, Höchste oder Beste sein konnte. Es gab Sportarten, Schulfächer und Situationen, die Andere besser bewältigen konnten als er. Er musste lernen zu verlieren und mit der Situation, dass Einer oder mehrere Andere in etwas besser sind als er, umzugehen.

Das war nicht einfach, der fleißige Denker erinnerte sich an folgende Situation zurück:

Bei einem Schulwettbewerb im Rahmen des Sommerfestes, trat der kleine Mann, wie gewohnt, in seiner Paradedisziplin, dem 50m Lauf an. Er war bis zu diesem Tag der Schulbeste und in etlichen Wettkämpfen ungeschlagen. Was wahr-scheinlich auf das intensive Training während des Kussfangens zurückzuführen war. Er hatte sogar die Schule bei den Stadtmeisterschaften würdig vertreten und holte den ersten Platz in Form eines riesigen Pokals, welcher im Ehren-schaukasten der Schule ausgestellt wurde. Wie gesagt bis zu diesem Tag. Denn er hatte nicht mit Chantal, einem süßen kleinen Mädchen mit blonden, langen, geflochtenen Zöpfen, sie war mit ihren Eltern vor kurzem in den Ort gezogen, gerechnet. In den ersten Läufen war alles wie immer. Der kleine Mann besiegte einen Kontrahenten nach dem anderen und stand wie erwartet im Finale. Allerdings diesmal gegen ein Mädchen, Chantal. Es kam wie es kommen musste, Chantal besiegte ihn mit drei Metern Vorsprung. Das war ein Schock für den kleinen Mann. Er wurde besiegt. Besiegt in seiner Paradedisziplin. Er war nicht besonders gut im Hochsprung oder im Weitwurf, er war immer der Beste und Schnellste im 50m Lauf. Jetzt wurde ihm dieser Erfolg genommen, und das ausgerechnet von einem Mädchen namens Chantal. Er war außer sich vor Wut und konnte sich über den kleineren Pokal für den zweiten Platz nicht wirklich freuen. Die Enttäuschung stand dem kleinen Mann wahrlich ins Gesicht geschrieben.

Auf dem nach Hause Weg bemerkten auch seine Eltern die Enttäuschung des kleinen Mannes über die Niederlage im Finale gegen Chantal, dem neuen Mädchen im Ort. Der kleine Mann erklärte seinen Eltern seine Situation, dass er versagt habe in seiner Paradedisziplin und jetzt befürchte seinen hart erkämpften Respekt zu verlieren, weil er doch verloren habe und das auch noch gegen ein Mädchen. Der Vater des kleinen Mannes nahm sich den kleinen Mann zur Seite, schaute ihm in die Augen und erklärte ihm, dass das gar nicht so schlimm sei auch mal zu verlieren. Das gehöre im Leben dazu, und er solle doch froh sein das sich Chantal auf diese Weise Akzeptanz und Respekt in der Schule erarbeitet habe, denn er müsse doch wissen, wie schwer es sei der oder die Neue im Ort und an der Schule zu sein. Der kleine Mann nickte und wischte sich die Tränen von der Wange, schaute seinen Pokal für den zweiten Platz an und dachte sich, so schlecht ist der zweite Platz nun auch nicht. Er lernte zu verlieren, das ständige Bedürfnis Erfolg zu haben und der Schnellste, Weiteste, Höchste oder Beste zu sein in den Griff zu bekommen. Seit diesem Tag, gab sich der kleine Mann besonders viel Mühe ein gewisses Mädchen beim Kussfangen zu jagen, sie hatte blonde, lange, geflochtene Zöpfe und war die Neue im Ort.

Das Leben ist zu kurz, um drüber nachzudenken!

Подняться наверх