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KAPITEL 4

ZWEI AUTOS

Ich baue eine Fahrstrecke. Papa, ich baue eine Fahrstrecke.«

Hier spielt ein kleines Mädchen mit seinem Spielzeug. Es sitzt auf dem Teppich in seinem Zimmer neben einer großen Tüte voller blauer und roter Plastikteile. Das sind die Bestandteile eines Baukastensystems mit dem Namen »Happy Street«, das zusammengesetzt und umgebaut werden kann, um eine Spielzeugstadt mit Geschäften, einem Flughafen und einer Polizeistation zu bauen. Wir haben stundenlang mit Vergnügen gespielt, wir wären Städteplaner, und haben Städte gebaut, in denen alte Damen in Rettungsfahrzeugen herumsausen und die Brötchen beim Bäcker immer schön frisch sind.

»Was ich mache? Ich baue eine Fahrbahn und stelle Autos darauf.«

Sie hat ein paar gebogene Straßenteile und eine Kreuzung zusammengesteckt, und jetzt könnte sie ein bisschen Verkehr gebrauchen.

»Ich brauche Autos darauf.«

Sie kriecht auf den Knien zur Tüte und greift hinein. Die Tüte ist riesig, doppelt so groß wie sie. Hineinzukriechen ist, als würde sie den Nikolaussack plündern. Sie holt ein weiteres Straßenstück heraus und versucht, es in das wachsende Straßennetz einzufügen, aber die kleinen Plastikstücke sind schwierig zusammenzustecken.

»Ich baue eine Fahrbahn und stelle Autos darauf. Zwei Autos.«

Diese letzte Feststellung legt den Schluss nahe, dass sie ein Auto zu einem bereits vorhandenen hinzufügen möchte. Aber sie hat noch keine Fahrzeuge herausgeholt. Sie ist noch immer mit dem Bau der Straße beschäftigt. Der Gedanke, dass sie zwei Autos braucht, ist nur das: ein Gedanke.

»Dieses Stück ist schwierig.« Sie versucht noch einmal, die Teile zusammenzusetzen, und dieses Mal fügen sie sich ein. »Da!«

Jetzt kehrt sie mit erhobenem Zeigefinger zur Tüte zurück. Ihre Miene ist lehrerhaft und streng, als würde sie versuchen, eine Klasse aufmüpfiger Schüler in Schach zu halten.

»Noch ein Stück …«

In gewisser Weise ist das, was meine Tochter Athena gerade macht, gar nicht so weit entfernt von dem, was Michael berichtete, an der Schlaglinie zu tun. Der Unterschied besteht darin, dass sie keine Profisportlerin und noch nicht einmal erwachsen ist. Sie ist zwei Jahre alt. Falls es sich um eine ähnliche Art von Selbstgespräch handelt, dann hat sie sehr früh damit begonnen.

Wie beim Sportler scheint auch Athenas Selbstgespräch verschiedene Funktionen zu erfüllen. Es ist insofern selbstregulierend, als sie im Voraus plant, was sie tun wird. Sie äußert den Gedanken zwei Autos, bevor auch nur ein einziges Auto zu sehen ist. Genau wie der Schlagmann seine Innings plant, wenn er zum Schlagen auf den Platz geht oder nach dem Ausscheiden seine Lehren für das nächste Match zieht, so denkt das Kleinkind Dinge mithilfe von Wörtern, und diese Wörter formen und steuern sein Verhalten.

Athenas Sprechen scheint darüber hinaus eine Rolle bei der Regulierung ihrer Gefühle zu spielen. Wenn das Zusammensetzen schwierig wird, muntert sie sich selbst auf. »Dieses Stück ist schwierig«, sagt sie zu sich selbst, als sie versucht, die Straßenteile zusammenzustecken, und scheitert. Als es ihr gelingt, gestattet sie sich einen kleinen Glückwunsch: »Da!«

Im Alter von zwei Jahren sind die meisten sich normal entwickelnden Kinder Sprachexperten und nutzen die Sprache sehr häufig in dieser an sich selbst gerichteten Art und Weise. Durch die Beobachtung, wie sich das Selbstgespräch früh im Leben etabliert, können wir viel darüber erfahren, woher diese Stimmen in unserem Kopf kommen und in was sie sich verwandeln. Tatsächlich erhalten wir ein paar sehr wichtige Hinweise darauf, was die innere Sprache tatsächlich ist.

Auch Lew spricht zu sich selbst. »Ich möchte dieses Bild da machen … Ich möchte etwas malen, genau. Ich werde ein großes Stück Papier brauchen, um das zu machen.«44

Wir sind in den 1920er-Jahren in Genf. Lew ist eines der Kinder aus der Maison des Petits de l’Institut Rousseau, einer Vorschuleinrichtung des Institut Rousseau, die von 1921 bis 1925 von dem berühmten Entwicklungspsychologen Jean Piaget geleitet wird. Piaget interessiert sich dafür, wie Lews Monologe und die anderer Kinder die Sprache ohne soziale Absicht zu nutzen scheinen. Mit Piagets Worten: »Lew ist ein kleiner Kerl, der sehr auf sich selbst bezogen ist.« Piaget erzählt uns, dass Lew im Alter von sechs Jahren kognitiv noch nicht in der Lage ist, die Perspektive der Person, mit der er zu kommunizieren versucht, zu berücksichtigen.

Piaget betrachtet diese Art von Sprechen als Beweis für den Egozentrismus des Kleinkindes: seine Neigung, in seiner eigenen Sichtweise verhaftet zu bleiben. Es handelt sich um Versuche, einem anderen etwas zu sagen, aber sie misslingen, weil das Kind seine Äußerungen nicht dem anpassen kann, was der andere denkt, weiß und glaubt. »In solchen Fällen«, schreibt Piaget, »kommuniziert die Sprache nicht die Gedanken des Sprechenden, sie dient dazu, sein Handeln zu begleiten, zu verstärken oder zu ergänzen.«45 Die Äußerungen des Kindes formen nicht die Handlung oder dienen nicht zur Ermunterung oder Stimulation; sie begleiten lediglich, was vor sich geht.

Zur gleichen Zeit beobachtet ein anderer Psychologe in Moskau Kinder, die mit sich selbst sprechen. Auch Lew Wygotski sieht Kinder, die ihre Aktivitäten kommentieren, doch im Gegensatz zu Piaget betrachtet er diese Äußerungen nicht als reine Begleitmusik zu ihren Handlungen. Das, was man in Genf als »egozentrisches Sprechen« bezeichnet, ist für Wygotski ein Mittel, um eine bestimmte Art von Verhalten zu ermöglichen.46

Wygotski stellt zum einen fest, dass Kinder häufiger zu sich selbst sprechen, wenn sie bei ihrer Aktivität auf ein Hindernis stoßen. (Ein Trick besteht darin, sicherzustellen, dass dem Kind genau der Stift in der Farbe fehlt, die für eine bestimmte Malaufgabe benötigt wird.) Hätte die innere Sprache keine Funktion, dann müsste sie von Schwierigkeiten bei bestimmten Aufgaben unbeeinflusst sein. Doch Wygotskis Kinder verwenden ihre Selbstgespräche tatsächlich, um einen Plan für eine Lösung des Problems zu entwerfen. Als ein Kind feststellte, dass ein benötigter blauer Malstift fehlte, sagte es zu sich: »Wo ist der Stift? Ich brauche jetzt einen blauen Stift. Nicht da. Ich werde es stattdessen rot anmalen und Wasser darübertun – dadurch wird es dunkler und eher wie blau.«

Wygotski machte viele weitere Beobachtungen, die den Schluss nahelegen, dass die Selbstgespräche von Kindern eine funktionale Rolle spielen. Ein fünfjähriger Junge malte gerade eine Straßenbahn, als sein Stift abbrach. »Abgebrochen«, sagte er leise – dann legte er den Stift nieder, griff nach einem Pinsel und malte einen beschädigten Straßenbahnwagen, der nach einem Unfall gerade repariert wurde. Dieses Kind nutzte seine Sprache, um den Kurs seiner Handlung zu ändern. Es dachte laut.

Oberflächlich betrachtet handelt es sich um sehr unterschiedliche Ansichten über die Selbstgespräche von Kindern. Piaget und Wygotski lasen jeweils die Werke des anderen, kommentierten sie und schätzten sie sehr. Aber sie waren über die private Rede der Kinder, wie man sie heute nennt, gegensätzlicher Meinung und betrachteten ihre Bedeutung unterschiedlich.

Zum einen hatten sie eine unterschiedliche Auffassung vom Eintritt des Kindes in die soziale Welt. Piaget betrachtete das Kleinkind als egozentrisch, als »in seiner eigenen Ansicht zu verhaftet«,47 um in der Lage zu sein, sich voll auf soziale Interaktionen einzulassen. Wygotski sah dies ganz anders. Seiner Ansicht nach ist das Kind von seinem ersten Lebenstag an in soziale Beziehungen eingebunden. Die Entwicklung der Sprache gibt ihm ein Mittel, um mit anderen zu kommunizieren, und die daraus entstehenden Dialoge bilden die Grundlage für seine späteren privaten Gespräche mit sich selbst und letztlich für seine innere Sprache.

Ich habe einen großen Teil meiner Karriere als Psychologe mit Überlegungen über die Bedeutung von Wygotskis Schriften über die soziale, private und innere Sprache verbracht. Und ich halte sie für die beste uns zur Verfügung stehende Beschreibung, woher die Stimmen in unserem Kopf kommen, warum sie ihre jeweiligen Qualitäten besitzen und weshalb es für uns selbst als Erwachsene noch wertvoll ist, laut mit uns selbst zu sprechen. Gleichwohl ist Wygotskis Theorie lückenhaft. Er hatte nur eine kurze Karriere als Psychologe, weil er schon im Alter von 37 Jahren an Tuberkulose starb. Seine Schriften über die Sprache und das Denken sind an manchen Stellen mehrdeutig und unklar. Doch viele seiner Erkenntnisse wurden von neueren Forschungsergebnissen bestätigt: mithilfe von Studien, die beobachteten, was Kinder beim Spielen oder Erledigen von Aufgaben zu sich selbst sagen, sowie durch Untersuchungen der stummen inneren Sprache von Erwachsenen.

Zurück in Athenas Zimmer: Noch immer nehme ich ihren Straßenbau mit der Videokamera auf. Ich bin mir nicht sicher, ob sie weiß, dass ich da bin. Zugleich vermute ich, dass meine Anwesenheit sie zum Sprechen anregt, auch wenn sie nicht zu mir spricht. Sie würde weniger sprechen, denke ich, wenn ich nicht da wäre. Das ist tatsächlich genau das, was Wygotski herausfand: Als er Kinder mit anderen zusammenbrachte, die eine andere Sprache sprachen, sank das Verhältnis von privatem Sprechen im Vergleich zum sozialen Sprechen. Bei einem anderen Versuch ließ er ein paar Kinder in einem Zimmer spielen, neben dem ein lautes Orchester probte. Auch hier sank der Anteil der privaten Sprache.48

Aber ich bin hier, und Athena weiß das irgendwie. Die private Sprache besitzt das, was in einer frühen wissenschaftlichen Studie49 als parasoziale Eigenschaft bezeichnet wurde: Sie kommt häufiger vor, wenn die Illusion einer Zuhörerschaft vorhanden ist. Das ergibt Sinn, wenn man die private Sprache als Versuch versteht, Wörter an sich zu reißen, die in anderen Zusammenhängen das Verhalten anderer kontrollieren würden, und die stattdessen genutzt werden, um das eigene Verhalten zu kontrollieren. Es ist ja nicht so, als würde Athena zu kommunizieren versuchen, könne es aber nicht; sie bemüht sich vielmehr, nur mit sich selbst zu kommunizieren. Die Ursache, weshalb diese Äußerungen nicht an mich gerichtet sind, liegt nicht etwa darin begründet, dass ihr die kognitive Fähigkeit fehlt, die notwendig ist, um meine Perspektive zu berücksichtigen. Sie waren nie für mich bestimmt. Möglicherweise wurden sie durch meine Anwesenheit stimuliert, aber sie sind allein für sie selbst gedacht.

Dieser Übergang von der sozialen zur privaten Sprache wurde mir soeben ganz deutlich demonstriert. Zu Beginn dieser Episode der Stadtplanung verwendete Athena tatsächlich meinen Namen: »Papa.« Aber dann schien sie schnell zu vergessen, dass ich da bin. Wenn wir die private Sprache von Kindern analysieren50 – ein arbeitsintensiver Prozess, bei dem stundenlang Videoaufzeichnungen gesichtet und hin- und hergespult werden müssen –, bezeichnen wir Äußerungen als sozial, wenn dabei unter anderem eindeutig der Name einer Person erwähnt wird. Um als privat eingestuft zu werden, muss jeder Hinweis darauf fehlen, dass die Äußerung für einen anderen Menschen bestimmt ist. Das liefert uns Informationen darüber, wie häufig Kinder die private und soziale Sprache verwenden. Dann können wir diese Informationen nutzen, um bestimmte Ideen Wygotskis über die Form und Funktion der an sich selbst gerichteten Gespräche zu überprüfen

Zunächst einmal müssten wir, wenn Wygotski recht hatte, dass Kinder die private Sprache als psychologisches Werkzeug51 zur Regulation ihres Verhaltens nutzen, Beweise erhalten, dass sie sich in irgendeiner Form auswirken. Kinder, die die private Sprache nutzen, während sie eine Aufgabe erfüllen, müssten diese Aufgabe besser meistern – zumindest wenn das Sprechen für das, was sie tun, relevant ist.

Psychologen haben diesen Aspekt von Wygotskis Theorie getestet, indem sie Kindern eine Aufgabe stellten und deren private Sprache analysierten und überprüften, ob deren Leistungen mit der Nutzung der privaten Sprache korrelierten. Einige Studien haben zumindest die Vorstellung untermauert, dass Kinder kognitiven Nutzen aus der Verwendung der privaten Sprache ziehen.52 In einer Untersuchung gaben wir zum Beispiel sechs- und siebenjährigen Kindern eine als »Tower von London« bezeichnete Aufgabe, bei der bunte Bälle zwischen unterschiedlich langen Stangen bewegt werden müssen. Das Praktische am Tower von London ist für diesen Zweck, dass die Bälle so arrangiert werden können, dass sie Herausforderungen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade ergeben. In Übereinstimmung mit Wygotskis Vorhersage bezüglich des funktionalen Werts von Selbstgesprächen fanden wir heraus, dass Kinder, die mehr selbstregulierende private Sprache nutzten, die Aufgaben schneller lösen konnten. Außerdem stellten wir den vorhergesagten Zusammenhang zwischen privater Sprache und der Schwierigkeit der Aufgabe fest. Bei leichten Aufgaben sprachen die Kinder weniger (wahrscheinlich weil diese so leicht waren, dass sie die verbale Selbstregulation nicht auszulösen brauchten), bei mittelschweren Aufgaben sprachen die Kinder mehr, bei den allerschwierigsten aber wiederum weniger (vermutlich weil diese Aufgaben so schwierig waren, dass das Kind überhaupt keine Lösung finden konnte und das selbstregulierende Sprechen deshalb nicht effektiv war).

So viel zur Funktion der privaten Sprache. Und was ist mit ihrer Form? Wygotski glaubte nicht, dass die Verinnerlichung von Sprache einfach darin besteht, dass die selbstregulierende Sprache immer leiser und leiser wird, bis sie ganz stumm beziehungsweise stimmlos wird (diese Ansicht vertrat zum Beispiel sein Zeitgenosse, der Behaviorist John B. Watson). Wygotski ging vielmehr davon aus, dass die Sprache durch den Verinnerlichungsprozess grundlegend verändert wird. Eine besonders wichtige Transformation besteht darin, dass die Sprache verkürzt wird. Kinder benötigen keine ganzen Sätze, um ihr Verhalten zu steuern. Athena sagt nicht zu sich: »Ich brauche für meine Fahrstrecke zwei Autos.« Sie fasst sich kurz: »Zwei Autos.« Im Gegensatz zu Piaget, dessen Theorie besagt, dass die Sprache von Kindern verständlicher werden sollte, wenn sie sich dem Zuhörer anpasst, sagt Wygotskis Theorie voraus, dass die private Sprache nach und nach zusammengezogener und verkürzter wird – was sie für einen externen Zuhörer nicht verständlicher, sondern unverständlicher macht.53 Diese Transformationen der Sprache sind besonders wichtig, wenn es um Athenas spätere innere Sprache geht, die sich nach Meinung Wygotskis aus ihren laut ausgesprochenen selbstregulierenden Äußerungen entwickelt.

Zugleich behält die private Sprache wichtige Eigenschaften der sozialen Rede, aus der sie hervorgeht. Wenn die private Sprache eine zum Teil verinnerlichte Form des sozialen Dialogs ist, müsste man erwarten, dass sie einige Qualitäten des Hin und Her von Gesprächen besitzt. Insbesondere würde man davon ausgehen, dass Kinder sich selbst Fragen stellen und sie beantworten. Das scheint bei Athenas Selbstgespräch mit Blick auf die Fahrstrecke der Fall zu sein. »Was mache ich?«, fragt sie sich. »Ich baue eine Fahrstrecke und stelle Autos darauf.«

Genau wie das Selbstgespräch von Erwachsenen häufig eine Unterhaltung mit dem Selbst wiederzugeben scheint, so ist die dialogische Qualität54 bei der privaten Sprache von Kindern vorherrschend. Während die Kinder zuvor möglicherweise die Frage an eine Betreuungsperson gestellt und auf eine Antwort gewartet haben, liefern sie in der privaten Sprache die Antworten häufig selbst.

Die Forscher haben in der Regel ziemlich gute Belege für diese verschiedenen Aspekte von Wygotskis Theorie gefunden. Aber es bleiben zahlreiche Lücken, und ein paar Stellen in seinen Schriften über die private Sprache vermitteln einen etwas falschen Eindruck. Zwar behauptete Wygotski, dass die private Sprache in der späteren Kindheit schließlich »im Verborgenen stattfindet« und die innere Sprache bildet, doch es ist klar (nicht zuletzt aufgrund der Selbstgespräche von Sportlern), dass die Menschen auch als Erwachsene mit sich selbst sprechen.55

Die private Sprache – das laut ausgesprochene Gegenstück zur inneren Sprache – scheint eine Vielzahl zusätzlicher Funktionen zu besitzen, die über die Selbstregulierung hinausreichen, wie zum Beispiel das Erlernen einer zweiten Sprache, das Verknüpfen autobiografischer Erinnerungen und die Schaffung von Fantasiewelten. Wenn Kinder viel Zeit damit verbringen, laut mit sich selbst zu sprechen, dann nicht nur deshalb, weil es ihnen hilft, Probleme zu lösen.

Gehen wir einmal davon aus, dass Wygotski bei seiner Analyse der privaten Sprache im Großen und Ganzen richtig lag. Sollten wir dann annehmen, dass er auch bei der Version, die stumm im Inneren abläuft, recht hatte – mit anderen Worten bei dem, was wir als innere Sprache bezeichnet haben? Das ist nicht notwendigerweise der Fall. Wygotski könnte sich getäuscht haben, als er behauptete, die innere Sprache entwickle sich aus der privaten Sprache. Wie immer führt die Tatsache, dass das stumme Selbstgespräch nicht beobachtbar ist und sich folglich empirischen Studien entzieht, dazu, dass diese Frage schwer zu beantworten ist.

Und dies nicht zuletzt deshalb, weil wir es mit einigen Konzepten zu tun haben, die der Intuition widersprechen. Falls Wygotski recht hatte, sollte es eine gewisse Zeit dauern, bis sich die private Sprache entwickelt (tatsächlich legen Beweise nahe, dass sie zwischen dem Alter von etwa drei und acht Jahren am häufigsten verwendet wird). Die innere Sprache sollte noch weiter hinterherhinken. Bedeutet das, dass kleine Kinder den Strom der Selbstgespräche nicht erleben, der die wachen Stunden vieler Erwachsener beherrscht? Ein großer Teil unseres Denkens scheint in Wörtern zu erfolgen. Sollten wir deshalb schlussfolgern, dass das Denken kleiner Kinder sich davon stark unterscheidet?

Wenn wir uns dieser Frage zuwenden, gelangen wir direkt ins Zentrum dessen, was an Wygotskis Theorie so besonders ist. Das Denken kleiner Kinder unterscheidet sich wahrscheinlich in vielerlei Hinsicht von dem Erwachsener. Aber liegt etwas Spezifisches im Wortreichtum ihrer Gedanken? Ein Hinweis liefert die Untersuchung des Arbeitsgedächtnisses.56 Die Funktion dieses kognitiven Systems besteht darin, Informationen gerade lange genug im Bewusstsein zu halten – es geht um eine Frage von Sekunden –, um für die Planung unserer Handlungen oder die Ausführung anderer geistiger Operationen genutzt zu werden.

Das vorherrschende Modell des Arbeitsgedächtnisses, das aus dem Werk der britischen Psychologen Alan Baddeley und Graham Hitch hervorgegangen ist, besagt, dass die phonologische Schleife ein entscheidender Teil dieses Systems ist, eine Komponente, die sich darauf spezialisiert, geräuschbezogene Informationen zu speichern. Es überrascht vielleicht nicht, dass es sich auch um ein System handelt, das funktionieren muss, damit innere und äußere Sprache gebildet werden kann. Mit anderen Worten: Es ist eine entscheidende Voraussetzung für das verbale Denken.

Und es gibt eine weitere separate Komponente, die für die Verarbeitung visueller und räumlicher Informationen verantwortlich ist, aber es ist diese phonologische Schleife, auf die wir uns bei den meisten kurzfristigen Aufgaben verlassen. Wenn Erwachsene sich eine Menge Dinge merken müssen, neigen sie dazu, die Informationen verbal zu wiederholen, bis die Zeit gekommen ist, sie abzurufen. Das ist eine effektive Strategie, und Sie werden sie ebenfalls genutzt haben, wenn

Sie je durch einen Supermarkt gegangen sind und die letzten Artikel auf Ihrer Einkaufsliste vor sich hin gemurmelt haben.

Weil diese Art der Wiederholung von Wörtern abhängig ist, ist sie gegenüber bestimmten Merkmalen dieser Wörter besonders empfänglich, zum Beispiel, ob sie ähnlich klingen oder nicht. Ähnlich klingende Wörter (wie zum Beispiel Masse, Mappe oder Matte) werden leichter verwechselt, wenn man sie sich verbal einprägt. Und wir machen erwiesenermaßen mehr Fehler, wenn wir uns an Listen solcher Wörter erinnern müssen, als wir es tun, wenn wir uns Wörter einprägen müssen, die unterschiedlich klingen, auch wenn diese Wörter visuell dargestellt werden.

Dieses Phänomen wurde mit dem Begriff Effekt der phonologischen Ähnlichkeit57 versehen, weil es die Tatsache wiedergibt, dass wir einen phonologischen (beziehungsweise geräuschbasierenden) Code nutzen, um uns die Informationen einzuprägen. Wenn Kinder Zeit brauchen, bis sie beginnen, für ihr Denken Wörter zu verwenden, dann sollten Kinder auch Zeit benötigen, bis sich dieser Effekt zeigt.

Und das ist genau das, was die Forschung belegt.58 Kinder im Alter von unter sechs oder sieben Jahren zeigen den Effekt der phonologischen Ähnlichkeit nicht, was den Schluss nahelegt, dass sie Informationen für die kurzfristige Speicherung nicht automatisch in einen verbalen Code umwandeln. Selbstverständlich ist es möglich, dass das verbale Einprägen ein Sonderfall ist und dass Kinder in Wörtern zu denken beginnen, bevor sie realisieren, dass Wörter diese praktische Funktion für das Kurzzeitgedächtnis besitzen.

Wir überprüften diese Möglichkeit, indem wir untersuchten, wie Kinder sich visuell präsentiertes Material einprägten, und indem wir zugleich ihre private Sprache analysierten. Mein Doktorand Abdulrahman Al-Namlah untersuchte Schulkinder im Alter zwischen vier und acht Jahren an zwei Schulen, eine in Großbritannien und eine in Saudi-Arabien.59 Die private Sprache der Kinder wurde mithilfe des Tower von London (der Aufgabe mit den Bällen und Stangen) beurteilt. Darüber hinaus wurde ihnen eine separate Kurzzeitgedächtnisaufgabe gestellt, um die Stärke des Effekts der phonologischen Ähnlichkeit zu testen. Wie erwartet, zeigten die Kinder, die jünger als sechs Jahre waren, diesen Effekt nicht – ihr Gedächtnis war nicht sensibel für den Klang der Wörter, die sie sich einzuprägen hatten –, während die älteren Kinder mit den ähnlich klingenden Wörtern mehr zu kämpfen hatten. Besonders interessant war das Ergebnis, dass die Empfänglichkeit der Kinder für den Effekt damit zusammenhing, wie viel selbstregulierende Sprache sie bei der Tower-von-London-Aufgabe nutzten. Bei Kindern, die das Lösen der Aufgabe mithilfe von Wörtern zu regulieren schienen, war die Wahrscheinlichkeit allem Anschein nach größer, dass sie verbale Wiederholungen für ihr Kurzzeitgedächtnis einsetzten.

Diese Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass das Erinnern kein Sonderfall ist. Im Gegenteil, sobald Kinder den Dreh heraushaben, Wörter für ihr Denken zu nutzen, beginnt dies andere Aspekte ihrer Kognition zu beeinflussen.

Eine weitere Möglichkeit, diese Frage zu beantworten, besteht in der Beobachtung, ob eine Einmischung in die innere Sprache von Kindern deren Leistung verschlechtert. Nur wenn Kinder sich auf verbales Denken verlassen, um die Aufgabe zu lösen, so heißt es, kann man erwarten, einen Effekt durch die Störung zu beobachten. Meine Doktorandin Jane Lidstone machte sich daran, dies zu untersuchen, indem sie eine Methode zur Verhinderung der inneren Sprache einsetzte, die als artikulatorische Unterdrückung60 bezeichnet wird und die laute Wiederholung eines harmlosen Wortes (wie zum Beispiel Schaukel) während der Dauer der Untersuchung beinhaltet.

Die Hypothese besagt, dass die artikulatorische Unterdrückung die Komponente der phonologischen Schleife im Arbeitsgedächtnis blockiert, die für die Bildung der inneren Sprache als entscheidend gilt. Es ist eine nützliche Methode, um zu untersuchen, wie sehr Menschen sich unter bestimmten Umständen auf die innere Sprache verlassen, wenn man Teilnehmer auffordert, die artikulatorische Unterdrückung einzusetzen, während sie eine kognitive Aufgabe zu lösen haben, und dann misst, wie dies ihre Leistung bei dieser Hauptaufgabe beeinflusst. Wenn wir die innere Sprache schon nicht direkt messen können, so besteht eine Möglichkeit, ihre Funktion indirekt zu untersuchen, darin, fundierte Vermutungen anzustellen, wann sie in Erscheinung treten könnte – und dann zu sehen, was passiert, wenn wir versuchen, sie zu blockieren.

Jane wählte die Tower-von-London-Aufgabe, weil sie als klassische Planungsaufgabe gilt, und das Planen soll (zusammen mit anderen sogenannten »exekutiven« Funktionen) eine besonders wichtige Rolle für die auf sich selbst bezogene Sprache spielen. Jane wollte feststellen, ob Kinder, die im Allgemeinen mehr selbstregulatorische private Sprache nutzten, beim Tower von London schlechter abschneiden würden, wenn sie während der Aufgabenlösung nicht mit sich selbst sprechen konnten. Jane nutzte die standardisierte artikulatorische Unterdrückung und forderte die Kinder auf, ein Wort laut für sich zu wiederholen, während sie die Aufgabe lösten. Sie wurden gebeten, sich vorzustellen, wie sie die Bälle in ihrem Kopf hin und her bewegten und der Versuchsleiterin zu sagen, mit wie vielen Zügen sie meinten, die Aufgabe lösen zu können. Dann wurden sie aufgefordert, ihre Lösung zu demonstrieren, indem sie die Bälle tatsächlich bewegten. Die Idee dahinter war, dass dies die Kinder zum Planen ermuntern würde, anstatt sich einfach auf die Aufgabe zu stürzen und die Bälle aufs Geratewohl hin und her zu bewegen.

Die Ergebnisse bestätigten Wygotskis Theorie. Unter der Bedingung der artikulatorischen Unterdrückung war die Leistung der Kinder im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, in der die Kinder lediglich mit einem Fuß klopfen mussten, schwächer. Wir interpretierten dies als Beweis dafür, dass die private und innere Sprache in der Regel als Planungskomponente genutzt wird und dass die Verhinderung beider Arten der Sprache eine entsprechende Wirkung auf die Planung hatte. Darüber hinaus reagierten Kinder, die unter der Kontrollbedingung mehr selbstregulatorische private Sprache nutzten, empfindlicher auf die artikulatorische Unterdrückung. Es hat den Anschein, als verließen sich manche Kinder mehr auf das verbale Denken, deshalb hat es für sie negativere Auswirkungen, wenn ihnen diese Möglichkeit versagt wird.

Selbstverständlich gibt es eine näherliegende Möglichkeit, um herauszufinden, ob Kinder in Worten denken, und zwar, indem man sie fragt. Wie wir gesehen haben, ist es heikel genug, Erwachsene zu bitten, über ihre persönliche Erfahrung zu reflektieren, doch das Problem wird bei der Arbeit mit Kindern verschärft, denen möglicherweise die notwendigen linguistischen Fähigkeiten fehlen, um einen differenzierten Bericht darüber abzuliefern, was in ihrem Kopf vor sich geht.

Es wurden ein paar Versuche unternommen, mit Kindern Untersuchungen über ihre Erlebnisse im DES-Stil durchzuführen.61 Russ Hurlburt hat diese Methode bei einigen Kindern eingesetzt, auch bei einem Neunjährigen, der von einem Erlebnis berichtete, in dem es um das Bild eines Lochs in seinem Garten ging, in welchem ein paar Spielsachen lagen. In der bei der DES-Methode üblichen Weise fragte Russ den Jungen freundlich, ob es sich dabei um eine korrekte Beschreibung des Gartens handele. Der Junge antwortete: »Ja, aber ich habe noch nicht alle Spielsachen dorthin gebracht. Wäre der Piepston ein paar Minuten später gekommen, dann hätte ich Zeit gehabt, alle Spielsachen in das Loch zu tun.« Hurlburt schlussfolgerte, dass die Erzeugung geistiger Bilder eine Fähigkeit sein könnte, die mit dem Alter und der Übung problemloser und schneller funktioniert. Seine Beobachtungen legen den Schluss nahe, dass wir mit unserer Mutmaßung vorsichtig sein müssen, das innere Erleben von Kindern sei wie das unsere.

Andere Forscher haben eine experimentellere Methode eingesetzt, um herauszufinden, was Kinder hinsichtlich der inneren Sprache verstehen und was nicht.62 John Flavell, der berühmte Entwicklungspsychologe von der Universität Stanford, hat die vergangenen Jahrzehnte damit verbracht, Kinder zu befragen, was sie von ihrem inneren Erleben verstehen. Bei einer Aufgabe geht es darum, dass ein Kind gefragt wird, was im Kopf einer Versuchsleiterin vorgeht, wenn diese still dasitzt und aus dem Fenster blickt. Dreijährige neigen zu der Feststellung, dass sich im Kopf dieser Person gar nichts abspielt, während Vierjährigen klar ist, dass das Denken weitergeht, auch wenn ein Mensch nicht mit irgendetwas Besonderem beschäftigt ist.

Flavell interpretiert diese Ergebnisse bei Dreijährigen als Hinweis auf ein fehlendes Bewusstsein ihres eigenen Bewusstseinsstroms: Sie können sich noch nicht gut genug selbst beobachten, um in der Lage zu sein, von dem inneren Stimmengewirr berichten zu können. Doch eine alternative Erklärung lautet, dass kleine Kinder einfach noch keinen Bewusstseinsstrom haben. Genauer gesagt, dass sie die äußere Sprache noch nicht verinnerlicht und die innere Sprache noch nicht gebildet haben. Sie denken nicht in Wörtern, deshalb schlussfolgern sie, wenn sie aufgefordert werden, über das innere Erleben einer Person nachzudenken, die mit keiner Aktivität beschäftigt ist, dass sich in deren Kopf gar nichts abspielt.

Bei anderen Untersuchungen fragte Flavell speziell nach der inneren Sprache. In einer Studie ging es darum, dass Kinder im Alter zwischen vier und sieben Jahren einen Erwachsenen beobachteten, der eine Aufgabe erfüllte, bei der man erwarten würde, dass innere Sprache benötigt wird: Zum Beispiel, wenn man sich an Artikel zu erinnern versucht, die man vergessen hat, auf die Einkaufsliste zu setzen. Dem Kind wurden Fragen gestellt, wie zum Beispiel: »Denkt sie nur in ihrem Kopf, oder sagt sie sich im Kopf auch Dinge zu sich selbst?« Die Sechs- und Siebenjährigen erkannten, dass innere Sprache wahrscheinlich im Spiel war, doch bei den Vierjährigen war das deutlich weniger der Fall.

Bei einem zweiten Experiment wurde Kindern eine Aufgabe gestellt, die speziell ausgedacht worden war, um innere Sprache hervorzurufen, wie zum Beispiel still darüber nachzudenken, wie der eigene Name klingt. 40 Prozent der Vierjährigen und 55 Prozent der Fünfjährigen räumten ein, innere Sprache anstelle einer visuellen Methode genutzt zu haben, um die Antwort zu finden. Diese Zahlen waren signifikant niedriger als entsprechende Ergebnisse bei Erwachsenen.

Doch diese Resultate zeichnen noch kein klares Bild, ob das Problem der Kinder darin bestand, über ihr eigenes inneres Erleben nachzudenken, oder ob Kindern dieses Alters einfach die spontane innere Sprache fehlt. Die Antwort ist wahrscheinlich, dass es sich um beides handelt. Wenn es denn stimmt, dass Kindern die innere Sprache fehlt, dann sind die Auswirkungen weitreichend. Niemand sollte daraus schlussfolgern, dass Kinder nicht denken, aber ihnen scheint eine Denkweise zu fehlen, die das Bewusstsein vieler Erwachsenen beherrscht. Das ist nur einer von mehreren Gründen, weshalb man davon ausgehen kann, dass sich im Kopf eines Kleinkindes Seltsames abspielt.63

Das Kind denkt also nicht sprachlich, vielmehr verwandelt es seine vorhandenen intellektuellen Fähigkeiten, bevor die Sprache ins Spiel kommt. Wygotski, der zweifelsohne vom intellektuellen Eifer der entstehenden Sowjetunion beeinflusst war, beschrieb dies als »Entwicklungsrevolution«. In dem 2005 erschienen Roman von Edward St Aubyn Muttermilch trauert der fünf Jahre alte Robert der Zeit vor dieser Revolution nach. Als er seinen kleinen Bruder, Thomas, in seiner glückseligen Weltlosigkeit beobachtet, erinnert er sich an die Phase, bevor sein Kopf voller Wörter war: »Er war so sehr damit beschäftigt gewesen, Sätze zu bilden, dass er die barbarischen Tage beinahe vergessen hatte, in denen das Denken wie ein Farbspritzer gewesen war, der auf einem Blatt Papier landete.«64 Selbst im zarten Alter von fünf Jahren wurde Roberts Denken durch Wörter gänzlich verändert. »Wenn er zurückblickte, konnte er es noch immer sehen: Er hatte in einem Zustand gelebt, der ihm nun wie ein Stillstand erscheinen würde – wie wenn man den Vorhang zurückzieht und sieht, dass alles mit Schnee bedeckt ist, und man kurz innehält, bevor man ausatmet. Er konnte das alles nicht zurückerlangen, aber vielleicht würde er nun doch nicht so bald hinunterrennen. Vielleicht würde er sich für eine Weile setzen und die Aussicht betrachten.«

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