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III. DIE KLEINE DORRIT

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Vor vielen Jahren, als Menschen wegen Schulden noch ins Gefängnis gesteckt werden konnten, wurde ein armer Herr, der das Pech gehabt hatte, sein ganzes Geld zu verlieren, in das Marshalsea-Gefängnis gebracht, in dem ausschließlich Schuldner einsaßen. Da es keine Aussicht zu geben schien, seine Schulden tilgen zu können, lebten irgendwann auch seine Frau und seine zwei kleinen Kinder dort mit ihm. Das ältere Kind war ein Junge von drei Jahren, das jüngere ein kleines Mädchen von zwei, und nicht lange danach wurde ein weiteres kleines Mädchen geboren. Die drei Kinder spielten im Hof und waren im Großen und Ganzen glücklich, weil sie zu jung waren, um sich an glücklichere Zeiten erinnern zu können.

Aber das jüngste Kind, das noch nie außerhalb der Gefängnismauern gewesen war, war ein aufgewecktes. kleines Geschöpf, das sich oft fragte, wie die Welt draußen wohl sein würde. Der Gefängniswärter, der nicht nur ihr größter Freund, sondern auch ihr Taufpate war, hatte sie sehr lieb gewonnen, und sobald sie laufen und sprechen konnte, brachte er einen kleinen Sessel mit, stellte diesen an das Feuer in seinem Häuschen und beschwatzte sie mit billigem Spielzeug, sich zu ihm zu setzen. Da auch das Kind ihn sehr liebte, brachte sie oft ihre Puppe mit und zog diese an und aus, während sie in dem kleinen Sessel saß. Sie war noch sehr, sehr klein, als sie langsam verstand, dass nicht jeder Mensch hinter hohen Mauern mit Dornen an der Spitze eingesperrt lebte, und obwohl sie und der Rest der Familie durch die Tür gehen konnten, die der große Schlüssel öffnete, konnte ihr Vater dies nicht, weswegen sie ihn mit fragendem Mitleid in ihrem kleinen, sanften Herzen ansah.

Eines Tages saß sie im Häuschen des Wärters und blickte wehmütig durch das vergitterte Fenster in den Himmel. Nachdem der Wärter sie einige Zeit beobachtet hatte, sagte er:

"Du denkst an die Felder, nicht wahr?"

"Wo sind sie?", fragte das Mädchen.

"Na, sie sind – dort drüben, meine Liebe", sagte der Wärter und wedelte vage mit dem Schlüssel, "ungefähr dort."

"Gibt es dort auch jemanden, der sie öffnet und schließt? Sind sie verschlossen?"

"Nun", sagte der Wärter, der nicht wusste, was er sagen sollte, "im Allgemeinen nicht."

"Sind sie hübsch, Bob?" Sie nannte ihn Bob, weil er es so wollte.

"Hübsch. Voller Blumen. Es gibt dort Butterblumen, und auch Gänseblümchen, und" – hier zögerte er, da er die Namen vieler Blumen nicht kannte – " Löwenzahn und alle möglichen wilden Tiere."

"Ist es schön, wenn man dort ist, Bob?"

"Klasse", erwiderte der Wärter.

"War Vater jemals dort?"

"Ähem!", hustete der Wärter. "Oh ja, er war dort, manchmal."

"Tut es ihm leid, dass er nicht mehr dort sein kann?"

"N – nicht besonders", sagte der Wärter.

"Auch keinem der anderen Leute?", fragte sie und warf einen Blick auf die lustlose Menge im Innenhof. "Oh, sind Sie sich ganz sicher, Bob?"

An diesem Punkt hatte Bob ein Einsehen und wechselte das Thema zu Süßigkeiten. Aber nach diesem Gespräch ging er mit der kleinen Amy an seinen freien Sonntagnachmittagen auf einige Wiesen oder grüne Wege, und sie pflückte dort Gras und Blumen, die sie mit nach Hause nahm, während er seine Pfeife rauchte; danach gingen sie in einige Teegärten, wo es Garnelen, Tee und andere Köstlichkeiten gab, und kamen Hand in Hand zurück – es sei denn, sie war schon sehr müde und auf seiner Schulter eingeschlafen.

Als Amy erst acht Jahre alt war, starb ihre Mutter. Der arme Vater war hilfloser und gebrochener denn je, und da Fanny ein nachlässiges Kind und Edward faul war, führte die Liebe und Selbstlosigkeit der Kleinen, die das tapferste und ehrlichste Herz hatte, schließlich dazu, dass sie in die Mutterrolle der verlorenen Familie schlüpfte und darum kämpfte, für sich selbst, ihren Bruder und ihre Schwester ein wenig Bildung zu erhalten.

Zunächst konnte so ein Kleinkind nicht viel mehr tun, als ihren amüsanteren Platz am Feuergitter zu verlassen, bei ihrem Vater zu sitzen und diesen still zu beobachten. Aber das machte sie für ihn so unentbehrlich, dass er sich an ihre Anwesenheit gewöhnte und sie immer mehr vermisste, wenn sie nicht da war. Durch dieses kleine Tor verließ sie ihre Kindheit und gelangte hinaus in die mit Sorgen beladene Welt.

Und was ihr mitleidvoller Blick zu dieser frühen Zeit in ihrem Vater, in ihrer Schwester, in ihrem Bruder und im ganzen Gefängnis sah, wie viel oder wie wenig Gott ihr von dieser elenden Wirklichkeit zeigte, bleibt wohl verborgen wie so manch andere Geheimnisse. Es genügt zu wissen, dass sie dazu inspiriert wurde, anders zu sein als der Rest, fleißig und bemüht, und zwar um des Restes willen. Inspiriert? Ja. Sollen wir von einem Dichter oder einem Priester sprechen und nicht von einem Herzen, das von Liebe und Selbsthingabe zu der niedrigsten Arbeit in der niedrigsten Lebensweise getrieben wurde?

Die Familie blieb so lange im Gefängnis, dass der alte Mann als "Vater des Marshalsea" und die kleine Amy, die nie ein anderes Zuhause gekannt hatte, als "Kind des Marshalsea" bekannt wurden.

Mit dreizehn Jahren konnte sie lesen und Buch führen - das heißt, sie konnte in Worten und Zahlen niederschreiben, wie viel das Nötigste, das sie kaufen wollten, kosten würde, und wie viel ihnen dazu noch fehlte. Immer wieder war sie für ein paar Wochen draußen in einer Abendschule gewesen und hatte im Lauf von drei oder vier Jahren ihre Schwester und ihren Bruder zeitweise in Tagesschulen schicken können. Zu Hause gab es für sie nichts zu lernen; aber sie wusste genau – niemand besser als sie – dass ein so gebrochener Mann, der nur der "Vater des Marshalsea" genannt wird, seinen eigenen Kindern kein Vater sein konnte.

Diesen spärlichen Mitteln zur Verbesserung ihrer Lebensumstände fügte sie bald ein weiteres hinzu, dass sie selbst erdacht hatte. Einmal fand sie in der Menge der Gefangenen einen Tanzlehrer. Ihre Schwester hatte schon immer den großen Wunsch, die Kunst des Tanzens zu erlernen, und schien dafür auch ein Talent zu haben. Im Alter von dreizehn Jahren stellte sich also das "Kind des Marshalsea" mit einem kleinen Säckchen in der Hand dem Tanzlehrer vor und trug ihm ihre demütige Bitte vor.

"Bitte, ich bin hier geboren, Sir."

"Oh! Du bist die junge Dame, nicht wahr?", fragte der Tanzlehrer und betrachtete die kleine Figur mit dem erhobenen Gesicht.

"Ja, Sir."

"Und was kann ich für dich tun?", fragte er erneut.

"Für mich nichts, Sir, danke", antwortete das Kind und öffnete vorsichtig die Schnüre des Säckchens; "aber wenn Sie, während Sie hier bleiben müssen, so freundlich wären, meiner Schwester für wenig Geld das Ta – "

"Mein Kind, ich werde sie umsonst unterrichten", sagte der Tanzlehrer und schloss das Säckchen. Er war der gutmütigste Tanzlehrer, der je vor dem Hof der Mittellosen tanzte, und er hielt sein Wort. Die Schwester war eine so begabte Schülerin, und der Tanzmeister verbrachte so viel Zeit mit ihr, dass sie wunderbare Fortschritte erzielte. Tatsächlich war der Tanzlehrer so stolz auf sie, dass er vor seiner Entlassung einigen seiner auserwählten Freunden unter den Kollegen (die Schuldner im Gefängnis wurden "Kollegen" genannt) eines schönen morgens um sechs Uhr im Hof – die Zellen der Kollegen waren zu klein für diesen Zweck - eine Vorführung präsentieren wollte, bei der so viel getanzt und die Schritte so perfekt ausgeführt wurden, dass er selbst, da er außerdem noch Geige spielen musste, hinterher völlig erschöpft war.

Dieser anfängliche Erfolg, der dazu führte, dass der Tanzlehrer nach seiner Entlassung seine Tätigkeit fortsetzte, veranlasste das arme Kind dazu, es erneut zu versuchen. Sie hielt monatelang Ausschau nach einer Näherin. Schließlich kam irgendwann eine Hutmacherin, die wie alle anderen für eine Schuld, die sie nicht bezahlen konnte, ins Gefängnis musste; und zu ihr ging sie, um für sich selbst einen Gefallen zu erbitten.

"Ich bitte um Verzeihung, gnädige Frau", sagte sie und lugte zaghaft um die Tür der Hutmacherin, die weinend im Bett lag, "aber ich bin hier geboren."

Jeder Neuzugang schien sofort Bescheid zu wissen, denn die Hutmacherin trocknete sich die Augen und sagte, genau wie der Tanzlehrer:

"Oh! Du bist das Kind, nicht wahr?"

"Ja, Ma'am."

"Es tut mir leid, dass ich nichts für dich habe", sagte die Hutmacherin und schüttelte den Kopf.

"Darum geht es nicht, Ma'am. Ich möchte bitte Handarbeiten lernen."

"Warum möchtest du das", erwiderte die Hutmacherin, "wenn ich hier vor dir sitze? Es hat mir nichts Gutes gebracht."

"Nichts – was auch immer es ist – scheint irgendjemandem, der hierher kommt, viel Gutes gebracht zu haben", erwiderte sie auf ihre einfache Art, "aber ich möchte es trotzdem lernen".

"Ich fürchte, du bist zu schwach, weißt du?", widersprach die Hutmacherin.

"Ich glaube nicht, dass ich schwach bin, Ma'am."

"Und du bist sehr, sehr klein, verstehst du?", entgegnete die Hutmacherin.

"Ja, ich fürchte, ich bin wirklich sehr klein", erwiderte das "Kind des Marshalsea" und begann über seine unglückliche Kleinheit zu schluchzen, die es so oft einholte. Die Hutmacherin – die nicht unfreundlich oder hartherzig war, nur über und über verschuldet – war gerührt, nahm sie an die Hand, fand in ihr die geduldigste und ernsthafteste aller Schülerinnen und machte sie zu einer guten Arbeiterin.

"Im Laufe der Zeit entwickelte der "Vater des Marshalsea" allmählich einen neuen Charakterzug. Er schämte sich sehr dafür, seine beiden Töchter für ihren Lebensunterhalt arbeiten zu lassen, und er versuchte den Anschein zu erwecken, dass sie dies nur zum Vergnügen und nicht gegen Bezahlung taten. Gleichzeitig aber nahm er ganz ohne Scham von jedem Geld an. Mit derselben Hand, mit der er vor einer halben Stunde die halbe Krone eines Mitgefangenen eingesteckt hatte, wischte er die Tränen weg, die über seine Wangen flossen, wenn davon die Rede war, dass seine Töchter ihm das Brot verdienten. So hatte das "Kind des Marshalsea", abgesehen von seinen anderen täglichen Aufgaben, immer auch sorgfältig die Illusion aufrechtzuerhalten, dass sie alle zusammen nur untätige Bettler waren.

Die Schwester wurde Tänzerin. In der Familie gab es einen bankrotten Onkel, der von seinem Bruder, dem "Vater des Marshalsea", ruiniert worden war und der genausowenig wie dieser selbst mehr wusste, wie und warum – aber die Tatsache als etwas annahm, was nicht mehr zu ändern war. Er war eigentlich ein bereits pensionierter und einfacher Mann, der zu dem Zeitpunkt, als das Unglück über ihn hereinbrach, kein Gefühl dafür hatte, was es hieß, pleite zu sein – außer, dass er aufhörte, sich zu waschen, als ihm die schlechte Nachricht präsentiert wurde, und sich seither nie wieder Gesicht und Hände wusch. In besseren Tagen war er ein eher armer Musiker gewesen; und als ihm gemeinsam mit seinem Bruder das Geld ausging, verdingte er sich damit, indem er in einer kleinen Theaterkapelle eine Klarinette spielte, die so schmutzig war wie er selbst. Es war das Theater, in dem seine Nichte Tänzerin wurde, und in dem er lange Zeit eine feste Größe gewesen war, bis sie dort ihren Platz einnahm; und er nahm die Aufgabe, ihr Vormund zu sein, so an, wie er eine Krankheit, ein Vermächtnis, ein Fest, den Hungertod – alles andere als Seife – angenommen hätte.

Damit dieses Mädchen ihre wenigen Schillinge pro Woche verdienen konnte, war es notwendig, dass das "Kind des Marshalsea" ein ernste Gespräch mit ihrem Vater führte.

"Fanny wird ab heute nicht mehr bei uns leben, Vater. Sie wird tagsüber hier sein, aber sonst wird sie draußen bei ihrem Onkel wohnen."

"Du überraschst mich. Warum?"

"Ich glaube, Onkel braucht Gesellschaft, Vater. Man sollte sich um ihn kümmern und ihm helfen."

"Gesellschaft? Er verbringt einen Großteil seiner Zeit hier. Und du kümmerst dich um ihn und hilfst ihm, Amy, viel mehr als deine Schwester es je tun wird. Ihr geht alle so viel raus, ihr geht alle so viel raus."

Damit wollte er die Form wahren und so tun, als hätte er keine Ahnung davon, dass Amy selbst tagsüber zur Arbeit ging.

"Aber wir sind immer sehr froh, nach Hause zu kommen, Vater; nicht wahr? Und was Fanny anbelangt, so wäre es vielleicht, mal ganz abgesehen davon, dass sie Onkel Gesellschaft leistet und sich um ihn kümmert, auch ganz gut für sie selbst, nicht ständig hier zu leben. Wie du weißt, ist sie nicht hier geboren, so wie ich, Vater."

"Nun, Amy, ich kann dir nicht ganz folgen, aber ich schätze, es ist nur allzu natürlich, dass Fanny lieber draußen ist, und das solltest du auch öfter tun. Also, du und Fanny und dein Onkel, meine Liebe, ihr sollt euren Willen bekommen. Gut, gut. Ich werde mich nicht einmischen; kümmert euch nicht um mich."

Ihren Bruder aus dem Gefängnis herauszuholen, aus der niedrigen Arbeit, für die Gefangenen draußen Besorgungen zu machen, und aus der schlechten Gesellschaft, in die er geraten war, blieb ihre schwerste Aufgabe. Mit achtzehn Jahren hätte sich ihr Bruder Edward von der Hand in den Mund, von Stunde zu Stunde, von Penny zu Penny, bis zum Alter von achtzig Jahren weitergeschleppt. Niemand kam ins Gefängnis, von dem er etwas Nützliches oder Gutes lernen konnte, und sie fand keinen anderen Gönner für ihn als ihren alten Freund und Paten, den Gefängniswärter.

"Lieber Bob", sagte sie, "was soll aus dem armen Tip werden?" Sein Name war Edward, aber Ted war innerhalb der Mauern zu Tip geworden.

Der Wärter hatte seine eigene Meinung darüber, was aus dem armen Tip werden würde, und war in der Hoffnung, genau dies zu verhindern, sogar so weit gegangen, mit Tip zu sprechen und ihn dazu zu drängen, wegzulaufen und seinem Land als Soldat zu dienen. Aber Tip hatte sich nur bei ihm bedankt und gesagt, sein Land wäre ihm egal.

"Nun, meine Liebe", sagte der Wärter, " etwas muss mit ihm geschehen. Soll ich versuchen, ihn bei einem Anwalt unterzubringen?"

"Das wäre sehr nett von dir, Bob!"

Von da an sprach der Wärter mit den Anwälten, die ständig im Gefängnis ein- und ausgingen. Er sprach so beharrlich, dass im Büro eines Anwalts der Kammer von Clifford's Inn schließlich ein Hocker und eine Bezahlung von zwölf Schillingen pro Woche für Tip gefunden wurden.

Tip trödelte ganze sechs Monate in Clifford's Inn herum, und schlenderte nach dieser Zeit eines Abends zurück zu seiner Schwester, um ihr mit fest in die Taschen gepressten Händen zu sagen, dass er nicht wieder zurückgehen würde.

"Nicht wieder zurück?", sagte das arme, kleine, ängstliche "Kind des Marshalsea", für das Tip immer in der ersten Reihe seiner Schützlinge stand.

"Ich habe es so satt", sagte Tip, "dass ich es geschmissen habe."

Tip wurde allem sehr schnell müde. Mit kurzen Unterbrechungen, in denen er wieder in Marshalsea faulenzte und Besorgungen machte, brachte ihn seine kleine, zweite Mutter, unterstützt von ihrem treuen Freund, in einem Lagerhaus, einer Gärtnerei, im Hopfenhandel, wieder in der Justiz, in einem Auktionshaus, einer Brauerei, bei einem Börsenmakler, erneut in der Justiz, bei einem Kutschenfahrdienst, bei einen Gemischtwarenhändler, einer Destillerie, zurück in der Justiz, bei einem Tuchhändler, auf dem Fischmarkt, bei einem Obstgroßhändler und in den Docks unter. Aber wo auch immer Tip hinging, er kam umgehend wieder dessen überdrüssig zurück und verkündete, dass er den Job geschmissen hatte. Wo auch immer er hinging, schien dieser nutzlose Tip die Gefängnismauern mitzunehmen und sie bei seiner Anstellung wieder aufzurichten; und innerhalb ihrer engen Grenzen trieb er so lange sein schlampiges, schludriges, zielloses und lustloses Unwesen, bis die echten, unbeweglichen Mauern des Marshalsea ihre Macht über ihn behaupteten und ihn zurückbrachten.

Nichtsdestotrotz hatte sich das tapfere, kleine Geschöpf so sehr auf die Rettung ihres Bruders versteift, dass sie genug zusammenbettelte und zusammenkratzte, um ihn nach Kanada zu schicken. Als er es leid war, überhaupt nichts mehr zu tun, und sich dafür entschied, auch das noch zu schmeißen, willigte er gütigst ein, dorthin zu gehen. Beim Abschied fühlte Amy sowohl Trauer über die Trennung, als auch Freude über die Hoffnung, dass er nun endlich den rechten Weg einschlagen würde.

"Gott segne dich, lieber Tip. Sei dir nicht zu schade, uns zu besuchen, wenn du dein Glück gemacht hast."

"In Ordnung!", sagte Tip und ging.

Aber nicht den ganzen Weg bis nach Kanada; eigentlich ging er nicht weiter als bis nach Liverpool. Nachdem er von London aus die Reise zu diesem Hafen angetreten hatte, war er des Schiffes schon wieder so müde, dass er beschloss, den ganzen Weg wieder zurückzulaufen. In Ausführung dieser Absicht stand er nach Ablauf eines Monats wieder vor ihr, in Lumpen, ohne Schuhe und viel müder als je zuvor.

Schließlich, nachdem er wieder einige Zeit Besorgungen erledigt hatte, fand er tatsächlich eine Beschäftigung, die ihm gefiel, und kündigte diese wie folgt an.

"Amy, ich habe ein Anstellung."

"Wirklich und wahrhaftig, Tip?"

"Absolut. Jetzt werde ich es durchziehen. Du musst dich nicht länger um mich sorgen, altes Mädchen."

"Was ist es, Tip?"

"Na, du kennst doch Slingo vom Sehen?"

"Aber nicht den Mann, den man den Händler nennt?"

"Doch, das ist der Kerl. Er kommt am Montag raus und wird mir einen Job geben."

"Womit handelt er denn, Tip?"

"Mit Pferden. Jetzt werde ich es durchziehen, Amy."

Danach verlor sie ihn monatelang aus den Augen und hörte nur noch einmal von ihm. Unter den älteren Häftlingen wurde geflüstert, dass er bei einer Scheinauktion in Moorfields gesehen worden sei, wo er vorgab, plattierte Gegenstände als echtes Silber zu kaufen, und dafür mit größter Freizügigkeit in Banknoten bezahlte; aber dieses Gerücht kam ihr nie zu Ohren. Eines Abends war sie allein bei der Arbeit – aufrechtstehend am Fenster, um das Dämmerlicht über der Mauer nutzen zu können – , als er die Tür öffnete und hereinkam.

Sie küsste und begrüßte ihn, traute sich aber nicht, ihm diese eine Frage zu stellen. Er sah, wie besorgt und ängstlich sie war, und etwas schien ihm leid zu tun.

"Ich habe Angst, Amy, dass du dieses Mal wirklich sauer bist. So wahr ich hier stehe!"

"Es tut mir sehr leid, dich das sagen zu hören, Tip. Bleibst du hier?"

"Nun – ja."

"Da ich diesmal nicht erwartet habe, dass du es wirklich durchziehen würdest, bin ich weniger überrascht und traurig, als ich es vielleicht sonst gewesen wäre, Tip.

"Ach! Aber das ist nicht das Schlimmste."

"Nicht das Schlimmste?"

"Schau nicht so erschrocken. Nein, Amy, das ist nicht das Schlimmste. Ich bin wieder hier, das siehst du; aber – schau nicht so erschrocken – ich bin auf eine, ich möchte es mal so nennen, neue Weise zurückgekommen. Ich bin nicht mehr auf der Freiwilligenliste. Ich bin jetzt einer der Stammgäste. Ich bin im Gefängnis wegen meiner Schulden, wie alle anderen auch."

"Oh! Sag nicht, dass du jetzt ein Gefangener bist, Tip! Bitte nicht, bitte nicht!"

"Nun, ich wollte es ja nicht sagen", erwiderte er widerstrebend; "aber wenn du es nicht kapierst, ohne dass ich es sage, was soll ich dann machen? Ich bin mit vierzig Pfund und einem bisschen Kleingeld verschuldet."

Zum ersten Mal in all den Jahren brach sie unter ihrer Last zusammen. Sie hielt ihre gefalteten Hände über dem Kopf und rief, dass es ihren Vater umbringen würde, wenn er es jemals erfuhr; dann fiel sie vor Tips nutzlose Füße.

Es war leichter für Tip, sie zur Vernunft zu bringen, als es für sie war, indem sie versuchte ihm klarzumachen, dass der "Vater des Marshalsea" außer sich wäre, wenn er die Wahrheit erführe. Tip fand nichts Merkwürdiges daran, als Gefangener dort zu sein, aber er stimmte mit ihr überein, dass es sein Vater nicht erfahren sollte. Es gab jede Menge Gründe, mit der man seine Rückkehr begründen konnte, und dem Vater wurde alles so glaubwürdig wie möglich präsentiert; die Kollegen, die ein besseres Verständnis für diese Art von Betrug hatten als Tip, schwiegen standhaft.

Dies war das Leben und die Geschichte des "Kindes des Marshalsea" mit zweiundzwanzig Jahren. Ihr Interesse an diesem jämmerlichen Innenhof und dem Häuserblock als ihrem Geburtsort und ihrem Zuhause war ungebrochen, und sie war sich durchaus bewusst, dass man auf sie zeigte, wenn sie draußen unterwegs war. Seit sie begonnen hatte, jenseits der Mauern zu arbeiten, war es für sie zur Notwendigkeit geworden, niemandem zu sagen, wo sie wohnte, und sich so heimlich wie möglich zwischen der freien Stadt und den Eisentoren, außerhalb derer sie nie in ihrem Leben geschlafen hatte, zu bewegen. Ihre eigene Schüchternheit war mit dieser Verschleierung noch größer geworden, und ihr leichter Schritt und ihre kleine Gestalt mieden die dicht gedrängten Straßen, während sie ihres Weges ging.

Sie kannte sich aus in den Notwendigkeiten und Bedürfnissen der Armen und Verstoßenen, war arglos in allen anderen Dingen. Arglos, was den Nebel anging, durch den sie ihren Vater sah, das Gefängnis, und den dunklen, lebendigen Fluss, der durch es hindurch- und weiterfloss.


Dies war das Leben und die Geschichte der kleinen Dorrit, bis der Sohn von Mrs. Clennam, der Dame, in deren Haus Amy Handarbeiten verrichtete, sich für das blasse, geduldige, kleine Geschöpf interessierte. Eines Tages folgte er ihr nach Hause, und als er feststellte, dass sie im Schuldnergefängnis lebte, ging auch er hinein. Als er von ihrem Vater ihre traurige Geschichte hörte, beschloss Arthur Clennam, sein Bestes zu tun, um dessen Freilassung zu erreichen und ihnen allen zu helfen.

Eines Tages, als er mit Amy nach Hause ging, um die Namen einiger Personen herauszufinden, denen ihr Vater Geld schuldete, hörten sie eine Stimme rufen: "Kleine Mutter, kleine Mutter." Dann rannte eine seltsame Gestalt auf sie zu, fiel vor ihnen hin und verstreute dabei den Inhalt ihres Korbes voller Kartoffeln auf dem Boden. "Oh Maggie", sagte Amy, "was bist du doch für ein ungeschicktes Kind!"

Sie war etwa achtundzwanzig Jahre alt, groß gewachsen, mit kantigen Gesichtszügen, großen Hände und Füßen, großen Augen und keinen Haaren. Amy erzählte Mr. Clennam, dass Maggie die Enkelin ihres alten Kindermädchens sei, das schon lange tot war, und dass ihre Großmutter sehr unfreundlich zu ihr gewesen sei und sie geschlagen habe.

"Als Maggie zehn Jahre alt war, hatte sie Fieber, und seitdem ist sie nie älter geworden."

"Zehn Jahre alt", sagte Maggie. "Aber was für ein schönes Krankenhaus! So gemütlich, nicht wahr? So ein himmlischer Ort! So tolle Betten! So viel Limonade! So viele Orangen! Solch köstliche Brühe und Saft! So leckere Hühnchen! Oh, was für ein entzückender Ort, um dort zu verweilen!"

"Die arme Maggie dachte, dass ein Krankenhaus der schönste Ort auf der ganzen Welt sei, weil sie noch nie ein richtiges Zuhause erlebt hatte. Jahrelang blickte sie auf das Krankenhaus als eine Art Himmel auf Erden zurück."

"Als sie schließlich entlassen wurde, wusste ihre Großmutter nicht, was sie mit ihr machen sollte, und war sehr unfreundlich zu ihr. Aber nach einiger Zeit ging es Maggie besser, sie lernte viel und war sehr fleißig, sodass sie jetzt ihren Lebensunterhalt selbst verdienen kann, Sir!"

Amy sagte nicht, wer sich die Mühe gemacht hatte, das arme, zurückgebliebene Geschöpf zu unterrichten und zu ermutigen, aber Mr. Clennam erriet es wegen des Namens "kleine Mutter" und der Zuneigung der armen Kreatur zu Amy.

Eines kalten, nassen Abends gingen Amy und Maggie zu Mr. Clennams Haus, um ihm dafür zu danken, dass er Edward aus dem Gefängnis befreit hatte; als sie ihn wieder verließen, stellten sie fest, dass Amy um diese Uhrzeit nicht mehr nach Hause gehen konnte, da das Tor bereits verschlossen war. Sie versuchten, in Maggies Wohnung zu gelangen, aber obwohl sie zweimal klopften, schliefen die Leute. Da Amy sie nicht stören wollte, liefen sie die ganze Nacht umher, und saßen sogar einmal vor dem Tor des Gefängnisses.

"Es wird bald vorbei sein, meine Liebe", sagte die geduldige Amy zu der zitternden und wimmerten Maggie.

"Oh, für dich ist das alles schön und gut, Mutter", sagte Maggie, "aber ich bin ein armes Ding, erst zehn Jahre alt."

Dank Mr. Clennam änderte sich das Schicksal der Familie bald ganz entschieden, denn nicht lange nach dieser elenden Nacht entdeckte er, dass Mr. Dorrit Eigentümer eines großen Anwesens war, und sie wurden sehr reich.

Aber die kleine Dorrit vergaß nie, ganz im Gegensatz zum Rest der Familie, die Freunde, die trotz ihrer Armut immer nett zu ihnen gewesen waren; und als Mr. Clennam selbst im Marshalsea einsitzen musste, kam die kleine Dorrit, um ihn zu trösten und ihm Mut zuzusprechen; nach vielen Schicksalsschlägen wurde sie schließlich seine Frau, und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage.

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