Читать книгу Dickens' Geschichten über Kinder, für Kinder erzählt - Charles Dickens - Страница 7
IV. DER SPIELZEUGMACHER UND SEINE BLINDE TOCHTER
ОглавлениеCaleb Plummer und seine blinde Tochter lebten allein in einer kleinen, zerbrochenen Nussschale von einem Haus. Sie waren Spielzeugmacher, und ihr Haus, das so klein war, dass man es mit einem Hammer zertrümmern und in einem Karren wegfahren hätte können, klebte wie ein Fliegenpilz auf dem Anwesen der Herren Gruff & Tackleton, den Spielzeughändlern, für die sie arbeiteten – wobei Letztgenannter Gruff und Tackleton in einer Person war.
Ich sage, dass Caleb und seine blinde Tochter dort lebten. Eigentlich lebte aber nur Caleb dort, während seine Tochter in einem verzauberten Palast lebte, den die Liebe ihres Vaters für sie erschaffen hatte. Sie wusste nicht, dass die Decken rissig waren, der Putz herunterfiel und die Hölzer schon verrotteten; dass alles um sie herum alt und hässlich und armselig aussah, und dass ihr Vater ein grauhaariger, gebeugter alter Mann und der Meister, für den sie arbeiteten, hart und brutal war; du lieber Gott, nein, sie stellte sich ein hübsches, gemütliches, kleines Heim vor, Zeichen der Fürsorge eines netten Meisters, einen klugen, flotten, vornehm aussehenden Vater und einen hübschen und edel aussehenden Spielzeughändlers, der geradezu ein Engel der Tugend war.
Das war alles Calebs Werk. Als seine blinde Tochter noch ein Baby gewesen war, hatte er in seiner großen Liebe zu und in seinem Mitleid mit ihr beschlossen, dass er ihr den Verlust ihres Augenlichts in einen Segen verwandeln und ihr Leben so glücklich wie möglich machen würde. Und sie war glücklich; sie sah alles mit den Augen ihres Vaters, in dem regenbogenfarbigen Licht, das er mit so viel Sorgfalt und Freude hegte und pflegte.
Caleb und seine Tochter arbeiteten zusammen in ihrem Arbeitszimmer, das ihnen auch als Wohnzimmer diente; und was war das für ein seltsamer Ort. Dort befanden sich Häuser, fertige und unfertige, für Puppen aller Lebenslagen. Mietskasernen für Puppen mit bescheidenen Mitteln; Küchen und Einzelwohnungen für Puppen der unteren Klassen; großartige Stadthäuser für Puppen der gehobenen Gesellschaft. Einige dieser Etablissements waren bereits mit Blick auf die Bedürfnisse von Puppen mit wenig Geld eingerichtet worden; andere konnten auf Zuruf mit Regalen, Stühlen und Tischen, Sofas, Bettgestellen und Polstermöbeln allererster Güte eingerichtet werden. Die Vertreter des gehobenen und niederen Adels, für deren Gebrauch diese Puppenstuben geplant waren, lagen hier und da in Körben und starrten unbeirrt an die Decke; aber um ihrem Stand in der Gesellschaft Ausdruck zu verleihen und sie bei Ihresgleichen zu halten (was sich im wirklichen Leben als überaus schwierig erwies), hatten die Schöpfer dieser Puppen der Natur etwas nachgeholfen, denn sie wollten sich nicht auf Merkmale wie Satin, Baumwolldruck oder Lumpenkleider verlassen, sondern hatten Unterschiede kreiert, die unmissverständlich waren. So hatte die Puppendame von hohem Rang perfekt gearbeitete Gliedmaßen aus Wachs, aber das galt nur für sie und andere Puppen ihrer Klasse; die nächste Klasse auf der sozialen Skala war aus Leder gefertigt, und die nächste aus grobem Leinen. Was die einfachsten Puppen betraf, so hatten diese gerade mal Streichhölzer als Arme und Beine – und lagen sie einmal an ihrem Platz, gab es keine Möglichkeit mehr, dort herauszukommen.
In Caleb Plummers Zimmer befanden sich neben den Puppen noch verschiedene andere Musterexemplare seines Handwerks. Es gab einige Archen Noahs, in denen allerdings Vögel und Tiere mit Sicherheit seltene Gäste gewesen wären, das kann ich versichern; man hätte sie bestenfalls über das Dach hineinpferchen und dann in die einzelnen Abteilungen schütteln und stoßen können. Die meisten dieser Archen Noahs hatten Klopfer an den Türen; vielleicht nicht gerade passend für eine Arche, da auf dem Meer vermutlich wenig morgendliche Besucher und Briefträger vorbeikommen dürften, und doch eine nette Verzierung an der Außenseite des Bauwerks. Es gab Unmengen kleiner Spieluhren in Form von Karren, die, wenn sich die Räder drehten, ausgesprochen melancholische Musik spielten. Viele kleine Fiedeln, Trommeln und ähnliche Folterinstrumente; Kanonen, Schilder, Schwerter, Speere und Kanonen ohne Ende. Man fand kleine Stehaufmännchen in roten Reiterhosen, die unaufhörlich irgendwelche Hindernisse hinaufstolperten und auf der anderen Seite Kopf voran herunterfielen; und es gab Tiere aller Art, insbesondere Pferde aller Rassen, vom gefleckten Fässchen auf vier Stiften, mit einer kleinen Pelerine als Mähne, bis zum edlen Schaukelpferd.
"Du warst gestern Abend in deinem schönen neuen Mantel im Regen unterwegs", sagte Bertha.
"Ja, in meinem schönen neuen Mantel", antwortete Caleb und warf einen Blick auf die Stelle, an der ein grob gearbeitetes Kleidungsstück aus Sackleinen zum Trocknen aufgehängt war.
"Wie froh ich bin, dass du ihn gekauft hast, Vater."
"Und obendrein von einem Schneider! Von einem recht modischen Schneider; ein leuchtend blaues Tuch, mit glänzenden Knöpfen; das ist ein viel zu guter Mantel für mich."
"Zu gut!", rief das blinde Mädchen, das kurz lachen musste und in die Hände klatschte; "als ob irgendetwas zu gut für meinen hübschen Vater sein könnte, mit seinem lächelnden Gesicht, den schwarzen Haaren und seiner aufrechten Gestalt, als ob irgendetwas zu gut für meinen hübschen Vater sein könnte!"
"Aber ich schäme mich fast, ihn zu tragen", sagte Caleb und beobachtete die Wirkung seiner Worte auf ihr strahlendes Gesicht. "Ich höre die Jungen und die Leute hinter mir sagen: 'Hallo-o! Was für ein Geck!', und ich weiß nicht, in welche Richtung ich schauen soll. Und als mich der Bettler letzte Nacht nicht in Ruhe lassen wollte; als ich sagte, ich sei ein ganz gewöhnlicher Mann, antwortete er: 'Nein, Euer Ehren! Euer Ehren, sagen Sie das nicht!' Ich war ziemlich beschämt. Ich denke wirklich, dass ich nicht das Recht habe, ihn zu tragen."
Glückliches, blindes Mädchen! Wie fröhlich sie doch war!
"Ich sehe dich, Vater", sagte sie und umklammerte ihre Hände, "so klar, als hätte ich die Augen, die ich nie haben will, wenn du bei mir bist. Ein blauer Mantel – !"
"Leuchtend blau", sagte Caleb.
"Ja, ja! Leuchtend blau", rief das Mädchen aus und wandte ihm ihr strahlendes Gesicht zu, "die Farbe, an die ich mich gerade noch erinnern kann; die Farbe, die der gesegnete Himmel hat! Du sagtest mir, dass er schon immer blau war! Ein leuchtend blauer Mantel – "
"Maßgeschneidert", warf Caleb ein.
"Ja! Maßgeschneidert", rief das blinde Mädchen und lachte herzhaft; "und darin steckt du, mein lieber Vater, mit deinen fröhlichen Augen, deinem lächelnden Gesicht, deinem ausholenden Gang und deinem dunklen Haar; so jung und schön siehst du aus!"
"Hallo-o! Hallo-o!" sagte Caleb. "Ich werde gleich verlegen."
"Ich glaube, das bist du schon", rief das blinde Mädchen und zeigte in ihrer Fröhlichkeit auf ihn. "Ich kenne dich, Vater! Ha, ha, ha! Ich habe dich erwischt, nicht wahr?"
Aber wie verschieden war das Bild in ihrem Kopf von dem Caleb, der dasaß und sie beobachtete! Sie hatte von seinem ausladenden Gang gesprochen. Damit hatte sie recht. Jahrelang hatte er diese Schwelle nicht ein einziges Mal mit der ihm so eigenen Langsamkeit überschritten, sondern mit einem Tritt, der genau für ihr Ohr gedacht war, und nie hatte er, selbst wenn sein Herz am schwersten war, den leichten Schritt vergessen, der ihr so fröhlich und mutig erschien.
"Da haben wir's", sagte Caleb und ging ein oder zwei Schritte zurück, um seine Arbeit besser begutachten zu können; "so nah an der Wirklichkeit wie ein Halfpence einem Sixpence. Wie schade, dass sich die ganze Vorderseite des Hauses auf einmal öffnet! Wenn es nur eine Treppe gäbe und echte Türen zu den Zimmern, durch die man hineingehen könnte! Aber das ist das Schlimmste an meinem Beruf.. Ich mache mir ständig etwas vor und betrüge mich selbst."
"Du sprichst so leise. Bist du nicht müde, Vater?"
"Müde", sagte Caleb aufbrausend, "was sollte mich ermüden, Bertha? Ich war noch nie müde. Was bedeutet dieses Wort?"
Um seinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen, nahm er die Pose zweier kleiner, gähnender Figuren auf dem Kaminsims ein, deren Torsos in einem ewigen Zustand der Müdigkeit versunken zu sein schienen, und summte dazu ein kleines Lied. Es war ein Trinklied, etwas über einen glänzenden Becher, und er sang es so übertreiben unbekümmert, dass es sein Gesicht tausendmal hagerer und nachdenklicher aussehen ließ als je zuvor.
"Was! Du singst ja!", sagte Tackleton, der Spielzeugverkäufer, für den Caleb arbeitete, und steckte den Kopf durch die Tür. "Verflucht! Ich kann nicht singen."
Niemand hätte jemals gedacht, dass Tackleton singen kann. Er hatte keineswegs das, sagen wir mal so, passende Gesicht dafür.
"Ich kann es mir nicht leisten zu singen", sagte Tackleton. "Ich bin froh, dass es dir anscheinend anders geht. Ich hoffe, du schaffst es auch, hin und wieder zu arbeiten. Kaum Zeit für beides, sollte ich meinen?"
"Wenn du ihn nur sehen könntest, Bertha, wie er mir zu grinst!", flüsterte Caleb. "So ein Scherzbold! Wenn man ihn nicht kennen würde, könnte man meinen, er meint es ernst, nicht wahr?"
Das blinde Mädchen lächelte und nickte.
"Ich danke Ihnen für das Bäumchen, das schöne Bäumchen", antwortete Bertha und zeigte ihm eine kleine, blühende Rose. Caleb hatte ihr dazu eine Geschichte vorgeschwindelt, die sie glauben ließ, die Rose sei das Geschenk ihres Herrn – obwohl Caleb selbst auf ein oder zwei Mahlzeiten verzichtet hatte, um sie kaufen zu können.
"Der Vogel, der singen kann, aber nicht will, muss zum Singen gebracht werden, sagt man", murmelte Tackleton. "Was ist mit der Eule, die nicht singen kann und nicht singen soll und trotzdem singt; gibt es etwas, dass man dagegen machen kann?
"Wie sehr er mir gerade zuzwinkert!", flüsterte Caleb seiner Tochter zu. "Ach, du meine Güte!"
"Immer fröhlich und unbeschwert!", rief die lächelnde Bertha.
"Oh! Du bist ja auch da, nicht wahr?", antwortete Tackleton. "Arme Idiotin!"
Tackleton glaubte wirklich, dass sie eine Idiotin war, und begründete diesen Glauben, ich kann nicht sagen, ob bewusst oder unbewusst, damit, dass sie ihn mochte.
"Nun! Da du schon mal da bist – wie geht es dir?", fragte Tackleton auf seine übliche, mürrische Weise.
"Oh! Nun ja, ganz gut. So glücklich, wie Sie mich gemacht haben. So glücklich, wie Sie die ganze Welt machen würden, wenn Sie nur könnten!"
"Arme Idiotin!", murmelte Tackleton. "Keinen Funken Vernunft! Keinen Funken!"
Das blinde Mädchen nahm seine Hand und küsste sie, hielt sie für einen Moment fest und legte sie zärtlich an ihre Wange, bevor sie sie losließ. In dieser Handlung lag eine so unaussprechliche Zuneigung und eine so inbrünstige Dankbarkeit, dass selbst Tackleton gerührt war und nicht ganz so knurrig wie üblich sagte: "Was ist denn jetzt schon wieder los?"
"Bertha", fuhr Tackleton fort, der ausnahmsweise fast ein wenig herzlich klang. "Komm mal her."
"Oh! Ich kann sofort zu Ihnen kommen. Sie brauchen mich nicht zu führen", erwiderte sie.
"Soll ich dir ein Geheimnis verraten, Bertha?"
"Wenn Sie mögen!", antwortete sie begierig.
Wie das schmutzige Gesicht leuchtete! Wie das Licht um den lauschenden Kopf spielte!
"Heute ist doch der Tag, an dem diese kleine – wie heißt sie noch gleich – , diese verzogene Göre, Peerybingles Frau, dir ihren regelmäßigen Besuch abstattet – hier ihr lächerliches Picknick veranstaltet, nicht wahr?", sagte Tackleton, dem seine Abneigung gegen diese Veranstaltung deutlich anzumerken war.
"Ja", antwortete Bertha. "Heute ist der Tag."
"Das dachte ich mir!", sagte Tackleton. "Ich würde gerne auch daran teilnehmen."
"Hörst du das, Vater!", rief das blinde Mädchen freudig.
"Ja, ja, ich höre es", murmelte Caleb mit dem starren Blick eines Schlafwandlers, "aber ich kann es nicht glauben. Das ist nur eine seiner Lügen, daran habe ich keinen Zweifel."
"Weißt du, ich möchte, dass die Peerybingles May Fielding ein wenig besser kennenlernen", sagte Tackleton. "Ich werde nämlich May Fielding heiraten."
"Heiraten!", rief das blinde Mädchen, sichtlich erschrocken.
"Sie ist so eine verdammte Idiotin", murmelte Tackleton, "und ich befürchte, dass sie mich nie verstehen wird. Ja, Bertha! Heiraten! Kirche, Pfarrer, Standesbeamter, Kutsche, Glocken, Frühstück, Brautkuchen, Geschenke, Markknochen, und die ganzen anderen Albernheiten. Eine Hochzeit, verstehst du?; eine Hochzeit. Weißt du nicht, was eine Hochzeit ist?"
"Doch, das weiß ich", antwortete das blinde Mädchen sanft. "Ich verstehe!"
"Wirklich?", murmelte Tackleton. "Das ist mehr, als ich erwartet habe. Nun, aus diesem Grund möchte ich, dass du der Feier beiwohnst und May und ihre Mutter mitbringst. Ich werde noch vor dem Nachmittag das eine oder andere herschicken. Eine kalte Hammelkeule oder eine andere, leckere Kleinigkeit dieser Art. Wirst du mich erwarten?"
"Ja", antwortete sie.
Sie ließ den Kopf hängen, hatte sich weggedreht und stand nun mit verschränkten Händen da und grübelte.
"Ich glaube nicht, dass du das tun wirst", raunte Tackleton und sah sie an, "denn du scheinst ja jetzt schon alles vergessen zu haben. Caleb!"
"Ich schätze, er hat bemerkt, dass ich auch noch hier bin", dachte Caleb. Dann sagte er: "Sir!"
"Pass auf, dass sie nicht vergisst, was ich ihr gesagt habe."
"Sie vergisst nie etwas ", erwiderte Caleb. "Das ist eines der wenigen Dinge, in denen sie wirklich gut ist."
"Jeder Mann glaubt, dass seine eigenen Gänse Schwäne wären", bemerkte der Spielzeughändler achselzuckend. "Armer Teufel!"
Nachdem er sich mit unendlicher Verachtung dieser Bemerkung entledigt hatte, zog sich der alte Gruff & Tackleton zurück.
Bertha blieb, wo er sie verlassen hatte, vollkommen versunken in irgendwelchen Gedanken. Die Fröhlichkeit war aus ihrem nach unten geneigten Gesicht verschwunden, und es wirkte sehr traurig. Drei- oder viermal schüttelte sie den Kopf, als ob sie eine Erinnerung oder einen Verlust beklagen wollte; aber ihre kummervollen Überlegungen fanden keinen Ausdruck in Worten.
"Vater, ich bin so verloren in der Dunkelheit. Ich will meine Augen; meine geduldigen, willigen Augen."
"Hier sind sie", sagte Caleb. "Sie sind immer bereit. Sie gehören mehr dir als mir, Bertha, zu jeder der vierundzwanzig Stunden. Was sollen deine Augen für dich tun, meine Liebe?"
"Sieh dich um, Vater."
"In Ordnung", sagte Caleb. "Kaum gesagt, schon getan, Bertha."
"Erzähl mir, wie es hier aussieht."
"Es ist fast wie immer", sagte Caleb. "Einfach, aber sehr gemütlich. Die fröhlichen Farben an den Wänden; die hellen Blumen auf den Tellern und den Schüsseln; das glänzende Holz der Balken und der Täfelung; die allgemeine Freundlichkeit und Sauberkeit des Gebäudes machen es sehr hübsch."
Dort, wo Berthas Hände hinkamen, war tatsächlich alles freundlich und sauber. Aber eben nur dort und nirgendwo sonst in dem wahnwitzigen Schuppen, den Calebs Fantasie ihr vorgaukelte.
"Du trägst deine Arbeitskleidung; das bedeutet, du bist nicht so vergnügt, wie wenn du den schönen Mantel trägst?", fragte Bertha, während sie ihn berührte.
"Nicht ganz so vergnügt", antwortete Caleb. "Aber ziemlich munter."
"Vater", sagte das blinde Mädchen, kam an seine Seite und schlang einen Arm um seinen Hals, "erzähl mir etwas über May. Sie ist sehr schön."
"Das ist sie in der Tat", sagte Caleb. Und das war sie – in der Tat. Es war für Caleb ziemlich selten, dass er nicht auf seine Erfindungsgabe zurückgreifen musste.
"Ihr Haar ist dunkel", sagte Bertha nachdenklich, "dunkler als meins. Ihre Stimme ist süß und musikalisch, das weiß ich. Ich habe sie schon oft gehört und geliebt. Ihre Gestalt – "
"Es gibt keine einzige Puppe im ganzen Raum, die ihr ebenbürtig wäre", sagte Caleb. "Und ihre Augen – "
Er hielt inne, denn Bertha hatte sich näher an seinen Hals geschmiegt, und aus dem Arm, der ihn umklammerte, kam ein warnender Druck, den er nur zu gut verstand.
Er hustete einen kurzen Moment, hämmerte an irgendetwas herum und verfiel dann wieder auf das Trinklied, das er zuvor angestimmt hatte; das Lied, das ihm durch all seine Schwierigkeiten half.
"Unser Freund, Vater; der, der uns so viele Male geholfen hat, Mr. Tackleton. Ich werde nie müde, weißt du, von ihm zu hören. Oder war ich das jemals?", sagte sie hastig.
"Natürlich nicht", antwortete Caleb. "Und mit Recht."
"Ach! Mit wie viel Recht?", rief das blinde Mädchen mit solcher Inbrunst, dass Caleb es nicht ertragen konnte, ihr ins Gesicht zu sehen, , obwohl seine Absichten edel waren; stattdessen richtete er seine Augen auf den Boden, als ob sie darin seine arglose Täuschung hätte lesen können.
"Dann erzähl mir noch einmal von ihm, lieber Vater", sagte Bertha. "Noch viele Male! Sein Gesicht ist gut, freundlich und sanft. Es ist ehrlich und wahrhaftig, da bin ich mir sicher. Das männliche Herz, das versucht, all seine Gefälligkeiten hinter Grobheit und Widerwille zu verbergen, schlägt in jedem seiner Blicke."
"Und lässt ihn vornehm erscheinen", fügte Caleb in stiller Verzweiflung hinzu.
"Und lässt ihn vornehm erscheinen!", rief das blinde Mädchen. "Ist er älter als May, Vater?"
"Ja-aa", sagte Caleb widerwillig. "Er ist etwas älter als May, aber das bedeutet nichts."
"Bertha", fügte er leise hinzu, "was ist passiert? Wie sehr du dich verändert hast, mein Liebling, in den wenigen Stunden – seit heute Morgen. Du warst den ganzen Tag so still und lustlos! Was hast du denn, Bertha? Sag es mir!"
"Oh, Vater, Vater!", rief das blinde Mädchen und brach in Tränen aus. "Oh, mein hartes, hartes Schicksal!"
Caleb wischte sich mit der Hand über die Augen, bevor er ihr antwortete.
"Aber denk daran, wie fröhlich und glücklich du warst, Bertha! Wie gut und wie sehr du von vielen Menschen geliebt wurdest."
"Das trifft mich tief ins Herz, lieber Vater! Immer so aufmerksam mir gegenüber! Immer so freundlich zu mir!"
Caleb war sehr verwirrt und verstand überhaupt nichts mehr.
"Blind – blind zu sein, Bertha, meine armer Liebling", sagte er, stockend "ist eine große Belastung, aber – "
"Das habe ich nie so verspürt", rief das blinde Mädchen. "Ich habe noch nie das ganze Ausmaß gespürt. Nie! Ich habe mir manchmal gewünscht, ich könnte dich sehen, oder auch ihn; nur einmal, lieber Vater; nur für eine winzige Minute. Aber, Vater! Oh, mein guter, lieber Vater, habe Nachsicht mit mir, wenn ich undankbar bin", sagte das blinde Mädchen. "Aber das ist nicht der Kummer, der mich so schwer bedrückt!"
"Bertha, meine Liebe!", sagte Caleb, "Ich habe etwas auf dem Herzen, das ich dir sagen möchte, solange wir allein sind. Hör mich bitte an! Ich muss dir etwas gestehen, mein Liebling."
"Ein Geständnis, Vater?"
"Ich bin vom Pfad der Wahrheit abgekommen und habe mich verloren, mein Kind", sagte Caleb, in dessen verwirrtem Gesicht ein bedauernswerter Ausdruck stand. "Ich bin vom Pfad der Wahrheit abgewichen, weil ich gütig zu dir sein wollte, dabei bin ich grausam gewesen."
Sie wandte ihm ihr staunendes Gesicht zu und wiederholte: "Grausam! Du – grausam zu mir", rief Bertha ungläubig lächelnd.
"Ich meinte es nicht so, mein Kind", sagte Caleb. "Aber ich war grausam, obwohl ich dies bis gestern nicht begriffen habe. Meine liebe, blinde Tochter, höre mich an und verzeih mir! Die Welt, in der du lebst, mein Herz, ist nicht so, wie ich sie dargestellt habe. Die Augen, denen du vertraut hast, haben dich belogen."
Sie wandte ihm noch immer ihr staunendes Gesicht zu.
"Dein Weg im Leben war hart, meine Arme", sagte Caleb, "und ich wollte ihn für dich ebnen. Ich habe bestimmte Dinge verändert oder gar erfunden, um dich glücklicher zu machen – Dinge, die es nie gegeben hat. Ich habe dir Dinge verheimlicht, dich getäuscht, Gott vergib mir! Und ich habe dich mit Phantasien überhäuft."
"Aber lebende Menschen sind doch keine Fantasien?", sagte sie hastig. Dann wurde sie sehr blass und wich mehr und mehr von ihm zurück. "Man kann sie nicht ändern."
"Aber das habe ich getan, Bertha", flehte Caleb. "Es gibt eine Person, die du kennst, meine Taube – "
"Oh, Vater! Warum sagst du, dass ich sie kenne?", antwortete sie scharf und vorwurfsvoll. "Was und wen kenne ich? Ich, der ich keinen Führer habe! Ich, der ich so erbärmlich blind bin!"
In ihrer Seelenqual streckte sie die Hände aus, als ob sie sich tastend den Weg bahnen wollte; dann bedeckte sie ihr Gesicht damit, traurig und verzweifelt.
"Die Hochzeit, die heute stattfindet", sagte Caleb, "wird mit einem strengen, schäbigen, gemeinen Mann stattfinden. Mir und dir ein harter Meister, meine Liebe, seit vielen Jahren. Hässlich in seinem Aussehen und in seinem Wesen. Immer kalt und gefühllos. Der krasse Gegensatz zu dem, wie ich ihn dir beschrieben habe, mein Kind. In allem."
"Oh, warum", rief das blinde Mädchen, scheinbar gequält bis zur Unerträglichkeit, "warum hast du das getan? Warum hast du mein Herz so mit Liebe erfüllt und mir dann alles weggenommen, was ich darin eingeschlossen habe? Oh, Himmel, wie blind ich bin! Wie hilflos und allein!"
Ihr betrübter Vater ließ den Kopf hängen und gab ihr vor lauter Trauer keine Antwort.
"Sag mir, wie mein Zuhause aussieht. Wie es wirklich aussieht."
"Es ist ein unschöner Ort, Bertha; unschön und kahl, über alle Maßen. Das Haus wird kaum den Wind und den Regen eines weiteren Winters aushalten. Es ist so gut vor dem Wetter geschützt, Bertha, wie dein armer Vater in seinem Sackleinenmantel.
"Die Geschenke, über die ich mich so sehr gefreut habe, die fast auf meinen Wunsch hin kamen und die mir so herzlich willkommen waren", sagte sie zitternd, "wo kamen dieser her?
Caleb antwortete nicht. Sie wusste es bereits und schwieg.
"Ich sehe, ich verstehe", sagte Bertha; "und jetzt schaue ich dich an, meinen liebenswürdigen, liebevollen, mitfühlenden Vater – sag mir, wie dieser aussieht?
"Er ist ein alter Mann, mein Kind; ausgemergelt, gebeugt gehend, grauhaarig, erschöpft von harter Arbeit und Kummer; ein schwacher, törichter, hinterlistiger, alter Mann."
Das blinde Mädchen warf sich vor ihm auf die Knie und nahm seinen grauen Kopf in ihre Arme. "Es ist mein Augenlicht –mein Augenlicht ist wieder da", rief sie. "Ich war blind, aber jetzt sehe ich; ich habe meinen Vater bis jetzt nie wirklich gesehen. Glaubt er etwa, dass es auf dieser Erde einen fröhlichen, stattlichen Vater gibt, den ich so innig lieben und so hingebungsvoll ehren könnte wie diesen erschöpften und grauhaarigen alten Mann? Vater, es gibt nicht ein graues Haar auf deinem Kopf, das in meinen Gebeten und im Dank an den Himmel vergessen werden soll."
"Meine Bertha", schluchzte Caleb, "und der muntere, kluge Vater im blauen Mantel – er ist fort, mein Kind."
"Liebster Vater, nein, er ist nicht fort; nichts ist fort; alles, was ich geliebt und woran ich geglaubt habe, steckt in diesem alten Vater – und noch viel mehr! Ich war glücklich und zufrieden, aber ich werde noch glücklicher und zufriedener sein, jetzt, da ich weiß, was und wer du bist. Ich bin nicht mehr blind, Vater, nie mehr."