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Aus „Leben und Briefe von Charles Darwin“, hrsg. von seinem Sohn Francis Darwin.

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Es ist stets interessant zu sehen, wie weit man die persönlichen Charakterzüge eines Menschen zu seinen Vorfahren zurückverfolgen kann. Charles Darwin erbte die Körpergröße, jedoch nicht die stämmige Statur von Erasmus; aber seine Gesichtszüge haben keine erkennbare Ähnlichkeit mit jenen seines Großvaters. Auch, so scheint es, liebte Erasmus nicht die körperliche Betätigung und Sportarten im Freien, wie es für Charles Darwin als junger Mann so charakteristisch war, wenngleich er, wie sein Großvater, eine unbezähmbare Vorliebe für anstrengende geistige Arbeit hegte. Güte und Anteilnahme mit anderen und großer Charme waren beiden eigen.

Charles Darwin besaß in höchstem Maße diese »Lebhaftigkeit der Phantasie«, die er als starken Charakterzug von Erasmus nennt und die diesen »zu seiner überwältigenden Neigung zu theoretisieren und zu verallgemeinern« veranlasste. Diese Neigung wurde bei Charles Darwin durch die Entschlossenheit in Schranken gewiesen, seine Theorien aufs Äußerste zu prüfen. Erasmus zeigte ein starkes Interesse für jede Art von Mechanismus, dem konnte Charles Darwin jedoch nichts abgewinnen. Auch hatte Charles Darwin nicht das buchstäbliche Temperament, das Erasmus zum Dichter wie zum Philosophen machte. Er schreibt über Erasmus (›Leben von Erasmus Darwin‹): »An all seinen Briefen hat mich seine Gleichgültigkeit gegenüber dem Ruhm erstaunt und das völlige Fehlen jeglicher Anzeichen für eine Überschätzung seiner eigenen Fähigkeiten oder des Erfolgs seiner Werke.« Dies scheinen tatsächlich auch Zeichen von Zügen zu sein, die seinen eigenen Charakter stark bestimmten. Dennoch finden wir keinen Beleg bei Erasmus für die große Bescheidenheit und Einfachheit, die Charles Darwins ganzes Wesen prägten. Doch die schnellen Wutausbrüche, die Erasmus angesichts von Unmenschlichkeit oder Ungerechtigkeit bekam, erinnern uns wieder an ihn.

Aus diesem Grund widme ich denn auch das erste Kapitel dieses Auszugs der Abänderung durch Domestikation. Wir werden daraus ersehen, dass erbliche Abänderungen in großer Ausdehnung wenigstens möglich sind, und, was nicht minder wichtig ist, dass das Vermögen des Menschen, geringe Abänderungen durch deren ausschließliche Auswahl zur Nachzucht, d.h. durch künstliche Züchtung zu häufen, sehr beträchtlich ist. Ich werde dann zur Veränderlichkeit der Lebewesen im Naturzustand übergehen; doch bin ich unglücklicherweise genötigt, diesen Gegenstand viel zu kurz abzutun, da er angemessen eigentlich nur durch Mitteilung langer Listen von Tatsachen behandelt werden kann. Wir werden dem ungeachtet im Stande sein zu erörtern, was für Umstände die Abänderung am meisten befördern. Im nächsten Abschnitt soll der Kampf ums Dasein unter den organischen Wesen der ganzen Welt abgehandelt werden, welcher unvermeidlich aus ihrem hoch geometrischen Zunahme-Vermögen hervorgeht. Es ist dies die Lehre von Malthus auf das ganze Tier- und Pflanzenreich angewendet. Da viel mehr Einzelwesen jeder Art geboren werden als fortleben können und demzufolge das Ringen um Existenz beständig wiederkehren muss, so folgt daraus, dass ein Wesen, welches in irgendeiner für dasselbe vorteilhaften Weise von den Übrigen auch nur etwas abweicht, unter mannigfachen und oft veränderlichen Lebensbedingungen mehr Aussicht auf Fortdauer hat und demnach bei der natürlichen Züchtung im Vorteil ist. Eine solche zur Nachzucht ausgewählte Varietät strebt dann nach dem strengen Erblichkeitsgesetz, jedes Mal seine neue und abgeänderte Form fortzupflanzen.

Diese natürliche Züchtung ist ein Hauptgegenstand, welcher im vierten Kapitel etwas weitläufiger abgehandelt werden soll; und wir werden dann finden, wie die natürliche Züchtung gewöhnlich die unvermeidliche Veranlassung zum Erlöschen minder geeigneter Lebensformen wird und herbeiführt, was ich Divergenz des Charakters genannt habe. Im nächsten Abschnitt werden die zusammengesetzten und wenig bekannten Gesetze der Abänderung und der Wechselbeziehungen in der Entwicklung besprochen. In den vier folgenden Kapiteln sollen die auffälligsten und bedeutendsten Schwierigkeiten unserer Theorie angegeben werden, und zwar erstens die Schwierigkeiten der Übergänge, oder wie es zu begreifen ist, dass ein einfaches Wesen oder Organ verwandelt und in ein höher entwickeltes Wesen oder ein höher ausgebildetes Organ umgestaltet werden kann; zweitens der Instinkt oder die geistigen Fähigkeiten der Tiere; drittens die Bastardbildung oder die Unfruchtbarkeit der gekreuzten Spezies und die Fruchtbarkeit der gekreuzten Varietäten; und viertens die Unvollkommenheit der geologischen Urkunden. Im nächsten Abschnitt werde ich die geologische Aufeinanderfolge der Organismen in der Zeit betrachten; im elften und zwölften deren geographische Verbreitung im Raum; im dreizehnten ihre Klassifikation und gegenseitigen Verwandtschaften im reifen wie im Embryozustand. Im letzten Abschnitt endlich werde ich eine kurze Zusammenfassung des Inhaltes des ganzen Werkes mit einigen Schlussbemerkungen geben.

Darüber, dass noch so vieles über die Entstehung der Arten und Varietäten unerklärt bleibt, wird sich niemand wundern, wenn er unsere tiefe Unwissenheit hinsichtlich der Wechselbeziehungen all der um uns her lebenden Wesen in Betracht zieht. Wie kann man erklären, dass eine Art in großer Anzahl und weiter Verbreitung vorkommt, während ihre nächste Verwandte selten und auf engen Raum beschränkt ist? Und doch sind diese Beziehungen von der höchsten Wichtigkeit, insofern sie die gegenwärtige Wohlfahrt und, wie ich glaube, das künftige Gedeihen und die Modifikation eines jeden Bewohners der Welt bedingen. Aber noch viel weniger Kenntnis haben wir von den Wechselbeziehungen der unzähligen Bewohner dieser Erde während der zahlreichen Perioden ihrer einstigen Bildungsgeschichte. Wenn daher auch noch vieles dunkel ist und noch lange dunkel bleiben wird, so zweifle ich nach den sorgfältigsten Studien und dem unbefangensten Urteil, deren ich fähig bin, doch nicht daran, dass die Meinung, welche die meisten Naturforscher hegen und auch ich lange gehabt habe, als wäre nämlich jede Spezies unabhängig von den übrigen erschaffen worden, eine irrtümliche sei. Ich bin vollkommen überzeugt, dass die Arten nicht unveränderlich sind; dass die zu einer sogenannten Sippe zusammengehörigen Arten in einer Linie von anderen gewöhnlich erloschenen Arten abstammen, in der nämlichen Weise, wie die anerkannten Varietäten einer Art Abkömmlinge dieser Spezies sind. Endlich bin ich überzeugt, dass natürliche Züchtung das hauptsächlichste, wenn auch nicht einzige Mittel zur Abänderung der Lebensformen gewesen ist.


Carl Linnaeus (1707–1787), schwedischer Botaniker und Systematiker, oft auch der Vater der modernen Taxonomie genannt.


Die Systema Naturae von Linnaeus. Die Erstausgabe 1735 bildete den Beginn der Modernisierung der biologischen Klassifikation, die schließlich eine wichtige Form der Beweisführung für Darwin wurde.


Alphonse de Candolle (1806–1893), ein Schweizer Botaniker, zeigte schon früh Interesse dafür, welche Pflanzenarten wo lebten – und warum. War das eine besondere Schöpfung?


Vogelfalter in Papua-Neuguinea. Muster einer speziellen Verbreitung – also die Biogeographie – zählten zu Darwins entscheidenden Formen der Beweisführung.

Die Entstehung der Arten

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