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Fortbildung der intellectuellen Kräfte durch natürliche Zuchtwahl. – Bedeutung der Nachahmung. – Sociale und moralische Fähigkeiten. – Ihre Entwicklung innerhalb der Grenzen eines und desselben Stammes. – Natürliche Zuchtwahl in ihrem Einfluß auf civilisierte Nationen. – Beweise, daß civilisierte Nationen einst barbarisch waren.

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Die in diesem Capitel zu erörternden Gegenstände sind von dem höchsten Interesse, werden aber nur in einer sehr unvollkommenen und fragmentaren Weise behandelt werden. In einem schon vorhin erwähnten ausgezeichneten Aufsatze sucht Mr. Wallace zu beweisen,285 daß der Mensch, nachdem er zum Theil jene intellectuellen und moralischen Fälligkeiten erlangt hatte, welche ihn von den niederen Thieren unterscheiden, nur in geringem Maße eine weitere, durch natürliche Zuchtwahl oder irgend welche andere Mittel bewirkte Modification seiner körperlichen Bildung erfahren haben dürfte. Denn durch seine geistigen Fähigkeiten ist der Mensch in den Stand gesetzt, »sich bei einem nicht weiter veränderten Körper mit dem sich verändernden Universum in Harmonie zu erhalten«. Er hat eine bedeutende Fähigkeit, seine Gewohnheiten neuen Lebensbedingungen anzupassen; er erfindet Waffen, Werkzeuge und denkt sich verschiedene Pläne aus, um sich Nahrung zu verschaffen und sich zu vertheidigen. Wenn er in ein kälteres Klima wandert, so benutzt er Kleider, baut sich Hütten und macht Feuer, und mit Hülfe des Feuers bereitet er sich durch Kochen Nahrung aus sonst unverdaulichen Stoffen. Er hilft seinen Mitmenschen in mannichfacher Weise und schließt auf zukünftige Ereignisse. Selbst in einer sehr weit zurückliegenden Zeit schon führte er eine Theilung der Arbeit aus.

Andererseits müssen die niederen Thiere Modificationen ihres Körperbaues erleiden, um unter bedeutend veränderten Bedingungen leben bleiben zu können. Sie müssen stärker gemacht werden, oder müssen wirksamere Zähne oder Klauen erhalten, um sich gegen neue Feinde zu vertheidigen; oder sie müssen an Größe reduciert werden, um weniger leicht entdeckt werden zu können und Gefahren zu entgehen. Wandern sie in ein kälteres Klima aus, so müssen sie mit dickerem Pelze bekleidet werden oder ihre Constitution muß sich ändern. Werden sie nicht in dieser Weise modificiert, so werden sie aufhören, zu existieren.

Wie indessen Mr. Wallace mit Recht betont hat, liegt der Fall in Bezug auf die intellectuellen und moralischen Fähigkeiten des Menschen sehr verschieden. Diese Fähigkeiten sind variabel, und wir haben allen Grund zu glauben, daß die Abweichungen zur Vererbung neigen. Wenn sie daher früher für den Urmenschen und seine affenähnlichen Urerzeuger von großer Bedeutung waren, so werden sie durch natürliche Zuchtwahl vervollkommnet oder fortgeschritten sein. Über die große Bedeutung der intellectuellen Fähigkeiten kann kein Zweifel bestehen, denn der Mensch verdankt ihnen hauptsächlich seine hervorragende Stellung auf der Erde. Wir sehen ein, daß auf dem rohesten Zustande der Gesellschaft diejenigen Individuen, welche die scharfsinnigsten waren, welche die besten Waffen oder Fallen erfanden und benutzten und welche am besten im Stande waren, sich zu vertheidigen, die größte Zahl von Nachkommen erzogen haben werden. Diejenigen Stämme, welche die größte Anzahl von so begabten Menschen umfaßten, werden an Zahl zugenommen und andere Stämme unterdrückt haben. Die Zahl hängt an erster Stelle von den Subsistenzmitteln ab und diese wieder theilweise von der physikalischen Beschaffenheit des Landes, aber in einem bedeutend höheren Grade von den daselbst ausgeübten Künsten. In dem Maße wie ein Stamm sich ausdehnt und siegreich ist, wird er sich oft noch weiter durch die Absorption anderer Stämme vergrößern.286 Die Körpergröße und Kraft der Menschen eines Stammes sind gleichfalls für seinen Erfolg von ziemlicher Bedeutung und hängen zum Theil von der Beschaffenheit und der Menge der Nahrung ab, welche erlangt werden kann. In Europa wurden die Menschen der Bronzeperiode von einer kräftigeren und, nach ihren Schwertgriffen zu urtheilen, auch großhändigeren Rasse verdrängt;287 der Erfolg dieser war aber wahrscheinlich in einem bedeutend höheren Grade eine Folge ihrer Überlegenheit in den Künsten.

Alles was wir über Wilde wissen oder was wir aus ihren Traditionen und alten Denkmälern, deren Geschichte von den jetzigen Bewohnern der betreffenden Länder vollständig vergessen ist, schließen können, weist darauf hin, daß von den entferntesten Zeiten an erfolgreiche Stämme andere Stämme verdrängt haben. Überreste ausgestorbener oder vergessener Stämme sind in allen civilisierten Gegenden der Erde, auf den wilden Steppen von Amerika und auf den isolierten Inseln des stillen Oceans entdeckt worden. Noch heutigen Tages verdrängen überall civilisierte Nationen barbarische, ausgenommen da, wo das Klima eine Grenze für die Entwicklung des Lebens zieht, und sie haben hauptsächlich, wenn auch nicht ausschließlich, ihren Erfolg ihren Kunstfertigkeiten zu danken, welche wiederum das Product ihres Verstandes sind. Es ist daher höchst wahrscheinlich, daß beim Menschen die intellectuellen Fähigkeiten allmählich durch natürliche Zuchtwahl vervollkommnet worden sind, und dieser Schluß genügt für unseren vorliegenden Zweck. Unzweifelhaft würde es sehr interessant gewesen sein, die Entwicklung jeder einzelnen Fähigkeit von dem Zustande an, in welchem sie bei niederen Thieren existierte, zu dem, in welchem sie beim Menschen vorhanden ist, zu verfolgen; doch gestatten mir weder meine Fähigkeit noch meine Kenntnisse, diesen Versuch zu machen.

Es verdient Beachtung, daß, sobald die Urerzeuger des Menschen social geworden waren (und dies trat wahrscheinlich zu einer sehr frühen Periode ein), die Fortschritte der intellectuellen Fähigkeiten durch das Princip der Nachahmung in Verbindung mit Verstand und Erfahrung in einer Weise unterstützt und motiviert sein werden, von welcher wir jetzt bei den niederen Thieren nur Spuren sehen. Affen ahmen sehr gern alles nach, wie es auch die niedrigsten Wilden thun; und die einfache, früher schon erwähnte Thatsache, daß nach einer gewissen Zeit kein Thier an demselben Ort durch dieselbe Art von Fallen gefangen werden kann, zeigt, daß Thiere durch Erfahrung lernen und die Vorsicht ihrer Genossen nachahmen. Wenn nun in einem Stamme irgend ein Mensch, welcher scharfsinniger ist als die Übrigen, eine neue Finte oder Waffe oder irgend ein anderes Mittel des Angriffs oder der Verteidigung erfindet, so wird das offenbarste eigene Interesse, ohne die Unterstützung großer Verstandesthätigkeit, die andern Glieder des Stammes dazu bringen, ihm nachzuahmen, und hierdurch werden Alle Vortheile haben. Die gewohnheitsgemäße Übung einer jeden neuen Kunst muß gleichfalls in einem unbedeutenden Grade den Verstand kräftigen. Ist die neue Erfindung von großer Bedeutung, so wird der Stamm an Zahl zunehmen, sich verbreiten und andere Stämme verdrängen. In einem hierdurch zahlreicher gewordenen Stamme wird auch die Wahrscheinlichkeit immer größer sein, daß andere ausgezeichnete und erfinderische Glieder geboren werden. Hinterließen solche Leute Kinder, welche deren geistige Überlegenheit erben konnten, so wird die Wahrscheinlichkeit der Geburt von noch ingeniöseren Mitgliedern wieder größer geworden sein und besonders bei einem sehr kleinen Stamme ganz entschieden größer. Selbst wenn sie keine Kinder hinterließen, wird doch der Stamm wenigstens Blutverwandte von ihnen noch enthalten, und es ist von Landwirthen288 nachgewiesen worden, daß durch das Erhalten einer Familie und das Nachzüchten von ihr, wenn sich überhaupt nur ein Thier aus derselben beim Schlachten als ein werthvolles herausstellte, die gewünschte Beschaffenheit erlangt worden ist.

Wenden wir uns nun zu den socialen und moralischen Fähigkeiten. Damit die Urmenschen oder die affenähnlichen Urerzeuger des Menschen social würden, mußten sie dieselben instinctiven Gefühle erlangt haben, welche andere Thiere dazu treiben, in Menge beisammen zu leben; und sie boten ohne Zweifel dieselbe allgemeine Disposition dazu dar. Sie werden sich ungemüthlich gefühlt haben, wenn sie von ihren Kameraden getrennt waren, für welche sie einen gewissen Grad von Liebe gefühlt haben; sie werden einander vor Gefahr gewarnt haben und werden sich gegenseitig beim Angriff oder bei der Vertheidigung unterstützt haben. Alles dies setzt einen gewissen Grad von Sympathie, von Treue und von Muth voraus. Derartige sociale Eigenschaften, deren wichtige Bedeutung für die niederen Thiere Niemand bestritten hat, wurden ohne Zweifel von den Urerzeugern des Menschen auch in einer ähnlichen Weise erlangt, nämlich durch natürliche Zuchtwahl mit Unterstützung einer vererbten Gewohnheit. Kamen zwei Stämme des Urmenschen, welche in demselben Lande wohnten, mit einander in Concurrenz, so wird, wenn der eine Stamm bei völliger Gleichheit aller übrigen Umstände eine größere Zahl muthiger, sympathischer und treuer Glieder umfaßte, welche stets bereit waren, einander vor Gefahr zu warnen, einander zu helfen und zu vertheidigen, dieser Stamm ohne Zweifel am besten gediehen sein und den andern besiegt haben. Man darf nicht vergessen, von welcher unendlichen Bedeutung bei den nie aufhörenden Kriegen der Wilden Treue und Muth sein müssen. Die Überlegenheit, welche disciplinierte Soldaten über undisciplinierte Massen zeigen, ist hauptsächlich eine Folge des Vertrauens, welches ein Jeder in seine Kameraden setzt. Gehorsam ist, wie Mr. Bagehot sehr gut entwickelt hat,289 von der höchsten Bedeutung, denn irgend eine Form von Regierung ist besser als gar keine. Selbstsüchtige und streitsüchtige Leute werden nicht zusammenhalten, und ohne Zusammenhalten kann nichts ausgerichtet werden. Ein Stamm, welcher die obengenannte Eigenschaft in hohem Grade besitzt, wird sich verbreiten und anderen Stämmen gegenüber siegreich sein; aber im Laufe der Zeit wird, nach dem Zeugnis der ganzen vergangenen Geschichte, auch er an seinem Theil von irgend einem andern und noch höher begabten Stamme überflügelt werden. Hierdurch werden die socialen und moralischen Eigenschaften sich langsam zu erhöhen und über die ganze Erde zu verbreiten neigen.

Man könnte aber nun fragen: woher kam es, daß innerhalb der Grenzen eines und desselben Stammes eine größere Anzahl seiner Glieder zuerst mit socialen und moralischen Eigenschaften begabt wurde und wodurch wurde der Maßstab der Vorzüglichkeit erhöht? Es ist äußerst zweifelhaft, ob Nachkommen der sympathischeren und wohlwollenderen Eltern oder derjenigen, welche ihren Kameraden am treuesten waren, in einer größeren Anzahl aufgezogen wurden als Kinder selbstsüchtiger und verrätherischer Eltern desselben Stammes. Wer bereit war, sein Leben eher zu opfern als seine Kameraden zu verrathen, wie es gar mancher Wilde gethan hat, der wird oft keine Nachkommen hinterlassen, welche seine edle Natur erben könnten. Die tapfersten Leute, welche sich stets willig fanden, sich im Krieg an die Spitze ihrer Genossen zu stellen, und welche bereitwillig ihr Leben für Andere in die Schanze schlugen, werden im Durchschnitt in einer größeren Zahl umkommen als andere Menschen. Es scheint daher kaum wahrscheinlich, daß die Zahl mit solchen Tugenden ausgerüsteter Menschen oder der Maßstab ihrer Vortrefflichkeit durch natürliche Zuchtwahl, d. h. durch das Überleben des Passendsten erhöht werden könnte; denn davon sprechen wir hier nicht, daß ein Stamm aus einem Kampfe mit einem andern siegreich hervorgeht.

Wenngleich die Umstände, welche zu einer Zahlenzunahme derartig begabter Leute innerhalb eines und desselben Stammes führen, zu compliciert sind, um einzeln deutlich verfolgt werden zu können, so sind wir doch im Stande, einige der wahrscheinlichen Schritte zu erkennen. So wird an erster Stelle in der Weise wie die Verstandeskräfte und die Voraussicht der einzelnen Glieder sich verbessern, jeder Mensch bald lernen, daß, wenn er seine Mitmenschen unterstützt, er auch gewöhnlich in Erwiderung Hülfe von ihnen erfahren wird. Aus diesem niedrigen Motiv dürfte er die Gewohnheit, seinen Genossen zu helfen, erlangen; und die Gewohnheit, wohlwollende Handlungen auszuüben, kräftigt sicherlich das Gefühl der Sympathie, welches den ersten Antrieb zu wohlwollenden Handlungen abgiebt, Überdies neigen Gewohnheiten, welchen mehrere Generationen hindurch die Menschen gefolgt sind, wahrscheinlich zur Vererbung.

Es giebt aber noch einen andern und noch kräftigeren Antrieb zur Entwicklung der socialen Tugenden, nämlich das Lob und der Tadel unserer Mitmenschen. Wie wir bereits gesehen haben, ist es zunächst eine Folge des Instincts der Sympathie, daß wir beständig Andern beides, sowohl Lob als Tadel ertheilen, während wir, wenn beides auf uns bezogen wird, das Lob lieben und den Tadel fürchten, und dieser Instinct wurde ohne Zweifel ursprünglich wie alle übrigen socialen Instincte durch natürliche Zuchtwahl erlangt. Wie früh in ihrer Entwicklung die Urerzeuger des Menschen fähig wurden, das Lob oder den Tadel ihrer Mitgeschöpfe zu fühlen und durch sie beeinflußt zu werden, können wir natürlich nicht sagen; aber es scheint, daß selbst Hunde Ermuthigung, Lob und Tadel wohl zu schätzen wissen. Die rohesten Wilden kennen das Gefühl des Ruhms, wie sie deutlich durch das Aufbewahren der Trophäen ihrer Tapferkeit, durch die Gewohnheit des excessiven Sich-Rühmens und selbst durch die extreme Sorgfalt zeigen, welche sie auf ihre persönliche Erscheinung und Decoration verwenden. Denn wenn sie die Meinung ihrer Kameraden gar nicht beachteten, so würden derartige Gewohnheiten sinnlos sein.

Gewiß empfinden sie Scham bei dem Verletzen einiger ihrer einfacheren Gesetze, und allem Anscheine nach auch Gewissensbisse, wie durch den Fall des Australiers bewiesen wird, welcher abmagerte und nicht ruhen konnte, weil er versäumt hatte, zur Besänftigung des Geistes seiner verstorbenen Frau ein anderes Weib zu ermorden. Wenn mir auch kein Bericht irgend eines anderen Falles vorgekommen ist, so ist es doch kaum glaublich, daß ein Wilder, welcher sein Leben eher opfert, als daß er seinen Stamm verräth, oder daß Einer, der sich selbst eher als Gefangenen überliefert, als daß er sein Wort bricht,290 nicht in seiner innersten Seele Gewissensbisse fühlen sollte, sobald er eine Pflicht versäumt hat, welche er für heilig hält.

Wir können daher schließen, daß der Urmensch in einer äußerst weit zurückliegenden Zeit durch das Lob und den Tadel seiner Genossen beeinflußt worden sein wird. Offenbar werden die Mitglieder eines und desselben Stammes ein Benehmen, welches ihnen als ein das allgemeine Beste förderndes erschien, lobend anerkennen und ein solches verwerfen, welches ihnen übelbringend erschien. Andern Gutes zu thun, – Andern zu thun, wie ihr wollt, daß man Euch thue – ist der Grundstein der Moralität. Es ist daher kaum möglich, die Bedeutung der Sucht nach Lob und der Furcht vor Tadel während der Zeiten der Rohheit zu überschätzen. Ein Mensch, welcher durch kein tiefes instinctives Gefühl dazu getrieben wurde, sein Leben für das Beste Anderer zu opfern, dagegen zu solchen Handlungen durch ein Gefühl des Ruhms veranlaßt wurde, würde durch sein Beispiel denselben Wunsch nach Ruhm bei anderen Menschen erregen und würde durch Übung das edle Gefühl der Bewunderung kräftigen. Er kann auf diese Weise seinem Stamme viel mehr Gutes thun als durch Erzeugung einer Nachkommenschaft, in der Absicht, seinen eigenen edeln Charakter zu vererben.

Mit der Zunahme der Erfahrung und des Verstandes lernt der Mensch die entfernter liegenden Wirkungen seiner Handlungen erkennen und lernt auch die das Individuum betreffenden Tugenden, wie Mäßigkeit, Keuschheit u. s. w. welche während sehr früher Zeiten, wie wir vorher gesehen haben, vollständig unbeachtet geblieben sein werden, nun sehr hochschätzen oder selbst für heilig halten. Ich brauche indessen nicht zu wiederholen, was ich im vierten Capitel über diesen Gegenstand gesagt habe. Zuletzt wird sich dann unser moralisches Gefühl oder Gewissen gebildet haben, jene äußerst complicierte Erscheinung, die ihren ersten Ursprung in den socialen Instincten hat, die in großem Maße von der Anerkennung unserer Mitmenschen geleitet, von dem Verstand, dem eigenen Interesse und in späteren Zeiten von tiefreligiösen Gefühlen beherrscht und durch Unterricht und Gewohnheit befestigt wird.

Es darf nicht vergessen werden, daß, wenn auch eine hohe Stufe der Moralität nur einen geringen oder gar keinen Vortheil für jeden individuellen Menschen und seine Kinder über die anderen Menschen in einem und demselben Stamme darbietet, doch eine Zunahme in der Zahl gut begabter Menschen und ein Fortschritt in dem allgemeinen Maßstab der Moralität sicher dem einen Stamm einen unendlichen Vortheil über einen andern verleiht. Ein Stamm, welcher viele Glieder umfaßt, die in einem hohen Grade den Geist des Patriotismus, der Treue, des Gehorsams, Muthes und der Sympathie besitzen und daher stets bereit sind, einander zu helfen und sich für das allgemeine Beste zu opfern, wird über die meisten anderen Stämme den Sieg davontragen, und dies würde natürliche Zuchtwahl sein. Zu allen Zeiten haben über die ganze Erde einzelne Stämme andere verdrängt, und da die Moralität ein bedeutungsvolles Element bei ihrem Erfolg ist. so wird der Maßstab der Moralität sich zu erhöhen und die Zahl gut begabter Menschen überall zuzunehmen streben.

Es ist indessen sehr schwer, sich irgend ein Urtheil darüber zu bilden, warum ein besonderer Stamm und nicht ein anderer erfolgreich gewesen und in der Civilisationsstufe gestiegen ist. Viele Wilde sind noch in demselben Zustande, in welchem sie sich vor mehreren Jahrhunderten befanden, als sie entdeckt wurden. Wie Mr. Bagehot bemerkt hat, sind wir geneigt, den Fortschritt als das Normale im Leben der menschlichen Gesellschaft zu betrachten; aber die Geschichte widerlegt dies. Die Alten hatten nicht einmal diese Idee, ebensowenig wie die orientalischen Nationen sie heutigen Tages haben. Eine andere bedeutende Autorität, Sir Henry Maine, sagt:291 der »größte Theil der Menschheit hat niemals auch nur eine Spur eines Wunsches gezeigt, daß seine bürgerlichen Institutionen verbessert werden sollten«. Fortschritt scheint von vielen zusammenwirkenden günstigen Bedingungen abzuhängen, die viel zu compliciert sind, um hier einzeln verfolgt zu werden. Es ist aber oft bemerkt worden, daß ein kühles Klima, weil es zur Industrie und den verschiedenen Kunstfertigkeiten führt, zu jenem Zwecke äußerst günstig gewesen ist. Die Eskimos haben, von starrer Nothwendigkeit bedrückt, viele ingeniöse Erfindungen gemacht, aber ihr Klima ist zu rauh gewesen, um einen beständigen Fortschritt zu gestatten. Nomadisches Leben, mag es auf weiten Ebenen oder in den dichten Wäldern der Tropenländer oder den Seeküsten entlang geführt worden sein, ist in allen Fällen äußerst nachtheilig gewesen. Bei Beobachtung der barbarischen Einwohner des Feuerlandes drängte sich mir die Überzeugung auf, daß der Besitz irgendwelchen Eigenthums, ein fester Wohnsitz und die Verbindung vieler Familien unter einem Häuptlinge die unentbehrlichen Erfordernisse zur Civilisation sind. Derartige Gebräuche fordern fast mit Nothwendigkeit die Cultur des Bodens; und die ersten Fortschritte im Landbau, sind wahrscheinlich, wie ich an einem andern Orte gezeigt habe,292 das Resultat irgend eines Zufalls gewesen, wie beispielsweise, wenn die Samenkörner eines Fruchtbaumes auf einen Abraumhaufen fallen und eine ungewöhnlich schöne Varietät hervorbringen. Indessen ist das Problem des ersten Fortschritts der Wilden, nach ihrer Civilisation hin, vorläufig viel zu schwer, um gelöst zu werden.

Fußnote

285 Anthropological Review. May 1864, p. CLVIII.

286 Wenn die Glieder eines Stammes oder ganze Stämme in einen andern Stamm aufgegangen sind, so nehmen sie, wie Mr. Maine bemerkt (Ancient Law, 1861, p. 131), nach einiger Zeit an, daß sie Nachkommen derselben Voreltern wie die Glieder des letzteren seien.

287 Morlot, Soc. Vaud. Scienc. Nat. 1860, p. 294.

288 Beispiele habe ich in meinem »Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication«. 2. Aufl. Bd. II, p. 224 gegeben.

289 s. eine Reihe merkwürdiger Artikel »on Physics and Politics« in: Fortnightly Review. Nov. 1867, 1. Apr. 1868, 1. July 1869: seitdem separat erschienen.

290 Mr. Wallace führt Fälle hiervon an in seinen »Contributions to the Theory of Natural Selection«. 1870, p. 354.

291 Ancient Law. 1861, p. 22. Wegen Bagehot's Bemerkungen s. Fortnightly Review, 1. Apr. 1868, p. 452.

292 Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. I, p. 342, 343.

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